Ansichten eines Informatikers

Das fotographisch-ethische Problem der ukrainischen Nacktmodels

Hadmut
8.3.2022 19:20

Eine sehr schwierige Frage, auf die ich noch keine Antwort habe.

Es gibt eine Problemkategorie, die ich schon öfters angesprochen habe, und für die ich noch keine universelle Lösung habe: Wenn irgendwo, in irgendeinem Land, vor allem einem, in dem man schon mal war, eine Katastrophe hereinbricht, Erdbeben, Vulkanausbruch, Waldbrände, Dürre, was auch immer: Sollte man dann wegbleiben, um ihnen nicht noch mehr Aufwand zu machen, das Essen wegzuessen und die Betten wegzunehmen, und nicht zu gaffen, oder sollte man umgekehrt gerade hinfahren, weil sie dringend Umsatz brauchen, und es den Schaden noch mehren würde, wenn die Touristen auch noch ausblieben?

Das ging mir so beim großen Erdbeben von Christchurch 2011. Ich war ja zwei Jahre vorher dort, und die Bilder im Fernsehen eines total demolierten Supermarkts zeigten genau den Supermarkt, an dem ich damals bei der Abfahrt zum Einkaufen war, um das Wohnmobil aufzufuttern.

Ich hatte deshalb eine – möglichst vorsichtig formulierte – Mail an das Hotel geschickt, in dem ich damals war, ob es man eher hinfahren oder eher wegbleiben sollte, was ihnen lieber wäre. Ich habe nie eine Antwort erhalten. Erst dachte ich, die werden wohl wichtigeres zu tun haben als Mails zu beantworten, oder vielleicht war selbst das noch zu problematisch, trotz äußerster Formulierungsvorsicht, aber irgendwann habe ich dann gesehen, dass das Hotel eingestürzt und ganz außer Betrieb war.

Ein ähnliches Problem mit Hochwassern und Waldbränden in Australien: Hinfahren oder wegbleiben? Geld ausgeben und Tourismus als die Haupteinnahmequelle am Leben erhalten, oder wegbleiben, um nicht im Wegrumzustehen und zu gaffen?

Schwieriges Problem.

Jetzt gibt es eine lokale Version dieses Problems.

Wie schon erwähnt, habe ich früher mal Aktfotografie betrieben, es aber schon vor längerer Zeit aufgesteckt, aus verschiedenen Gründen. Bringt’s nicht mehr, jeder Winkel ist hunderttausendfach ausfotografiert, viel zu gefährlich wegen Vorwürfen und Beschuldigungen, Zeitmangel, Lustmangel, Gelegenheitsmangel, Locationmangel, und dann noch das Gefühl, dass Fotografie sowieso irgendwie out ist, und man nur noch auf Videos achtet. Wen – außer keifenden Feministinnen, die sich darüber beschweren und vor Body-Neid platzen – würde heute noch das Foto einer nackten Frau interessieren? Thema ziemlich tot. Und da, wo noch was geht, tritt man gegen Vollzeitprofis an, die das hauptberuflich machen und mit Studio, Stylistin, Maskenbildnerin und so weiter ankommen. Irgendwie hat sich das Thema erledigt, so wie sich der Playboy erledigt hat. War mal für 20, 30 Jahre richtig gut, als gute Kameras verfügbar wurden, aber irgendwie ist es vorbei.

Ich bin aber noch in einem Fotografenforum und bekomme da auch noch Angebote von Models. Viele Leute jammern ja, sie würden gerne mal eine nackte Frau fotografieren und trauten sich nicht, eine zu fragen, oder fänden keine. Das Problem existiert überhaupt nicht, wir haben ein Überangebot nackter fotowilliger Frauen, weil es – jedenfalls in den großen Städten – viele gibt, die sich damit einen bequemen Lebensunterhalt verdienen. Reich wird man sicher nicht, aber mir sagte vor 20 Jahren mal eine auf einem Workshop, dass sie studiert, und es ihr lieber ist, sich zweimal im Monat auszuziehen als jeden Abend in irgendeiner stinkigen Kneipe zu kellnern und sich angrapschen zu lassen. Es gibt auch welche, die das aus Prinzip machen, weil sie keinen Bürojob wollen, nichts, wo man jeden morgen um dieselbe Zeit sein müsste. Und es gibt welche, die das einfach mögen.

Vor so ungefähr 25, 30 Jahren fing das an, dass man auf die Models aus dem Osten zugriff. Ich hatte mal als Student Anfang der Neunziger so drei, vier Workshop-Termine in einem Fotostudio gebucht, weil mir Einzeltermine zu teuer waren, um erst mal das ganze Drumherum mit Blitzanlage, Blitzmessung, Hintergrundtechniken und so weiter zu lernen. Der Veranstalter schickte damals (E-Mail war noch nicht üblich) Einladungen an die ihm bekannten Leute rum, Samstag der soundsovielte, Model X mit ein paar Probefotos, meistens 6 Plätze frei. Zwei Gruppen a drei Leute im Wechsel. Ist zwar Fließbandarbeit, aber nur so bleibt das für die Fotografen günstig, während bei den Models auch ein Stück Geld ankommt und das nicht zu langweilig wird, das ist nämlich, was vielen nicht klar ist, für das Hirn Schwerarbeit, und der Fotograf braucht mitunter mehr Pausen als das Model. Manche Leute kommen da an und denken, oh, wie geil, nackte Weiber, und sind dann nach einer Stunde K.O. und fix und alle, weil das richtig anstrengend ist. Damals aber nur deutsche Models.

Ich war dann ein paar Jahre später nochmal auf einem Workshop, und da sagte er mir, dass er nur noch Models aus dem Osten nimmt, was ja nach dem Mauerfall gehe. Die seien hemmungsloser und zuverlässiger. Er holt die für eine Woche ran, macht dann bis freitags gewerbliche Aufnahmen, und samstags noch einen Workshop.

Das hat sich inzwischen zu einer Branche ausgeweitet. Zum Beispiel gibt es viele Models in Tschechien, da gibt es ganze Agenturen, die nichts anderes machen, als Aktworkshops. Ich war mal bei so einem. Drollig, weil die Chefin des Ladens nicht etwa nur die Mädels vorschickte, sondern darauf bestand, auch persönlich blank zu ziehen und mitzumachen, Ehrensache. Die haben dazu ein anderes Verhältnis als wir hier.

Und seit einiger Zeit merkt man das an den Foren, dass einige Frauen aus der Ukraine als Model arbeiten und so eine Art Nackttournee machen. Die reisen dann in Deutschland von einer großen Stadt zur nächsten, sind dann die Woche in München, die drauf in Dortmund, dann in Berlin oder so, und schreiben die Leute an, ob sie nicht Lust hätten, mit ihnen einen Termin zu buchen.

Wir sind längst an dem Punkt, an dem die nackten Frauen die Fotografen ansprechen und nicht mehr umgekehrt wie früher.

Ich hatte schon überlegt, wieviele davon wohl den Krieg überstehen und da noch irgendwie rauskommen. Irgendwo hatte jemand erwähnt, dass sich wohl in Berlin ein paar Fotografen zusammengetan hätten, um Unterkünfte und das Nötigste zu organisieren, um die irgendwie unterzubringen.

Nun habe ich wieder eines der üblichen Angebote bekommen, mit denen man normalerweise ständig beschickt wird. Die letzten zwei, drei Wochen war da Ruhe. Während sonst drin steht „ich bin von dann bis dann in Berlin“ steht da nun

Hello, my name is […]. I’m in Berlin now and I’m open for photo shoots. I don’t know how long I’ll be here because I can’t go back to Ukraine.

[…]

also if you don’t want a photo session, but you know photographers who do, you could give them my contacts, thank you

In Berlin gestrandet, sucht jetzt natürlich dringend nach einem Job.

Die Frage ist nun: Soll man oder soll man nicht?

Einerseits wird das qualitativ sowieso kaum was, weil die Leute gerade fertig mit den Nerven sind, und sich nicht konzentrieren können, und irgendwie fühlt sich das sehr missbräuchlich an, Leute aus einer Notsituation heraus auszuziehen. Das ist einfach gar nicht gut. Und es wurde ja vom Hauptbahnhof schon berichtet, dass sich da seltsame ältere Männer mit Spielzeug herumtreiben, die alleinstehenden Frauen oder Frauen mit Töchtern „Unterkunft anbieten“.

Das ist von der Situation her einfach ganz übel.

Andererseits aber wollen die Leute ja auch Geld haben, Geld verdienen, und das ist ja auch eine Frage der Menschenwürde, ob man sich einfach am Flüchtingsschalter anstellt und Hartz IV abholt, wie das so viele tun, oder ob man sagt, dass man versucht, in seinem bisherigen Job zu arbeiten. Ich finde das ja so viel besser, wenn die Leute sagen, dass sie was arbeiten und sich selbst ernähren wollen, als wenn sie sich einfach nur durchfüttern lassen wie so viele derer, die wir schon haben.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Mir ist noch keine Lösung für das Problem eingefallen.