Ansichten eines Informatikers

Pressebluten

Hadmut
10.11.2016 0:39

Die Nacht der geplatzten Prognosen:

Warum in der Trump-Wahl auch und vor allem ein weitgehendes Medienversagen liegt und warum Zeitungen das Geld nicht mehr wert sind, auf das sie gedruckt werden (oder früher mal gedruckt wurden).

Ich habe mir heute natürlich viel Presse und viele Sendungen zur US-Wahl angesehen. Und für mich zieht sich wie ein roter Faden durch alles, dass das Political-Correctness-Kartell aus Politik und Presse hier erstmals richtig hart mit eigenem Versagen konfrontiert ist.

Interessant war dabei, die Interviews mit Trump-Wählern, aber auch einige der Aussagen Trumps zu sehen und zu hören. Immer wieder geht es darum, dass man sich von der Presse und den Medien belogen, getäuscht fühlt. Es ist etwas, was mir schon um 2002 (oder 2003) aufgefallen ist, als ich beim damaligen Kriegsbeginn zufällig in den USA war.

Nicht nur in Amerika, auch in Deutschland haben Rundfunk und Presse massiv desinformiert, systematisch manipuliert.

Habt Ihr mitgezählt, wie oft die Presse Trump als aus dem Rennen und chancenlosen Versager eingestuft hat? Jedes Mal auf’s neue „Oh, jetzt ist er endgültig erledigt”. Sagt, dass man Frauen an die Pussy greifen kann. Oh, jetzt ist er erledigt.

Keine der Einschätzungen hat gestimmt. Heute sind sie alle „schockiert”, wie das passieren konnte. Gut, man kann sich irren. Passiert jedem Mal. Aber sie lernen nichts daraus. Dieselben Leute prognostizieren fleißig den Untergang des Abendlandes. Woher aber wollen sie das wissen, wenn sie doch bisher schon mit allem zu Trump so falsch lagen?

Und warum halten Journalisten zumindest dann, wenn sie einsehen müssen, dass alles, was sie geschrieben haben, einfach unhaltbarer Bullshit war, nicht einfach mal ein paar Tage das Maul, sondern fangen gleich von Neuem mit demselben Mist an?

Dieselben Leute, die uns bisher nur Mist erzählt haben und jetzt völlig überrascht und schockiert sind, stellen sich mit unglaublicher Chuzpe vor die Kamera und wollen uns nun erzählen, was es bedeute, was man daraus zu lernen habe, dass es eine „Warnung” war. Jahrelang haben sie daraus nichts gelernt, wollen aber innerhalb von Stunden wissen, was etwas, wovon sie – angeblich – völlig überrascht wurden, zu bedeuten habe.

Man will eine „Deutungshoheit” aufrechterhalten (und diesen neudeutschen Schwafelbegriff mal einzusetzen).

Ein zentrales Problem am Presseversagen ist der Einfluss der Sozial- und Geisteswissenschaften und des Milieus, das sich da gebildet hat. Viele reden heute vom „postfaktischen Zeitalter”, tatsächlich ist das nicht anderes als ein Synonym für den „Poststrukturalismus”, die Geistesströmung, auf der der ganze Soziowissenschaftliche Krampf heute beruht, nämlich auf der Annahme, dass nichts wirklich und von Natur aus existiert, und alles nur durch „Sprechakte” geformt und erzeugt wird. So glaubt man, dass auch „Geschlecht” nur herbeigeredet wird, und darauf beruhen auch solche Bestrebungen, uns manche Sprache aufzuzwingen und andere zu verbieten.

Presse berichtet heute nicht mehr, weil es das in ihrer Ideologie gar nicht mehr gibt.

Presse versucht uns etwas einzureden, weil sie erstens glauben, dass man durch Sprache die Wirklichkeit erschafft, Clinton also automatisch Gewinner und Trump Verlierer sein müsse, wenn man nur oft genug davon redet. Nahe an Voodoo-Zauber. Und weil sie zweitens glauben, dazu legitimiert, dazu berufen und damit beauftragt zu sein, als durchgeknallte Minderheit der Mehrheit eine Wahrheit nach Gutdünken herbeizureden.

Der Schock besteht deshalb gar nicht mal darin, dass Trump Präsident wurde, sondern darin, dass die Realität nicht dem Geschreibsel der Presse folgt. Der Schock liegt darin, dass diese Presseleute gar nichts anderes mehr wissen, können und glauben, als dass nicht sie die Realität beschreiben müssen und sollen, sondern sie poststrukturalistisch – postfaktisch – durch Herbeireden formen und erzeugen, und sich dieses Einzige, was sie haben und (vermeintlich) können, als falsch herausgestellt hat.

Beispielsweise hat die TAZ eine ganze Kolumne „Dumme weiße Männer”, in der ständig auf eben weiße Männer geschimpft wird. (Für wieviele Jahre würde man hierzulande in den Knast gesteckt, und zudem von der Presse als Rassist und Volksverhetzer gebrandmarkt und bis zum Arbeitgeber verfolgt, wenn man eine Kolumne „Dumme schwarze Männer” schreiben würde? Seltsamerweise sagt auch ein Minister Heiko Maas nichts dazu.) In der hat man noch vor wenigen Tagen über Trump und böse weiße Männer gehetzt.

Kaum ist Trump gewählt, kommt der (politisch und städtisch) benachbarte Tagesspiegel um die Ecke und nennt es „Die Rache der weißen Männer”. Was überhaupt eine Interpretation ist, die man heute sehr oft geholt hat. Und die gar nicht mal falsch ist. Der Fehler liegt darin, es als überraschend oder unverständlich hinzustellen.

Ich sag’s mal platt: Wie doof muss man eigentlich sein, dass man jahrelang den „weißen Mann” als das unendlich und einzig Böse hinstellt, ihn für alles verantwortlich macht und universalbeschuldigt, ihn überall benachteiligt und ausschließt, und dann von ihm den Masochismus erwartet, dazu noch ein „weiter so” zu wählen?

Wie doof sind die, und für wie doof halten sie den „weißen Mann”?

Wieso glaubt man, dass der „weiße Mann” sich weiter selbst opfert und selbst schlachtet?

Dazu auch das dumme Geschwätz einer Ursula von der Leyen:

Den Wahlsieg Donald Trumps bezeichnet Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als “schweren Schock”. In der ARD sagte sie zu einem Zeitpunkt, da der Triumph des Republikaners zwar noch nicht feststand, sich aber bereits abzeichnete: “Ich glaube auch, dass Donald Trump weiß, dass dies nicht eine Wahl war für ihn, sondern gegen Washington, gegen das Establishment.”

Sagt die Tante mit dem Clinton-Haarspray und dem Clinton-Grinsen vom Hannoveraner Establishment. War nämlich auch eine Wahl gegen den Feminismus.

Habe ich heute schon über Soziologen hergezogen? Zu denen gehören nämlich die Wahlforscher. Und die lagen ja fast alle komplett falsch:

„Heute Abend sind die Daten gestorben“: Die Demoskopen sind nach der Sensation bei der US-Wahl in Erklärungsnöten. Wo kommen die vielen Trump-Unterstützer plötzlich her? Drei Erklärungsansätze.

Wie ist das möglich?

Monatelang, jahrelang haben sie uns „Gewissheiten”, natürlich politisch korrekte, aufgetischt. Und als sie dann komplett daneben lagen, wollen sie in weniger als 24 Stunden schon wissen, woran es lag?

Wenn sie es jetzt so schnell wissen, warum sind sie dann vorher nicht drauf gekommen, dass sie Fehler machen und vermeiden könnten? Heißt das nicht, dass man die Fehler die ganze Zeit schon gekannt und bewusst in Kauf genommen haben muss?

Die Demoskopen sind nach der Wahl Trumps in Erklärungsnöten. Von 67 Umfragen in den vergangenen Tagen hatten nur vier Trump vorne gesehen. Der unmittelbar nach Trumps Wahlerfolg am häufigsten geäußerte Grund: Die Wähler standen nicht zu ihrer Meinung – wie in Großbritannien zum Brexit.

Sie gaben den Meinungsforschern gegenüber nicht zu, dass sie das unpopuläre, das politisch unkorrekte Kreuz setzen wollen.

Erst beschimpft, bedroht, bedrängt man jeden, der ein falsches Wort sagt, nagelt die Leute an die Wand, richtet sie hin, verfolgt sie als Rassisten und Rechtsradikale. Und dann wundert man sich – plötzlich – darüber, dass sie nicht sagen, was sie denken? Dachte man in poststrukturalistischer Geisteswissenschaftlerverblendung, dass man die Leute umformt, indem man sie einfach zwingt, nur das politisch korrekte zu sagen, und ist nun entsetzt, dass es nicht funktioniert?

Ähnliches schreibt die ZEIT:

Vorher waren sich alle einig: Die meisten Demoskopen glaubten, einen Sieg für sie aus den Umfragedaten herauslesen zu können. Mindestens zwei, vielleicht sogar sechs Wahlmännerstimmen Vorsprung werde Hillary Clinton bekommen. Mit 71,4 Prozent Sicherheit werde sie gewinnen, behauptete noch am Vorabend das Projekt FiveThirtyEight. Die Betreiber hatten den Wahlkampf wochenlang mit Analysen der Umfrageergebnisse begleitet. “Das ist die schockierendste politische Entwicklung meines Lebens”, schrieb Analyst Nate Silver von FiveThirtyEight nach der Wahl.

Das ist vor allem eine Folge miserabler Ausbildung. „71,4 Prozent Sicherheit” – wenn ich so einen Scheiß schon höre. Wähler denken (zumindest manche) und sind damit keine aleatorische Größe, die sich rein statistisch erfassen lässt. Und eine Wahrscheinlichkeit oder Statistik sagt auch nichts darüber, was beim nächsten Ereignis passiert. Wahrscheinlichkeiten sind Grenzwerte, gegen die die Ereignisse konvergieren, wenn deren Zahl gegen unendlich geht. Aber keine Vorhersagen über den nächsten Fall. Da fehlt es einfach an der Ausbildung. Die können das nicht. Soziologen haben Statistik und Stochastik noch nie verstanden.

Fehler stecken in allen Umfragen. Vier Prozentpunkte mehr oder weniger sind durchaus drin und werden mitkalkuliert. Doch Fehler schlagen bei Entscheidungen, bei denen es um ein Entweder-oder geht, besonders stark durch. Bei Brexit oder der US-Wahl geht es um Top oder Flop.

Beispiel Wisconsin. Clinton war dort von FiveThirtyEight ein Sieg prognostiziert worden: 49,6 Prozent für Clinton, 44,3 Prozent für Trump. Tatsächlich hat sich das Verhältnis umgekehrt: Clinton holte 46 Prozent, Trump 48,6. Der Messfehler liegt damit fast innerhalb der vier Prozentpunkte, die völlig normal sind. Doch aufgrund des Wahlsystems der USA fielen nun alle zehn Wahlmännerstimmen dieses Staates an Trump und nicht an Clinton.

Hier waren die Umfrageergebnisse im Detail gar nicht so falsch. Doch letztlich zeigten sie ein völlig falsches Bild.

Deshalb ist es völliger Quatsch, hier Wahlergebnisse mit drei Stellen Genauigkeit (49,6 %) voraussagen zu wollen, wenn die Ungenauigkeit bei 4% liegt. Welcher Idiot rechnet denn so einen Scheiß? Haben die in der Baumschule studiert?

Wenn ein Wert eine bekannte Streuung, eine Ungewissheit hat, und das gibt es ja öfters, bei verschiedenen Dingen, etwa Messungenauigkeiten, dann muss man mit Intervallen rechnen. Dann erwartet man eben nicht 49,6% für Clinton, sondern zwischen 45 und 53%. Mit Intervallen kann man richtig rechnen. Ist (oder war zu meiner Zeit) Inhalt des Vordiploms in Informatik. Und dann weiß man, dass Clinton dort zwischen 0 und 10 Wahlmännern holt, dass man also – genaugenommen – gar nichts weiß. Jeder, der auch nur für 20 Pfennig Ahnung von Statistik hat, der würde in so einem Fall klar sagen, dass man nicht weiß, was kommt, und es eben abwarten muss. Aber die Sozio-Armleuchter kommen und behaupten, 49,6% für Clinton, und nur 44,3% für Trump, also gewinne klar Clinton. So ein Schwachsinn. Und die Journalisten verkaufen den Mist auch noch.

Tatsächlich offenbart sich das Desaster der Demoskopen daher gar nicht im angeblich falsch vorhergesagten Wahlergebnis. Das war von FiveThirtyEight ohnehin schon vorsichtig formuliert worden: Rund 70 Prozent Sicherheit für eine Vorhersage sind eben weit weg von 100 Prozent.

Jo. 30% für Trump heißt eben auch nicht, dass es ausgeschlossen wäre. Sonst hätte er 0%. Da hätte man vorher drauf kommen können.

Wer würde sich in ein Auto setzen, wenn die Überlebenswahrscheinlichkeit für die Fahrt bei 70% läge?

Das eigentliche Problem der Wahlprognosen zeigte sich vielmehr in Staaten wie Wisconsin – einem sicheren Staat für Trump, den er erwartungsgemäß auch holte. Nur: Er überholte dabei die Vorhersagen um fast neun Prozentpunkte. Ähnlich war es in North Dakota, Wyoming, Utah, Tennessee und South Dakota. In jedem dieser Bundesstaaten holte Trump mindestens sechs Prozentpunkte mehr, als vorhergesagt worden war. Und Clinton bekam in Washington D.C. fast zehn Prozentpunkte mehr, als die Analysen glaubten. Das sprengt jede Fehlertoleranz und lässt die Demoskopen fassungslos zurück.

Tja. Sprengt jede Fehlertoleranz, aber sie geben Prognosen mit einer Genauigkeit von 3 Stellen an.

Unerklärlich aber ist es nicht. Ein Grund ist die Psychologie. Wähler sagen in Umfragen nicht unbedingt ehrlich, was sie wählen werden. Die Mormonen in Utah hatten offiziell ihre Probleme mit Donald Trump, noch größere Probleme aber mit Hillary Clinton. In Umfragen werden diese Menschen aber womöglich eher ausweichend geantwortet haben, anstatt offen zuzugeben, Trump zu wählen. Soziologen nennen das soziale Erwünschtheit. Wenn Menschen wissen, dass ein Verhalten von vielen anderen nicht unbedingt positiv gesehen wird, geben jene, die sich so verhalten, das nicht gern zu.

Deshalb kann man das sowieso nicht statistisch erfassen. Genausowenig wie Würfel, die sich vorher überlegen, was sie zeigen müssen, um politisch korrekt zu sein.

Dazu kommt ein Problem, das auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist: Es gibt zu wenige Daten, auch wenn es so aussieht, als seien es unglaublich viele. Denn Wahlen sind zu seltene Ereignisse, um sie sicher analysieren zu können.

In diese Falle scheint das Wahlkampfteam der Demokratischen Partei getappt zu sein. Ihm stehen so detaillierte Daten über die potenzielle Wählerschaft zur Verfügung, dass einem deutschen Datenschützer die Haare zu Berge stehen würden. Diese Datentöpfe suggerierten dem Clinton-Team offenbar, dass man wegen der vermeintlichen Führung der Kandidatin das Engagement in Wisconsin, Minnesota and Michigan zurückfahren könne. Das hat sich gerächt.

Tja. Statistikgläubigkeit.

Hieß es nicht immer, Clinton sei die viel bessere Präsidentin als Trump, weil sie so gut mit Statistiken und Zahlen vorbereitet sei?

Ist das nicht gerade ein Form von Inkompetenz, solchen Statistiken mit drei Stellen Genauigkeit zu glauben und sie zur Entscheidungsgrundlage zu machen? Hätte die ihre Kriegsentscheidungen auch darauf gestützt?

In Fällen wie dem Brexit oder der US-Wahl gebe es nicht genug Daten, schreibt der Kolumnist und Analyst Barry Ritholtz: “Man kann Emotionen nicht modellieren. Modellierung funktioniert gut, wenn man eine lange Serie wiederholbarer Ereignisse hat, so was wie Transaktionen mit der Kreditkarte.” Ein Brexit hingegen sei eine einmalige Sache. Es gebe keine Daten eines früheren Brexit. Das Gleiche gilt seiner Meinung nach für Präsidentschaftswahlen. Sie finden nur alle vier Jahre statt. “Die Daten sind einfach nicht alt genug”, schreibt er.

Was ja richtig ist und in die Richtung dessen geht, was ich gesagt habe: Dass Statistiken und die Wahrscheinlichkeitsrechnungen Grenzwerte sind, gegen die man bei vielen Ereignissen (Ziehungen im Urnenmodell) konvergiert, die aber nichts über singuläre Vorgänge sagen können. Es ist überhaupt ein Unsinn, Einzelereignisse statistisch voraussagen zu wollen. 70% Wahrscheinlichkeit. Was soll das heißen? Wird sie es oder wird sie es nicht? Die Leute haben einfach Statistik usw. nicht verstanden.

In den vier Jahren dazwischen haben sich die Einstellungen der Wähler so gewandelt, dass die Wahlen nur bedingt miteinander vergleichbar sind, auch wenn die Wahlprognosen etwas anderes suggerieren. Was wie Big Data aussieht, ist eigentlich Small Data. Und der Wissenschaftler und Big-Data-Experte Viktor Mayer-Schönberger sagt: Small Data ist tot.

Nicht so tot, dass es Journalisten nicht glauben würden.

Die Erwartung, dass sich der „weiße Mann” beliebig als Zahlschwein, Arbeitssklave, Sündenbock, Maulhalter einspannen lässt und dazu auch noch erfreut Zustimmung wählt, findet sich auch in der Politik. Der CDU-Politiker Röttgen spricht:

Der CDU-Politiker Röttgen hat den Wahlerfolg von Trump als Warnung für Europa bezeichnet.

Man habe die Radikalität unterschätzt, mit der Wähler bereit seien, aus ihrer persönlichen Situation die Konsequenzen zu ziehen, sagte Röttgen im Deutschlandfunk.

Heißt doch im Klartext, dass man sich darauf verlassen hat(te), dass der „weiße Mann” dumm, phlegmatisch, duldsam, devot ist. Dummes Arbeitsvieh, das man beliebig einspannen kann, und das trotzdem „Ja, bitte!” sagt. Und die aufgedrängte Situation einfach schweigend hinnimmt.

Und das haben sie eben nicht. Siehe wieder ZEIT:

Doch Hillary Clintons Marktradikalität speist sich vor allem aus ihrem Feminismus: Sie glaubt fest daran, dass Frauen nur durch den Markt befreit werden können.

Die Ergebnisse dieser Politik sehen wir heute. In den USA sinkt sogar die Lebenserwartung – eine Entwicklung, die es in Friedenszeiten so bisher nicht gab, außer in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass das System Clinton, der liberale Konsens der vergangenen 30 Jahre, ebenso gescheitert ist wie damals die Sowjetunion?

Feminismus als Parallele zur Sowjetunion.

Ich persönlich halte den Feminismus/Genderismus für einen zentralen Grund, warum man gegen das „Establishment” gewählt hat. Kurioserweise taucht das Thema in der deutschen Presse als Ursache gar nicht auf.

Und man staune, es gibt auch intelligente Fragen von Soziologen:

Der britische Soziologe Colin Crouch, der den Begriff Postdemokratie prägte, fragte einmal die SPD: “Warum sollte euch irgendjemand wählen?” Sie haben doch die vergangen Jahrzehnte nur damit verbracht, die arbeitenden Menschen, die zu repräsentieren sie vorgeben, zu verraten. Wenn man konsequent jede Hoffnung auf Fortschritt zunichtemacht, wieso ist man dann erstaunt, wenn die Leute das wie auch immer geartete Gegenkonzept wählen?

Tja. Wer wählt sowas?

Es hat aber Parallelen zu den USA, um wieder auf die ZEIT zurückzukommen (die ich zitiere, obwohl ich sie für blöd halte, weil es bestätigt, dass sie erst hinterher schlau sind und nicht vorher, was in einem von Loriot illustrierten Pferderennensketch mit „Gott, wenn er im Ziel ist, weiß ich’s ja auch…” treffend beschrieben wurde):

Diese Wahl war ein Volksaufstand mit den Mitteln der Demokratie. Selten haben Wähler dem politischen Establishment eine derartige Ohrfeige verpasst. Die Medien, die Experten, die Umfragen – alle hatten einen Wahlsieg von Hillary Clinton kommen sehen. Ach was, einen Sieg, einen Triumph! Die letzten Prognosen lauteten, Clinton werde mit mehr als achtzigprozentiger Sicherheit gewinnen. Wie konnten sich alle nur so täuschen?

Auf die gleiche Weise, wie das Establishment seit Jahren die Stimmung im Land jenseits der Metropolen mit Yogastudios und veganen Restaurants ignoriert hat. Bis zuletzt haben sich diese Leute geweigert, in Donald Trump etwas anderes als einen Clown zu sehen. Die Furcht vor seinem Aufstieg versuchten sie zu bannen, indem sie endlos Witze auf seine Kosten rissen – über den Selbstbräuner im Gesicht, die blumig-aufgeblasenen Formulierungen und vor allem: dieses Haar! Viel zu sehr sahen sie den Reality-TV-Star als das Problem – und nicht die Tatsache, dass ein immer größerer Teil der Amerikaner verunsichert und frustriert ist.

Es sagt viel über die selbst erklärte politische Elite aus, dass die Wähler sich von einem Milliardär aus New York besser verstanden fühlten, als von einer Berufspolitikerin und Selfmadefrau aus dem Kleinbürgertum. Clinton bezeichnete Trumps Anhänger bei einer Wahlveranstaltung als bedauernswerte Rassisten und Sexisten einerseits und bemitleidenswerte Verlierer andererseits. Das war entlarvend – für sie.

Stimmt. Und die ZEIT wäre eine Zeitung, wenn ihr das vorher eingefallen wäre. Hinterher die Fahne in den anderen Wind zu hängen und das offensichtliche zu sehen, das kann jeder.

Dass sich die weiße Arbeiterschicht, zumal die Männer, die einst die Parteibasis der Demokraten war, abwandte, schien weder die Kandidatin, noch die Partei zu stören. Lieber zählte sie auf eine Regenbogenallianz aus Schwarzen, Hispanics und Jungen, die Barack Obama zweimal ins Weiße Haus gebracht hatte.

Das könnte sich hier wiederholen. Das mit der Regenbogenallianz.

Doch vor allem die jungen Schwarzen wollten dieses Mal nicht das Stimmvieh sein, das alle vier Jahre mit Versprechen auf Besserung vertröstet wird. Sie wählten zwar nicht Trump, aber Clinton mochten sie ihre Stimme auch nicht geben. Selbst 30 Prozent der Hispanics, die von Trump als “Vergewaltiger und Kriminelle” verunglimpft worden waren, haben ihm laut Wählerbefragungen vom Dienstag ihre Stimme gegeben.

Tja. Bei uns geben dann auch Schwule und Lesben und der intellektuelle weibliche Bodensatz als Feministen das Stimmvieh ab. Den Schwulen traue ich zu, dass sie irgendwann mal merken, wie der Hase läuft, und dann auch nicht mehr das Stimmvieh geben wollen.

Die Zeit bis zur Bundestagswahl wird jetzt interessant.