Ansichten eines Informatikers

Überforderung mit Technik – Zweierlei Maß der Richter

Hadmut
14.10.2011 11:49

Ein Gedanke geht mir zu der Staatstrojaner-Sache noch durch den Kopf.

Ich habe kürzlich mal darüber geschrieben, daß nach meiner Berufserfahrung Richter und Staatsanwälte (jedenfalls in den wenigen von mir beobachteten und damit nicht unbedingt statistisch aussagekräftigen aber doch vermutlich typischen) Fällen bei angeordneten Überwachungsmaßnahmen nicht wußten und technisch nicht verstanden, was sie da beantragten und genehmigten, sondern pauschal mit der gesetzlichen Formulierung „Überwachung der Telekommunikation” Antrag stellten und Beschluß faßten, und dann am Ende der Kette der Polizist (seinerseits wieder kein Jurist) das dann einfach selbst mit dem ausfüllte, was er gerade brauchte. Und die Staatsanwälte und Richter verteidigten sich mir gegenüber auch explizit damit, daß sie selbst mangels Fachwissen das gar nicht so genau beurteilen können, was da passiert, und sie selbst gar nicht richtig wissen, was genau man da im Einzelnen alles überwachen und auswählen könnte. Woher auch, es hätte ihnen nie jemand genau gesagt.

Ich würde deshalb durchaus vermuten, daß das in diesen Trojanerfällen so oder ähnlich gelaufen sein könnte. Warum auch anders? Und daß man sich damit verteidigen wird, daß man das ja mit einer juristischen Ausbildung allein und so wenig Zeit gar nicht so im Detail prüfen könnte. Was nicht in Ordnung, aber irgendwo sachlich zutreffend wäre. (Bisher war überall nur die Rede davon, daß diese Software an LKA, Zoll usw. geliefert worden sei. Daß man mal eine Beschreibung oder Bedienungsanleitung an die StA und die Gericht geliefert hätte, damit die wissen, was man da anordnen kann und was nicht, hätte ich dazu bisher noch nirgends gelesen.)

Nur: Da wären wir schon wieder mal an dem Punkt, an dem die Juristen (wie so häufig) vom Laien mehr Sachkunde fordern als von sich selbst, denn im Rahmen der Störerhaftung macht man jeden Laien dafür verantwortlich, wenn die Kinder mit irgendeinem Peer-to-Peer etwas herunterladen oder ein WLAN nicht wirklich abgesichert ist. Oder auch wenn jemand mit irgendeinem Download-Tool irgendwas arglos herunterlädt, erwartet man von ihm, daß er dabei erkennt, daß er damit gleichzeitig die Datei auch anderen anbietet. Man würde also vom normalen Laien für seinen gewöhnlichen DSL-Anschluß mehr Sorgfalt verlangen und ihm mehr Verantwortung aufbürden, als einem Richter für seine Beschlüsse zum Eingriff in Grundrechte. Aber das machen die Juristen oft so, daß sie einerseits sagen, der Laie könnte das nicht beurteilen, und dann vom Laien trotzdem mehr Einsicht erwarten, als von sich selbst.

9 Kommentare (RSS-Feed)

Chris
14.10.2011 11:58
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Kann ich mir gut vorstellen, dass das so gelaufen ist. Zum Vergleich: Unsere Bundesregierung und die Bundestagsabgeordneten glänzen immer wieder mit vergleichbarer Inkompetenz – und die sind bekanntermaßen größtenteils Juristen.


Hadmut
14.10.2011 12:06
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Damit läge der Fehler aber nicht in der gerade so lautstark propagierten „Verbrecherei” des Staates, sondern in dem von den Rechtswissenschaften stur verbreiteten Irrtum, der Jurist als Volljurist müsse zur allgemeinen „Befähigung für das Richteramt” gar nichts außer eben Juristerei können.


Chris
14.10.2011 13:28
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Stimmt. Bundestagsabgeordnete brauchen ja auch Mitarbeiter, die ihnen Informationen über Themen beschaffen, damit sie Gesetzesvorschläge und die zu Grunde liegende Problemstellung verstehen.
Nur: ein Bundestagsabgeordneter kann sich auf wenige Themen fokusieren und bei den anderen Themen einfach die Haltung seiner Fraktion annehmen – dafür sind Fraktionen ja da. Ein Richter wird aber selten für Anträge (z.B. zur TKÜ) Sachverständige zu Rate ziehen.


Hanz Moser
14.10.2011 14:30
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Es gab ja durchaus schon Vorschläge die Gerichtsbarkeit stärker zu spezialisieren, mit Kammern für bestimmte Rechtssachgebiete. Das kann natürlich auch höllisch in die Hose gehen und die bisher nicht so strikt geteilte Unterwelt der Juristen in noch mehr Teile spalten. Bis zu dem Ausmaß wie Kafka ihn im Prozess beschreibt, wo selbst die Juristen nicht mehr wirklich mehr wissen was wann wie läuft und auf Kontaktmänner bei Gericht angewiesen sind.

Es wäre aber auch die Chance, Rechtsprechung wieder mehr an die Sachlage zu binden, indem man bspw. Richter für Fälle in denen um Rechtsanwendung im Rahmen von Informationstechnik geht ordentlich schult. Da säße dann jemand, der wenigstens eine Vorstellung davon hat welchem Vorgang sein Urteil zu Grunde liegt.


Frank
14.10.2011 15:36
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Für bestimmte Bereiche gibt es ja immerhin Schwerpunktstaatsanwaltschaften, z.B. Wirtschaft. Da sitzen dann z.B. auch Bilanzbuchhalter. Für Informationstechnik gibt es das aber wohl nicht.

Frank


Hadmut
14.10.2011 15:39
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Doch, sowas scheint’s zu geben. Ich weiß von einem Verfahren wegen eines Angriffs auf einen Server, das eine Staatsanwaltschaft trotz örtlicher Zuständigkeit an eine andere abgegeben hat (wenn ich mich richtig erinnere Potsdam an Cottbus, bin aber jetzt nicht sicher) weil die andere da einen Schwerpunkt aufgemacht hat und sich besser auskennt.

Das betrifft aber nur die verfolgte Straftat selbst, nicht die Ermittlungsmethode. Und hier ging’s ja angeblich um Betäubungsmittel und nicht um IT als Hauptthema. Insofern hätte es wohl nichts genutzt, wenn sie eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft hätten.


HF
14.10.2011 15:55
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Ich denke, dass es einen Zusammenhang mit dem Gutachterwesen gibt:
Wenn man, wie auch immer, erkennt, dass man an die Grenzen seiner Kompetenz gelangt ist, hat man a) die Möglichkeit, sich kundig zu machen oder b) einen Gutachter zu bezahlen. Wenn man nun kosten- und risikofrei immer die Variante b wählen kann, wozu dann noch a? Diese Variante wird nur denen abverlangt, die sich Variante b nicht leisten können.


Hadmut
14.10.2011 16:07
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Gutachter sind nur für den Straftatbestand selbst, aber nicht für die Ermittlungsmethode vorgesehen.


Manuel
14.10.2011 17:54
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Aber wenn jemand die Rechtmäßigkeit einer Ermittlungsmethode überprüfen lässt, dann wäre da doch auch ein Gutachter möglich?