Ansichten eines Informatikers

Kommentar-Juristen

Hadmut
2.10.2011 19:16

Wißt Ihr, was extrem nervt?

Es gibt bei Juristen (und solchen, die sich dafür halten) so eine gar nicht so kleine Kategorie von Leuten, die es sich ganz billig und einfach machen, die nicht die Gesetze und auch nicht die Urteile mit ihren Begründungen, sondern nur die Rechtskommentare lesen und daraus unumstößliche „Wahrheiten” ableiten.

Das ist fatal und führt sehr oft zu Fehleinschätzungen.

Da spricht ein Gericht ein Urteil. Vielleicht mit einer tollen Begründung über 10 Seiten, warum etwas im Allgemeinen so und so, in diesem Fall aber ganz anders, aufgrund dieser und jener Erwägungen so und nicht so ist. Oder es erklärt, warum es von der herrschenden Meinung abweicht, weil dieser Fall in irgendeiner Hinsicht atypisch ist. Oder bezieht sich auf einen Sachverhalt, der so nicht mehr gibt, die Entscheidung also richtig, aber nicht übertragbar ist. Oder ein Gericht – kommt ja auch vor, sind ja auch nur Menschen – macht in seinem Urteil einen Fehler, der anhand der Begründung leicht erkennbar wäre.

Urteile lesen ist aber Arbeit. Machen viele Juristen leider nicht.

Nun gibt es Rechtskommentare. Die ja an sich auch gut und wichtig sind. Da verkürzt dann der Kommentator das ganze Urteil auf vielleicht einen halben Satz. Oder wenn es hochkommt, mal zwei Sätze. Und kann damit fast nie das Urteil zutreffend wiedergeben. Das will, soll und muß er ja auch gar nicht, denn ein Kommentar ist ja kein Rechtslehrbuch, sondern eine Art Meta-Index. Eigentlich heißt so eine Stelle in einem Kommentar nur, das Urteil solltest Du mal lesen, darin steht was schlaues zu jenem Thema. Gut und sinnvoll.

Verblüffend viele Juristen machen sich aber nicht (mehr) die Mühe, etwas durchzulesen und in seiner Entstehung nachzuverfolgen, sondern arbeiten alleine mit diesen als unumstößliche Merkregeln mißverstandenen extremverdichteten Kommentarsätzen wie mit Bauernregeln. Und liegen damit häufig falsch.

Es gibt übrigens zwei sehr deutliche Hinweise darauf, daß man es mit so einem Juristen zu tun hat:

  • Entweder zitiert er gar keine Urteile, sondern nur Kommentare, und argumentiert auch nicht inhaltlich, sondern durch patchworkartige Wiedergabe von Versatzstücken und merksatzartigen Aussagen,
  • oder daran, daß er Urteile uneinheitlich, meist ohne Aktenzeichen und Datum und in einer ständig wechselnden uneinheitlichen Zitierweise zitiert (woran man übrigens auch Plagiatoren gut erkennt). Dann hat er sie nämlich nicht gelesen, sondern nur die Quellenangabe aus Kommentaren abgepinnt, die typischerweise nur in wild gemischten Fundstellen erfolgt.

Sowas kann ganz fürchterlich in die Hose gehen. Ein Beispiel:

Ich habe mal vor einigen Jahren ein Klageerzwingungsverfahren wegen § 206 StGB (Unterdrückung von E-Mails) durchgeführt (erfolgreich). Die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft hatten zuvor eine Strafbarkeit abgelehnt, u.a. weil sie der Meinung waren, daß § 206 nur körperliche Sendungen, aber nicht E-Mails erfassten. Sie verwiesen dazu auf Kommentare. Und tatsächlich fand sich damals in einigen Strafrechtskommentaren diese Aussage, daß § 206 nur körperliche Sendungen erfasse, mithin also nicht E-Mails. Sogar irgendwelche Aufsätze in juristischen Zeitschriften ließen sich dazu finden. Und wenn es in den Kommentaren so steht, dann muß es ja wohl stimmen, so die Juristen. In den Augen von Juristen kann ein Nicht-Jurist es unmöglich besser wissen als vier oder fünf ihrer Standard-Kommentare zum Strafrecht. Es ist geradezu Hybris, sich gegen die Kommentare zu stellen.

Nur: Es stimmte gar nicht. Es war ein Fehler, der durch die Verkürzung auf einzelne Kommentarsätze entstanden ist.

Wie kam das?

Der § 206 war vor einigen Jahren im Zuge einer Modernisierung des Strafrechts entstanden. Aufgrund des Grundrechts des Post- und Fernmeldegeheimnisses war der Staat verpflichtet, Eingriffe in das Grundrecht mit einer Strafe zu belegen, und tat das auch. Nur daß es früher eben keine elektronische, sondern nur die Brief- und Paketpost gab, und die Deutsche Bundespost ein Monopol hatte, und dort arbeiteten damals nur Beamte. Dementsprechend befanden sich die Straftaten damals im Abschnitt des StGB über Straftaten im Amt. Nagelt mich jetzt nicht auf die Paragraphenzahl fest, ich glaube es war damals § 354 (falls es nicht stimmt, dann eben eine andere Zahl, ist eigentlich wurscht).

Dann kamen zwei Neuigkeiten, auf die man – auch wegen Vorgaben der EU – reagieren mußte:

  • Einmal die Liberalisierung des Marktes, womit Post- und Fernmeldeleistungen nicht mehr einem Staatsmonopol unterlagen und auf Beamte beschränkt waren. Damit gehörte das Ding nicht mehr in den Teil der Straftaten im Amt. Deshalb verschob man die alte Strafrechtsvorschrift von § 354 nach § 206 in einen anderen Abschnitt.
  • Es sollten mit dem Fortschritt der Technik auch die elektronische Telekommunikation geschützt werden. Deshalb benannte man beispielsweise das Post- und Fernmeldegeheimnis in Telekommunikationsgeheimnis um. Der Gesetzgeber verschob den alten Paragraphen nicht nur, sondern „bohrte” ihn auch auf elektronische Kommunikation auf.

Es gab also nun einen § 206, der fast wortwörtlich mit dem ehemaligen § 354 übereinstimmte, nur eben nicht mehr auf Straftaten im Amt beschränkt und dafür um elektronische Kommunikation erweitert worden war. Insoweit sinnvoll.

Zu dem alten (nicht mehr gültigen) § 354 gab es nun eine einzige herausragende einschlägige, kuriose Entscheidung (ich bin nicht mehr sicher, war aber wohl überhaupt die einzige nennenswerte zu 354). Ein Paketpostbote der damaligen Bundespost hatte schlechte Zähne und brauchte Zahnersatz, konnte ihn sich aber nicht leisten. Also unterschlug er zunächst die in bar geleisteten Nachnahmezahlungen für Paketlieferungen und bezahlte davon den Zahnarzt. Daraus machte er eine Stafette. Das fehlende Geld zahlte er mit späteren Zahlungen aus anderen Sendungen usw. Das trieb er eine Zeit lang, ergänzte das aber durch kleine Zahlungen aus seinem Einkommen, so daß die Summe des fehlenden Geldes immer weiter abnahm, bis er schließlich wieder alles zurückgezahlt hatte. Der Effekt war, daß viele der Nachnahmezahlungen zwar vollständig, aber verspätet ankamen, und alle die Paketversender und Zahlungsgläubiger ihm damit unfreiwillig quasi einen zinsfreien Micro-Kredit gegeben hatten. Es flog aber auf und man leitete ein Strafverfahren gegen ihn ein – wegen Unterdrückung von Sendungen nach dem damaligen § 354, weil auch die Nachnahmezahlung eine Sendung des Paketempfängers an den Absender und damit geschützt sei.

Irgendein OLG befand damals, daß der Paketbote wegen der Unterdrückung des Geldes nicht nach 354 strafbar sei, weil Geld nicht körperlich, sondern nur wertgleich übertragen wird und deshalb mangels Körperlichkeit keine von der damaligen Formulierung und Systematik des 354 erfasste Sendung sei. Verdonnert wurde er gleichwohl, denn er hatte nicht nur das Geld verzögert, sondern auch diese kleinen blauen Quittungszettelchen, die es damals gab. Und die, so das Gericht, seien sehr wohl eine körperliche Sendung und damit geschützt, zumal sie eben kleine Urkunden wären, die den Anspruch des Empfängers belegten.

Kurios, aber korrekt.

Die Kommentatoren schrieben also in ihre Kommentare, daß § 354 nur körperliche Sendungen erfaßt. Damals auch korrekt.

Dann kam der Gesetzgeber und verschob den 354 nach 206 und behielt die Formulierung praktisch unverändert bei, ergänzte sie nur um die Neuerungen.

Und damit entstand der Fehler. Denn die Kommentatoren waren der (nicht ganz unrichtigen) Meinung, daß die bisherige Rechtsprechung zu 354 wegen der Formulierungsgleichheit ja weitergelten müsse. Positiv ja, aber eben aufgrund der Erweiterung nicht ohne weiteres die negative Abgrenzung. Daran dachten sie aber nicht mehr, weil es nur noch mit einem Satz da stand. Außerdem wollte man ja zu einem so wichtigen Paragraphen nicht mit einem leeren Kapitel anfangen. Die Juristen taten sich aber unheimlich schwer, mit diesem neuen Recht umzugehen, weil sie einfach noch gar kein Gefühl und keine Erfahrung mit Internet und so hatten.

Was machten die Kommentatoren also? Sie verschoben einfach mit dem Paragraphen ihre alte Kommentierung zu 354 nach 206 und ersetzen im Text einfach auch die Zahl 354 durch 206. Sonst nichts. (Ich hab mir damals in der Bibliothek der BLB und des BGH extra alte Kommentare herausgeben lassen um die Übereinstimmung nachzuprüfen.)

Das Ergebnis war, daß es da nun einen eigentlich nagelneuen (aber eben recycleten) Paragraphen zur Strafbarkeit der Verletzung des Telekommunikationsgeheimnisses gab, der ausdrücklich und zwingend auch elektronische Kommunikation erfassen mußte und sollte, zu dem damals noch kein Jurist irgendwas geurteilt oder geschrieben hatte, der quasi ein jungfräulich leeres Blatt war.

Trotzdem aber stand in den meisten Strafrechtskommentaren, daß 206 nur körperliche Sendungen erfassen würde. Weil Juristen aber unkritisch kommentargläubig sind, fielen die allermeisten Juristen darauf herein und schrieben damals auch weiter, daß der Paragraph zur Strafbarkeit von Eingriffen in die Telekommunikation Telekommunikation nicht erfassen würde. Nicht mal die Plausibilität geprüft, obwohl einen die Unsinnigkeit eigentlich in die Nase beißt. Kein einziger ging diesem nur mit diesem einzelnen Satz verfremdend zitierten alten OLG-Urteil auf den Grund, da mußte erst ein Informatiker kommen. Und weil noch dazu kommt, daß bei den Juristen natürlich auch einer vom anderen abschreibt, und bei denen die Kommentare und die Professoren als heilig und unantastbar gelten, verfestigen sich solche Fehler. So entsteht die sogenannte „herrschende Meinung”, die immer als maßgeblich herangezogen wird, wenn man keine (passenden) Urteile hat.

So habe ich damals das (unter Juristen als extrem schwierig und in der Praxis als aussichtslos geltende) Klageerzwingungsverfahren durchbekommen und als erste Entscheidung zu 206 durchgesetzt, daß auch die Unterdrückung von E-Mail strafbar ist. Weil das OLG Karlsruhe diesen Fehler in der Literatur als so gewichtig eingestuft hat, daß er der dringenden Korrektur bedurfte.

Man sollte also tunlichst vermeiden, juristischen Kommentaren alles zu glauben, sondern sie nur als Inhaltsverzeichnis zum großen ganzen ansehen. Ich habe es inzwischen häufig erlebt, daß im Urteil etwas ganz anderes stand als das, was der Kommentar darüber behauptete.

Auch die Kommentarjuristen gibt es in einer modernisierten Form, nämlich die Google-Juristen (die wiederum mit denen eng verwandt sind, die ihre Dissertation in Rechtswissenschaften per Google-Copy-Paste schreiben). Der Vorteil von Google gegenüber Kommentaren ist, daß man neuerdings oft auch auf Urteile im Volltext stößt. Also nicht per se schlecht.

Leider gehören viele der Google-Juristen aber zur Unterspezies der Google-Suchergebnis-nur-erste-Seite-Leser, die wiederum moderne Verwandte der Turnbeutel-Vergesser sind.

Das ist der Grund, warum ich in juristischen Fragen nicht so gut auf Leute zu sprechen bin, die nicht inhaltlich und systematisch argumentieren, sondern nur mittels Verweisen auf irgendwelche Einzelsätze in Kommentaren (oder ganz pauschal behaupten, man möge doch in einen x-beliebigen Kommentar schauen). Ob nun zu Urheberrecht oder wozu auch immer.

😀

25 Kommentare (RSS-Feed)

Guy Incognito
2.10.2011 20:18
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Interessanter Beitrag, aber was genau bedeutet der Smiley am Ende? In dem Kontext der Lichtbilddiskussion deute ich ihn mal als “und jetzt könnt ihr mich kreuzweise” 😉


Hadmut
2.10.2011 20:23
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Sagen wir mal, es bedeutet einfach, daß ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Und freundlich erscheinen wollte.

Wie man das deutet – das kann und will ich dem Leser hier nicht vorschreiben. Leser meines Blogs sind stets aufgefordert, selbst was zu denken und nicht einfach nur irgendwelchen Vorgaben zu folgen – egal ob sie von mir oder von Kommentarautoren kommen.

Die Intelligenteren erkennt man freilich daran, daß sie sich dabei was denken. Und wie ich zu betonen nicht müde werde, dient mein Blog vornehmlich der Darstellung meiner Meinung. 😉


Hadmut
2.10.2011 20:36
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Sagen wir’s mal so: Mir ist diese Sache, die nun Jahre zurückliegt, nicht zufällig wieder eingefallen. Eine Menge Leute haben mich zur Lichtbilddiskussion unterschiedlich heftig und bisweilen ausfallend kritisiert, mir Inkompetenz vorgeworfen und mich – mit mehr oder weniger tageslichttauglichen Formulierungen – aufgefordert, mich aus solchen Themen heraus – und damit einer eigenen Meinung zu enthalten. Allen gemeinsam ist aber, daß keiner davon seine Kritik haltbar und nachvollziehbar begründen konnte. Viel heiße Luft, keine Substanz. Entweder wird nur gezetert und gar nichts gesagt. Oder es wird mit „§ 72 UrhG” herumgefuchtelt, als ob der für sich selbst irgendetwas aussagen würde. Viele haben aber entweder pauschal auf „die Kommentare” verwiesen ohne das zu konkretisieren. Und einige haben auf irgendwelche einzelnen Merksätze in Kommentaren hingewiesen, als ob der Kommentarautor der Gesetzgeber wäre. Und diese Blauäuigkeit und Leichtgläubigkeit gegenüber den Kommentaren hat mich an die Sache von damals stark erinnert.


Hanz Moser
2.10.2011 22:08
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Ich hab’s heute schon mal geschrieben:
Richtig lesen können heute nicht mehr viele Leute. Der Sinn der Worte vermischt sich nicht selten mit dem eigenen Denken und den Vorprägungen zu dem, was dann “verstanden” wird. Und ob der den formalen Sinn korrigierende Einfluss immer der ursprüngliche Gedanke des Verfassers ist bezweifle ich.

Wenn es kein Jurist sondern ein dummer Bub ist endet “lesen aber nicht verstehen” in der Geschichte auf DAUjones, in der ein PC mit Silikon abgedichtet und mit Frittenfett geflutet wird, weil bei Tom’s Hardware sowas mit Mineralöl gemacht wurde.

Eigentlich ist der Fehler hier auch nicht so groß. Es wurde lediglich der Schmelzpunkt des Fettes falsch gewählt, ein Detail der zu Grunde liegenden Idee.


Hadmut
2.10.2011 22:10
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Und ich dachte immer, es wäre Silikonöl?


Hanz Moser
2.10.2011 22:55
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Silikonöl?
Ich hab gerade noch mal Google bedient und dort ist entweder die Rede von cooking oil oder einfach oil. Das scheint mir aber auch nicht das Projekt zu sein, an das ich mich erinnere. 2006 ist auch viel zu spät.

Vielleicht vermische ich das auch mit den Diskussionen, die ich selbst um das Thema geführt habe. Normales Speiseöl ist ja nicht der Weisheit letzter Schluss, nicht nur, weil es ranzig wird.
Und im Gegensatz zu den speziellen Transformatorölen, die man als adoleszenter Bub nicht so einfach beziehen kann, die aber sehr gute elektrische Eigenschaften hätten, kommt man an kaum mit Additiven versehenes Mineralöl mit bekannten chemischen Eigenschaften und Datenblatt wenigstens ran.


Wirklich guter Beitrag – alles sehr genau beobachtet!

Nicht umsonst spottet man über die übliche Urteilsfindung von Richtern: Links den Gesetzestext, rechts den Kurzkommentar.

Damit wird eigenes Denken im wesentlichen ausgeschlossen, was ja bekanntlich manchen Juristen “wehtut”!

Kein Wunder also, dass auch die meisten Plagiats-Dissertationen im juristischen Bereich zu finden sind, wo sehr häufig eigenes Gedankengut durch Zitat-Kollagen mit spärlichen, lückenhaften oder gar fehlenden Belegen ersetzt wurde.


Eldoran
3.10.2011 12:31
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Das wäre unter anderem wieder einmal ein Beispiel dafür dass Recht haben und es auch bekommen auch vor Gericht nicht unbedingt das gleiche sind. Hier musste ja sogar bewiesen werden, dass die “Experten” einer falschen Information aufgesessen sind. Wenn man den Arbeitsaufwand mit einrechnet dürfte dadurch ja auch noch ein klarer Schaden entstanden sein.

Noch interessanter ist das bei den Abmahnungen. Es wurde ja schon mehrmals bewiesen, dass (auch) unrechtmäßig abgemahnt wurde.

Meines Wissens ist gerade bei den ganzen three-strikes Gesetzen ja explizit kaum Kontrolle vorgesehen.

Womit um auf den Fall Kauder zurückzukommen, es durchaus zu Konsequenzen hätte kommen können. Allerdings ist es wegen der beteiligten Personen eher unwahrscheinlich.
Das macht die in der ganzen Diskussion erwähnten Probleme aber auch nicht besser.


Sekino
4.10.2011 9:45
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Der Autor reiht sich mit seiner Juristenschelte ein in die Reihe der Kritiker, die nicht erst mit Ludwig Thoma und seiner Feststellung begann: “Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand.”

Vgl.: http://de.wikisource.org/wiki/Der_Vertrag

Ich halte diese Schelte für total überzogen, es gibt eben solche und solche Juristen, wie es auch solche und solche Informatiker gibt…


Hadmut
4.10.2011 11:31
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@Sekino: Und der Kommentator reiht sich mit seiner Blogschelte ein in die Reihe derer, die schelten ohne richtig zu lesen. Sonst hätte er gemerkt, daß ich gar nicht alle, sondern nur einen Teil der Juristen meine. Weil es eben solche und solche gibt.

Aber bei den Blog-Kommentatoren gibt es eben auch solche und solche…


Hadmut
4.10.2011 12:18
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@Christian: Und davon mal ganz abgesehen:

Sprüche wie „drei Juristen, vier Meinungen” gibt es über Informatiker nicht. Kaum ein anderer Beruf steht so im Ruf der Willkürlichkeit und der Diversität seiner Meinungen wie die Juristen. Schon daher wäre es völlig fragwürdig, von einer „richtigen” Meinung auszugehen und mir die Abweichung davon zu unterstellen, bzw. andere Meinungen als „falsch” hinzustellen. (Wobei es – was Dir und allen anderen Hau-Drauf-Kommentatoren offenbar nicht bekannt ist – bei wissenschaftlich-verfassungsrechtlich gebotener Betrachtungsweise ohnehin keine richtigen oder falschen Meinungen in der Juristerei, sondern nur vertretbare und unvertretbare, und für die gelten andere Kriterien. Was übrigens ebenfalls zeigt, daß die, die mich hier angreifen, meist selbst sehr wenig Ahnung von Recht haben.)

Außerdem sind Informatiker nicht „Mietmäuler”, wie es die Juristen sind. Juristen vertreten von Berufs wegen die Meinung derer, die sie bezahlen, und dabei eben auch bewußt und wissentlich unrichtige Meinungen. Die – unbelegte – Meinung eines Juristen ist daher naturgemäß nicht von sich heraus überzeugend, sondern zweifelhaft.

Übrigens tendieren Informatiker auch dazu, anderen ihre Meinung zu gestatten und auch Meinungen zu äußern, mit denen sie falsch liegen, und versuchen nicht, Nicht-Informatikern das Äußern von Meinungen zu Informatik-Themen schlechthin zu verbieten.

Wären Juristen immer ehrlich und objektiv wahrheitsbefähigt, gäbe es nämlich keine Gerichtsverfahren.


Hadmut
4.10.2011 12:30
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@Christian: Und um noch einen oben drauf zu setzen:

Niemand in der Informatik behauptet, daß das Binärsystem das einzig Wahre wäre. Daß sich etwas „durchgesetzt” hat heißt ja nicht, daß es das zwingend richtige wäre. Es gibt kein Gesetz, keinen „Informatik-Kommentar”, der Binärsysteme vorschreiben oder als die einhellige Meinung vorsehen würde.

Im Rahmen des Studiums beschäftigt man sich mit sehr unterschiedlichen Architekturen, auch beliebigen n-wertigen oder Allgemeinen. Und viele Programmiersprachen abstrahieren längst davon.

Deine Kritik ist also nicht nur in Bezug auf Jura, sondern auch auf Informatik Stuß.


Sekino
4.10.2011 12:40
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@ Hadmut

Nichts für ungut, ich hatte mich nur an Deiner Aussage gesört: “Weil Juristen aber unkritisch kommentargläubig sind,fielen …

Diese Abqualifizierung aller Juristen hat mich gestört, nicht mehr aber auch nicht weniger. Es sollte auch keine Blogschelte sein, im Gegenteil, denn sonst hätte ich ja nicht L. Thoma zitiert (bin übrigns weder Jurist noch Informatiker)

😉


Hadmut
4.10.2011 12:44
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@Sekino: Du glaubst nicht, wieviele Anwälte – und Richter! – ich schon erlebt habe, die nicht in der Lage waren, ein Urteil zu recherchieren und einfach nur mit ihrem Kommentar arbeiten konnten. Wo das alles so in kurzen, einfachen Sätzen drin steht. Und das Ergebnis ist dann meist katastrophal falsch.


Sekino
4.10.2011 12:44
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Vielleicht noch ein Juristenwitz, der anschaulich das wiedergibt, was Du vielleicht meinst:

Unser Personalchef hat die Devise herausgegeben, nur noch einarmige Juristen einzustellen. Auf die Frage unseres überraschten Arbeitsdirektors, was denn der Grund für diese merkwürdige Anweisung sei, kam die Antwort: “Ich kann es nicht mehr hören, dieses ewige einerseits und andererseits….


Alex
4.10.2011 17:45
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Ich denke es gibt einfach einen wesentlichen Unterschied zwischen Naturwissenschaftlern und den Anderen:

Ein Naturwissenschaftler wird sich genauso auf Standardquellen, scheinende Lichtgestalten und so weiter berufen, nur im Streitfall (und vorausgestzt der Streit ist es Wert gefochten zu werden) wird ein Naturwissenschaftler wesentlich schneller bereit sein, die Argumente von Grund auf aufzubauen.


Hadmut
4.10.2011 17:53
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Solche Leute gibt es zwar im Universitätsbetrieb, aber man sollte sie nicht „Naturwissenschaftler” nennen.

Naturwissenschaftler sind darauf trainiert, etwas anhand von Beobachtung, von Experiment, von Untersuchung und logischen Schlüssen zu verifizieren, zu falsifizieren oder als nicht hinreichend bekannt einzustufen und vorläufige Modelle anzulegen.

Sowas gibt es bei Juristen nicht. Verifizieren und Falsifizieren gibt es da in dieser Weise nicht.

Ich habe in meiner Sammlung ein Buch „Logik für Juristen”. Darin wird hauptsächlich erklärt, wie man Schlüsse aus Urteilen zieht.

Letztlich lernt der Jurist nicht das Falsifizieren und das Verifizieren, sondern das Befolgen von Gesetzen und Urteilen, die selbst aber nicht „Wahrheit” sondern mehr oder weniger willkürliche Festlegung und Meinung sind. „Wahrheit” in diesem Sinne gibt es bei den Juristen nicht. Bei denen gibt es eigentlich nur das Obsiegen vor Gericht. Das ist aber was völlig anderes.


energist
4.10.2011 23:41
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Natürlich, für einen Juristen ist die Wahrheit das, was er formell konstruieren kann. Wie das geschieht und auf welchen Grundlagen – geschenkt. Existiert eine beglaubigte Urkunde, auf der steht, die Wand sei blau, dann kann sie noch dreimal grün sein, es hat in seiner Welt keine Relevanz.

Wenn man das erste Mal als (Natur-)wissenschaftler sowas miterlebt, fühlt man sich wie bei „Versteckte Kamera“.


Hadmut
4.10.2011 23:42
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Nicht nur beim ersten Mal… aber der Vergleich ist gut, den muß ich mir merken.


Stefan H.
5.10.2011 0:51
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Ich würde noch allgemeiner über Unterschiede in der Herangehensweise zwischen Mathematiker-Derivaten, Naturwissenschaftlern und Juristen philosophieren:

Mathematiker, Informatiker und grossteils auch Ingenieure bauen auf einem einzigen, geschlossenen Axiomen-System auf. Das ändert sich quasi nicht, bzw. die Weltsicht auf dieses Axiomen-System wurde seit Gödel nicht ernsthaft verändert.

Naturwissenschaftler (Physiker, Biologen etc.) sind wesentlich flexibler in der Handhabung ihres zugrundeliegenden axiomatischen Systems: was gestern noch allgemein anerkannt war, kann heute durch neueste Messungen oder Modelle als unvollständig oder generell fehlerhaft interpretiert werden.
Physiker können wirklich über Nacht ihre Interpretation ändern: prominentes Beispiel hierfür ist Angela Merkel: sie vertrat an einem Abend im Interview den Standpunkt, die AKWs seien sicher, denn sonst müsse sie sie abschalten. Am nächsten Tag hat sie den Abschalt-Beschluss verkündet.
Ingenieure, Mathematiker und Informatiker können ob solcher Wechselhaftigkeit erst mal nur den Kopf schütteln, denn in ihrem Regelwerk haben sich allenfalls Risiko-Kennzahlen verschoben.

Juristen haben kein allgemeingültiges axiomatisches System, sondern werden darauf trainiert, unterschiedliche Systeme gegeneinander antreten zu lassen. Welches System dann gewinnt, ist eine Art sportlicher Wettbewerb für die beteiligten Juristen.
Für Aussenstehende sieht sowas dann eher danach aus, als wären Juristen extrem flexibel in dem, was sie glauben, annehmen oder vertreten.


Hadmut
5.10.2011 0:57
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@Stefan H.: Jetzt würde ich Merkel wirklich so gar nicht als Prototyp für Physiker ansehen.

Das mit dem Axiomen-System ist zwar im Prinzip richtig. Aber sie würden das nicht von vornherein als einzig-wahr hinstellen. Wenn es in sich widerspruchsfrei wäre, würden sich Mathematiker/Informatiker einen Mords-Spaß draus machen, mit einem anderen Axiomen-System mal draufloszurechnen.

Juristen verteidigen ihr „heiliges” System gegen alles von außen, andere Rechtssysteme, Nichtjuristen usw.


@Hadmut
“Außerdem sind Informatiker nicht „Mietmäuler”, wie es die Juristen sind. Juristen vertreten von Berufs wegen die Meinung derer, die sie bezahlen, und dabei eben auch bewußt und wissentlich unrichtige Meinungen. Die – unbelegte – Meinung eines Juristen ist daher naturgemäß nicht von sich heraus überzeugend, sondern zweifelhaft.”

Ja – traurig, aber leider in sehr vielen Fällen zutreffend.

Überzeugende Beweise hierfür bietet u.a. auch der seit langem laufende, sehr zähe “Stammheimer Prozess” (Verena Becker), von dem die breite Öffentlichkeit immer nur Bruchstücke hinsichtlich der Aufdeckung des Mordfalles Siegfried Buback mitbekommt, während die wahren Hintergründe offenbar im Dunkel bleiben (sollen).

Äußerst lesenswert hierzu: “Buback bloggt”, der die Prozesstage bis ins letzte Detail schildert und mit sehr vielen qualifizierten Leserkommentaren von Insidern versehen ist.


Flocke84
5.10.2011 17:37
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Als (promovierter) Jurist kann ich Deine Beobachtungen weitgehend teilen. ME ist das von Dir beschriebene Phänomen der “Kommentarjuristen” ein Stück weit systembedingt. Juristen in Deutschland sind häufig – bedingt auch durch die Ausbildung – unheimlich systemfixiert. Hierin wird auch gerne ein Vorteil gegenüber dem “chaotischen” bzw. “unberechenbaren” Case Law im angelsächsischen Rechtskreis gesehen. Dabei wird gerne übersehen, dass es auch in Deutschland ein “Case Law” gibt, das die gesetzlichen Regelungen ausfüllt, ergänzt und auch mal überlagert. Im Unterschied zu den Case Law Juristen lernt man in Deutschland aber nicht, Fälle zu vergleichen, um sie zu unterscheiden und nur tatsächlich gleiche Fälle gleich zu entscheiden. Es herrscht insoweit oft eine “Leitsatzkultur”. Was ein Gericht mal gesagt hat, gilt immer (so verfährt nicht nur der BGH, sondern sogar Lands- und Amtsgerichtsspruchkörper). Als eigener Rechtssatz. Die Kommentatoren transportieren das dann häufig in ihre Bücher, insbesondere die Kurzkommentare. Mehrbändige “Großkommentare” leisten diesbezüglich in der Regel mehr. Praktiker und Instanzgerichte gucken da aber eher selten rein (aus verschiedensten Gründen). Das von Dir genannte (faszinierende) Beispiel ist insoweit sicher kein Einzelfall. Immerhin: Der Standardkurzkommentar zum StGB von Fischer (58. Aufl.), § 206 Rn. 13 versteht die Vorschrift so wie Du sie schilderst- gegen die dort so genannte h.M. in der Lit.

Übrigens werden auch juristische Monografien und Aufsätze immer seltener gelesen. Auch hier verlässt man sich oft auf den Kommentar. Das ist bedenklich,d a gerade in Monografien häufig grundlegende Gerdanken entwickelt und Auslegungsfragen eingehend gelöst werden, unter Einbeziehung der Gesetzgebungsmaterialien etc.

Andererseits handelt ein Jurist, der sich am Kommentar (und nicht am Originalurteil) orientiert, nicht zwingend vorwerfbar. Insbesondere Rechtsanwälte können durchaus gut daran tun, einen “nach Kommentar-/Leitsatz” aussichtslosen Fall entsprechend zu behandeln. Denn sie wissen, dass sie wegen dieser “Kurzwidergabe2 der Originalentscheidung verlieren könnte, selbst, wenn sie sich mit dem Originalurteil auseinandersetzen. Denn auch die Gerichte nehmen sich nicht immer die Zeit, derartiges nachzuvollziehen.

Noch ein Wort zur Plagiatsdebatte im Zusammenhang mit der Rechtswissenschaft: Dass Wissenschaftsbetrug aller Couleur fächerübergreifend üblich ist, hat sich nicht nur in den letzten Monaten gezeigt, sondern auch das Buch von Rieble und das Copy, Paste, Shake Blog bieten reichhaltige Auskunft hierzu. Es gibt keinen Grund, insoweit auf die Rechtswissenschaft herabzusehen. Auch Meinungsverschiedenheiten sind kein Privileg der Jurisprudenz. Ich kenne mich da fachlich nicht aus, aber ich möchte mal vermuten, dass es derratige Meinungsstreitigkeiten zB auch in der theoretischen Physik gibt.


Hadmut
5.10.2011 17:56
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@Flocke84: hihihi, soweit ich mich an damals erinnern kann, war ausgerechnet der von Fischer einer der Kommentare, in denen es falsch stand und auf den sich die StA berief.

Ich hatte Fischer damals angemailt und zur Korrektur aufgefordert, weil die Staatsanwaltschaft das falsch auslegte. Er reagierte aber ziemlich pampig und wollte nicht. Ein BGH-Richter läßt sich doch von einem Nicht-Juristen nichts sagen. Bis ich es dann durchgesetz habe. Ich bin mir jetzt nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube, ich habe ihm die Entscheidung damals zur Kenntnisnahme direkt vors Knie genagelt.

Im allseits bekannten Vorlesungsskript von Richter und Professor Thomas Hoeren steht es übrigens zumindest sachlich falsch drin. Da steht nämlich drin, ich wäre ein Mitarbeiter gewesen, dem die Universität gekündigt hat, also so eine Art moralische Rechtfertigung der lieben Uni gegen den bösen Mitarbeiter. Die Universität hat damals in ziemlich viele Richtungen gegen mich polemisiert, diffamiert, gelogen. Tatsächlich war es andersherum, ich habe gekündigt und bin gegangen, und die Uni wollte mich um jeden Preis als Mitarbeiter halten und zum Bleiben erpressen, was aber wiederrum mit der E-Mail-Unterdrückung gar nichts zu tun hatte, da lagen mehrere Jahre dazwischen.

An eben der besagten Karlsruhe Fakultät, die die Sache auf dem Kerbholz hatte, sitzt auch ein bekannter Telekommunikationsrechtler (Dreier), der sich ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert hat, weil er von der Sperre nachweislich wußte (Mails von mir an ihn waren auch betroffen) aber nichts unerlaubtes dabei gefunden hat. Der aber seinerseits wiederum sehr ausgiebige Querverbindungen zu anderen Kommunikationsrechtlern hat, und den ich zwar nicht bei einer Falschinformation gegenüber Hoeren, aber im Zusammenhang mit einer Falschinformation gegenüber dem Deutschen Bundestag erwischt habe. Der Bundestag wollte das damals nämlich auch wissen, und die haben da eine hingeschickt, die da als geladene Sachverständige vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat – aber nicht merkte, daß ich dabei hinter ihr saß. Da wurde also von der Karlsruher Fakultät in diverse Richtungen systematisch falsch informiert, und es drängt sich natürlich wegen der Inhaltsgleiche der Gedanke auf, daß so auch die Fehlinformation in das Skript von Hoeren geraten ist.

Ich habe Hoeren deshalb mal angemailt und gebeten, er möge das richtig stellen, weil mich das ja immerhin persönlich zu Unrecht schlecht macht. Hoeren hat nicht mal geantwortet und es auch nicht geändert (jedenfalls nicht, solange ich es kontrolliert habe). Mit Recht und Richtigkeit hat der es also auch nicht so.


Hadmut
5.10.2011 18:05
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Hier, ich hab noch die alte Ausgabe. In Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage von 2003, steht zu 206 noch drin (Rn. 11):

Gegenstand der Tathandlung in II ist eine beliebige Sendung, dh jeder körperliche Gegenstand (vgl Hamm NJW 80, 2321). Abs. II gilt nicht für (zB verschlüsselte) Datenübertragungen.

Grottenfalsch. Und die Staatsanwaltschaft hatte sich genau darauf bezogen. Ich habe Fischer damals angemailt, aber er wollte das partout nicht einsehen und wurde da auch pampig. Der dachte gar nicht daran, das irgendwie zu korrigieren.

Und im Skript von Hoeren steht auch in der Version von 2011 noch immer drin (S. 398):

Eine derartige Straftat hat das OLG Karlsruhe in Betracht gezogen, nachdem einem gekündigten wissenschaftlichen Mitarbeiter die an ihn gesandten E-Mails aufgrund der von der Universität vorgenommenen E-Mail-Filterung nicht mehr zugestellt wurden.

Stimmt auch nicht. Sieht der aber auch nicht ein.