Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?
Same procedure as last year, Miss Sophie?
Same procedure as every year, James.
Oh, nooo.
Ein Leser moppert an:
In letzter Zeit bist Du eigentlich nur noch am Kübel auskippen über alles mögliche.
Konstruktiv ist da nix. Nach mir die Sintflut.
Wenn Du Dir in der Rolle, gefällst, von mir aus. Kann ich mir aber nicht so oft reinziehen.
Interessanter sind die Sachthemen.
Ich hatte mir eigentlich große Mühe gegeben, in Japan mal die ganze Zeit, fast einen Monat, nur Reiseberichte und Positives zu schreiben und den ganzen Politmist wegzulassen. (Und erst einen kleinen Teil und nicht mal die Hälfte der Videos gezeigt, der Rest kommt voraussichtlich zu Weihnachten, falls es dann kein wichtigeres Thema gibt.) Da haben sich dann die Leute nach Ende der Reise so nachträglich beschwert „Endlich bist Du wieder da schreibst wieder kritisch. Reiseblog ist schön, aber auf Dauer hält man das Freudenzeugs auch nicht aus.“
Wie man es macht, ist es verkehrt, allen kann man es nicht recht machen.
Gerade dieser Vorwurf, ich wäre zu negativ, kommt alle Jahre mal wieder hoch, und eigentlich schreibe ich dann immer dasselbe – wie beispielsweise schon 2018: Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner? Oder 2022: Die Zeit liegt im Sterben. Oder 2024: Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?
Zwischendurch warnten mich Leute, dass man Erich Kästner (noch) nicht zitieren dürfe, weil der 1974 gestorben sei, die Urheberrechte also noch nicht abgelaufen seien, und seine Erben klagewütig seien und jeden verklagten, der seine Werke wiedergebe, ohne jede Rücksicht auf das gesetzliche Zitatrecht. Käster würde sich im Grabe herumdrehen. Mir schrieb aber auch mal jemand, dass die das nach langen Jahren des Streites wieder aufgegeben hätten, weil sie merkten, dass sie damit dem Ansehen und der Bekanntheit Kästners mehr schadeten als es ihnen nutzte, und das Tödlichste für einen Schriftsteller nicht sein Tod ist, sondern in Vergessenheit zu geraten, nicht mehr zitiert zu werden. Schriftsteller wollen zitiert werden. Und wen ihn keiner mehr kennt, und dann auch keiner mehr kauft, dann bleiben auch bei den Erben die Kassen leer. Schlimm, wenn man Erben hat, die dafür sorgen, dass man nicht mehr erwähnt wird.
Egal.
Erich Kästner hat mit seinem Gedicht nicht nur meine Lage, meine Sicht, meine Stimmung perfekt beschrieben – er war offenbar in genau derselben Situation, die auch die KI beschreibt:
Das Gedicht von Erich Kästner, das sich mit dem “Positiven” beschäftigt, heißt “Und wo bleibt das Positive?” und ist im Band “Ein Mann gibt Auskunft” von 1930 zu finden. Es ist eine kritische Antwort auf Anfragen, die nach einer optimistischen Botschaft in unsicheren Zeiten fragen. Kästner lehnt es darin ab, eine oberflächliche Beschönigung zu liefern, da er die dunkle Realität der damaligen Zeit anerkennt.
Genau so sehe ich das auch.
Ich weiß, dass das Leser abschreckt – aber ich bin kein Zuckerbäcker. Und kein Lügner. Und kein Fernsehjournalist des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Ich tue mir deshalb sehr, sehr schwer damit, etwas positiv darzustellen, was ich nicht für positiv halte.
Oh, durchaus, Reisen finde ich sehr positiv. Japan habe ich aber wohl so positiv dargestellt, dass manche das auch wieder nicht aushielten. Dieses Jahr werde ich keine großen Reisen mehr hinbekommen, nächstes Jahr wieder. Aber das halten dann auch nicht alle aus.
Ich könnte, sobald ich Zeit finde, wohl auch eher gegen Jahresende, zum Beispiel schreiben, welche Kameraobjektive mir sehr gut gefallen. Da gibt es einige, die mir Freude bereiten. Ist aber auch nicht für jeden etwas. Und Kamera-Review-Youtuber gibt es wie Sand am Meer.
Ich habe im Postfach die jährliche Einladung zum jährlichen Αγροτικό Φεστιβάλ gefunden und bin zum ersten Mal dann auch selbst auf Zypern, kann da also zum ersten Mal hingehen – werde aber längere Zeit brauchen, um eventuell gelungene Fotos und Videos dann auch zu präsentieren. Ich bin mir auch nicht sicher, wieviele meiner Leser sich für zypriotische Landwirtschaftsfestivals begeistern können. Bauerntänze und die Details der Fertigung von Ziegenkäse und Haloumi sind auch nicht jedermanns Sache.
Ich könnte auch die Aktfotografie wieder aufnehmen und in alter BILD-Tradition eine Nackte auf die tägliche Titelseite packen. Ich weiß aber nicht, ob das der Beliebtheit des Blogs wirklich zuträglich wäre.
Freilich könnte ich Euch auch schamlos anlügen und alles positiv, durch die rosa Brille darstellen. Keine Ahnung, wie lange ich dann noch Leser habe. Eine Woche? Zwei?
Tut mir leid, Leute, es ist gerade nichts Positives im Angebot, was individualitätsübergreifend für alle von Interesse wäre. Und was immer ich künstlich aufgreifen, gezielt zum Thema machen würde, spräche immer nur eine kleine Zahl von Lesern an.
Und Sachthemen kann ich mir auch nicht einfach willkürlich aus der Nase ziehen.
So etwa? Wusstet Ihr eigentlich, dass ich vorgestern bei Jumbo sehr preisgünstig eine 1-Liter-Flasche flüssige Handwaschseife und zwei 1-Liter-Flaschen Duschmittel gekauft habe, deutlich billiger als bei LIDL? Dass die Handseife „Karamel-Aroma“ hat und das Duschmittel sich gar kein angebebenes Aroma hat, aber nach Fichtennadelschaumbad riecht? Und dass man bei Jumbo auch Nachfüllpackungen für Handseife bekommt, am günstigsten im handlichen 4-Liter-Kanister? Und dass ich Karamel-Seife eigentlich gar nicht so positiv finde, ich aber verdammt lange brauchen werde, bis ich einen ganzen Liter davon aufgebraucht haben werde, um mir dann endlich den Orangenduft kaufen kann, der mir besser gefällt, den sie aber nur als Nachfüllpackung hatten?
So etwa?
Oder dass ich in den letzten Nächten damit beschäftigt war, an einem neuen Mailserver zu basteln und das gleich in Ansible als Kochrezept zu beschreiben, und ein großer Teil meiner Zeit dafür drauf ging, Bugs und Ungenauigkeiten oder Missverständlichkeiten in den Dokus zu jagen?
So ungefähr?
Es tut mir leid, aber die paar Sachthemen, die ich positiv finde, interessiert die Mehrzahl der Leser einfach gar nicht.
Und an den Themen, die die Leser interessieren, finde ich sehr wenig bis gar nichts, was positiv wäre.
Und ich glaube nicht, dass es redlich wäre, die Sache positiver darzustellen, als sie ist.
Und selbst, wenn ich wollte: Mir fiele gerade auch gar nichts aus der Lage der Nation ein, was ich positiv, was ich lobend erwähnen könnte.
Aber für Themenvorschläge bin ich offen. Wer etwas findet, was man positiv sehen kann – immer her damit.