Ansichten eines Informatikers

Warum die Piratenpartei nicht in die Pötte kommt…

Hadmut
23.9.2012 20:58

Ich will’s mal auf einen zentralen Punkt zuspitzen.

Kennt Ihr den Unterschied zwischen Web und Web 2.0?

Wenn ja, dann seid Ihr ziemlich gut oder ziemlich schlecht, denn der wurde nie näher definiert. Marketing-Blabla. Ein Begriff, der irgendwie so um die neue Interaktivität kreist, bei der man eben Webseiten nicht mehr konsumiert wie einst Fernsehen, BTX oder „Web 1.0”, sondern aktiv mitgestaltet, in Blogs, Foren, Twitter, Facebook, Youtube usw. Es gibt im Prinzip keine Hierarchie zwischen Autor und Leser mehr, sondern ein Mitgerühre aller. Web 2.0 ist im Prinzip ein Schwindel, eine Droge, die den Sozialdrang virtuell bedient wie Fussballgucken oder Egoshooter den Kampfdrang. Daraus erklärt sich auch die Suchtwirkung, die das Internet auf manche Leute hat und die mitunter zu einem Rückzug aus der Gesellschaft führt: Web 2.0 virtualisiert das Sozialverhalten besser und mühe-ärmer als die Realität. So wie manche Drogen das Hirn-interne Belohnungssystem aktivieren und damit jedes reale Leben überflüssig machen. Dem Hirn wird ein Sozialverhalten vorgegaukelt, der Sozialtrieb befriedigt, obwohl man faktisch nur an der Tastatur oder am iPhone sitzt. Es führt aber zu einem intensiven Gefühl einer Zugehörigkeit einer Gruppe mit schwacher Hierarchie und einer gefühlten Gleichberechtigung. Während man sich in der Realität Ansehen, Respekt, Rederecht erst erarbeiten muss, findet im Web eine enorme Selbstüberhöhung statt, in der man sich hinter Pseudonymen oder auch Realnamen, die nicht greifbar sind, versteckt. Man nimmt sich höhere Rechte, als man in einem realen Sozialgefüge hätte, und lässt die Pflichten und Verhaltensanforderungen einfach weg. Daraus erklären sie die Shitstorms. Jede Aussage zu einem Thema wird sofort von allen möglichen Aussagen zu diesem Thema umgeben, bis sie auf Null neutralisiert ist.

Das große Problem daran ist, dass subjektive Wahrnehmung und objektive Realität dabei auseinanderdriften. Diskussionen in Foren, virtualisierte Verfahrensschritte, Abstimmungen usw. erzeugen ein subjektives Gefühl, gearbeitet zu haben, mitunter auch des Erfolgs oder Sieges über Widersacher, der Produktivität.

Tatsächlich ist dabei aber nichts anderes passiert, als dass zwei Leute, manchmal auch nur einer im Monolog, manchmal auch mehr, auf Tastaturen herumhacken, es außer ein paar Leuten keiner liest, auch diese es bald wieder vergessen, und das Web vor allem ein riesiges Datengrab darstellt. Es hat etwas von einem Streitgespräch mit einer Parkuhr. Es verbraucht Zeit, Strom und Rechner-Abnutzung, es erzeugt subjektive Sozial- und Erfolgsgefühle, aber objektiv geleistet wurde meist gar nichts. Die Platten sind ein paar Byte voller, aber die Welt ist kein Stück weiter. Eine ganze Menge Leute haben sich daran gewöhnt, auf diese Weise Zeit totzuschlagen, und damit ihre Leistungsmaßstäbe völlig verschoben. Daraus hat sich eine Kultur des Pseudo-Sozialen entwickelt. Web 2.0 ist im Prinzip zur Sozial-Prothese geworden, hat dadurch aber bei vielen Leuten das Kommunikations- und Sozialverhalten nachhaltig geformt. Ich habe ja kürzlich schon Leute beschrieben, die in 140-Zeichen-Twitter-Aussagen reden.

Die Piratenpartei beruht ganz wesentlich auf der Annahme, man könnte diese „Arbeitsweise” in die Politik übertragen und Politik organisieren wie man ein Forum oder irgendeine Web-2.0-Applikation organisiert.

Das Problem der Piraten ist, dass sie es erstens geschafft haben, es zu übertragen. Und dass zweitens das Ergebnis das gleiche war – man subjektiv glaubt, man hätte was gearbeitet, es objektiv aber nicht hat.

29 Kommentare (RSS-Feed)

karbau
24.9.2012 0:09
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Ach Hadmut,

auch vor Twitter und den 140 Zeichen war Politik nur Bullshit, nur reine Symbol-Polemik. Vielleicht hat das Web 2.0 dies nur endlich transparent gemacht, aber nie ging es um Inhalt. Nie um Fortschritt.

Nur um die Bedienung (vermeintlicher?) Massen. Nur um Polemik.


Hanz Moser
24.9.2012 1:28
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Ich stimme ja deiner These zum Web 2.0 zu, aber hat Politk nicht auch vorher schon so funktioniert?

Man sitzt in Ausschüssen zusammen, redet und diskutiert mehr um des Redens und Diskutierens willen als der Sache wegen, und wozu jemand ja oder nein sagt ist kaum von der Sache abhängig. Stattdessen entscheidend ist die soziale Ebene, menschliche Sympathie, Machtgehabe oder gleich Schmiergeld.
Dass man sich dort Neulingen eher verschließt und die für ihr Rederecht zwei Jahre lang Plakate kleben müssen, wenn Papa kein hohes Tier ist, macht die Sache kein Stück besser.

Ich glaube, dass das Web 2.0 das typisch politische Gehabe ins Internet gebracht hat. Wenn sich das jetzt in den Schwanz beißt ist da nichts Verwunderliches dran, weil der Mensch grundsätzlich so funktioniert.

Ich sehe in dem was du schilderst bis auf das Verhalten gegenüber Neulingen keinen Unterschied zu dem was außerhalb des Netzes stattfindet. Und ob man Neulinge so einfach aufnimmt will ich auch mal bezweifeln. Sie können zwar viel schreiben, gelesen wird es aber nicht zwingend.

Vielleicht ist der große Unterschied, dass das jetzt alles auf eine Weise stattfindet, die dir näher ist und dadurch, dass es quasi öffentlich ist, das ganze Ausmaß offensichtlich wird.


Johanna
24.9.2012 9:50
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“Die Rente ist sicher!”

Früher hat man noch weit weniger als 140 Zeichen gebraucht, man hat es nur nicht auf Twitter “gepostet”, sondern auf Litfaßsäulen geklebt. Außerdem hatte man seinerzeit noch den Patriarchen, der wurde heute durch “die Mutti” ersetzt. Das betrifft also nicht nur die Piraten.

Dass die Piraten nichts erreicht haben und bisher nur viel heiße Luft produziert haben, da stimme ich zu. Andererseits geht seit vielen Jahrzehnten das Gerücht um, dass man mit Wärmetauschern und Turbinen in deutschen Plenarsäälen die Energieprobleme dieses Landes auf Jahrzehnte hinaus gelöst hätte.


Genau, das hohle Gesabbel gab es vorher schon, ganz unelektronisch. Was man entwickeln muß sind Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse. Das funktioniert aber nicht, wegen dem Streitpotential in jeder Entscheidung. Einer muß sagen, wo es langgeht. War der gut, dann hatten wir Glück, war es ein Spinner, dann sind wir im Arsch. So einfach ist das. Und genau da kommen wir wieder hin.

Carsten

“Der gesunde Menschenverstand lehrt, dass man nicht allzusehr mit ihm rechnen sollte.”
Michael Klonovsky


anonym
24.9.2012 10:37
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Ich bin mir nicht sicher, ob Politik machen in den Ausschüssen der Parlamente etc. nur das hohle Gesabbel umfasst, dass man weit überwiegend bei Twitter etc. mitbekommt. Es dürfte an der Wirklichkeit vorbeigehen, “Politik” am Maßstab der Talkrunden und Plenardebatten messen zu wollen. Ich bin ganz froh darüber, dass komplexe Entscheidungen nicht nach 40 min Diskussion im Bundestag ad hoc gefällt werden. Diese Foren sind also eine Facette des politischen Betriebs, aber nicht die einzige.

Der Unterschied zwischen den Piraten und den “etablierten” Parteien ist doch, dass erstere (offen eingestandene) Inkompetenz zur Tugend erklären, während letztere zumindest regelmäßig versuchen, Kenntnis zu erwerben und anzuwenden. Interessanterweise streben sie ebenso nach Privilegien wie man es den “Etablierten” vorwirft: Dies zeigt aktuell das Gerangel um Listenplätze für die BTagswahl, wo Leute wie Ponader dann hoffen können, von ihren Diäten komfortabel leben zu können, ebenso wie bei den Meldungen nach der Berlinwahl (Ich erinnere mich doch richtig?), dass Jobs in der Fraktion an persönliche Bekannte verteilt wurden etc. Die Partei ist für mich als Wähler, der keine Zeit hat, sich Vollzeit um politische Microdiskussionen, die stets ohne Ergebnis enden, ein echtes Ärgernis. Positive Ansätze, wie zB das Eintreten gegen Fraktionszwang, den potenziellen Mitmachcharakter, die offenen Programmdiskussionen etc. werden dadurch für mich komplett überlagert.

Als Punchline bleibt für mich: Eine Partei, die das Medium “Shitstorm” für zum politischen Diskurs geeignet hält, taugt nichts.


Herrmann
24.9.2012 11:19
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Stimmt genau.
Web 2.0 ist für die Tonne.
Das einzig tolle am Web besteht darin, dass man der depperten Journalisten- und Politkaste nicht mehr hilflos ausgeliefert ist, und sich die Fakten und Meinungen aus anderer Herren Länder selbst besorgen kann.


ihr03
24.9.2012 16:55
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Was mich zu der Frage bringt was aus deinem Piratenexperiment geworden ist? Läufts noch oder hast du eingesehen dass es nichts wird?


Hadmut
24.9.2012 16:57
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In letzter Zeit hatte ich zuviel mit anderen Sachen zu tun. Ich war mal auf einem Bezirksparteitag, war aber grauslich, weil sie so aus dem Terminplan gelaufen sind, dass das eigentlich interessante nicht mehr drankam und der ganze Sonntag mit ätzenden Diskussionen um Wahlmodi und irgendwelche Ämterwahlen verbraten wurde, anstatt Politik zu machen.

Hoffe, ich kann demnächst wieder mehr berichten.


Milo
24.9.2012 17:53
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Mich erstaunt ein wenig die Härte der Kritik.

Im Prinzip finde ich es richtig, die Schwächen der Piratenpartei zu diskutieren. Eine gewisse Internetverliebtheit und Wirklichkeitsvergessenheit gehört offenbar zu diesen. Aber insgesamt wird das Kind bei manchen Leuten schwungvoll mit dem Bade ausgeschüttet.

Immerhin haben hier junge Leute den Versuch unternommen, sich um ihrer Interessen willen zu organisieren. Das ist schon eine große Leistung. Parteien zu gründen ist nicht eben das erfüllendste Hobby.

Die Erwartungen der deutschen Öffentlichkeit wiederum sind viel zu hoch. Vermutlich liegt das daran, dass die allermeisten Journalisten den Alltag einer Partei nicht kennen. Nur deshalb konnten sie glauben, dass die Piraten in der Lage seien, innerhalb von zwei, drei Jahren sich professionalisieren zu können. Und jetzt ist man allerorten enttäuscht, einen Kindergarten vorzufinden.

Dabei ist es nun wirklich sauschwer, tausende Leute zu organisieren und dann noch sinnvolle Diskussionen zu managen, an deren Ergebnisse auch handfeste Ergebnisse stehen. Das ist auch ein Lernprozess, der viele Jahre braucht. Im Grunde ist die Partei doch ein Verbund von Amateuren, die noch nie politisch gearbeitet haben. Also probieren sie alles mögliche sinnvolle und sinnlose aus und verzetteln sich in Geschäftsordnungsdebatten und was auch immer (kommt in den etablierten Parteien aber auch vor).

Man sollte die Piraten daher nicht härter beurteilen als andere Parteien. Im Wettkampf mit den professionalisierten Altparteien haben sie auch Nachteile. Nur sorgen in den Altparteien die Verfahrensprofis auch für eine gewisse Langeweile und Stromlinienförmigkeit. Es hat alles Vor- und Nachteile.


Alexander Limbach
24.9.2012 19:53
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@Milo: Wären die Piraten ein Kleingärtner- oder Schwimmverein, dann wäre Vieles der derzeitigen Kritik unangebracht, weil deren Nutzen und möglicher Schaden sich ja in jedem Fall in Grenzen hält, aber dem ist nicht so. Parteien gehören zu einem Grundkonzept unserer Demokratie. Sie beeinflussen indirekt jeden Tag meines Lebens und ich bin daher sehr dankbar für jede harsche, aber sachliche Kritik. Ohne diese Kritik habe ich schlicht die Befürchtung, dass ich etwas in meiner eigenen Kurzsichtigkeit übersehe oder unter dem Motto “das sind ja die Guten” ignoriere. Ich persönliche wünsche es mir daher, dass notwendige Diskussionen möglichst frühzeitig geführt werden. Außerdem sollten Parteien und Demokratie in meinen Augen niemals ein Versuch unter dem Motto sein: “Wenn es nicht klappt dann probiert man es eben später noch einmal.”. Es können Fehler passieren, aber das Thema ist schlicht zu ernsthaft als Spielwiese für Amateure, die selbst mit internen Organisationsproblemen zu kämpfen haben. Deine Argumentation, dass ihre Aufgabe eben sehr schwer ist oder das sie jung sind, halte ich für nicht angebracht. Ich akzeptiere dies als Begründung in keinem anderen Beruf und daher auch nicht in der Politik. Wer nicht qualifiziert ist seine Tätigkeit sinnvoll auszuführen, sollte dies nicht tun.


Milo
24.9.2012 20:19
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@Alexander

Ich meinte ja nicht, man solle generell auf Kritik verzichten. Es ist richtig, dass man eine solche Partei besser kritisch begleitet, als alles einfach zu bejubeln. Ich finde nur, dass es falsch es, die Piraten in Grund und Boden zu schreiben. Die Gründe stehen oben und eine neue politische Bewegung fängt nun einmal auf Amateurlevel an. Anders geht es nicht. Die Alternative dazu wäre, sich an die Altparteien zu halten. Nur findet nicht jeder dort eine politische Heimat.


Skeptiker
24.9.2012 22:27
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Milo, deinen Beitrag von 17:53 sollte man wegen Ausgewogenheit löschen (das war ein Kompliment) 🙂

Ich stimme mit Deinem Betrachtungswinkel überein. Allerdings ist meine persönliche Analyse bzw. Prognose der Piratensituation ähnlich fatalistisch wie die von Hadmut (mir kam sie f. vor), nur aus ganz anderen Gründen. Wär aber länger als Hadmuts Darlegung, lass ich mal hier und heute abend.

Es ist so unendlich enttäuschend, die einzige Partei im Kindbett dahinsterben zu sehen, der ich zugetraut hätte, zu entscheidenden Themen wie z.B. Bildung, Bürgerrechten und Partizipation noch etwas zum Besseren ändern zu wollen. Und womöglich zu können. So wie die Themen der Grünen ja auch in die Mitte der Gesellschaft hineingewachsen sind.

Das mit den Quoten und dem BGE und den Tantiemen hätten sie schon irgendwann kapiert, da bin ich sicher *seufz


Someone
25.9.2012 2:59
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@Hadmut:
Ich hätte eher AJAX-Anwendungen als den Punkt von Web 2.0 definiert.

Was meinst du dazu?


Milo
25.9.2012 8:41
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Warten wir es mal ab, ob sie wirklich dahinscheiden. Es sind in den Medien schon viele totgesagt worden, die immer noch da sind.

Die Piraten sind zunächst von den Medien enorm hochgeschrieben worden. was nur logisch ist, weil es plötzlich interessantes und neues zu berichten gab. Kein routiniertes Einerlei der abgeschliffenen Pressestatements, sondern klare, offene Worte. Diese Medienkonjunktur der Piraten war aber nicht mehr als eine Art Spekulationsblase, die jetzt platzt. Nun, wo sie Teil der Medienlandschaft geworden sind, hört und liest man eben auch über die Unreife ihrer Mitglieder. Aber die jetzt zu lesende Enttäuschung hat halt viel mit den zuvor investierten Erwartungen zu tun und weniger mit der Partei selbst. Nicht wenige sind offenbar enttäuscht darüber, ihre schillernde Illusion platzen zu sehen.


Johanna
25.9.2012 8:55
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@Milo: Aber da spulst Du doch die gleiche Leier ab, die auch andere seit Jahren spielen:

1. Kritik ist in Ordnung, aber nur, wenn sie “freundlich” geäußert wird: Das mag dem politisch korrekten Zeitgeist entsprechen, aber Kritik, die nur nach einem bestimmten Schema geäußert werden darf, ist keine Kritik, da sie einer bereits vorgegebenen Meinung folgt.

2. Die Piraten sind eine “neue politische Bewegung”: Das wird zwar gerne behauptet und oft wiederholt, aber nur weil man etwas andauernd wiederholt, wird es nicht richtig. Die Piraten sind bereits seit mehreren Jahren aktiv. In der gleichen Zeit waren die Grünen nach ihrer Gründung bereits im Deutschen Bundestag.

Außerdem sind die Piraten mittlerweile in mehrere Landtage eingezogen. Und für Parteien, die eine solche hohe politische Verantwortung übernehmen wollten und übernommen haben, muss mit Sicherheit kein “Welpenschutz” mehr gelten.

Die Piraten müssen sich an ihren politischen Leistungen messen lassen. Und da ist bisher überhaupt nichts. Und das darf man auch deutlich sagen. Selbst (wie Hadmut) als Parteimitglied.


User
25.9.2012 12:20
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krass, eine bessere Analyse des Web 2.0 gabs noch nicht!
aber was folgt daraus?


Milo
25.9.2012 12:40
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@Johanna

Nun, ich mache niemanden Vorschriften, was er zu den Piraten äußern darf und was nicht. 😉

Ich denke, Du missverstehst mich. Es geht mir nicht um Welpenschutz oder dergleichen. Und schon gar nicht geht es mir um politische Korrektheit. Ich persönlich meine einfach, dass mancher Abgesang zu weit geht und dem Phänomen Piraten nicht gerecht wird, ganz einfach.

Ich bin ganz und gar dafür, die Piraten mit Kritik zu konfrontieren. Sie müssen erheblich dazu lernen. Ich bin einfach nur nicht der Meinung, dass die Piraten sich erledigt und selbst zerlegt hätten usw. Das meinte ich nicht. Nur weil sie bis jetzt jede Menge verbockt haben, heißt das nicht, dass sie nicht doch noch lernen könnten.


Skeptiker
25.9.2012 12:41
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Milo, ja ich bin in der Tag enttäuscht. So oft passiert es nicht, dass sich eine erfolgreich politisch-wirksame Bewegung konstituiert, die Themen voranbringt (die mir wichtig sind, s.o.) Wer soll die Themen übernehmen, wenn die Piraten an sich selbst verenden und nur die Parteien übrigbleiben, die die Themen vorher schon verkackt hatten?

Johanna: Die Grünen hatten Realos. Politische Menschen. Und das war keine Minderheit. Deren Ideale in der politischen Mühle nicht alle zerrieben worden sind (viele ihrer Prinzipien mussten sie dennoch opfern – Mitglieder aller anderen “etablierten” Parteien haben aber praktisch alles schon geopfert, bevor sie das erste bedeutende Amt innehaben dürfen – ein evtl kleiner Rest Idealismus geht dann in den ersten paar Tagen danach drauf).

Die Erkenntnis ist bitter, dass man offenbar “Politiker” braucht, um Politik machen zu können: Dinge von innen verändern. Die Piraten haben aber keine, oder zuwenige davon, und die paar erleben dasselbe innerparteiliche Misstrauen wie es das damals zwischen den grünen Flügeln gegeben hat.


Milo
25.9.2012 13:22
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Natürlich braucht man Politiker, um Politik zu machen. Politik ist keine Hauruck-Veranstaltung. Man muss sich überlegen, wie man seine Ziele verfolgt und dafür braucht man auch einen langfristigen Plan. Man muss rational arbeiten, also Zwecke und Mittel vernünftig auswählen. Man darf vor allem die Politik nicht als Bühne für Eitelkeiten verwechseln, wie der hier im post angesprochende Herr http://www.tauss-gezwitscher.de/?p=3479

Die Piraten werden sich über kurz oder lang zu Politikern entwickeln müssen, wenn sie überhaupt dauerhaft mitspielen wollen. Dazu gehört gewiss auch, dass sie endlich aus der Shitstorm-Mentalität herausfinden. Insofern hat Hadmut nicht unrecht: die Idee, die Welt der Forenkommentare und Blogs bilde die Wirklichkeit ab, funktioniert in einer Medienöffentlichkeit nicht. Die Piraten müssen erkennen, dass ein trolliger Kommentar (ob analog oder digital) noch keine praktische Politik ist.


Mr. Pragma
25.9.2012 14:16
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Ich finde es betrüblich und erheiternd zugleich, wie Betrachtungen im Rahmen demokratie geradezu grundsätzlich im Kreis rennen und sozusagen am Kopf ihren eigenen Schwanz als Begründung nehmen.

Zum einen: Es gibt nicht wirklich inhaltlich unterschiedliche Parteien sondern lediglich ein Parteiensystem, das übers gesamte politische Spektrum (auch eine Illusion) nach den selben Mustern und der der selben Mechanik funktioniert (“Politzirkus”, Wiederwahl, etc.). Einzig ein Faktor, bzw. geringe Unterschiede bei diesem, machen “links” und “rechts” aus; “links” bewertet den Menschen (als Gruppe) etwas höher, “rechts” dagegen das Kapital (“funktionierende Wirtschaft = Sozialsystem möglich”).

Zum anderen: Schon der Kernbegriff der demokratie, der Wille des “Souveräns”, des durchgängig belogenen Volkes also, sowie die Bildung desselben (“Willensbildung”) steht auf wackligen, zitternden und oft genug mehr gewünschten denn existenten geschweige denn soliden Beinen.

Selbst wenn man davon ausginge, dass der Willen des Volkes tatsächlich so weitgehend wie möglich abgefragt würde (siehe auch -> Möglichkeiten der weitgehend vernetzten modernen Republik), so würde dieser immer noch als manipulierbar und sehr häufig manipuliert, wenig und meist auch wenig fachgerecht und kompetent, kurz, als insgesamt weitgehend irrelevant gelten müssen.

Was die Piraten da vorführen ist schlicht das, was allgemeiner Standard wäre, würde man demokratie, z.B. mit den Mitteln der modernen Kommunikationsmöglichkeiten, tatsächlich weiter treiben.

Die Glühlampe wurde nicht per Volksabstimmung erfunden und auch die wenigen guten und fruchtbaren politischen Aktionen sind nicht Abstimmungen sondern einzelnen Menschen zu verdanken, die u.a. Sachkenntnis und das Vermögen, Projekte zu koordinieren haben.
Sogar die weitreichende Beachtung der Piraten ist anfangs der irgendwie niedlichen und sympathischen Fr. Weisband zu danken (und später dem unflätigen, unglaubwürdigen, chaotischen und durch durch allerlei Gefechte einzelner Bessermeinender …)

Das hat einen Grund.


Skeptiker
25.9.2012 17:42
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Mr Pragma, wenn alles mal nur einen (1) Grund hätte. Wobei ich einige Deiner Auffassungen teile (“Politzirkus”), vieles aber nicht. Aber was ist Deine Schlussfolgerung? Resignieren? Flucht? Umsturz? Eine Meritokratie? Und ändert das was?

Milo: >Die Piraten werden sich über kurz oder lang zu Politikern entwickeln müssenInsofern hat Hadmut nicht unrecht: die Idee, die Welt der Forenkommentare und Blogs bilde die Wirklichkeit ab, funktioniert … nicht<

Hadmuts Analyse gilt m.E. für einen der nicht-technischen Teile der Bewegung: Leute, die mit dem Kram aufgewachsen sind und für die das die Realität ist (die kein explizit separates RL haben). Da kommen auch die wenigen politischen Menschen her (z.B. Weisband, aber auch Schramm und andere … man muss die ja nicht alle gut finden).

Damit ist bei den Ausdruckern aber noch nichts mit zu machen. Die nehmen Shitstorms nur wahr, wenn ihre Presseleute ihnen sagen, dass da einer war. Noch 20..30 Jahre, und die Webzweinuller sind in den Vorstädten, den Parteigremien, den Lobbies und in den DAX-Vorständen angekommen, und vielleicht kann man dann ja Politik mit dem Tablet im Einzelbüro machen. Glaub ich aber nicht dran.

Es gibt auch die ganzen später zugelaufenen Ideologen aller Richtungen und sicher auch manch ansonsten ahnungsloser Gratiskopierer.

Und es gibt da noch eine starke technische / Informatikerfraktion, nach meiner Überzeugung der Urgrund. Die Admins, wenn ihr wollt, die Nerds, die Kiddies, auch viele real nur halbsozialiserte dabei, klar. Die, die angefangen haben, Politik überhaupt wahrzunehmen, als ihnen "die Politik" in ihr Leben reingepfuscht hat. Überwachungsgesetze, Zugangssperren, Regulierung, DRM & Co. Die automatisieren gern. Die bringen eine ziemliche Toolgläubigkeit mit. Aber auch viele sehr empfindliche Naturen dabei, die realen Streit nie gelernt haben (hier treffe ich mich mit Hadmut wieder). Zweinuller sind das m.E. ganz und gar nicht, aber sie tragen sowohl zur Entstehung der Bewegung wie auch zu ihrer Misere ziemlich was bei.


Joe
25.9.2012 19:05
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> Einzig ein Faktor, bzw. geringe Unterschiede bei diesem, machen “links” und “rechts” aus

Demokratie ist eine kollektivistische Staatsform, damit prinzipbedingt links und freiheitsfeindlich: eine Fremdherrscheft der Mehrheit über die Minderheit (näheres siehe ISBN 1467987697/3898797120).

Schlimmer noch: Die Demokratie ist trotz dieser Nachteile notorisch instabil. Deshalb hat sich weltweit die sog. “gelenkte Demokratie” etabliert: Vornerum gibt es eine aufregende Show für den Mob und hintenrum werden die Ergebnisse frisiert, damit nicht alles sofort im kompletten Chaos versinkt. Das jüngste Beispiel konnte man in Griechenland beobachten. Manchmal läßt man auch mehrmals wählen, bis das Ergebnis stimmt (“EU-Verfassung”).

Auch die seltsamen Vorgänge rund um die Piratenpartei fallen selbstverständlich darunter.


Skeptiker
26.9.2012 13:27
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Joe, erst dachte ich, ein Satz wie “Demokratie ist eine kollektivistische Staatsform, damit prinzipbedingt … freiheitsfeindlich” sei einfach nur lächerlich (nenn mir eine freiere, bzw definiere erstmal, was “Freiheit” für Dich bedeutet).

Aber beim zweiten Lesen musste ich anerkennen, wieviele Drehungen und Übersteiger Du in den paar Zeilen untergebracht hast – ein Lionel Messi der Rhetorik, das nötigt echten Respekt ab!

Demokratie (für mich bedeutet das immer auch “Rechtsstaat” und “Bürger- und Freiheitsrechtsgarantien”) erst als “Fremdherrschaft” bzw. überhaupt “Herrschaft” zu denunzieren, um dann im nächsten Satz die gelenkte (Un-)Demokratie à la Putin als erstrebenswert stabilen Zustand hinzustellen – das hat was. Echt. Wow. Nur das Postulat am Ende, dass man eine starke und nötigenfalls illegitime Führung braucht, um “Chaos” (??) zu verhinden, könnte einen Deutschen da etwas stören. Schwamm drüber, Godwin möge draußen bleiben.

Wie lang, sagtest Du, halten sich die autokratischen Systeme seit Beginn der Aufklärung? So im Durchschnitt?


Joe
27.9.2012 16:11
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> Demokratie (für mich bedeutet das immer auch “Rechtsstaat” und “Bürger- und Freiheitsrechtsgarantien”)

Diese Sachen werden gern propagandistisch vermengt, haben aber rein gar nichts miteinander zu tun.

Ein Rechtsstaat existiert problemlos ohne Demokratie.

Realexistierende demokratische Systeme bauen Bürger- und Freiheitsrechte automatisch ab. Es endet zwangsläufig in der totalen (totalitären) Demokratie. Besonders unterhaltsam ist, daß ausgerechnet die von Demokraten propagierte Gleichheit vor dem Gesetz als erstes draufgeht und durch staatliche Diskrimierung*) ersetzt wird. Damit schafft die Demokratie letztlich auch den Rechtsstaat ab.

*) Privilegierung ist ebenfalls Diskrimierung

Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, daß das prinzipbedingt so ist und keinen Implementierungsfehler darstellt. Implementierungsfehler werden auch von den Vertretern anderer gescheiterter Ideologien (Kommunismus & Co.) immer wieder als Schutzbehauptung vorgebracht.

Die Demokratie führt automatisch in den Sozialismus und wird so letztlich auch scheitern. Ich denke, das wird man am Ende des 21. Jahrhunderts als Erkenntnis mitnehmen können.

> Nur das Postulat am Ende, dass man eine starke und nötigenfalls illegitime Führung braucht, um “Chaos” (??) zu verhinden, könnte einen Deutschen da etwas stören.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war offiziell angesagt, daß man gerade den Deutschen[tm] lieber nicht zuviel mitbestimmen läßt, weil er sich sonst wieder umgehend einen bösen Föhrer wählt. (Ich bin nicht auf dem Laufenden, was das aktuelle politisch korrekte Meinungstemplate dazu ist.) Dazu gehört auch Parteien zu verbieten und unpäßliche Stimmen nicht zu berücksichtigen.

Was war denn die Bundesrepublik 1949-1990 bitte sonst, außer einer mehr oder weniger gelenkten Demokratie?


Steffen
29.9.2012 0:26
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@Joe:

Das Problem ist nicht die Demokratie als solche, das Problem ist, daß man zuviele unvernünftige Leute daran teilhaben läßt.

Warum geben wir Kindern kein Wahlrecht? Weil wir wissen, daß da nur Unsinn dabei rauskommt.

Warum aber gibt man Frauen das Wahlrecht?
Wir sehen heute, was dabei rauskommt. Parteien versuchen sich in Zugeständnissen, um an weibliche Stimmen ranzukommen. Auch wenn diese völlig unvernünftig sind wie z.B. diese Quotengeschichte.
Frauen beschließen einfach, in Männerberufen tätig sein zu dürfen, obwohl sie nicht die Eignung dafür besitzen.
Sie denken nur an sich, und nicht an das Wohl der Gesellschaft.

Das passiert, wenn man minderbegabte Gruppen an den Entscheidungsprozessen teilhaben läßt. Vernünftige politische Entscheidungen zu treffen erfordert ein Mindestmaß an Intelligenz, das bei Frauen nicht vorhanden ist.
Frauen das Wahlrecht zu geben, war eine der dümmsten Fehlentwicklungen in der Geschichte.


Skeptiker
30.9.2012 16:57
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Joe, gegen jemand, der von sich selbst sagt, er sei zur “Erkenntnis gelangt”, und der nur noch unbelegte oder unbelegbare Hypothesen und rhetorische Finten raushaut, ist kein Argumentieren.

Für die anderen: Niemand glaubt, eine demokratisch verfasste Republik mit Gewaltenteilung usw (in der man z.B. die “Machthaber” verklagen und Recht bekommen kann), sei eine perfekte und jederzeit gerechte Staatsform. Es gibt (im Sinne von Menschen- und Bürgerrechten und Minderheitenschutz) nur keine bessere. Und es gibt Beispiele dafür, dass Demokratien nicht *automatisch* und alle degenerieren. Autokratisch und/oder ideologisch verfasste Systeme tun das sehr wohl.

Außerdem bietet Joe keine Alternativen an, er ist nur dagegen und fatalistisch.


Joe
1.10.2012 18:45
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> Joe, gegen jemand, der von sich selbst sagt, er sei zur “Erkenntnis gelangt”, und der nur noch unbelegte oder unbelegbare Hypothesen und rhetorische Finten raushaut, ist kein Argumentieren.

Als nicht zur Wissenschaft Befähigter werde ich im Kommentarbereich eines Blogs keine Doktorarbeit verfassen, sondern mich auf kurze Anmerkungen beschränken. Dafür bitte ich um Verständnis.

> Das Problem ist nicht die Demokratie als solche, das Problem ist, daß man zuviele unvernünftige Leute daran teilhaben läßt.

Ja, das war schon das leidige Problem mit dem “perfekten” Kommunismus. Dafür muß erst der “neue Mensch” geschaffen und der “alte” ausgerottet werden. Da arbeiten die Eurokraten übrigens schon fleißig dran. Karl Marx nannte man nicht ohne Grund den “Vernichter”.

> Es gibt (im Sinne von Menschen- und Bürgerrechten und Minderheitenschutz) nur keine bessere.

Ein längst widerlegter Mythos. Näher an der Wahrheit ist wohl, daß es kaum eine schlechtere Staatsform gibt.

Davon abgesehen sind beliebte Allgemeinplätze wie “Menschenrechte”, “Bürgerrechte” und ganz besonders “Minderheitenschutz” rein durch den herrschenden Zeitgeist definiert.

Sie dienen eigentlich nur dazu “die zehn Gebote” und “christliche Werte” zu verdrängen. Womit wir zum Kern des ganzen vordringen: Die Republik ist die Kirche des fanatischen Atheismus.

> Außerdem bietet Joe keine Alternativen an

Es wird heute als selbstverständlich angesehen, daß jemand nur dann sagen darf, daß der Kaiser gar keine Kleider anhat, wenn er auch eine eigene Utopie anbieten kann.

Ich sehe das grundsätzliche Problem als überhaupt nicht mit weltlichen Mitteln lösbar an. Deshalb möchte ich nur, daß sich ein Staat aus meinem Leben so weit wie möglich heraushält. Das heißt, jede Staatsform, mit der das möglich, ist besser. Ob mich dann ein BDFL oder ein katholischer Fürst in Ruhe läßt, ist mir dann relativ gleich.


Adam
3.10.2012 2:51
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@Johanna: Du scheinst vernünftig, in dem was du sagst. Dann noch Piraten-Mitglied? Ich würde dich gerne kennenlernen!


BeraVonSodom
9.10.2012 8:31
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“So wie manche Drogen das Hirn-interne Belohnungssystem aktivieren und damit jedes reale Leben überflüssig machen.”
Dem kann ich so nicht zustimmen, den um die Drogen zu besorgen, muss man schon “soziale” Kontakte eingehen und “pflegen”.
Diesen Twitter-Menschentyp den du in deinem Artikel beschreibts, kenne ich pers. garnicht und glaube auch nicht, dass es die Mehrheit der Menschen im Internet darstellt.