Ansichten eines Informatikers

Die Konzeptlosigkeit der Piraten-Partei

Hadmut
27.3.2012 13:58

Ach, was muß man seit Sonntag wieder alles über die Piraten lesen. Die anderen Parteien und mancher Schreiberling schimpfen aus allen Rohren, die hätten keine Konzepte, keinen Plan, keine Ahnung. Keiner wüßte, wofür sie stehen, nicht mal sie selbst.

Bei Licht betrachtet könnte aber genau das der ganz große Vorteil der Piraten sein und ihnen eine Überlegenheit gegenüber allen anderen Parteien bringen – wenn sie es richtig machen.

Wenn man es sich nämlich mal näher überlegt, beschreiben diese Anwürfe nicht Mängel der Piratenpartei, sondern gerade im Gegenteil die Mängel der anderen Parteien, die sich nämlich in festen ideologisch-dogmatisch-politischen Positionen festbetoniert haben und daraus alles ableiten. Die denken gar nicht mehr darüber nach, was richtig ist, sondern prügeln alles nach ihrer Windrichtung durch. Die FDP prügelt für die Wirtschaft, die CDU für freien Kapitalismus, die Linken sind irgendwo linksaußen, die Grünen machen auf Ökogelaber und Frauenquote, die SPD für die Arbeiter und gegen die Reichen. Und aus diesen Grundpositionen heraus agieren sie stur, blind, unintelligent. Und nur das verstehen sie noch, weshalb ihnen die Piraten so unverständlich sind. Analytisch oder problemorientiert denken die gar nicht mehr. Weil sie es auch nie gelernt haben (man schaue sich nur an, welche Berufe dort vertreten sind).

Anscheinend ist aber genau diese feste Ideologisierung, dieses sture Verfolgen einer bestimmten Windrichtung das, was die Wähler so nervt.

Und vielleicht ist es genau das Fehlen einer solchen sturen Vorgehensweise das, was an den Piraten so gefällt.

Die Piraten sagen, sie haben von vielen Themen (noch) keine Ahnung und zu vielem – wie dem Euro – auch keine Meinung. Dafür werden sie übelst gescholten und mancher stellt sie als Idioten und Möchtegerns hin.

Eigentlich aber ist das doch die intelligenteste Sichtweise. Nämlich erst mal Transparenz schaffen, sich eine Meinung bilden, und dann nach der Lösung suchen. Wie ein Arzt, der erst die Diagnose stellt, und danach nach der passenden Therapie sucht, und nicht wie ein Pharmavertreter, der von vornherein darauf eingestellt ist, daß nur seine Medizin die richtige sein kann.

Wenn man nicht aus dem Hintergrund der Politik, sondern eher aus dem Ingenieurs- oder Unternehmensberatungsbereich kommt, ist man darauf trainiert, sich zunächst mal einer Meinung oder Lösung zu enthalten und zuerst den Status, dann das Problem zu analysieren. Und erst wenn man das erfaßt hat, kann man sich auf die Suche nach einer Lösung machen. Insofern ist die Herangehensweise der Piraten zwar unpolitisch, aber gerade deshalb die einzig richtige. Gerade weil sie sich von den Scharlatanen der andere Parteien darin unterscheiden, nicht bei jeder x-beliebigen Krankheit den immer gleichen Aderlaß zu fordern. Mir kommt es inzwischen so vor, als seien die Anwürfe der anderen Parteien gegenüber den Piraten eigentlich nur Symptom deren eigener Regierungsunfähigkeit, denn sie verstoßen damit gegen die Grundregel erst zu gucken, dann zu denken und danach zu handeln.

Wenn die Piraten das jetzt beherzigen, vorgehen wie ein Ingenieur oder Analytiker, aus ihrer Richtungslosigkeit eine Tugend machen, und zunächst mal Themen wie Gesundheitswesen, Rentenversicherung, Bundeswehr, völlig neutral und richtungslos vornehmen, zerlegen, analysieren und darauf dann erst die Handlungsrichtungen ideologiefrei entwickeln, dann können die richtig gut werden. Aber nur, wenn sie die Selbstdisziplin dafür aufbringen können. Und an diesem Punkt habe ich leider gewissen Zweifel. Die haben einfach ein paar Defizite in Richtung Unternehmensberatung und -führung, die sie dazu bräuchten.

Nachtrag: Wie vorteilhaft das ist, sich erst einmal zu informieren und nachzudenken, bevor man losrennt, beschreibt beispielsweise dieser SPIEGEL-Artikel. Daher muß man derzeit sagen, daß die Piraten es eigentlich genau richtig machen, wenn sie sich zu vielen Themen einer Meinung noch enthalten.

15 Kommentare (RSS-Feed)

Tenshinhan
27.3.2012 14:53
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Hier ein Beitrag auf Telepolis, der ins gleiche Horn stößt:
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36660/1.html


der andere Andreas
27.3.2012 16:14
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hmm wie macht man denn ideologiefreie politik? politik ist immer die vertretung von interessen.

und aus ihren wahlprogrammen würde ich entnehmen, dass sie aufjeden fall im liberalen spektrum zuverorten sind. momentan eher links- als rechtsliberal.

aber da die meisten wahlprogramme nicht das papierwert sind auf die sie gedruckt werden wird man natürlich erst sehen wofür sie stehen wenn man sie mal in aktion gesehen hat.

bei der spd hab ich erhrlich gesagt weniger ahnung wofür die stehen… aber die wohl auch.


Politikinteressierter
27.3.2012 16:33
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Relativ einfach. Die Piraten sind noch keine homogene Masse. Kernpunkt ist zunächst eine “transparente Bürgerpolitik” ähnlich einem Verein. Dafür nutzen sie moderne Kommunikationsmittel. Sie vertrauen auf das Wissen und die Ideen der beteiligten, betroffenen Bürger. Ziel ist es nicht unumstößliche Lösungen anzubieten, die dann zum Dogma werden. Ziel ist die flexible Reaktion auf Herausforderungen, auch unkonventionell und ohne große Bürokratie. Damit werden Grundfesten erschüttert. Die Informationsgesellschaft bringt eine “neue” Demokratie. Nicht mehr Politik einer abgehobenen Politikerkaste, die sich vom Wähler beauftragt fühlt, sondern Politik auf kurzen Wegen für und durch die Bürger. Für die alten Parteien eben gefährlich.


FF
27.3.2012 17:10
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Jo, da ist was Wahres daran. Ich fürchte nur – alter Skeptiker, der ich bin – das ist und bleibt eine überaus wohlwollende Wunschvorstellung. Auch wenn ich sie gerne teilen würde.

Diese Jungs und Mädels – den (einseitig ausgewählten?) Bildern nach tatsächlich “nerds” – sind vor allem eins: restlos überfordert. Noch ist die Journaille in sie vernarrt wie in ein neues Spielzeug – aber das wird nicht ewig dauern.

Die Betonkopf-Kauders – innen hohl, aber notorisch sattelfest im Verwaltungs- und Verfahrensjudo – werden den “Piraten” nach allen Regeln der Kunst das Wasser abgraben. Den Rest besorgen die sich dann selber.

PS.: Oben ist übrigens ein Wortverdreher drin: “die SPD für die Arbeiter und gegen die Reichen”. Umgekehrt wird da eher ein Schuh draus.


Hadmut
27.3.2012 17:43
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@FF:

> sind vor allem eins: restlos überfordert.

Es ist noch schlimmer. Sie sind nicht nur überfordert. Sie wissen nicht einmal, was auf sie zukommt, da sind sie reichlich naiv. Deshalb ja auch meine Kritik im vorigen Blog-Artikel daran, daß man da ein 22-jähriges Mädel in der Ausbildung zur „IT-Kauffrau” als Vorsitzende hinstellt. Deshalb klappen die denen ja auch reihenweise mit Überlastung und Kreislaufproblemen zusammen, weil die noch nie unter Arbeits- und Leistungsdruck standen und dann gleich ganz vorne an die Front geschickt werden. Aber äußert man diese Kritik, kommen gleich irgendwelche Leute heran und geben Kommentare ab, wonach man ja gar nicht wisse, wie schlau eine 22-jährige sein kann, weil doch Mozart schon mit 6 Klavier spielen konnte. Nur daß die Piraten eben keine Mozarts sind. Die haben da ganz massiv das Problem verkannt und damit ein unglaubliches Potential, auf die Schnauze zu fallen.

Was mir auffällt ist, daß bei den älteren Piraten unheimlich viele Systemadministratoren und Softwareentwickler unterwegs sind. Nichts gegen die Leute, die werden gebraucht und machen oft gute Arbeit. Ich hab mir während des Studiums damit meine Kröten verdient. Nur begründet sich darauf eben auch deren Internet-Romantik. Eine Arbeitsgrundlage für Politik ist das gar nicht. Deshalb werden die auch auf die Schnauze fallen, wenn sie es nicht entweder auf die ganz harte Tour lernen oder doch noch ein paar erfahrene Leute ranholen. Systemadministratoren und Softwareentwickler sind hervorragende Nerds, aber zur Politik fehlen da einfach die Fähigkeiten. Das ist vermutlich auch der Grund, warum sie erst mal in die Opposition wollen: Da hat man praktisch keine Erwartungshaltung zu erfüllen.

Und gerade in Verfahrensangelegenheiten – „Verfahrensjudo” ist geil, das muß ich mir merken 🙂 – mehr aber noch in Rhetorik sind die den Profis derzeit nicht gewachsen. Die laufen gerade vor den Kameras herum wie Alice im Wunderland.

Die müssen nun eine verdammt harte und steile Lernkurve hinkriegen. Was ich aber nicht für völlig ausgeschlossen halte.

Aber mit 22-jährigen Berufsanfängern und Studienabbrechern werden die das nicht schaffen. Die sind nämlich keine Bill Gates und auch keine Mozarts.


Hanz Moser
27.3.2012 17:53
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Es stellt sich mir die Frage, wie weit man mit Substanz und angebrachter Zurückhaltung wirklich kommt.

In dem Moment wo lauthals verbreiteter Schwachsinn nicht offenbar schwachsinnig ist, werden m.E. die größten Teile des Stimmviehs viel eher dem Geschrei hinterherlaufen, weil Handlung versprochen wird, als jemandem, der sagt, dass er erst mal darüber nachdenken müsse, was nun sinnvoll und richtig wäre.
Frei nach Mario Barth scheint mir der Anspruch an Verantwortliche vor allem “Nicht denken, machen!” zu sein.

Bei allem was mit moderner Technik und dem Internet zu tun hat haben die Piraten von vorn herein gewonnen, weil die politischen Mitbewerber so offenkundig zur Schau stellen, dass sie davon nichts aber auch rein gar nichts verstehen.

Wie das bei anderen Themen aussehen wird, werden wir sehen.

Mein Tipp an die Piraten wäre vor allem ihr Auftreten wenigstens ein Stück weit zu professionalisieren. Der größte Teil der Wähler dürfte die eher für fähig halten, wenn sie, bei gleichen Inhalten, etwas weniger wie eine lustige Kumpeltruppe aus dem Partykeller auftreten. Übertreiben darf man es freilich nicht, denn noch ist es eines ihrer positiven Markenzeichen, das nicht nur Worthülsen aus den Mündern kommen und die Antworten nichts mit der Frage zu tun haben.

Hmm. Ich glaube ich werd jetzt Mitglied. Wenn der Laden nach dem Gesetz der Erfahrung verfilzt und so endet wie die Grünen, hab ich wenigstens die Chance irgendwas abzugreifen 😀


Hadmut
27.3.2012 17:57
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@Hanz: Richtig.

> weil die politischen Mitbewerber so offenkundig zur Schau stellen, dass sie davon nichts aber auch rein gar nichts verstehen.

Das könnte sich aber bald ändern, denn nachdem die Piraten nun plötzlich nicht mehr nur in einer Szene-Stadt, sondern auch in einem unterentwickelten Flächenstaat mehr Stimmen als Grüne und FDP zusammen geholt und die anderen Parteien das Gruseln gelehrt haben, werden die sich natürlich nun umschauen, da entsprechend aufzurüsten und gegenzuhalten. Ganz so doof, daß die nicht mal merken, woran es liegt, sind die nämlich auch wieder nicht.


Hanz Moser
27.3.2012 18:39
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Das ist wohl war. Die CSU hatte doch, iirc, erst vor Kurzem einen “Netzkongress” oder sowas. Da waren sogar Leute gegen ACTA und VDS, was man ja gar nicht glauben will…

Stoibers Abschlussrede, irgendwo habe ich einen Teil davon gehört oder gelesen, hat aber die zarte Sandburg an argumentativer Fundierung und sachgerechter Argumentation (ich meine das nicht wegen der Richtung der Argumente) sehr gründlich platt getreten.

Ich bin sehr gespannt wie die Neupositionierung der “etablierten Parteien” bei diesem Themenbereich aussehen wird.


Chris
27.3.2012 20:17
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btw: Dass die SPD Politik gegen die Reichen macht, ist aber auch schon wieder >20 Jahre her… Und so Öko sind die Grünen auch nicht immer – je nach Wetterlage.
Vielleicht ist die „Position“ der Piratenpartei auch dem geschuldet, dass es kaum feste Machtstrukturen gibt, die eine „einheitliche“ Position durchsetzen könnten. Außerdem ist die Piratenpartei in den vergangenen Jahren so schnell gewachsen, dass sie ziemlich inhomogen sein muss.


Politikinteressierter
27.3.2012 21:00
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Chris sprach ebenfalls die Inhomogenität an. Das macht noch eine gewisse lokale Differenzietheit aus. Das allerdings in jungen Jahren schon einiges gestemmt werden kann wurde schon oft bewiesen. Zwischen Elbe und Oder haben viele bis vor 20 Jahren schon zwischen 22 und 24 Verantwortung übernommen. Stichwort, mit 18 Abitur, dann 3 Jahre Studium und danach “verordneter” Einsatz nach dem Prinzip, wir haben Dir gegeben, nun gib zurück. Allerdings andere Zeiten … Fakt ist, wer sich im Politikzirkus nicht auskennt, kommt unter die Räder. Nicht wegen der Inhalte, sondern wegen der Verfahrensfehler. Geschäftsordnungsrituale müssen nämlich eingehalten werden. Hinzu kommen Pflichten, die Wissen erfordern. Das Korsett des Bundes- und Landesrechts wird drücken, einengen und die Luft nehmen. Da müssen die Piraten erstmal durch. Die Berliner üben gerade. Als ich noch in der Kommunalpolitik war, wurden zwei 18-Jährige vor dem Abitur in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Sie haben es gemeistert – mit viel Lehrgeld (Rituale, Geschäftsordnung, Termine, Fristen). Wie schon mehrmals hier angeführt, IT-Kenntniss sind vielleicht gut für eine Systematisierung, aber da muss man die Probleme zunächst erkennen, damit die richtigen Fragen gestellt werden können. Denn nur das Murren, warum was nicht im Internet zugänglich ist oder nicht per Internet erledigt werden kann, reicht nicht! Trotzdem mein Respekt an und für die Piraten.


Oppi
27.3.2012 21:07
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“die SPD für die Arbeiter und gegen die Reichen. ”

Wenn es denn mal so wäre. Wann hast du das letzte mal einem SPD Menschen genauer zugehört ?


Hadmut
27.3.2012 21:15
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Das ist nicht so lange her. Es ist aber schon lange her, daß jemand von der SPD was gesagt hätte, was klar verständlich gewesen wäre.


Politikinteressierter
27.3.2012 21:22
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@ Hadmut
Stimmt – leider! Zum Glück gibt es auch Ausnahmen, z.B. mein Landtagspräsident in Brandenburg. Klare Worte, klare Ansagen, klare Haltung! Unverfälscht.


euchrid eucrow
28.3.2012 6:35
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deswegen fand ich auch die diskussion überflüßig, ob die occopy-bewegung eine klare richtung, ziele und eine leitende person braucht: es ist egal, in welche richtung man schlägt. man trifft einfach und auch immer die richtigen.


karbau
28.3.2012 19:12
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WIDERSPRUCH!

Nein, nicht gegenüber Deinem Blog-Eintrag, den ich zu 99% für korrekt halte.

Aber gegen über dem 1%, nämlich “…die CDU für freien Kapitalismus…”. Das ist *falsch*.

Die CDU ist für eine Art ganz besonders widerwärtigen Neo-Feudalismus (Subventionen hier, Rechsbegüngstigung für Spezies da … s. ACTA). Die CDU ist neben der Linken die Partei mit dem *faktisch* wettbewerbs- und marktfeindliches Ansatz. Es geht hier um die Etablierung und Aufrechterhaltung neofeudaler Strukturen. Von Strukturen der “well-connected”. Das ist das Gegenteil von Marktwirtschaft (und – wenn man es denn so will – von Kapitalismus).
Im übrigen ist die gesamte Politik der CDU “wertkonservativ”, was der geneigte und gebildete Leser mit reaktionär übersetzen darf und bewegt sich daher auch außerhalb rein ökonomischer Sphären.