Ansichten eines Informatikers

Bricht eine EU-Verordnung deutsches Verfassungsrecht?

Hadmut
5.3.2022 1:11

Seltsame Vorgänge zur Zensur.

Auf welcher Rechtsgrundlage werden eigentlich die Webseiten von RT (Russia Today) hier gesperrt?

Auch wenn ich denen nichts glaube, würde ich aus Dokumentationszwecken schon gern wissen, was die behaupten. (Gut, wie vorhin erklärt, weiß ich ja, wie ich das mache, aber mal so grundsätzlich. Ich halte es nicht für meine Aufgabe, zur Wahrnehmung meiner Grundrechte staatliche Maßnahmen umgehen zu müssen.)

Soweit ich das jetzt finden konnte, geht das auf diese EU-Verordnung zurück, in der es u.a. heißt

Artikel 2f

(1) Es ist den Betreibern verboten, Inhalte durch die in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu senden oder deren Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen, auch durch die Übertragung oder Verbreitung über Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstleister, Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen, unabhängig davon, ob sie neu oder vorinstalliert sind.

(2) Alle Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen mit den in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen werden ausgesetzt.“

[…]

Diese Verordnung tritt am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat

[…]

ANHANG XV
LISTE DER NATÜRLICHEN UND JURISTISCHEN PERSONEN, ORGANISATIONEN UND EINRICHTUNGEN
NACH ARTIKEL 2f
RT — Russia Today English
RT — Russia Today UK
RT — Russia Today Germany
RT — Russia Today France
RT — Russia Today Spanish
Sputnik“

Mal ganz abgesehen davon, dass es eigentlich mal den Grundsatz gab, dass Gesetze und andere Normen, die wie ein Gesetz wirken, immer nur den allgemeinen Fall und keine Einzelfälle regeln dürfen (und sich die Frage stellt, was man eigentlich macht, wenn die sich umbenennen):

Wir haben hier Grundrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit auf Publikationsseite und den freien Informationszugang auf Nutzerseite. Artikel 5.

Wir haben außerdem ein Post- und Fernmelde- bzw. Telekommunikationsgeheimnis. Und das verbietet auch die Unterdrückung von Nachrichten. Zwar würden die meisten Juristen hier den Standpunkt vertreten, dass Massenkommuniktion wie eine Webseite nicht unter dieses Recht fällt, weil es keine Einzelkommunikation ist. Wenn man aber DNS-Records sperrt (die MX-Records gehen derzeit noch), kann das auch die Individualkommunikation sperren. Dazu gehören fast alle Chatprogramme (manche nutzen SRV), aber auch E-Mail nutzt den A-Record, wenn der MX-Record nicht verfügbar ist.

Dazu kommt, dass das bei uns Landes- und nicht Bundesrecht ist, also nicht einmal die Bundesregierung einen solchen Eingriff vornehmen könnte (war ja damals bei der Kinderpornosperre ein zentrales Problem von der Leyens, dass sie dafür gar nicht zuständig war, weil Webseiten unter Landes- und nicht Bundesrecht fallen.)

Ich wundere mich gerade sehr, dass man sich einerseits fürchterlich über die Presse- und Rundfunkzensur in Russland aufregt, eine EU-Verordnung durch den EU-Rat (von der Leyen ist zwar Kommissionspräsidentin, damit aber laut deren Webseite Mitglied des Rates und bekanntlic Wortführerin gegen Putin) aber im Handstreich die Verfassung brechen und Grundrecht wegfegen können.

Nutzen die – oder speziell von der Leyen – gerade die Situation aus, um einen Präzedenzfall für einen Verfassungsbruch zu schaffen?

Und wieso hat man, hat Annalena Baerbock, neulich beim Besuch bei Lawrow noch behauptet, dass das Rundfunkrecht zur Sperre von RT ja mit Politik und Regierung gar nichts zu tun habe, dass sowas bei uns ja gar nicht ginge?