Ansichten eines Informatikers

Gottvertrauen hat dieser Papst wohl nicht

Hadmut
25.9.2011 14:29

Wo wir’s doch gerade von den Verboten hatten, beim Papstbesuch die eigenen Fenster zu öffenen, lest mal das da (danke für den Link!). Da predigt und verlangt der Papst von seinen Schäfchen, daß sie doch alle stramme Christen sein sollen, die in Gott vertrauen, die Religion soll gestärkt werden, aber er selbst läßt sich von Scharfschützen bewachen. Wozu braucht man die, wenn man doch unterstellt, daß Gott alles lenkt? Kann der allmächtige Gott nicht mal seinen eigenen Stellvertreter schützen? Wieder mal selbst was anderes tun als das, was man anderen predigt? Oder geht es bei denen nach der Devise „Gottvertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?”

Dazu fällt mir allerdings noch ein Witz ein:

Vor >20 Jahren mal irgendwo gehört:

In irgendeinem abgelegenen Dorf hatten sie mal einen etwas sperrigen, sturen Rabbi. Sein Haus stand etwas außerhalb.

Irgendwann war absehbar, daß ein Hochwasser kommt und das Dorf, besonders die Gegend, wo das Haus stand, überschwemmt werden würde, und man mußte die Gegend evakuieren. Der Rabbi ignorierte das aber.

Irgendwann kam deshalb der Bügermeister mit dem Gemeinderat vorbei und sagte „Rabbi, Du mußt hier weg. Die Gegend wird hoch überschwemmt werden. Bring Dich in Sicherheit!”. Aber der Rabbi sagte „Nein, ich bleibe hier. Ich vertraue auf Gott. Gott wird mich retten.”

Das Wasser kam und stieg. Als es etwa bis zur Brust ging, hockte der Rabbi auf seinem Kleiderschrank. Da kamen Kinder mit einem Ruderboot vorbei. „Rabbi, komm, steig ein, Du mußt hier weg. Das Wasser steigt immer mehr!” Doch der sture Rabbi antwortete „Nein, ich bleibe hier. Ich vertraue auf Gott. Gott wird mich retten.”

Das Wasser stieg weiter und ging schon über die Zimmerhöhe. Der Rabbi hockte oben auf dem Dach. Da kam ein Hubschrauber mit einer Seilwinde vorbei. Sie riefen ihm zu „Rabbi, komm herein, Du mußt hier weg. Das Wasser steigt weiter!” Doch der Rabbi blieb stur: „Nein, ich bleibe hier. Ich vertraue auf Gott. Gott wird mich retten.”

Das Wasser stieg noch weiter und der Rabbi soff ab. Tot.

Freilich war er ein gottesfürchtiger frommer Mann gewesen, hatte sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, war noch dazu Rabbi. Und so kam er selbstverständlich ohne Probleme und Formalitäten, auf dem VIP-Express-Pfad, geradewegs am Zoll vorbei direkt in den Himmel.

Trotzdem war er stinkesauer, geladen bis zum Anschlag. Schnurstracks und ohne sich von irgendwem aufhalten zu lassen rannte er zu Gott und platzte dort unangemeldet direkt in dessen Büro herein. Was denn das für eine Riesen-Sauerei wäre, schimpfte er. Sein ganzes Leben lang hätte er müh- und enthalsam gelebt, sich immer größte Mühe gegeben, ein gottesfürchtiges und Thora-konformes Leben zu führen, alles hätte er befolgt, und würde dann nicht mal vor einem Hochwasser gerettet und müßte als einziger aus seinem Dorf absaufen. Was das solle.

„Oh,” antwortete Gott leicht verärgert, „ich habe Dir den Bürgermeister, die Kinder mit dem Boot und sogar eigens einen Rettungshubschrauber geschickt. Aber Du wolltest ja nicht! Was soll ich denn noch alles tun?”

Daher mal die Frage an die Katholiken:

Ist jemand, der sich von Scharfschützen bewachen läßt, ein Ungläubiger, weil er nicht auf Gott vertraut, wie er es von anderen verlangt, oder ist es andersherum, daß nämlich Gott selbst den seinen vermummte Scharfschützen schickt, weil er sich selbst nicht anders gegen Attentäter durchsetzen kann?

Oder kürzer gesagt: Wie passen Gottvertrauen und Scharfschützen zusammen?

41 Kommentare (RSS-Feed)

Atheista
25.9.2011 14:46
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Hallo, habe gerade Ihren Artikel “Wie die deutsche Internet-Kinderpornosperre zustande kam – und zugrunde ging” gelesen
und dann hier weitergelesen.
In diesem Beitrag zur Religion scheint es fast ein analoges Problem zu Frau von der Leyens Kenntnissen über das Internet zu geben 😀

Leider kenne ich mich da auch nicht gut genug aus. Es ist mir gerade nur aufgefallen, nachdem ich die beiden Beiträge unmittelbar nacheinander gelesen hatte. Nichts für ungut 😉


Hadmut
25.9.2011 15:09
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Naja, vielleicht ein analoges Problem. Vielleicht aber auch nur eine ähnlich analoge kritische Sichtweise und ein ähnlicher Schreibstil meinerseits.


Guy Incognito
25.9.2011 15:17
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Soweit ich das richtig verstehe (Disclaimer: nicht religiös), macht Gott “das große Ganze”. Man braucht sich also keine Sorgen zu machen um eine unbestimmte Zukunft, höhere Gewalt oder abstrakte Gefahren, die die eigene Macht bzw. Einfluss übersteigen. Um konkrete Gefahren muss man sich trotzdem selbst kümmern, also Haus abschließen, Sicherheitsgurt anlegen und als Person des öffentlichen Lebens eben auch einen Sicherheitsdienst beauftragen. Der Deal mit Gott ist somit: sei ein guter Mensch nach außen und bekomme dafür innere Zufriedenheit.


Alex
25.9.2011 15:46
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Scharfschützen sind doch super geeignet um Heiden zu erschießen?

Um noch etwas Gehalt zu geben:
Die im verlinkten Artikel erzeugte Stimmung relativiert Teile Deines Eintrags um die Rechtmäßigkeit der Fensterschließungsverordnung.

Wenn man Angst haben muss (kann natürlich auch überspitzt dargestellt sein) erschossen zu werden, wenn man das Fenster aufmacht, dann ist die Frage der Rechtmäßigkeit irgendwie nichtmehr so sonderlich eindringlich.


Lars
25.9.2011 20:40
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Die Frage aus dem Beitrag ist recht einfach zu beantworten: Gott könnte – wenn er denn wollte.

Gott hat sich ganz bewußt dafür entschieden, den Menschen einen freien Willen zu geben; die Möglichkeit, sich zwischen “gut” unhd “böse” zu entscheiden. Und so gibt es nunmal Menschen, die sich für “böse” entscheiden und Dinge tun die weder Gottes Willen noch seinen Interessen entsprechen. Aber auf Grund seiner Entscheidung läßt er sie gewähren. Für die braucht man halt die Scharfschützen. 😉


Hadmut
25.9.2011 20:45
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@Lars: Wieder mal so formuliert, daß sich Gott an keiner Stelle von „kein Gott” unterscheidet und man ihn aus dem nichts heraus hypothetisch annehmen kann. Wenn man unterstellt, daß sich Gott wie „nichts” verhält, dann gibt es eben keine Unterschiede zwischen seiner Existenz und Nichtexistenz. Sehr praktisch.


Lars
25.9.2011 21:03
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Tja, @Hadmut, für die, die nicht an Gott glauben ist es in der Tat kein Unterschied. Für alle Anderen schon. 🙂


Hadmut
25.9.2011 21:07
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Und worin liegt der Sinn, Zweck und Nutzen darin, an einen Gott zu glauben, der sich einzig und allein vom eigenen Glauben vom Nichts unterscheidet? Das nämlich hieße, daß der Mensch sich Gott erschaffen hat und nicht umgekehrt. Wer ist dann der Schöpfer?


Werner
25.9.2011 21:28
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“Wie passen Gottvertrauen und Scharfschützen zusammen?” Natürlich passen die gar nicht zusammen. Der Papst hat eben kein Gottvertrauen, denn sonst hätte er sich diesen martialischen Aufzug verbeten.
Einen habe ich noch, von Otto. “Haben Sie schon gehört, der Papst soll Selbstmord gemacht haben. – Naja, wenn man sich beruflich verbessern kann.”


Hadmut
25.9.2011 21:29
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Einer der schlechtesten Witze Ottos…


Alex
25.9.2011 21:31
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Wo liegt der Sinn und Zweck von Zigarettenrauchen?
Einfach ne schlechte Angewohnheit.

Im Falle der Religion halt etwas penetranter.


Christian
25.9.2011 23:05
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Dein Beispiel vom Rabbi und das Verhalten des Papstes sind doch konsistent: Scharfschützen sind nach dieser Logik ein weltliches Mittel, bei dem er davon ausgeht, dass Gott ihm die Möglichkeit zu deren Einsatz gegeben hat und er deswegen auch darauf zurückgreifen sollte. (Wie der Witz ebenfalls ein schönes Beispiel, wo es zwischen Gott und kein Gott keinen Unterschied gibt.)

Allerdings missachtet Benedikt hier direkt das Beispiel seines Religionsstifters: In Mt 26,52 fordert Jesus eindeutig in einer vergleichbaren Situation – eigentlich während einer noch konkreteren Bedrohung – den Verzicht auf Waffeneinsatz.


Hadmut
26.9.2011 0:09
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Konsistent nur für die mit den ganz dicken Socken. Und als einer von denen bist Du mir auf den Leim gegangen. Was soll das für ein Gott sein, der sich Scharfschützen bedienen muß, um seinen Papst zu schützen.

Wenn man genauer hinschaut, liegen sie doch diametral auseinander. Denn der Rabbi wollte das irgendwie mit Gewalt machen, er hätte aber auf die Feinheiten hören sollen. Man könnte daraus folgern, daß der, der ein Gefühl dafür hat, keine Holzhammermethoden braucht. Kinder mit einem Ruderboot sind eben etwas ganz anderes als Scharfschützen. Ich wollte damit eher subtil darauf hinweisen, daß dieser Benedikt eben nicht zu denen gehört, denen ein Bürgermeister, Kinder mit einem Boot und ein Hubschrauber zu Hilfe kommt, sondern zu denen, die man mit Scharfschützen bewachen muß. Während er davon faselt, sich auf Gott zu verlassen.

Davon abgesehen war es eben ein Witz und kein Beispiel.


karbau
26.9.2011 0:40
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Die Antwort ist relativ simpel: die Annahme eines Gottes ist inkonsistent mit der Realität. Oder anders:

Napoleon: „Warum haben Sie dieses Buch über das Weltall geschrieben, aber nicht einmal seinen Schöpfer erwähnt?“
Laplace antwortete: „Diese Hypothese habe ich nicht benötigt.“

Siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre-Simon_Laplace


Stefan
26.9.2011 0:45
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Mir gegenüber wurde dieser “Witz” schon einmal von einem Christ präsentiert, aber eben nicht als Witz, sondern als Beispiel für die subtile Art von Gottes Wirken. Insofern passt Christians Erklärung schon gut, ich schätze mal, das ist die Art von Gehirnakrobatik, die Gläubige an den Tag legen.


Christian
26.9.2011 9:29
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Ja, “Beispiel” war das falsche Wort.

Aber im Witz kommt ja auch noch ein Hubschrauber und da sind wir von Scharfschützen gar nicht mehr so weit weg – im Sinne des Aufwands verstanden, nicht moralisch. Aber die Aussage hinter Witz und Papst bleibt doch die selbe: Der Gläubige erklärt einfach alles Reale, was im nützlich ist, als ein Wirken Gottes und bestätigt sich so sein Bild vom fürsorglichen Gott. Der Witz karikiert es nur noch mehr, weil der Rabbi diesen Gedankendreher eben nicht vollzogen hat, worauf Gott persönlich dies von ihm verlangt.


yasar
26.9.2011 9:54
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Dazu vielleicht dieses Zitat aus Futurama über Gott: http://www.youtube.com/watch?v=FbinE6bx8xM

PS: In dieser Folge versucht sich Bender als Gott und alles wird imemr schlimmer. Sehr sehenswerte Folge.

PPS: Ich sehe Gott eher als “Hilfskonstrukt”, mit dem sich die Gläubigen das Leben erträglicher gestalten.


Stefan
26.9.2011 13:39
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Der ähnliche Gedanke ist mir vor ein paar Wochen auch gekommen. Wozu lässt sich der Papst im Papa-Mobil so schützen? Vor einem Attentat? Und warum? Schützt ihn Gott nicht, dessen Stellvertreter auf Erden ja ist. Und falls doch was passiert: Sind dann Gotteswege nicht – wie so oft – unergründlich? Oder gar, kann dem Papst nicht was besseres passieren, immerhin ist er dann seinem Ziel – das er allen predigt – doch so nah?


Lars
26.9.2011 13:43
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@Hadmut, benötigt denn alles einen Sinn, Zweck oder gar Nutzen? Möglichst noch finanziellen Nutzen? Reicht es nicht, wenn es einfach “vorhanden” ist?

Davon abgesehen: Für die Gläubigen hat der Glaube an Gott selbstverständlich einen Nutzen. Sie ziehen daraus Zuversicht, Kraft, Mut, … Er spendet Trost; bietet Gemeinschaft; … tbc Für die Gläubigen ist das ein sehr realer und auch großer Nutzen. Daß die “Ungläubigen” damit nichts anfangen können ist jetzt kein Wunder. Oder? 😉

Es geht um Glaubensdinge. Denen kann man sich typischerweise nicht rein rational nähern. Die Frage nach Sinn und Zweck ist für Gläubige sinn- und zweckfrei.


Hadmut
26.9.2011 20:44
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@Lars: Nein, es benötigt nicht alles einen Sinn, Zweck oder Nutzen.

Aber erstens darf es dann nicht so tun, als hätte es einen.

Und zweitens nicht den Anspruch erheben, nicht danach gefragt zu werden.


Stefan
26.9.2011 17:27
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@Lars: Mir würde die Vorstellung, dass morgen plötzlich Weltfrieden herrscht, ich im Lotto gewinne (obwohl ich gar nicht spiele) und meine Traumfrau treffe auch Zuversicht, Kraft, Mut und Hoffnung spendet. Ist trotzdem Quatsch.

Genau dieses Argument hat übrigens ein Christ mir gegenüber auch schon einmal gebracht, frei nach dem Motto: “Was spielt die Wahrheit schon für eine Rolle, mein Weltbild ist hoffnungsvoller als deins.”


Lars
26.9.2011 19:23
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Tja, @Stefan, der Unterschied zwischen Dir und dem (Gottes)Gläubigen ist halt, daß der Gläubige von seinem Glauben überzeugt ist, Du aber nicht von Deinem. 🙂 Und ob Du oder Andere das für Quatsch, irreal, unlogisch oder sonstwas halten ist dem Gläubigen /erstmal/ Schnuppe. (Klar, manche fangen dann an, missionarischen Eifer zu entwickeln und zu nerven. Aber bei der schieren Masse der Gläubigen dürfte klar sein, daß auch eine Menge Deppen darunter sind.)

Wie gesagt, Glaubensfragen kann man sich nur sehr schwer rein rational nähern. Das geht im Grunde nur, wenn man ein paar der Presets einfach als gegeben hinnimmt.

Außerdem: Was ist schon “Wahrheit”? – Im Grunde genommen auch nur ein Glaubenskonstrukt. Eine “wirkliche Wahrheit” kennen weder Du noch ich. Wir haben bestenfalls ein paar Vorstellungen über ein paar Dinge, die wir *im* *Moment* als “wahr” akzeptieren. Insofern hat “Dein” Christ gar nicht mal so unrecht.


Lars
26.9.2011 21:02
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@Hadmut: Für *ihn*, also den Gläubigen, hat der Glaube doch einen realen Nutzen. Der tut nicht nur so; es entspricht seiner festen Überzeugung. Deswegen ist er doch gläubig. Das genau ist doch der Unterschied zwischen ihm und dem Nich-Gläubigen.

Und was das danach fragen betrifft, natürlich darf man danach fragen. Man wird allerdings damit leben müssen, daß die Frage für sinnfrei gehalten wird.

(Oder habe ich Dich einfach falsch verstanden?)


Hadmut
26.9.2011 21:12
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@Lars: NEIN!

Es ist falsch zu unterstellen, daß der Glaube für den Gläubigen einen Nutzen hat. Jedenfalls nicht pauschal und im Allgemeinen.

Ich halte den Glauben (insbesondere die drei biblischen) für alles andere als für den Gläubigen nützlich. Nützlich sind sie für andere. (Nützlich sind eingesickerte weltliche Komponenten wie Verhalts- und Hygieneregeln, aber gerade die sind nicht wirklich religiös.)

Die meisten Gläubigen, mit denen ich mich bisher befaßt habe, haben durch ihren Glauben im wesentlichen den Schaden und Nachteil. Und tanzen an der Leine von irgendwelchen Wahrheitsverkündern.

Der wesentliche Knackpunkt ist ja auch, daß sich diese Religionen die Leute frühzeutig grapschen, bevor die Leute das kritisch selbst einschätzen können. Sofort taufen, Kommunion, Konfirmation, Firmung und der ganze Zinober, um die Leute möglichst fest zu binden, bevor sie zu denken anfangen. Wäre der Glaube für die Leute selbst nützlich, bräuchte man solche Fängermethoden nicht. Der wesentliche Nutznießer des Glaubens ist die jeweilige Kirche, nicht der Gläubige.


Christian
26.9.2011 22:39
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@Lars zu “Was ist schon “Wahrheit”? – Im Grunde genommen auch nur ein Glaubenskonstrukt. Eine “wirkliche Wahrheit” kennen weder Du noch ich.”

Es ist unwichtig, ob wir sie kennen, aber eine Wahrheit existiert. Wir werden konstruktionsbedingt nur einen Bruchteil davon kennen können. Aber je mehr wir davon erkennen, desto besser können wir dieses Wissen für uns nutzbar machen. Wir können dank Naturwissenschaft heute recht gute Unwetterwarnungen haben und müssen nicht wie Jesus die Unwetterdämonen in den Winkeln der Welt mit göttlicher Kraft zum Aufgeben überreden.


Anna Freud
27.9.2011 18:31
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Der Diogenes von Sinope (fälschlicher Weise der “Mülltonnenphilosoph” genannt) hat Alexander dem Großen mal zur gleichen Frage was gesagt.

Diogenes nahm das Beispiel der Bienenkönigin, als der Alexander in voller Montur vor ihm stand. Von einem Sklaven unterscheide einen König, dass der Sklave nicht selbst über sein Leben verfügt, der König schon. Die Bienenkönigin hat deswegen als einzige Biene keinen Stachel, weil sie ihn nicht braucht. Sie ist die legitime Königin der Bienen und keine (und keiner) zweifelt das an. Sie braucht sich nicht wehren, sie hat immer gewonnen. So leben die Könige der Tierreiche – waffenlos gegen ihre eigenen Untertanen. Wer also eine Waffe gegen seine eigenen Untertanen tragen muss, kann nicht frei über sich selbst bewstimmen können (er muss alle seines gleichen fürchten, ebenso wie jeder Sklave) und wer nicht frei über sich selbst bestimmen kann, kann kein König sein, sondern muss ein Sklave sein.

Die Anekdote stammt aus der vorchristlichen Zeit, scheint mir aber nur weniges eingebüßt zu haben. Der Diogenes soll das dem Alexander übrigens direkt ins Gesicht gesagt haben: “Und du!? Du schläfst sogar mit einem Schwert unter dem Kopfkissen!”

Man könnte nun natürlich sagen, dass die Potentiellen Mörder des Papstes nicht dessen Untertanen sein. Das stimmt schon. Aber sie sind ja theoretisch die Untertanen dessen, den der Papst angeblich vertritt, also Vizekönig. Aber auch, wer seine Vertretung mit großen Mitteln beschützen lassen muss, will nicht so ganz als nicht sklavischer König wirken können…


Hadmut
27.9.2011 18:44
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Halte ich nicht für richtig. Denn Bienen benutzen den Stachel meines Wissens nicht untereinander, sondern gegen Feinde aus anderen Insektenarten.


Anna Freud
27.9.2011 19:41
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Darum geht es ja.

Die Bienen (so wie ziemlich die meisten anderen Tiere und Insekten) benutzen ihre Waffen gegen nicht speziesgleiche Lebewesen, nicht gegen Angehörige ihrer eigenen Spezies (wobei man das relativieren muss: die Königin bei den Bienen wird die, die den Kampf der bis zu 20 nahezu gleichzeitig schlüpfenden Bienen”prinzessinnen” gewinnt, bis alle anderen tot sind oder geflohen – dann verliert sie ihren Stachel und ist Königin). Würde sich bspw ein Ameisenstaat selbst bekriegen oder irgendwelche Vogelarten bis auf den Tod bekämpfen, würde wir Menschen vermuten, sie haben eine Krankheit. Die Tier- und Insektenspezies sind intern meisttens friedlich mit sich selbst und gehen nur sehr selten bis dahin (selbst in Rangkämpfen) dass der Kontrahent stirbt.

Der Mensch als Tier benutzt seine Waffen auch gegen sich selbst – bis zum eigenen Tod oder dem des Andere -, und zwar nicht nur um König zu werden, sondern auch, um es zu bleiben.
Waffenträger – so Diogenes – können aber keine freien Männer sein, weil sie von der potentiellen Gewalt der anderen mindestens mitregiert werden, d.h. sie werden von ihrer eigenen Angst mitregiert und regieren diese nicht etwa selber, d.h sie sind nicht im eigentlichen Sinne Herr ihrer selbst, nicht ihr eigener Souverän (sondern ihre Angst ist ihr Souverän). Dazu muss man vielleicht anfügen, dass das alt-griechische (und auch noch früh-römische) Idealbild eines Regenten so gelagert war, dass nur ein völlig sich selbst beherrschender Mann in der Lage ist 1. andere, sich nicht (völlig) selbstbeherrschende gut zu regieren, denn andernfalls fördert er ihre nichtselbstbeherrschten Attribute, was schlecht für alle ist und 2. diese anderen noch nicht sich selbstbeherrschenden zu einem höheren Maß an Selbstbeherrschung zu führen. Man könnte das so sagen, dass ein Blinder kein Flugzeug fliegen kann, aber vor allem kann er niemandem beibringen, wie man ein Flugzeug fliegt. Er ist aufgrund seiner eigenen Konstitution dazu nicht in der Lage und wäre deswegen in allen Bedeutungen ein schlechter Pilot.
Ein angsterfüllter, d.h. von der potentiellen (Über)Macht der Anderen regierter König ist daher ebenso ein schlechter Führer wie ein blinder Pilot ein schlechter Flieger, weil er sie regieren soll und nicht sie ihn. Das hieß natürlich auch damals nicht, dass nicht trotzdem “inkompetente” an die Macht kämen. Aber wie die Regenten im Gedächtnis bleiben (darum ging es den Altgriechen nicht wenig: wie wird man ewig im Diesseits?), dazu hatte man einiges sich erdacht. zb. kennt noch heute jeder Marc Aurel/Marcus Aurelius (ein Römer übrigens), der auch die “Selbstbetrachtungen” geschrieben hat (in denen man nachlesen könnte, was ich hier zusammenfasse, also zb. das nur ein guter Herrscher ist, wer sich zu erst selbst zu beherrschen gelernt hat und dazu zählt eben auch, sich von der Macht der Anderen nicht verängstigen zu lassen; “Ein Volk ist so gut oder schlecht, wie der Herrscher, in dem es sich spiegelt. Deswegen muss der Herrscher gut sein, will er ein gutes Volk.”)
Die Herrscher, denen das im großen Stil abging, nannte man dann auch konsequent “Tyrannis”: ein Herrscher ohne Legitimität und einer, der Macht mit Gewalt durchsetzen muss, weil anders nicht möglich. Er beherrscht die Anderen nicht durch seine Tugend, sein Vorbild und seine Selbstbeherrschung, sondern durch seine Gewalt.

Seneca (400 Jahre nach Diogenes, knapp 100 Jahre vor Marc Aurel) gab dazu in “Über den Zorn” (das er für Kaiser Nero verfasste als Anleitung zum guten Regieren) einmal das Beispiel eines noch nicht lange vergangnen Tyrannen, der einen Eunuchen seinen Muränen vorwarf, weil dieser einige Gläser hat Fallen lassen. Er kommentiert das so, dass der Tyrann in sich selbst so fest war wie zerbrechliches Glas, weil er bei dessen Zerbrechen völlig ausrastete und einen Menschen tötete (für runtergefallene Gläser, von denen er nichtzu wenig hatte in seinem Palast!). Das Problem eines Gewaltherrschers – also von einem, der Waffen benötigt, um weiter zu herrschen – ist es, dass er permanent sich um sein Leben sorgen muss (Resultat dieser extremsituation: ständige Nervosität, Gereiztheit, Hysterie, Überreatkion in unvorhergesehenen Situationen), weil er jederzeit umgebracht werden könnte. Und er könnte jederzeit umgebracht werden, weil er alle mit Gewalt bedroht um weiter zu herrschen und dagegen lehnen sich immer einige auf, u.a. auch andere Tyrannen.
Und genau das unterscheidet den wirklichen König vom sklavischen König: der erstere – wie die Bienenkönigin – braucht keine Waffen, weil keine Gewalt(herrschaft) nötig ist, da niemand aus der eigenen Spezies sie bedrohen würde (und gegen die Feinde anderer Spezies hat sie ihre “Jäger”), der zweitere braucht sehr viele Waffen, weil er ohne in kürzester Zeit tot wäre, sei es, weil andere Tyrannen seine Macht begehren, sei es, weil die Beherrschten den Zustand nicht mehr ertragen und nötigenfalls auch ihr Leben opfern, um ihn zu töten und die eigenen Leute von der Gewaltherrschaft zu erlösen.

Daraus ableiten müsste man, dass (zumindest königliche) Menschen ihre Waffen nicht gegen Menschen richten dürften bzw. nicht wollen sollten. Wollen sie es nämlich, so weil sie es müssen, und müssen sie es, regiert sie ihre Angst vor ihren Feinden und das heißt, sie regieren sich nicht vollständig selbst. Nicht vollständig selbst sich regieren zu können heißt aber, ein ganzes Volk nur leidlich gut regieren zu können und vor allem dessen Ängste, aus denen das Brutalste und Fatalste für ganze Völker hervvorgehen kann, überhaupt nur durch noch mehr Angst beherrschen zu können. Ein ängstlicher Herrscher kann die Angst der Menschen nicht beherrschen, weil er von der Macht der Folgen von deren Angst selbst beherrscht wird.

Ist nicht in unsere Zeit übertragbar als Prinzip von Herrschaft (man müsste dann das ganze Militär abschaffen und die Polizei usw. was durchaus fatale Folgen hätte), aber als Maßstab ist es keineswegs unbrauchbar.


Lars
27.9.2011 20:45
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@Hadmut:

“Es ist falsch zu unterstellen, daß der Glaube für den Gläubigen einen Nutzen hat. Jedenfalls nicht pauschal und im Allgemeinen.”

Ich würde vorschlagen, daß wir diese Entscheidung ganz einfach den Betroffenen, also den Gläubigen, überlassen.

“Ich halte den Glauben (insbesondere die drei biblischen) für alles andere als für den Gläubigen nützlich.”

Das steht Dir doch vollkommen frei. Es wird nur die Gläubigen nicht so richtig interessieren.


Hadmut
27.9.2011 21:39
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@Lars: Du würdest die Entscheidung, ob Alkohol nützlich oder schädlich ist, vermutlich auch dem Alkoholiker überlassen, oder?

Davon abgesehen hast Du nicht richtig gelesen, was ich geschrieben habe. Wenn ich sage, es ist falsch zu unterstellen, dann ist das zunächst kein Widerspruch zu Deiner Aussage, es den Gläubigen zu unterlassen.

Sicherlich hast Du Recht damit, daß es die Gläubigen nicht interessiert. Das tut es nicht. Aber in diesem Tunnelblick zeigt und äußert sich ja die schädliche Wirkung. Ignoranz und Abstumpfung gegenüber der Außenwelt.


Lars
27.9.2011 20:54
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@Christian: Irgendwie habe ich den Eindruck, daß Du gegen die Gottesgläubigkeit eine Art “Wissenschaftsgläubigkeit” setzt. Wennschon, dann ist das Eine so merkwürdig wie das Andere.

Der Grundirrtum ist anzunehmen, daß Glaube und (Natur-)Wissenschaft in einer Konkurrenz zueinander stehen und daß das Eine dem Anderen etwas “wegnimmt”. Das Gegenteil ist der Fall; beides kann sich perfekt ergänzen. Gerade die Naturwissenschaften zeigen dem Gläubigen die Schönheiten und Eigentümlichkeiten der Schöpfung. 😉


Hadmut
27.9.2011 21:43
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@Lars: Wer „Wissenschaftsgläubigkeit” als das Gegenstück von „Gottesgläubigkeit” hinstellt oder sogar noch behauptet, daß diese sich konfliktfrei ergänzen würden, hat überhaupt nicht verstanden, was Wissenschaft ist. Das ist eine reine Schutzbehauptung um die Religion vor Kritik zu schützen.

Gottesgläubigkeit steht in vollem Widerspruch und Konflikt mit Wissenschaft. Denn sie ist die Verleugnung von Wissenschaft, wissenschaftlichem Arbeiten, Erkenntnis und Verstand. Sie ist das Aufgeben der eigenen Denk- und Erkenntnisfähigkeit und mit Wissenschaft schlechthin unvereinbar. Zu behaupten, Glaube und Wissenschaft würden sich ergänzen und miteinander vertragen, ist ein Bestreiten, gar ein Beleidigen der Wissenschaft, eine Herabstufung zur Willkür.


rjb
28.9.2011 2:06
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@Hadmut
Du möchtest etwa, um ein bekanntes Beispiel zu nennen, Donald Knuth “Verleugnung von Wissenschaft, wissenschaftlichem Arbeiten, Erkenntnis und Verstand” unterstellen?
http://www-cs-faculty.stanford.edu/~uno/things.html


Hadmut
28.9.2011 10:18
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@rjb: Schleich Dich, eine solche Argumentation ist einfach gar zu blöd. Auf solche Totschlag-weil-geht-ja-gar-nicht Argumente bin ich allergisch.

Erstens halte ich von Knuth nicht so übermäßig viel (insbesondere nicht so viel wie manche andere). Die Bücher und TeX sind zwar Klassiker, aber so wirklich gut sind sie nicht. Und schon gar nicht machen sie ihn über jede Kritik erhaben. Zumal seine Leistungen auch eher Fleiß- und Ingenieur- als Wissenschafts- und Erkenntnisleistung waren.

Zweitens gibt es in der Wissenschaft (oder sollte es nicht geben) keine Heiligenvergötterung. Er ist nicht der heilige unfehlbare Knuth. Insbesondere ist er nicht mir gegenüber vorgesetzt oder übergeordnet, so daß ich ihm in allem kritiklos folgen und ihn preisen müßte. Der ist für mich keine Richtlinie. Und insbesondere nicht, wenn er Mist produziert. Und seit den Büchern und TeX kam ja von dem auch nichts erwähnenswertes mehr.

Drittens habe ich das noch nicht gelesen, aber wenn er da auf dem Gottestrip ist – ja, dann unterstelle ich ihm das.

Viertens: Wie ich schon gesagt habe, geht mir diese Denkweise und Brachialargumentation, daß man Religion und Wissenschaft nebeneinander dulden müsse, weil man sonst Knuth oder irgendeinen anderen Promi in Frage stellen würde. So ein Quatsch!


Viktor Dick
28.9.2011 11:04
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“Sie ist das Aufgeben der eigenen Denk- und Erkenntnisfähigkeit und mit Wissenschaft schlechthin unvereinbar.” – Um es von der anderen Seite her zu sagen: Wer nicht der Möglichkeit Raum gibt, dass er sich irrt, kann kein Wissenschaftler sein. In den Naturwissenschaften äußert sich das so, dass Theorien Vorhersagen machen und auch falsifizierbar sein müssen – Es muss stets die Möglichkeit bestehen, dass das Experiment mir widerspricht und dann ändere ich meine Meinung. Genau das ist aber bei Glauben nicht der Fall: Es gibt Dinge/Personen/Grundsätze, die “heilig”, also unantastbar und nicht hinterfragbar sind. Eine sehr schöne Anektode dazu findet sich unter http://lesswrong.com/lw/i5/bayesian_judo/
Übrigens könnte man vielleicht zwischen Wissenschaft und Rationalität unterscheiden. Die obigen Aussagen sind charakteristisch für Rationalität und diese ist ein wichtiger Bestandteil der Wissenschaft. Jedoch enthält Wissenschaft auch mehr, was vielleicht erklärt, dass es auch Gläubige unter Wissenschaftlern gibt.


Hadmut
28.9.2011 11:22
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@Viktor Dick: Stimmt ja so auch nicht, ist ja nun wieder so Religions-Rechtfertigungs-Geschwafel.

Ein Wissenschaftler gibt stets der Möglichkeit Raum und zieht in Betracht, daß er sich irrt.

Das heißt aber nicht, daß er einfach alles über den Haufen wirft und völlig bizarre, unlogische und frei aus der Luft gegriffene Thesen übernimmt. Der Wissenschaftler würde auch die Theorie der Existenz Gottes verfolgen, wenn es auch nur den geringsten Hinweis darauf gäbe. Gibt es aber nicht. Im Gegenteil ist die Theorie Gott (wie schon oft in diesem Blog angesprochen) völlig widersprüchlich, unlogisch und unplausibel.

Daß der Wissenschaftler in Betracht zieht, daß er sich irrt, kann ja nicht bedeuten, daß er bereitwillig jedem Blödsinn hinterherläuft, der noch falscher ist. Wissenschaft heißt ja nicht, Gott als Idee fundamentalistisch abzulehnen, sondern zu erkennen, warum es erstens kein einziges vernünftig nachvollziehbares Argument für Gott gibt, und es zweitens jede Menge Argumente gegen dieses Modell gibt. Aus Sicht des Wissenschaftlers ist Gott ja nicht als feindliches Modell per se falsch, sondern eine als falsch erkannte Hypothese.

Umgekehrt betrachten viele Gläubige Wissenschaft als Feindbild, als konkurrierende Glaubensrichtung.

Und genau das ist ja der Konfliktpunkt: Der Wissenschaftler hinterfragt alles, für ihn gibt es nichts Heiliges, Unantastbares, kann es nicht geben. Nicht einmal die These, daß es keinen Gott gibt. Selbst die muß hinterfragt werden (was aber nicht automatisch bedeutet, daß ein Hinterfragen zum Ändern der These führt, wie viele mit dem Wort „Hinterfragen” suggerieren. Es ist leider Mode geworden, mit etwas „Hinterfragen” zu unterstellen, daß es falsch ist). Das Ergebnis dieses Hinterfragens ist nach meinem Wissens- und Erkenntnisstand eindeutig, daß es keinen Gott geben kann. Und selbst wenn es ihn gäbe, wäre er nicht anbetungswürdig. Zumal selbst dann noch nicht geklärt wäre, ob wir nicht eher selbst die Götter wären, wenn wir Leben im Labor schaffen.

Genau dieser Punkt, daß einem Wissenschaftler nichts heilig sein darf, die Religion dagegen allein darauf basiert, daß sie etwas hinstellt, was nicht hinterfragt werden darf, weil von vornherein klar ist, daß es einem Hinterfragen niemals standhalten würde, ist der Grund warum es keine Koexistenz zwischen Wissenschaft und Religion geben kann. Der Aspekt des Heiligen, nicht hinterfragbaren, des ohne Beweis oder wenigstens Hinweis unterstellten, ist mit Wissenschaft schlechthin unvereinbar. Und wer behauptet, beides könne sich ergänzen, der weiß nicht, was Wissenschaft ist. Denn wenn man etwas nicht hinterfragbares duldet, ist es keine Wissenschaft mehr.


Alex
28.9.2011 13:39
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Auf jedenfall danke für den Hinweis auf diese Lecture von DE Knuth.

Es kann sein, dass diese interessant zu hören sind – da bekannt ist, dass Knuth herausragende Arbeit geleistet hat.

Tatsächlich ist dein totschlag argument völlig haltlos, zumindest in dem Link wird nicht erwähnt, wie Knuth Wissenschaft(lichkeit) und Religösität in Relation setzt.

Und Vorworte sind sowieso skeptisch zu sehen, besonders in Bezug zu Wissenschaft/ Religion – dazu sei auf das Beispiel von Kopernikus verwiesen, wo ein verrückter Kopernikus im Vorwort Dinge unterstellt, die nicht stimmen.


Lars
28.9.2011 15:59
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Tja, @Hadmut,

Deine Gleichsetzung von Glauben und Alkohol(sucht) belustigt mich zwar irgendwie aber …

“Du würdest die Entscheidung, ob Alkohol nützlich oder schädlich ist, vermutlich auch dem Alkoholiker überlassen, oder?”

… im Grunde haust Du den Nagel exakt auf den Kopf. Eine Therapie wird nicht funktionieren, solange der Alkoholiker nicht erkennt, daß Alkohol für ihn schädlich ist. Solange der Alkoholiker den Alkohol für nützlich hält – no way. Erst wenn der Alkoholiker das Problem und den Handlungsbedarf sieht, dann gibt es eine Chance. Insofern ist es tatsächlich der Alkoholiker, der die Entscheidung trifft, treffen muß.

“Wer „Wissenschaftsgläubigkeit” als das Gegenstück von „Gottesgläubigkeit” hinstellt oder sogar noch behauptet, daß diese sich konfliktfrei ergänzen würden, hat überhaupt nicht verstanden, was Wissenschaft ist.”

Exakt. Deswegen habe ich auch überhaupt nichts von “konfliktfrei” geschrieben. Natürlich gibt es Konflikte. Die Frage ist, wie man damit umgeht.

“Das ist eine reine Schutzbehauptung um die Religion vor Kritik zu schützen.”

Wenn es doch so einfach wäre… Schon der Gedanke, daß Glaube vor Kritik “geschützt” werden müsse ist, äh, seltsam. Es gibt konstruktive Kritik. Diese ist überdenkenswert, nützlich und wichtig. Dann gibt es noch destruktive Kritik. Über die lohnt sich das Nachdenken nicht. Egal wie herum: Schutzbehauptungen sind gar nicht notwendig.

“Gottesgläubigkeit steht in vollem Widerspruch und Konflikt mit Wissenschaft.”

Weder – noch. Beides spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab. Und die Ebene des Glaubens ist auf wissenschaftlichem Wege allein nicht faßbar.

“Denn sie ist die Verleugnung von Wissenschaft, wissenschaftlichem Arbeiten, Erkenntnis und Verstand. Sie ist das Aufgeben der eigenen Denk- und Erkenntnisfähigkeit und mit Wissenschaft schlechthin unvereinbar.”

Ah watt. Über Jahrhunderte hinweg waren es nur christlich oder muslimische Gelehrte, die überhaupt so etwas wie eine ernstzunehmende Wissenschaft betrieben haben. Und auch heute noch gibt es jede Menge Wissenschaftler mit religiösem Hintergrund.


Viktor
28.9.2011 22:04
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Da scheint mein Kommentar falsch rübergekommen zu sein – ich wollte keineswegs Religion rechtfertigen. Für mich ist der große Schwachpunkt der Religion/des Glaubens gerade der, dass ich nie die Möglichkeit offenlasse, dass ich mich irren könnte. Natürlich werfe ich auch als Rationalist nicht beim kleinsten Hinweis alles über den Haufen. Aber wenn die Beweislast immer größer wird, ändere ich irgendwann meine Meinung. Genau das tut ein Gläubiger nicht, er erklärt alles irgendwie weg um niemals seinen Standpunkt ändern zu müssen. Natürlich wäre es prinzipiell möglich, dass jemand mit dieser Strategie von vornherein zufällig auf dem richtigen Standpunkt steht und dort auch bleibt. Objektiv betrachtet ist es jedoch viel wahrscheinlicher, dass dies nicht der Fall ist und man näher an die Wahrheit kommt, wenn man sich der Falsifizierbarkeit öffnet.
Die Anmerkung, dass es auch Gläubige unter Wissenschaftler gibt, meinte ich so, dass es halt auch möglich ist, Wissenschaft zu betreiben, ohne sein gesamtes Weltbild kritisch zu hinterfragen. Es scheint tatsächlich Leute zu geben, die in einem bestimmten Bereich “wissenschaftlich arbeiten” können und dennoch an Gott glauben – ihnen scheint der Widerspruch nicht aufzufallen.

Ich persönlich war früher sehr gläubig – ich habe sogar angenommen, die Erde sei ca. 6000 Jahre alt. Dann fing ich an, Physik zu studieren und habe gemerkt, dass ich vor mir selbst nicht ehrlich sein kann, wenn ich jeden Hinweis, dass mein Weltbild falsch ist, direkt wegerkläre ohne je diese Möglichkeit einzuräumen. Als ich erst einmal anfing, meinen Glauben kritisch zu hinterfragen, blieb davon nichts übrig.

Natürlich wäre ich gerne bereit, einzelne Aspekte davon neu zu überdenken, wenn sich ernsthafte Evidenz dafür zeigen würde, aber das war bisher nicht der Fall und ich schätze die Wahrscheinlichkeit dafür auch sehr gering ein.


rjb
29.9.2011 23:23
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Ich habe das Beispiel Donald Knuth nicht deshalb gebracht, weil ich den für besonders verehrungswürdig halte oder hielte, sondern weil hier ein einerseits ja wohl schon wissenschaftlich zu nennendes Werk, ohne expliziten Religionsbezug, vorliegt, und andererseits ein öffentlich dokumentierter “Gottestrip”; und um eine andere Person mit derartigem Hintergrund zu finden, müßte ich mindestens eine Weile nachgrübeln (Gödels Gottesbeweis, die Kiste mit esoterischen Aufzeichnungen in Newtons Nachlaß, naja). Da kann man also mal fragen, was in dieser Konstellation die These “Gottesgläubigkeit … ist die Verleugnung von Wissenschaft, wissenschaftlichem Arbeiten, Erkenntnis und Verstand” heißen soll. Werden die TAOCP-Bände bei unveränderter Textgestalt dadurch schlechter, daß ihr Autor seine Gottesgläubigkeit bekanntgibt? Oder hätte Knuth sie anders, und besser, schreiben können, wenn er nicht gottesgläubig wäre? Oder bezieht sich die These nur auf Arbeiten, in denen religiöse und wissenschaftliche Aspekte vermischt auftreten? Oder noch etwas anderes? As it stands ist diese These genauso diffus wie der nächstbeste religiöse Schmonzes, nur anders gepolt. Abgesehen von der sogar für einen Gottesgläubigen problemlos akzeptierbaren Banalität, daß ein Verweis auf göttlichen Willen oder Wirken keine wissenschaftliche Erklärung darstellt, ist sie zunächst einmal nichts weiter als Ausdruck der Ablehnung von Religion. Und das beeindruckt mich, obwohl ich selber religions- und glaubensmäßig unbegabt bin, eher wenig.


Johannes P.
1.10.2011 13:04
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@Christian: “Allerdings missachtet Benedikt hier direkt das Beispiel seines Religionsstifters: In Mt 26,52 fordert Jesus eindeutig in einer vergleichbaren Situation – eigentlich während einer noch konkreteren Bedrohung – den Verzicht auf Waffeneinsatz.”

Persönlich wäre das dem Papst wahrscheinlich auch lieber, gar nicht erst in solche Situationen zu kommen. Aber das ganze ist nicht seine Entscheidung, das Sicherheitskonzept wird woanders organisiert.

Die Schriftstelle finde ich übrigens nicht einschlägig, schon weil es dort die gesetzmäßige Autorität ist, die den Konflikt sucht. Sich nicht gegen ballernde Verrückte zu schützen liegt eher auf einer Ebene wie bei Rot mit geschlossenen Augen über die Straße zu gehen, weil man lieber auf Gottes Schutz vertraut.

Einschlägig ist eher Mt 4,5ff. Satan fordert Jesus auf, sich vom hohen Tempel hinabzustürzen, Gott werde schon Engel schicken, um ihn aufzufangen. Jesus antwortet: Du sollst Gott nicht versuchen.