Ansichten eines Informatikers

Selbsterklärte Intellektuelle, die von der Sache kaum etwas verstehen, aber schnelle Urteile liefern

Hadmut
14.10.2011 12:24

Ich habe gerade im SPIEGEL einen philosophischen Text von Paul Liessmann gefunden, der mich (der Text, nicht der Paul…) sehr begeistert und sicherlich zum wirklich besten gehört, was ich an Gesellschaftskritik bisher gelesen habe. Sollte man unbedingt lesen!

Was mir an dem Text vor allem so gefällt, daß er nicht nur ein Seitenhieb, sondern ein wirklich vernichtender Volltreffer ist, der so gut trifft, daß er das, was er trifft, nicht einmal mit einer Silbe konkret erwähnen muß. Man sieht es beim Lesen förmlich vor dem Auge, was er meint. Er beschreibt eine gesellschaftliche Fehlentwicklung in ganz hervorragender Weise und mit einer Sicht, die meiner eigenen (und einigen meiner Blog-Artikel) genau entpricht, es aber viel besser formuliert. Ich betrachte das daher durchaus als Bestätigung und Ergänzung einiger meiner früheren Artikel.

Ein paar Zitate-Häppchen daraus:

Weil sie selbst die Maßstäbe verloren hat, verlangt die Gesellschaft nach moralischer Deutung. In die Lücke stoßen gerne selbsterklärte Intellektuelle, die von der Sache kaum etwas verstehen, aber schnelle Urteile liefern. Wahre Denker widerstehen den Verführungen der Praxis. […]

Ein Wissenschaftler, der auf seinem Gebiet forscht, ist noch kein Intellektueller, auch dann nicht, wenn er hin und wieder von der Politik um Rat gefragt wird und in der einen oder anderen Ethikkommission sitzt. […]

Umgekehrt gilt aber auch: Wer weder forscht, noch schreibt, noch dichtet, noch malt, noch philosophiert, kann erst recht kein Intellektueller sein.[…]

Intellektualität ist so wohl an Öffentlichkeit gebunden, nicht aber an eine moralische Position oder an die Parteinahme für eine politische Bewegung oder eine Bevölkerungsgruppe. Nur allzu leicht wird dies verwechselt. […]

Damit ist der Weg frei für den rezenten Typ des Intellektuellen: den politisch engagierten Moralisten.

An die Stelle einer intellektuellen Analyse und Kritik der Gesellschaft ist nun ein moralischer Diskurs getreten, der wieder ganz auf die Unterscheidung zwischen Gut und Böse setzt – Hirnforschung hin oder her. […]

Der Intellektuelle der Gegenwart zeichnet sich dadurch aus, dass er das Deutungsmonopol beansprucht, wer Täter und wer Opfer ist. Das gibt ihm die aktuelle Macht im medialen Diskurs.Ob diese moralische Urteilskraft, die heute als das einzig gültige Zeichen akzeptierter Intellektualität gilt, allerdings aus der Doppelung von fachlicher Kompetenz und öffentlicher Wirksamkeit erwächst – und nur dies würde die Einheit von Moral und Intellektualität legitimieren – scheint fraglich. […]

Keine Frage also, dass dort, wo Unrecht geschieht, Intellektuelle wie andere auch ihre Stimme erheben können; keine Frage, dass auch prominente Intellektuelle – andere sind ohnehin nicht erwünscht – ihren Namen dazu hergeben können, Hilfsaktionen und Kampagnen aller Art zu unterstützen, wenn es denn schon nicht ohne medienwirksames Namedropping geht. Dabei haben Intellektuelle aber oft nicht mehr Kompetenz als siegreiche Sportler, ökologisch gewendete Firmenbosse, Politiker mit hohen Sympathiewerten oder zu frühem Ruhm gelangte Fernsehstars. Unerträglich aber wird es, wenn nicht die intellektuelle Kompetenz den öffentlichen Eingriff fundiert, sondern der moralisierende Zeigefinger die intellektuelle oder künstlerische Kompetenz ersetzt. […]

…hat zu einer Situation geführt, in der nur mehr verurteilt statt geurteilt wird, in der Bekenntnisse statt Analysen gegeben werden, in der pausenlos irgendjemand sich entrüstet, empört oder schämt, jemanden anderen auffordert, sich zu entrüsten, zu empören, zu schämen oder zurückzutreten, und in der Denken, das eigentliche Metier des Intellektuellen, zur unerwünschten Tätigkeit geworden ist. […]

Der Philosoph, der zum Politikberater wird und sich rühmt, durch das eine oder andere Telefonat den einen oder anderen militärischen Schlag initiiert zu haben, demonstriert damit weniger seinen politischen Sachverstand als vielmehr die Korrumpiertheit seines Geistes. […]

Was bleibt, sind penetrante Moralisten und von Medien akklamierte Selbstdarsteller, die sich in der Rolle des Intellektuellen gefallen, ohne den Text, den sie angeblich spielen, je verstanden zu haben. Diese zumindest könnten auch schweigen.

Göttlich. Einfach göttlich.

Nur daß die, die das trifft, es bestimmt nicht bemerken.

2 Kommentare (RSS-Feed)

Norbert
14.10.2011 14:32
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Als ich das vorher las, ist mir ganz spontan einer mit einer
Blechtrommel eingefalle.


Hanz Moser
14.10.2011 14:49
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Als Rundumschlag und treffende Bestandsaufnahme ist der Text wirklich gut. Er bringt einige Dinge auf den Punkt. Ob ich mit seiner Definition und Vorstellung eines Intelektuellen übereinstimme ist eine andere Sache, für den Text aber auch irrelevant.

Was aber fehlt, wenn man damit fertig ist sich daran zu erfreuen, wie gezielt die Faust in die Magengrube fährt und wie kunstvoll sie sich auf dem letzten Zentimeter noch dreht, ist alles was einen wirklich schlauer machen würde.
Wie kam es dazu? Warum will das Volk diese Form von Brot und Spielen und was hält sie interessant? Welche Maßsstäbe sind verloren gegangen und welche krumme Elle wird jetzt stattdessen angelegt?

Vielleicht bin ich auch einfach nicht intellektuell genug um damit zufrieden zu sein, dass jemand nach meiner Facon schimpft…