Ansichten eines Informatikers

Als Video die Fotographie fraß, vernehmlich rülpste und sie verdaute

Hadmut
27.1.2021 16:19

Das war’s.

Die Fotografie ist jetzt überwiegend tot und in der Berichterstattung zum Nischenprodukt degradiert worden. [kleine Korrektur]

Sony hat gerade sein neuestes Kameramonster offiziell vorgestellt. Dürfte wohl auch irgendwie mit den olympischen Spielen zu tun haben, nachdem die ja immer so der Anlass sind, die nächste Generation der Kamera- und Videotechnik in die Profis zu drücken, obwohl ja noch nicht klar ist, ob die diesmal überhaupt stattfinden können. Das Preisschild von $6,498 für das Gehäuse ist eine klare Zielgruppenansage.

Der Hammer daran lässt sich relativ kurz zusammenfassen: 8K30p

Damit ist eigentlich alles gesagt.

Das Ding nimmt Videos in 8K auf. Was dazu passt, dass man vor zwei oder drei Jahren oder sowas in der Branche schon diskutiert hatte, dass man die olympischen Spiele 2020 in 8K aufnehmen wolle. Wobei ich das für keine so gute Idee halte, denn ich hielte hohe Framerates bei Sport für viel wichtiger, weil ich lieber eine gute Zeitlupe haben möchte als mir anzuschauen, ob die Sprinterin oder Turnerin ihre Fingernägel auch wirklich fehlerfrei lackiert hat. 4K120p hielte ich da für nützlicher. Aber vermutlich wird sie dasd dann auch können.

(4K und 8K bedeutet, dass das Bild in der Breite in der Größenordnung 4000 oder 8000 liegt, also zwei oder viermal 2K. Wobei man wissen muss, dass die Video- und Fernsehfritzen mit 2K eigentlich FullHD mit 1920×1080 Pixel meinen, mit 4K also 3840×2160 und mit 8K 7680×4320 meinen, während die Kino-Leute darunter genau 2048, 4096, 8192 verstehen. 120p meint, dass man 120 Bilder pro Sekunde progressive, also vollständig und nicht Halbbilder =interlaced hat. )

Ah, ja, hier steht’s ja:

A quick look reveals a brand-new full-frame 50.1MP Exmor RS stacked CMOS sensor capable of 30 fps full-res shooting; 8K 30p and 4K 120p video in 10-bit 4:2:2 with no recording limit; all the latest connectors, including full-size HDMI, Ethernet, USB 3.2 Gen 2, and 5GHz MIMO Wi-Fi—and that is just scratching the surface.

4K 120p video in 10-bit 4:2:2. Ja. Das ist geil. (10-Bit meint die Auflösung pro Pixel und 4:2:2 meint das Chroma-Subsampling, weil ja nicht alle Farbpixel in der gleichen Dichte auf dem Sensor aufgebracht sind.)

Aber wenn es nicht gerade um Sport geht, sondern vielleicht eher so Politiker-Auftritte oder sowas, dürfte 8K30p recht interessant sein, weil man damit ja schon 7680×4320, also ca. ein 32-Megapixel-Foto aufnimmt. Jedes einzelne Bild des Videos ist quasi ein Foto mit dieser Auflösung.

Zudem kann das Ding volle Fotos mit 30 fps aufnehmen, bis zu 200 Stück ohne runterzubremsen (interner Puffer):

the a1’s lightning-fast AF system and sensor can hit an incredible 30 fps at double the resolution without slowing down for 200 frames. What more could you want in a single camera?

Was – auch weil es eine Spiegellose ist – darauf hindeutet, dass sie intern gar nicht mehr zwischen Foto und Video unterscheiden, sondern nur noch danach, in welchem Dateiformat abgespeichert wird.

Was aber dann auch einfach heißt, dass man nicht mehr die Kamera hinhält, um im richtigen Augenblick ein Foto zu machen und zu hoffen, dass es passt, sondern einfach mit 30fps Fotos oder 8K aufnimmt und dann ein passendes Foto raussucht. Eine völlig andere Herangehensweise. Sowas hat sich aber schon mit dem akausalen Auslöser angebahnt, den es bei manchen Kameras ja schon länger gibt, nämlich dass die Kamera in einer Endlosschleife Bilder oder Videos aufnimmt und dann stehen bleibt, wenn man den Auslöser drückt, man also einfach nicht mehr ahnen muss, wann etwas passiert und rechtzeitig drücken muss, sondern drückt, wenn es passiert ist.

Damit geht ein fundamentaler Paradigmenwechsel einher, nämlich dass nicht mehr zählt, das Foto im richtigen Augenblick zu machen, sondern stattdessen riesige Datenmengen aufzunehmen und daraus dann das Foto zu extrahieren.

Amanda Gorman

Das ist insofern kurios, als mir genau das gerade letzte Woche als „Künstlerpech” aufgefallen war.

Sagt Euch der Name Amanda Gorman was?

Bei der Inauguration von Joe Biden hatten sie doch so eine junge schwarze „Poetin”, die da ein Gedicht vorgetragen hat und sich dann alle einig waren, dass sie Biden die Show gestohlen hat. Einer literarischen Wertung will ich mich da jetzt enthalten, und auch die amerikanische Vortragsweise, Gesang und Gedicht mit seltsamen Handbewegungen zu untermalen, ist jetzt nicht so wirklich meins.

Was ich aber sagen muss, ist, dass sie da hübsch ausgesehen hat, auch wenn ich wegen des gelben Mantels und des komischen roten turmartigen Kopfputzes zuerst mal dachte, da käme ein Chinese in traditioneller kaiserlicher Hofbeamtenaufmachung, weil die da auch so gelbe Kittel und rote Hüte hatten. Von dem komischen roten Ding auf dem Kopf abgesehen sah sie da aber wirklich hübsch aus, und der gelbe Mantel hat (bis auf die umgeschlagenen Ärmel) sehr gut gepasst. Die hatte schon deshalb gewonnen, weil sie da einfach gut ausgesehen hat. Dummerweise, und das war dann wirklich Künstlerpech, ging ein offizielles oder dpa-Foto von ihr, auf dem sie da am Pult steht und gerade die Hände hebt, durch die gesamte Presse, auf dem sie sie ausgerechnet in einem Moment erwischt hatten, als das linke Auge zwinkerte und deshalb zugekniffen war. Dem Effekt fallen viele Fotos zum Opfer. Bei manchen Leuten ist das ganz schlimm, das merkt man dann so gar nicht, aber auf den Fotos viel Ausschuss, weil sie einfach sehr häufig und schnell blinzeln.

Solche Bildfehler würde man dann wirklich vermeiden können, wenn man sowas mit 8K30p, 4K120p oder irgendwas dazwischen aufnehmen würde. Weil man dann immer auch das Bild ein paar Millisekunden vorher oder nachher hat. Und damit selbst dann, wenn man wirklich keinen Treffer hat, weil dann schon wieder die Hand nicht stimmt, Bildmaterial hat, das so zeitdicht beieinander ist, dass man beispielsweise das Gesicht oder Auge aus dem einen Frame in den nächsten pappen kann.

HDR-Video

Rattenscharf ist natürlich auch, wenn man nicht nur mit 10 Bit aufnehmen kann, sondern die Kamera bei 4K120p einfach zwei 4K60p-Videos aufnehmen und die unterschiedlich belichten kann, man damit also immer zwei Aufnahmen per HDR zusammenrechnen und damit einen deutlich größeren Kontrastumfang beherrschen kann.

Fotografie tot

Meines Erachtes läutet sowas dann den Tod der Fotografie in vielen Bereichen ein, jedenfalls überall da, wo Berichterstattung über bewegte Dinge stattfinde. Stilleben und Alpenpanorama werden wohl noch eine Weile herkömmlich gemacht werden, aber alles im Bereich der Bild- und Berichterstattung dürfte über kurz oder lang auf hochdichtes Video umstellen. Man sieht ja jetzt schon immer wieder, dass viele Pressefotografen auf dem Blitzschuh eine ActionCam haben, die permanent mitläuft.