Ansichten eines Informatikers

Eine generelle Bitte

Hadmut
3.3.2022 14:53

Habt Ihr denn in der Schule nie Aufsatzschreiben dran gehabt?

Liebe Leute,

als Blogger lebe ich auch von Zuschriften.

Ich muss aber leider feststellen, dass sich das Verhältnis von Aufwand zu nutzen in letzter Zeit massiv verschlechtert.

Immer häufiger bekomme ich Mails, mal solche, bei denen ich mir irgendwas anschauen soll, aber zunehmend auch solche, in denen irgendjemand irgendwas an meinem Blog nicht gefällt, aus denen man nur am Tonfall und irgendwelchen Andeutungen, Polemiken, Sarkasmen erkennt, dass dem Autor irgendwas nicht gefällt, aber beim besten Willen nicht zu entnehmen ist, was denn nun eigentlich falsch sein soll oder was derjenige erreichen will. Mitunter erkennt man nicht mal mehr, worauf sich die Kritik oder Unmutsäußerung überhaupt beziehen soll.

Manche können einfach von sich aus keinen Text schreiben, der für einen Dritten ohne Rückfragen erfassbar wäre, weil sie schreiben, wie sie in einem Gespräch sprechen würden, nämlich sehr kontextabhängig. Der Kontext fehlt aber, wenn ich längst wieder andere Artikel geschrieben und hunderte Mails bekommen habe. Freilich mache ich auch Fehler, aber es hilft ja nichts, wenn einer moppert und nicht sagt, worin denn der Fehler liegen soll.

Manche merken selbst nicht, dass in ihrer Mail der eigentliche Teil fehlt, dass sie sich wortreich beschweren ohne zu sagen, worüber sie sich beschweren.

Andere verwenden das als Stil oder Stilmittel, dem anderen Fehler zu unterstellen, zu suggerieren, ohne zu sagen, was der Fehler sein soll.

Das ist vielleicht auch einer gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet, in der man mit Empörung statt Argumenten arbeitet und meint, es reiche schon, mitzuteilen, dass man etwas schlecht findet, ohne es aber zu begründen. Oder als heute übliche Rhetorik, Rabulistik, einen Fehler zu unterstellen, um den anderen in Zugzwang zu bringen, selbst irgendwas zu finden, um sich nicht damit zu sekundärblamieren, dass er den Fehler nicht findet. Das ist mir auch aufgefallen, wenn man mal gesprochenen Auseinandersetzungen zuhört, und diese unglaublich bescheuerte Redewendung „merkste selbst…“ verwendet wird, um zu übertünchen, dass sie selbst nicht in der Lage sind, ihren Vorwurf darzulegen und zu vertreten.

Und dann kommen auch noch die Spaßvögel dazu, die schreiben, dass man irgendwas falsch gemacht habe, man dann nach einem Fehler sucht, und dann hinterher rauskommt, dass sie nur einen Scherz machen wollten oder es sarkastisch gemeint haben wollen. Als ob man aus Spaß mal den Feueralarm drückt.

Und natürlich die, die gar nichts dazu sagen, außer „Sie müssen unbedingt mal dieses 90-Minuten-Video oder dieses 500-Seiten-Buch lesen“. Ohne zu sagen, warum, und was man da finden würde.

Oder die, die was loswerden wollen. Die anfragen, ob man irgendeinen Inhalt X haben wollen, und ihn dann, wenn man nicht „Ja“ sagt oder das noch gar nicht gelesen hat, ihn trotzdem schicken. Warum fragen sie dann überhaupt? Und dann am besten gleich wiederholt. Leute, die einen ungefragt auf irgendwelche Verlautbarungsmailinglisten setzen oder gleich kettenweise und mit großen Empfängerkreis lange, lange Texte schickt, nach denen man nie gefragt hat, und bei denen man nicht mal erkennt: Was will er damit eigentlich sagen?

Oder die, deren Kritik allein darin besteht, das sie anderer Meinung sind. Ja, und? Wir haben Meinungsfreiheit. Warum, zum Geier, sollte ich etwas schreiben, wenn alle meiner Meinung wären? Dann wäre es überflüssig, redundant. Oder „Ich kann ihnen nicht zustimmen“. Was soll mir das sagen? Ja, dann halt nicht, oder wie? Oder „Das kann ich so nicht stehen lassen“, als ob sie so eine Art Blogprüfer wären.

Leute, wie würdet Ihr Euch vorkommen, wenn Ihr mit dem Auto unterwegs seid, und ein anderer Autofahrer hält Euch mit Warnblinker und Winken an, um Euch dann zu sagen, dass er woanders hinfährt als Ihr?

Oder die Schaf-folgt-Leithammel-Mails, die ohne jeden inhaltlichen Hinweis damit kommen, dass man erst Buch X, Video Y oder Thesen des Z gesehen haben müsse, weil man erst dadurch die Erleuchtung erfahre, die einen in die Lage versetze, sich zustimmungsfähig zu äußern.

Und dann die Sprachaufreger. Gerade schreibt mir einer, dass ich mein ganzes Blog in die Wertlosigkeit stürze, weil ich ab und zu das Wort „öfters“ verwende. Aber nicht als falscher Komparativ wie – was als Beispiel diente – „extremst“, so im Sinne von „ich singe öfters als Du“, sondern adverbial. Ich esse öfters Suppe. Halte ich für korrekt, der Leser hält es für die blogentwertende Katastrophe. Sagt aber nicht, warum. Darüber soll ich dann selbst rätseln. Einer hielt es mal für einen unverzeihlichen und jedes weitere Lesen meines Blogs verhindernden Fehler, dass ich „mehrfach“ geschrieben hatte, wo seines Erachtens „mehrmals“ hätte stehen müssen, weil ich etwas wiederholt und nicht parallel auf verschiedene Weisen getan hatte.

Leute, sorry, aber ich halte das für ein Bildungsproblem.

Eigentlich ist (oder war) das Gegenstand des Schulunterrichts. Aufsatz schreiben. Oder Essay. Einen Text, den einer lesen soll, der keinen Rückfragekanal hat und deshalb aus dem blanken Lesen des Textes verstehen, und zwar weitgehend, mindestens nahezu vollständig, verstehen könnne muss, was man damit sagen will. Neulich schickte mir mal eine Leserin im Schülerin-Alter einen Text, den sie als längerfristige Aufgabe wie eine Seminararbeit geschrieben hatte, ob ich ihr mal Feedback geben könnte, sie findet niemand zum Korrekturlesen. Der Text war gut, das Thema interessant, sie hat sich viel Mühe gegeben. Mein Feedback war aber, dass man sehr lange lesen muss, bis man rausbekommt, was sie eigentlich sagen will, und dass der Titel nicht zum Inhalt passte. Mein Feedback war der Vorschlag, den Titel zu ändern und, wie man das in der Wissenschaft so macht, einen Abstract voranzusetzen, damit der Leser frühzeitig erkennen kann, worum es eigentlich geht, was sie sagen will, und nicht erst wie im klassischen Krimi auf der letzten Seite die Auflösung all der Seltsamkeiten erfährt. Bei Harry Potter war das unterhaltsam, dass man jede Menge scheinbar zusammenhangloser Informationen bekommt, und die Spannung und Überraschung darin liegt, dass man erst am Ende erfährt, wie das eigentlich zusammenhängt und worum es eigentlich so genau geht. Aber das ist Unterhaltung, Spannung, Roman. Und vor allem: Es gab immerhin am Ende mal eine Auflösung. Wenn man alles gelesen hat, hat man es auch verstanden. Aber nicht Harry und Voldemort haben Krach, aber nirgends steht, warum und worüber, das müsse man doch selbst wissen.

Dasselbe gilt für Teamarbeit, Kooperation. Auch da muss man – kürzer – Texte wie Notizen, Mails, Tickets und so weiter schreiben, die sich an andere richten und so gebaut sein müssen, dass der Empfänger sie ohne Rückfrage verstehen kann. Etwa, weil man selbst auf Dienstreise, krank, in Urlaub ist oder die Sache nach drei Jahren selbst wieder vergessen hat.

Es ist auch eine Frage der Effektivität. Will man etwas erreichen, möchte man also, dass der Empfänger versteht, was man sagen will? Oder reicht einem schon das Gefühl, irgendwas abgefeuert zu haben?

Und viele kategorisieren sich und andere als Schafe, die einem Leithammel folgen. Bei vielen merkt man einfach an, dass sie in der Denkweise verfangen sind, dass es irgendwie die da oben gibt, die Bücher schreiben oder Meinungen machen, und wir hier unten dann nur noch dem einen oder dem anderen folgen und ihn rezitieren. Dass es da einen Pool aus zulässigen, veröffentlichten Meinungen gibt, und man sich nur eine der bereits bestehenden Meinungen wählen darf, der man sich anschließt. Tut mir leid, Leute, aber ich bin nicht hier, um irgendwelche Autoren mit Meinungslizenz zu rezitieren und übernehmen, mich zur einen oder anderen Schule zu bekennen, dem Rudel beizutreten. Ich meine selbst. Ich brauche keinen, dem ich hinterherschreiben muss. Ich besitze genug Frechheit, um mir zumindest dann und wann und im Rahmen meiner zeitlichen Kapazitäten die eine oder andere Meinung selbst zu schnitzen. Wenn ich nur in Bekenntnissen und Zitaten sprechen wollte, wäre ich Geisteswissenschaftler geworden.

Oder dann die verschärfte Form, die einem unterstellt, von irgendwem dafür bezahlt oder dazu gedrängt zu sein. Als ob man nicht selbst meinen könnte. Immer wieder rufen Leute bei mir an und vergessen vor Schreck, was sie eigentlich wollten, weil sie gar nicht damit gerechnet haben, dass es mich wirklich gibt und ich ans Telefon gehe. Eine klingelte mich mal nachts zwischen drei und vier raus (und das war zu der Zeit, als ich zu solchen Zeiten noch zu schlafen pflegte), um dann konsterniert zu sein, dass ich mich meldete. Sie sagte, sie habe nicht damit gerechnet, dass ich als Person existiere, und habe gedacht, dass ich eine Redaktion unter einem Kunstnamen sei. Warum man sowas nachts um halb vier und nicht nachmittags um halb vier klären könne, wollte ich wissen. Sie sagte, sie habe nicht erwartet, jemanden zu wecken, weil sie ja nicht dachte, dass ich existiere. Die Absicht war, nachts um halb vier anzurufen und in dem Umstand, dass keiner rangeht, den Beleg dafür zu sehen, dass ich nicht existiere, weil ja nachts keiner in der Firma sitzt. Der Fall, dass ich abnehme, war nicht vorgesehen.

So, wie die Grünen neulich. Wenn einer die heilige Annalena kritisiert, müssten da schon mindestens die Russen dahinterstecken.

Ich hatte früher schon mal gebeten, „Sprechende Subjects“ zu wählen, an denen man erkennt, worum es geht, die man per Suchfunktion finden kann und nicht „Wichtiger Hinweis“ oder „Augenöffner“ oder „Bitte lesen“ oder sowas drüberzuschreiben. Einer fing dann an, mir ellenlange Mails zu schreiben, und den ganzen, mehrseitigen Text ins Subject zu schreiben und den Body leer zu lassen.

Oder die Leute, die mir keine Mail schreiben, sondern ein Word-Dokument mit Briefkopf, und das als Attachment dranhängen. Alles Zeitaufwand, macht es alles schwierig, etwas zu lesen und nachzuvollziehen.

Ich bin mittlerweile an dem Punkt angekommen, an dem ich täglich gute ein, zwei Stunden, teils sogar mehr, damit verbringe, völlig inhaltslose, nichtssagende Mails zu sichten, oder rückfragen zu müssen, worauf sich etwas bezieht, wie das gemeint ist, was denn nun eigentlich am Blogartikel X nicht gefalle. Oder warum etwas falsch sei. Worauf die Annahme beruhe, dass etwas falsch oder unvertretbar sei.

Leute, versucht doch mal bitte, Euch in die Lage des anderen, des Empfängers zu versetzen. Kann der aus Eurer Mail erkennen, was Ihr ihm sagen wollt? Kann der daraus erkennen, was der Fehler sein soll oder was für eine Reaktion Ihr von ihm erwartet?

Das sind so elementare Fähigkeiten zur Kooperation, zur Teamfähigkeit. Irgendwie gehen die gerade deutlich bemerkbar verloren.