Ansichten eines Informatikers

Kulturell bedingte Fundamentaleigenschaften der Ästhetik?

Hadmut
20.7.2011 11:47

Mich plagt was. Und ich komm nicht so wirklich drauf, was es ist.

Mir geht seit Jahren etwas durch den Kopf. Warum ich erkenne, aus welchem Kulturkreis etwas stammt. Bespielsweise der DDR-Chic.

Auch schon vorher, aber besonders als ich mal ein paar Jahre in Dresden gewohnt hab, bin ich ja mit Design aus der ehemaligen DDR konfrontiert gewesen, ob nun im täglichen Leben oder im Museum, ob auf Fotos oder mit echten Gegenständen. Gebäude und Fassaden. Autos. Frisuren. Haushaltsgeräte. Besteck. Es sieht einfach anders aus. Fast alles. Wenn man irgendwo ein altes Foto von irgendwem aus den siebziger Jahren sieht, kann man fast sofort sagen, ob das im Osten oder im Westen gemacht wurde.

Zugegeben, als schön würde ich es nicht bezeichnen. Eher im Gegenteil. Viele der Fassaden, der Gegenstände, was so diesen DDR-Look ausstrahlt, wirkt auf mich unwillkürlich irgendwie so wie gewollt und nicht gekonnt, als ob da irgendwas einfach nicht stimmt. Was sich aber nicht wirklich greifen läßt, denn objektiv war das Zeug aus dem Westen, was so zwischen den 50er und 80er Jahren produziert war, auch nicht schöner – von Ausnahmen abgesehen, weil in der Marktwirtschaft das Design eben doch ein Wettbewerbsfaktor war, aber wenn ich so daran denke oder alte Bilder sehe, wie es bei uns in den Siebziger Jahren aussah, welche Farbkombinationen wir an die Wände tapezierten, so orangefarbene Wellen und so’n Krampf, wie unglaublich hässlich mein damaliges Kinderzimmer mir in meiner heutigen Sicht erscheint (weiß mit orangefarbenen Fronten mit wiederum weißen gerundeten Knollengriffen – unbeschreiblich schrecklich), wie wir damals rumlaufen mußten (ich wollte immer kurze Haare haben und durfte als Kind nicht, weil Jungens eben so diese Siebziger-Jahre-Lange-Locken-Frisur tragen mußten und kurz irgendwie als krank aufgefasst wurde), oder dazu diese Kragenspitzen die bis an die Arme reichten. Ich hab gerade kürzlich ein paar Kinder- und Jugendfotos von mir selbst gesehen – schauder, schüttel!

Also schöner war das West-Zeugs eigentlich auch nicht. Nur weniger einheitlich. Und doch mit ein paar Design-Perlen, die heute als Klassiker durchgehen, aber in der Masse war es auch schrecklich.

Trotzdem kommt mir das West-Zeugs vertraut-normal und das Ost-Zeugs fremd-komisch vor. Auf den ersten Blick. Die Ossis sagten mir, ihnen geht’s genauso, nur andersherum.

Und seitdem grübel ich darüber, was es ist, woran man Ost- und West-Design so auf Anhieb unterscheiden kann, und warum einem das, worin man aufgewachsen ist, als vertraut und das andere als komisch oder gar misslungen erscheint. Da muß irgendein fundamentaler Unterschied herrschen, irgendwas ganz Grundlegendes, was in dem Ding irgendwie steckt und für das Ästhetikempfinden unbewußt aber äußerst wirksam maßgeblich ist. Und ich komm nicht so wirklich drauf.

Ein erster Gedanke war die Farbgebung. Man hatte sich so typische Farbpaletten angewöhnt. 70er-Jahre-Orange war so ein Ding. Ihr glaubt nicht, was ich alles in diesem orange bis orangerot so hatte. Ganze Kantinen gab es in dieser Farbe, die war omnipräsent. Könnt Ihr Euch noch dran erinnern, als es diese alten Einheits-Wählscheibentelefone plötzlich statt in grau in orange gab? Die Farbe meine ich. Und so weiter. Farben sind sicherlich relevant, aber nicht das, wonach ich suche, denn der Wiedererkennungseffekt funktioniert auch auf Schwarz-Weiß-Fotos.

Inzwischen habe ich den Verdacht, daß es die Proportionen und Längenverhältnisse sind.

Wer etwas ernsthafter fotografiert, weiß um die Wichtigkeit des Bildaufbaus, goldener Schnitt und so. Mache ich mehrere Fotos desselben Objekts, die sich allein darin unterscheiden, wo der Gegenstand im Bild ist, wirken die ganz unterschiedlich.

Wir haben uns beispielsweise bei Papierformaten an die DIN-Reihe mit einem Seitenverhältnis wie Wurzel aus zwei gewöhnt, und amerikanische Papierformate kommen uns (jedenfalls mir) immer etwas daneben vor. Den Amis geht’s natürlich umgekehrt.

Spätestens seit Leonardo da Vincis vitruvianischem Mensch wissen wir, daß auch der Mensch nach bestimmten Längenverhältnissen bemessen und bewertet wird. Es kommt nicht von ungefähr, daß in unserer Kultur Frauenmode viel mit hohen Beinausschnitten und hohen Absätzen zu tun hat, und man versucht, gewisse Längenverhältnisse zu erreichen. Die sind aber kulturell unterschiedlich. In Afrika, Asien oder Australien versuchen die jeweiligen Einwohner (bevor der westliche Kultureinfluß kam) auch, sich schön zu machen, aber mit anderen Zielwerten. Auch Kunstgegenstände haben dort andere Seitenverhältnisse als bei uns. Und die Wissenschaft hat auch schon herausgefunden, daß wir Schönheit von Gesichtern danach bemessen, ob die Formen sich in bestimmten Längenverhältnissen zueinander befinden, ob das alles die richtigen Proportionen hat.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters – oder eher dessen Hirn. Schönheit hat immer auch damit zu tun, wie die Längen- und Seitenverhältnisse gestaltet sind, ob sie auf die im Unterbewußten verwurzelten, antrainierten (oder genetisch vererbten?) Verhältnisse passen. Deshalb kann ein Foto toll und ein fast gleiches misslungen aussehen, obwohl sie sich nur leicht in der Lage der Objekte unterscheiden. Weil das eine paßt und das andere nicht.

Kann das sein, daß der wesentliche Unterschied zwischen dem BRD- und dem DDR-Look, der einen fast immer sofort erkennen läßt, woher etwas stammt, ob es einem irgendwie vertraut oder irgendwie komisch vorkommt, ganz einfach damit zu tun haben, daß man sich kulturästhetisch an verschiedene Längenverhältnisse gewöhnt hat?

Aufgefallen ist mir das nämlich auch an meinem Handy, einem Motorola Milestone. Das Ding sieht so brutal nach US-Barock aus, wenn ich das Ding angucke, sehe ich förmlich amerikanische Gebäude und amerikanische Autos in amerikanischem Design, vor allem der 80er-Jahre, vor dem geistigen Auge. Aber warum? Das Ding ist doch auch nur einheitlich schwarz und sonst nichts. Weil an dem Ding die Längenverhältnisse einfach disharmonisch an meinem Empfinden vorbeigehen, mich aber sofort US-Design assoziieren lassen. Amerikaner neigen stark zu Längenverhältnissen in Zoll und in Zweierpotenzbrüchen (sie lieben beispielsweise 3/8-Zoll und sowas), während wir hier Längenverhältnisse eher im Dezimalsystem oder in geometrischen Verhältnissen wie Wurzel aus 2 oder goldener Schnitt darstellen.

Ist es also das, woran ich auch DDR-Design erkenne? Sind es die Seitenverhältnisse?

Würde es am Ende bedeuten, daß ich mir bei der Gestaltung eines Fotos auch geometrisch überlegen muß, ob ich es hinterher in Deutschland, Amerika oder Rußland zeigen will?

27 Kommentare (RSS-Feed)

anonym
20.7.2011 12:41
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“Ihr glaubt nicht, was ich alles in diesem orange bis orangerot so hatte”

Meine Eltern hatten die Küche (also die Dekorfolie der Schränke) in einem orange-orangerotem Muster … Die Badezimmerfliesen waren IIRC auch etwas in der Art …


Hadmut
20.7.2011 12:45
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Dafür hatte ich die hässlichste Schreibtischlampe, die die Siebziger hervorgebracht haben. Ein langer verchromter Stab und obendran ein Lampenschirm in extremer 70er-Jahre-Pseudo-Raumschiff-Look in diesem Orange.

Eigentlich wollte ich damals so eine ganz gewöhnliche Schreibtischlampe mit diesen Doppelstäben, Federn an den Seiten und Gelenk in der Mitte haben, wie es sie auch heute noch gibt (so wie bei Luxo Junior). Hab ich nicht bekommen. Weil man sich daran die Finger einklemmen könnte.


anonym
20.7.2011 12:43
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“Kulturell bedingte Fundamentaleigenschaften der Ästhetik” – ich dachte ja erst, du hättest mal wieder eine geisteswissenschaftliche Diss ausgegrabem …


Hadmut
20.7.2011 12:47
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@anonym: Nöh, schwafeln kann ich auch selbst.


Knut Grunwald
20.7.2011 12:44
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Das ist mir letztens bei was anderem aufgefallen.

Einige der fußballspielenden Japanerinnen haben sehr flache Gesichter. Das scheint da ein Volksschlag zu sein, der auch in China und der Mongolei vorkommt.

Aber die Japanischen Mangas stellen hauptsächlich Rundgesichter mit großen Augen dar, also eine Kopfform, mit der auch wir was anfangen können, obwohl der außerjapanische Markt für Mangas sicherlich zu klein ist, um darauf Rücksicht zu nehmen.

Da fragt man sich, ob die flache Gesichtsform bei den Japanern ankommt, oder ob es da eine Grenze zwischen dem südlichen und nördlichen Teil gibt.


Hadmut
20.7.2011 12:47
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Europäer werden bei den Chinesen übrigens »Langnasen« genannt, das symmetrische Äquivalent zum »Schlitzauge« .


Anmibe
20.7.2011 12:47
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>Würde es am Ende bedeuten, daß ich mir bei der Gestaltung eines Fotos auch geometrisch überlegen muß, ob ich es hinterher in Deutschland, Amerika oder Rußland zeigen will?

Hier greifst Du im Grunde ein Problem der Werbefotografie auf. Typischer Fall ist die Autowerbung neueren Datums. Der Hintergrund ist oft kulturneutral gehalten, oft bis hin zu den Nummerschildern. Der Sinn ist klar, aus Kostengründen soll der Spot einmal gedreht werden in vielen kulturellen Kreisen gezeigt werden können.

Die Geometrie eines Fotos dient letzten Endes dazu die Aufmerksamkeit des Betrachters zu lenken. Die Art wie das Gehirn der Gattung H. sapiens, oder besser Pan sapiens, Information aufnimmt und den Aufmerksamkeitsfokus setzt, ist aber kulturell unabhängig. Wir alle sind neuronal immer noch Steppenbewohner.

Träfe Deine These zu, müßte es theoretisch möglich sein, allein durch Änderung der Fotogeometrie einem Bild mit z.B. West-Objekten ein DDR-Touch zu verpassen.


Hadmut
20.7.2011 12:52
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@Anmibe:

Ja.

Allerdings nicht das Bild, sondern den Gegenstand.

Stell Dir mal so ein 70er Jahre West-Telefon in Grau mit Wählscheibe vor. Das hatte insgesamt eine ziemlich knubbelige, für mein Gefühl ausgeglichene Form.

Und nun morphe das mal so, daß es insgesamt flacher wird, etwas in die Breite, die Scheibe weniger steil und größer oder kleiner im Verhältnis zum Gerät. Mach die untere rundumlaufende Gehäuse-Kante flacher und härter, zieh sie nach außen. Die ganzen Proportionen müssen verzogen werden. Und schon sieht das Ding aus, als käme es aus dem VEB.


Jens der andere
20.7.2011 13:11
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Zu asiatisch flachen Gesichtern:
Es wurde einmal ein asiatisches Bond-Girl für Tomorrow Never Dies gesucht. Asien als großer Markt und so.

Das Problem war, so wurde berichtet, daß die nach westlichem Schönheitsideal gefundenen Kandidatinnen mit (im Vergleich) ausgeprägteren Backenknochen in Asien als “bäuerlich” geseehen wurden, wo stattdessen flachere Gesichter bevorzugt wurden.

Auch die in Afrika auftretende Steatopygie (Googlet das, der umgangssprachliche Begriff dafür gilt wohl inzwischen als rassistisch) ist angeblich ein Resultat genetischer Selektion aufgrund eines regionalen Schönheitsideals.

Aber zum Thema: Das scheint beliebt!

Hier hat es leider den Link zerblasen: http://blog.designaffairs.com/?p=111


georgi
20.7.2011 13:26
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Bis zur Wende waren die Zonis Deiner Meinung. Dasselbe Teil aus dem Westen war immer besser als das aus dem Osten. Früher empörten sich die Zonis über Besteck aus Aluminium, Wasserhähne aus Plaste; und die Autos erst! Erst nach der Wende entdeckten die Zonis, daß früher nicht alles schlecht war. Gute Literaturverfilmungen von der DEFA, Brot & Brötchen und einige andere Lebensmittel, Glühlampen von NARVA (die leben länger)…


Hadmut
20.7.2011 13:33
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@georgi: Über die Qualität habe ich nichts gesagt.

Und in der Firma in Dresden, in der ich war, und die erst nach der Wende gegründet wurde in einem modernen Bürogebäude residierte, war die Besteckschublade in der Firmenküche komplett mit DDR-Alu-Besteck gefüllt. So hoch kann die Abneigung gegen das Besteck also nicht gewesen sein. (Ich erlaube mir übrigens die Anmerkung, daß ich mir als Student „im Westen” ein Besteck aus – angeblichem – Edelstahl gekauft hatte, das ich bald wegwerfen mußte, weil es da gerostet ist, wo die Schneidrillen in die Messer gefräst worden waren.)

Was Du beschreibst hat wohl auch nichts mit Design zu tun, sondern eher damit, daß man im Osten den Westen auch zu sehr verklärt hat und einem immer das, was knapp ist, als besser erscheint.


Lars
20.7.2011 15:36
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Das “DDR-Design” war mehreren Aspekten geschuldet: Zum einen der stetigen Ressourcen-Knappheit. Die führte zwangsläufig dazu, daß manche Dinge wie gewollt und nicht gekonnt bzw. schlicht unfertig aussahen. Städtebau, Architektur.

Zum anderen wurden viele Produkte zentral hier http://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Giebichenstein#Restaurierungen.2C_heutige_Nutzung designet.

Ich habe noch Tische und Stühle aus dieser Ecke; stammen aus einer in der DDR weit verbreiteten Serie, die in verschiedensten Ausführungen hergestellt wurde. Die werden zwar von Besuchern immer wieder merkwürdig angeguckt aber ich gebe die nicht her. 😉 Die Funktionalität – Sitzgeometrie usw. – ist nämlich unübertroffen.

“Im Westen” war Design Teil der Verkaufsstrategie, in der DDR nicht. Da wurde mehr Wert auf Funktionalität gelegt. Daß das auch nicht immer so geglückt ist stimmt – ändert aber nichts.


Hadmut
20.7.2011 15:40
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Naja, aber gerade dann, wenn das alles aus einer zentralen Designwerkstatt kam, spricht das ja dafür, daß sich in irgendetwas gemeinsamem deren Stil manifestiert. Und das könnte eine Vorliebe für bestimmte Längenverhältnisse und Proportionen sein.


Der Effekt ist ein Gewöhnungseffekt. Welche Eigenschaften das auslösen ist schwierig herauszubekommen, denn das Gehirn legt nur kleine Ausschnitte der Objekte als Hash ab.

Carsten

Richling Kretschmann
http://www.youtube.com/watch?v=cIRIVnusFFo


anonym
20.7.2011 16:02
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“Eigentlich wollte ich damals so eine ganz gewöhnliche Schreibtischlampe mit diesen Doppelstäben, Federn an den Seiten und Gelenk in der Mitte haben”

“Architektenlampe” heißen die afaik.


Hadmut
20.7.2011 16:03
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Architektenlampe? Noch nie gehört, den Begriff. Danke!


Frank
20.7.2011 16:14
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Man nehme die Quellen von MS-DOS 3.x, ersetze “Microsoft” durch “Robotron”, “Redmond” durch “Dresden” und nenne das Ergebnis “DCP” und schon hat man ein originales DDR-Produkt.

Natürlich sind es (unter Anderem) die Seitenverhältnisse, an dem man bestimmte Produkte erkennt. Produkte müssen sich teilweise ja bereits aus markenrechtlichen, oder wie hier am Beispiel von DOS gezeigt, gelegentlich auch mal aus ideologischen Gründen von anderen Produkten abheben. Das kann man auf nahezu jeder Messe beobachten: Irgendein chinesischer Stand wird immer leergeräumt, weil bestimmte gestalterische Merkmale einem anderen Produkt zu ähnlich sind.

Außerdem kommt hinzu, dass die “Designer” (auch wenn ich das nicht für einen Beruf halte) irgendwie alle miteinander zu tun haben, und sich dadurch regional eine Art “Tradition” etabliert. Das erkennt man natürlich – insbesondere, wenn der eiserne Vorhang dazwischen war, der den Austausch erschwert hat.


Stefan H.
20.7.2011 16:36
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@Anmibe: die “kulturneutrale Autowerbung”…

Das ist mir auch schon aufgefallen; also dass in letzter Zeit gewisse Spots sehr kulturneutral inszeniert sind und dann auf das lokale Nummernschild returschiert in verschiedenen Ländern gebracht werden.

Das hinterläßt ab und zu aber bei mir so einen “uncanny valley”-Effekt, bei dem ich nicht ganz genau sagen kann, warum es mir unterbewusst Unbehagen macht.

Prominentes Beispiel (für den Effekt, aber eigentlich ist er wohl für den amerikanischen Markt gemacht und dann recycled) ist der VW-Darth-Vader-Spot, der ja in der deutschen Fassung einen (reinretuschierten?) schwarzen deutschen Passat hat. Das passt nicht zusammen, weil die Gegend halt ganz klar american suburbia ist, und eigentlich dafür dann die Eltern auch noch für amerikanische Verhältnisse problematisch (i.e. non-diversity) gecastet waren. Das Setting des Hauses aber so neutral wie es ging inszeniert worden: man sieht keine Steckdosen, die Waschmaschine ist von der Form her europa-kompatibel (wenn auch klar zu groß).


FF
20.7.2011 18:57
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Geht mir umgekehrt genauso. Letztes Wochenende etwa war in Nürnberg eine Art Oldtimerrallye. Über all die parkenden Borgwards, Volkswagen, Mercedes, Fiats, Buicks etc. glitt mein Auge mit interesselosem Wohlgefallen gleichgültig hinweg, um sich schließlich an einem wunderbar restaurierten Wartburg 312 festzusaugen. Warum wohl? Der gehörte zu meinen frühesten Kindheitseindrücken, selbst der Geruch im Innenraum setzte Erinnerungen frei. Übrigens ein wirklich schön designtes Fahrzeug. In dem sehr seltenen Sportcoupé wäre auch James Bond denkbar gewesen…


Anmibe
20.7.2011 23:31
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@Hadmut (20.7.2011 12:52)

>Allerdings nicht das Bild, sondern den Gegenstand.

Was Du bzgl. des Morphings ist klar; Ich hatte Deine Aussage
>[…] bei der Gestaltung eines Fotos auch geometrisch […]
so interpretiert, als ob Du von der Geometrie des Fotos redest. Das Problem ist halt, daß man beim Fotografieren keinen Einfluß mehr auf die Proportionen des Objektes hat, man kann halt nur noch einen Blickwinkel suchen, der best. Aspekte hervorhebt/verschleiert.

@Stefan H. (20.7.2011 16:36)

>Das hinterläßt ab und zu aber bei mir so einen “uncanny valley”-Effekt, bei dem ich nicht ganz genau sagen kann, warum es mir unterbewusst Unbehagen macht.

Vielleicht durch ein nicht auflösbares Paradoxon?
Einsersits wird (meist) versucht bei uns Freiheit, Individualität, Männlichkeit etc. zu vermitteln. Andererseits vermittelt aber die Neutralität eher Masse (i.S.v. Menge), Konformität und Leere. Diese nichtssagende Leere könnte mit der Grund für das Unbehagen sein. Die eigentliche Frage bleibt immer unbeantwortet: Warum soll ich mich jetzt für genau dieses Auto interessieren? Keine Ahnung!


Hadmut
20.7.2011 23:34
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@Anmibe: Ja, ich meinte oben auch die Geometrie des Fotos und den Bildaufbau.

Ich werd aber nicht ein West-Telefon wie ein Ost-Telefon aussehen lassen, indem ich es an eine andere Stelle im Bild packe.

Ich meinte damit eher, daß beispielsweise ein Portrait oder ein Landschaftsfoto unterschiedlich ausgelegt werden müssen bzw. von zwei ähnlichen Fotos die einen das eine und die anderen das andere besser finden würden.


Anmibe
20.7.2011 23:56
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@Hadmut (20.7.2011 23:34)

>Ich meinte damit eher, daß beispielsweise ein Portrait oder ein Landschaftsfoto unterschiedlich ausgelegt werden müssen bzw. von zwei ähnlichen Fotos die einen das eine und die anderen das andere besser finden würden.

100% ausschließen kann es wohl nicht, aber wie gesagt die Bildgeometrie hat m.M.n. mehr mit der Wahrnehmung an und für sich zu tun und wenn doch ein Effekt vorhanden sein sollte, wird er durch die kulturell-educative Aufladung der Bildobjekte haushoch überlagert. Ansonsten bleibt halt nur die Wissenschaft: Das Wechselspiel von Hypothese Experiment und Theoriebildung.


Buratino
21.7.2011 15:50
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Ein interesantes Thema!

Ich möchte hier mal eine Rockgruppe aus dem Osten,
nämlich die Puhdys zitieren:


Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt,
sagt die Welt das er zu früh geht.
Wenn ein Mensch lange Zeit lebt,
sagt die Welt es ist Zeit daß er geht.

Jegliches hat seine Zeit,
Steine sammeln – Steine zerstreun.

Bäume pflanzen – Bäume abhaun,
leben und sterben und Streit.

Früher hat ein Telefonapparat,
sei es die 611 / 791 er Serie im Westen
sei es die Variant oder die Alpha – Serie
im Osten 5-10 Jahre gehalten.
Heute ist ein TelApp, sei es im Festnetz
oder Mobil nach 2 Jahren verschlissen.
Die rasante Entwicklung hat viele Vorteile,
wie geile Designs und rasante technische Entwicklung
aber auch Nachteile, wie Verschwendung und Kontrolle.
Nutzen wir die Vorteile und vermeiden die Nachteile,
denn wir haben nur eine Erde.

Um noch einmal die Puhdys zu bemühen:


Meine Freundin ist schön, als ich aufstand ist sie gegangen.
Weckt sie nicht, bis sie sich regt, ich hab’ mich in ihren
Schatten gelegt. 😉

Respekt!
B.


Hadmut
21.7.2011 15:57
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Stimmt so auch nicht. Das Telefon auf meinem Schreibtisch ist ein Ascom Eurit 30 (ISDN), und das dürfte inzwischen auch schon über 10 Jahre auf dem Buckel haben.


Anna Freud
21.7.2011 17:47
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was ich an der DDR viel krasser finde, ist der DDR-Geruch. Den gibts selbst jetzt noch in manchen Bauten (zb Hohenschöhnhausen…der ganze Knast, abgesehen vom “U-Boot”, riecht nach DDR).

Bei der Frage nach Ost-Ästhetik vs. West-Ästhetik ist es geschichtlich sicher sehr spannend, sich dabei über das Verhätlnis Ost-West selbst Gedanken zu machen. Also Westmächte vs. Ostmächte.

Könnte mir vorstellen, dass man da auch (bewusst oder unbewusst) Grabenkämpfe der Ideologien mittels Architektur oder Alltagsästhetik im weiteren Sinne gemacht hat. “Wer hat die schönere Länge?” mißt sich daran, was für das Denksystem (Sowjets, Westmächte) jeweils überhaupt schöner ist.
Mal angenommen, die Sowjets hätten gesiegt, dann würde man jetzt vielleicht diese Westästhetik schlimmer finden. Das Phänomen würde ich jedenfalls eher als ästhetische Konditionierung bezeichnen.

Wäre in der Tat interessant mal eine Studie darüber zu finden, wie sich Ost/Sowjet-Ästhetik entwickelt hat (aus welchen Elememnte, welche Schulen usw.) und wie im Vergleich die Westmächte-Ästhetik sich entwickelte, wobei es da auch noch nationale Vermischungen gibt. Interessant wäre das von einem Zeitpunkt so um die 1920iger, weil da ja noch kein innerdeutscher Unterschied (in dem Maße wie nach dem Mauerfall) bestand. Vielleicht ist Deutschland da einfach so etwas wie ein (misslungener oder gelungener) Bastard aus beiden Ästhetiken und die ästhetische Dissonanz, die man vor allem in Deutschland bzgl. der merkwürdigen Formen und Maßstäbe aus dieser Zeit finden kann, liegen weniger an einem gesonderten ästhetischen Merkmal, sondern an der (kruden. wenig koordinierten) Vermischung beider Ästhetiken.


Hadmut
21.7.2011 18:04
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Das könnte an den Putzmitteln liegen…


Stefan W.
23.7.2011 5:35
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Ich wollte ‘Asbesth’ sagen. 🙂

Kann es am Fotomaterial liegen? In Filmen der 70er hat auch die Natur andere Farben, als in Filmen der 60er oder 80er, weil eine andere Technik verwendet wurde (Technicolor?).

Oder daran, dass man auch für Nebensächlichkeiten ein ziemlich gutes Gedächtnis hat. Mir ist aufgefallen, dass ich teilweise in einem Film im Fernsehen, wenn ich zufällig reinschalte, nach einer Sekunde sagen kann, dass ich den Film schonmal gesehen habe, weil ich eine einzelne Kameraeinstellung ohne viel Inhalt wiedererkenne – nicht unbedingt, dass ich sagen könnte woher, aber dass ich es schonmal gesehen habe.

Und was man wiedererkennt ist dann für den Westler Westzeuch, v.a., und das Gefühl ist ‘Freude, etwas wiedererkennen’, nicht ‘schön finden’. Dass das Vertraute schön erscheint ist ja auch eine Binse.