Ansichten eines Informatikers

Der Fachkräftemangel

Hadmut
17.10.2011 23:41

schlägt nun doch langsam auf die Stellenanzeigen durch. Anforderung an einen Softwareentwickler aus einer aktuellen Ausschreibung:

Klare Artikulationsfähigkeit in deutscher Sprache

Von aufrechtem Gang stand nichts dabei…

13 Kommentare (RSS-Feed)

Traurig, aber notwendig. Ich beschäftige mich gerade mit dem Thema “Kommunikation”. Deshalb achte ich in Gesprächen nicht nur darauf WAS mein Gesprächspartner sagt, sondern auch WIE. Daß man im Eifer des Gefechts sich verspricht, Grammatikfehler (unbewußt) einbaut oder mal’n Wort nicht findet – alles kein Thema, das ist völlig normal, und ich schließe mich da nicht aus.
Das, was mir bei meinen Studien aufgefallen ist, geht weit über die “normalen” Fehler hinaus. Und das ist erschreckend… Hier mal ein paar Beispiele aus der gesprochenen Sprache:
– häufiger Satzbeginn mit “Ey”, “Ich schwöre” oder ähnlichen Formulierungen
– Betonungsfehler – keine Stimmabsenkung oder -anhebung am Satzende
– geringer Wortschatz, verbunden mit der Unfähigkeit, die Bedeutung unbekannter Wörter aus ähnlichen Wörtern herzuleiten, was in einen Teufeldkreis führt

Und ein Beispiel aus der geschriebenen Sprache, gefunden auf meiner Seite:
DT:
hey sry für die scheiße die hier läuft ich kann dir leider nur sagen dass seit mehreren monaten sich jemand über meinen account einloggt und hier so nen bullshit fabriziert ich entschuldige mich vielmalst und kann nur hoffen dass du mir glaubst tut mir leid und ich will hier wirklich keinen stress mit irgendjemand aber mir geht des alles selber langsam gut auf die eier und wenn ich den wixxer erwisch dann ….

ich:
Und Du meinst wirklich, daß ich Dir das abkaufe? Im Ernst…?! Hältst Du mich für behämmert…?! Im Klartext: Nein, ich glaube Dir nicht. Und ich erläutere Dir auch gerne, aus welchen Gründen ich zu dieser Ansicht gekommen bin.

1.) Durch das gewollte Ignorieren von einigen Rechtschreibregeln der Deutschen Sprache, welche Du vielleicht als unzeitgemäß ansiehst, zeigst Du – vermutlich (er)kennst Du die Zusammenhänge nicht – mir deutlich, daß es Dich erstens nicht interessiert, ob ich Dich auch verstehen kann. Ich kann mir zwar mit ziemlicher Sicherheit denken, was Du mir sagen willst, aber nicht zweifelsfrei.
2.) Das größte Problem ist aber der dadurch erkennbare Mangel an Sozialkompetenz. Denn ohne Achtung (Respekt, Wertschätzung, Würdigung,) vor Deinem Gesprächspartner, zwingst Du diesen einfach, über z.B. richtige Großschreibung, Satzzeichensetzung…, nachzudenken, was aber Deine Aufgabe ist.

3.)dass seit mehreren monaten sich jemand über meinen account einloggt und hier so nen bullshit fabriziert (sic)
Du versuchst mich wirklich zu verscheißern…
Deine einzigen beiden Beiträge
– NP von “Stella1990” vom 03.11.2009, 22:36 Uhr
– Video 94 1538 Mengersgereuth-Hämmern
17.07.2011, 16:27 Uhr
sowie Deine PMs sind in der Ausdrucksweise, der Wortwahl sowie der Rechtschreibung gleich…

DT:
Hey also wenn das deine Meinung ist OK ich habe dir die Fakten dargelegt und jap der Rest ist deine Entscheidung um auf die Einträge und PMS zu kontern kann ich dir sagen dass alle meine 127 freunde die ich hier bei li.com hatte der haker gelöscht hat und da ich mir einfach nicht die mühe mache alle wieder zu adden sind leider nur von den Personen die PMS vorhanden und jemanden auf Grund seiner Rechtschreibung zu disskrititiereb is ziemlich Lowes Niveau zudem ich eig alles über mein Handy schreib aber danke des

Dazu ein kleines Gewinnspiel: Wer das entziffern kann, der gewinnt einen Freemail-Account bei einem Freemail-Account-Anbieter seiner Wahl…


cbx
18.10.2011 7:34
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Auf die Gefahr hin, damit meinen Arsch ins Feuer zu halten: Glaubst Du, dass das kein relevantes Kriterium ist? Bei mir haben sich (vor Allem in der Zeit um 2000) schon Leute als Softwareentwickler beworben, bei denen ich mir nicht vorstellen konnte, ihnen in endlicher Zeit auch nur erfolgreich erklären zu können, wie unsere Kaffeemaschine funktioniert.

Auf der Jobseite meines aktuellen Arbeitgebers steht auch: “Wenn Du kein normales Deutsch verstehst und sprichst (und da liegt in Baden Württemberg die Latte eh recht niedrig), dann brauchst Du Dich gar nicht zu bewerben.”

Die Forderung nach sicherer Beherrschung der unternehmensüblichen Sprache ist meiner Meinung nach sogar extrem wichtig und wird viel zu oft ignoriert, weil es wohl immer noch Personaler gibt, die meinen, wenn jemand C#, Java, Ruby und Haskell (oder von mir aus brainfuck) beherrscht, dann seien das alle Sprachen, die ein Softwareentwickler können muss.

Und was den aufrechten Gang betrifft: Ein Rollstuhl hat noch nie jemanden vom klaren Denken und Ausdruck abgehalten…


Hadmut
18.10.2011 11:11
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@cbx: Natürlich ist es relevant. Aber erstens erstaunlich, daß man es reinschreiben muß, und zweitens daß man sich schon mit Artikulationsfähigkeit zufrieden gibt.


Steffen
18.10.2011 8:48
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Nicht ganz so heftig wie das Beispiel hier, aber gestern abend habe ich bei einer IT-Veranstaltung am Jobboard als Anforderung in einer Stellenanzeige gesehen: “Verständliches Englisch”.

Das ist tatsächlich ein wesentlicher Unterschied zu vor nicht allzulanger Zeit, wo nur mindestens “Englisch verhandlungssicher in Wort und Schrift” und alles drunter gar nicht akzeptiert wurde.

On a completely unrelated note, die absurdeste Anforderung die wohl mal in freier Wildbahn gesehen wurde war Ende der 90er, wo in einer Stellenanzeige “Java verhandlungssicher” gefordert war.


Tom Schoe
18.10.2011 9:40
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Ein geforderter “aufrechter Gang” würde wahrscheinlich genau wie ein “vorzeigbares Äußeres” die Zielgruppe unnötig dezimieren. 😉


der andere Andreas
18.10.2011 10:40
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bei der letzten stellenanzeige die hier gepostet wurde wars dem arbeitgeber anscheinend egal ob derjenige sich klar artikulieren konnte, solange er die arbeit einer ganzen abteilung macht und billig ist – spricht dann eher gegen fachkräftemangel.

solange da nicht mehr beispiele kommen würd ich ja eher noch von unklarer datenlage sprechen…^^

wobei das sicherlich auch auf die branche ankommt – bei IWMM (IrgendwasMitMedien) ist es ja meistens eher von nachteil sich klar und deutlich auszudrücken, oft auch im management… 😉


Knut Grunwald
18.10.2011 12:05
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Das ist eine in Call-Centern unglaublich wichtige Fähigkeit.

Und, mal ehrlich, viele Softwareentwickler, die aus ihrer Meditation gerissen werden, sondern zunächst wirre Sätze ab, wenn sie gleich beginnen zu reden.

Das andere Problem ist die Sprachmelodie. Wenn Deutsch mit französischer oder russischer Sprachmelodie gesprochen wird, muss man wirklich konzentriert hinhören, sonst versteht man das Ganze so gut, wie polnisch rückwärts.


yasar
18.10.2011 12:47
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@Knut:

UPN war eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen.


Hadmut
18.10.2011 13:21
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@Yasar: Der war gut! 😀


Werner
18.10.2011 22:05
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“Betonungsfehler – keine Stimmabsenkung oder -anhebung am Satzende”
Wo die Leute das wohl gelernt haben?; Richtig, im Radio ist es ständige Praxis, besonders gerne geübt in den Nachrichten und im Exzess in der Wettervorhersage. Ich wüßte zu gerne, wo diese Sprechweise gelehrt wird.


Hadmut
18.10.2011 22:10
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Das lernen Politiker und Manager in Rhetorik-Schulen.

Es ist bekannt, daß einen andere Leute häufig unterbrechen, wenn man einen Satz „normal” zu Ende spricht.

Deshalb trainieren die Leute, die Stimme am Satzende nicht zu heben oder zu senken und ohne Pause sofort den nächsten Satz anzufangen und die Denkpausen dann in der Mitte des grammatikalisch unvollständigen Satzes zu machen, weil die anderen dann viel eher zuhören als unterbrechen.

Und die Generation Fernsehguck ahmt es nach ohne drüber nachzudenken.


Hanz Moser
19.10.2011 0:46
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Ich hab mich vor einiger Zeit privat eine Weile mit einem Personalerbei einer mittelgroßen Bude unterhalten. Der konnte Geschichten erzählen, das einem übel wird.

Da kamen solche Dinge wie gelernte Handwerker mit ordentlichem Realschulabschluss, die nicht ohne Taschenrechner die Fläche des Tisches an dem sie saßen ordentlich schätzen konnten.
Dass mit ordentlicher Sprache kam aber auch regelmäßig. Gerade die Bewerber auf Führungspositionen hatten wohl nicht selten ein chronisches Problem damit klare Aussagen zu treffen. Anstatt einer fragebezogenen Antwort gab es Geschwafel wie in Polittalkshows, nur ohne den rhetorischen Schliff. Selbst nach deutlichen Hinweisen konkret und in einem Satz zu antworten ging das wohl einfach nicht.

Mir fällt das aber auch abseits des Arbeitslebens auf. Ordentliches Sprechen ist einfach kein Kriterium mehr. Anstatt nachzudenken und ein treffendes Wort zu suchen wird langatmig und indifferent umschrieben. Anstatt jemandem zuzuhören werden nur Brocken vom Rande der Frage erfasst und eine Antwort an der Frage vorbei gegeben. Zuhören scheint verdammt uncool zu sein und ein Maß für die gefühlte Wichtigkeit könnte durchaus die eigene Redezeit abzüglich der zuhörend verbrachten sein.


Harry Tuttle
19.10.2011 4:07
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@Tom

Ein aufrechter Gang dürfte bei der heutzutage üblichen Unternehmenskultur eher ein Ausschlusskriterium sein.

Merke: In grossen Firmen ist es wie in der Politik – Qualifikation und Leistung sind bestenfalls kein Hindernis.