Ansichten eines Informatikers

Der Orwell’sche Telescreen ist (theoretisch) Realität

Hadmut
22.8.2013 21:48

Naaa? Habt Ihr alle George Orwell’s 1984 gelesen? Ich hatte doch erwähnt, dass ich mir einen neuen Riesenfernseher gekauft habe.

Wie erwähnt wollte ich ursprünglich Samsung, habe dann aber doch Grundig genommen. Weil größer und trotzdem billiger. Zwar nur 2 statt 3 USB-Buchsen und nur Polarisations- statt Shutter-3D, aber hatten sie gerade so da. Vielleicht haben die Multimedia-mäßig weniger drauf als die von Samsung, aber eigentlich wollte ich da auch nicht zuviel davon, insbesondere keinen Skype-Fernseher, der mir dabei zuguckt, wie und mit wem ich auf dem Sofa sitze.

Neulich hab ich irgendwo von einem Vorschlag gelesen, wonach der Fernseher per eingebauter Kamera seine Zuschauer fotografieren und per Gesichtserkennung zählen soll, um dann Filme (Video on Demand) nach der Zahl der Zuschauer abzurechnen.

Gruselig. Ganz gruselig. Es scheint nämlich so, als habe der Fernseher selbst nicht unbedingt genug Rechenleistung dafür, sondern würde das Bild zum Anbieter hochladen und der das dann durch die Bildverarbeitung drehen. Und wenn man noch dazuzählt, dass die Geheimdienste und übrigens ja auch Facebook (wo ist da der Unterschied?) Gesichtserkennung über die Gesichtsgeometrie einigermaßen beherrschen, kann so ein Fernseher durchaus überwachen, wer da vor ihm sitzt, was man guckt, was man sagt, Telefonate und Gespräche mithören, und vielleicht auch noch auf dem LAN mitsniffen. Schon derb, was da so alles geht, wenn man mal drüber nachdenkt.

Und damit sind moderne Fernseher eigentlich das, was Orwell damals mit den »Telescreens« beschrieben hat, die einem nämlich nicht nur Politpropaganda zeigen, sondern die auch gleich überwachen, was man macht, und in die Wohnzimmer gucken: Eine Kreuzung aus Fernseher und Überwachungskamera.

Nun, leider musste ich feststellen, dass auch dieser Fernseher Skype kann und damit prinzipiell in der Lage ist, einem zuzuschauen und Videoaufnahmen rauszustreamen. Allerdings muss man dazu laut Anleitung erst die Aufsatz-Kamera mit USB und Mikrofon kaufen (vermutlich eine ordinäre USB-Chatkamera im Pseudo-Edelgehäuse), die dann gleich 70-80 Euro kosten soll. Und erklärt, warum der Fernseher billiger als manche andere war. Suggeriert aber, dass der Fernseher zumindest so keine Kamera und kein Mikrofon hat.

Nun hab ich den Fernseher ans LAN angeschlossen. Einmal, weil ich einen Firmwareupdate machen wollte (kaum war der Stecker drin, ging ein Fenster auf, wonach der Fernseher sich zum Update zurückzuziehen wünsche) und weil ich das Ding auch als DLNA-Glotze verwenden will, um meine Videosammlung vom NAS zu streamen.

Dann wollte ich wissen, welche Apps es von Grundig gibt. Vorab: fürchterlich enttäuschend. Außer einem einfachen Webbrowser und einem Youtube-Client nichts dabei, was mich jetzt interessiert hätte, sehr dünnes Angebot. Man muss dazu aber erst einmal einen Account aufmachen, Name, E-Mail, Passwort. Und ne Telefonnummer soll man auch noch angeben.

Die E-Mail-Adresse ist aber so etwas wie eine weltweit eindeutige ID, Geheimdienste verwenden sie als Personenschlüssel.

Das heißt, dass irgendwer da draußen sofort weiß, welcher Fernseher jetzt bei wem zuhause herumsteht. Man kann überwachen, ob derjenige gerade zuhause ist und den Fernseher laufen hat, und welches Programm er schaut. Hätte man noch eine Kamera und ein Mikro eingebaut oder nachgerüstet, könnte man damit ohne weiteres bei registrierten Personen im Wohnzimmer zusehen, mithören oder eben sogar Gesichtserkennung betreiben um zu sehen, wer da alles sitzt.

Big brother is watching you. Im wahrsten sinne des Wortes. Und kommt mir nicht mit »Verschwörungstheorie«.

24 Kommentare (RSS-Feed)

Manfred Eumel
22.8.2013 22:06
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bist du noch ganz knusper in der birne?


Hadmut
22.8.2013 22:08
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Wie meinen?


Herbert
22.8.2013 22:24
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soweit ich mich erinnere, war das ein feature der neuen Xbox, nicht von einem Fernseher, aber ja, wird kommen.


thomas
22.8.2013 22:32
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tv am router das internet sperren, wenn nicht gerade ein firmwareupdate gezogen hat.


Alex
22.8.2013 22:34
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nur terroristen kaufen fernseher ohne wlan + kamera!


Johnny
22.8.2013 23:50
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Das ist doch nur ein logisches Fortschreiten der TV-Geräte, die waren immer schon dafür da, die Menschen dumm zu halten.
Unterhaltung = Untenhaltung.


Sven
23.8.2013 0:01
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Zum Glück habe ich noch einen Röhrenfernseher, der sich nicht mit dem Internet verbinden kann und der auch keinen Anschluss für eine Webcam oder sonstiges hat 😉


Pete
23.8.2013 0:15
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Ich habe “Max Headroom” schon immer eine gewisse Realitaetsnaehe vorhergesagt. Jeden Tag kommt diese Fiktion der Realitaet naeher. Auch da hat man dem Fernseher diese Eigenschaften gegeben. Eins fehlt noch zu unserem Glueck, aber das kommt bestimmt auch noch: Der Ausschaltknopf wird verboten, die Dinger haben einen staendig zu berieseln und natuerlich auch zu beobachten…


Pete
23.8.2013 0:18
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Upps..
Soll heissen:…Jeden Tag kommt die Realitaet der Fiktion naeher….
Den Werbeterror haben wir schon, demnaechst kommen die Telewahlen nach Einschaltquoten 😉


Simon
23.8.2013 0:19
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Ja es war die XBOX …


Max
23.8.2013 2:12
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Sollen sie nur kommen; ich frage mich, wie lang es dauert, bis es eine Routersoftware gibt, die “konforme” Bilder/Ton statt der realen Aufnahme an BigBrother schickt :>

Aber ich befuerchte, dass wir bald da sind :/


Celos
23.8.2013 2:32
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Und wenn die Kamera dann mal eingebaut ist, dann hilft schwarzes Isolierband. Nur beim Mikrophon kann man ausser mit Loetkolben kaum was machen. Ich hab das mal in meiner Wohnung ausprobiert. Mit guter Kapsel konnte ich mich selber problemlos (nachts wenn kein Hintergrundrauschen) auch noch durch eine Wand abhoeren.

Ansonsten sage ich bereits mal voraus, dass es in nicht allzuferner Zukunft ein neues Porno-Genre geben wird, naemlich mit Leuten die von ihrem Glueck garnix mitbekommen haben 😉


Hanz Moser
23.8.2013 5:12
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Irgend ein IT-Sicherheitsfuzzi in den USA hat vor einer Weile versehentlich die Internetglotze seines Bruders in einen nicht mehr ganz ordnungsgemäßen Zustand versetzt, weil er damit Scherze treiben wollte. Im Rahmen des Reperaturversuches hat er dann einige nette Sicherheitslücken gefunden. Ein Jahr später war er so weit, dass er die Dinger zumindest asu dem gleichen Netzwerksegment sehr gut angreifen und fernsteuern konnte.

Ich habe gerade keinen Link parat, aber irgendwem habe ich das mal vor einer Weile geschickt, auch mit dem Hinweis auf den Televisor.


Joe
23.8.2013 5:21
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Die E-Mail-Adresse ist aber so etwas wie eine weltweit eindeutige ID, Geheimdienste verwenden sie als Personenschlüssel.

Sorry, das wußte ich nicht. Ich verwende für jeden Kontakt individualisierte Mailadressen, schon um die Dinge besser zuordnen zu können.


Knut
23.8.2013 9:53
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Kann der Grundig eigentlich auch einen Zugang über Proxy ?

Ich betreibe nämlich ein Intra- und ein Internet und dazwischen einen Übergang. War einfacher, als das Intranet an den Telekomrouter anzupassen. Leider kann der Samsung nur den direkten Zugang, so dass er halt keinen Zugang zum Internet hat. Ist ja auch nicht wichtig, da die Rechner das eh besser können.

Das DLNA habe ich mal angetestet, da war aber die automatische 16:9/4:3 Umschaltung eher so im Betastadium. Weiterhin habe ich die Übertragung vom Fernseher zum PC nicht hinbekommen. Da könnte man das Fernsehprogramm dann bequem draussen am Grill mitverfolgen ohne gleich den Gartenfernseher rauszutragen.


Bernhard
23.8.2013 10:07
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Viel stranger fand ich es, als ich mit dem TV eines Kumpels mal sprachlich in Dialog trat.

Mit den neuen Smart-TVs ist das Mic immer aktiv um etwaige Stimmkommandos aufzuzeichnen.

Ein freundliches “Hello SmartTV” reicht da aus um das Gerät einzuschalten… was es sonst noch so macht; keine Ahnung!


Ein anderer Gast
23.8.2013 10:40
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“privacy is an outdated concept” meinte schon Zuckerberg vor Jahren.

Ich denke ebenso gedankenlos wie die meisten Leute freiwillig ihr gesamtes Privatleben ins Internet stellen werden sie auch Fernseher mit eingebauter Kamera, Mikrofon nebst Internetanschluss kaufen und sich ins Wohnzimmer stellen.
Schließlich hat man ja nichts zu verbergen und es ist doch auch wirklich ganz toll, dass man über die neue Glotze nun auch ohne einen extra Computer skypen, chatten, spielen usw. kann. Der kleine Spion in uns freut sich darüber, zu sehen was die eigenen Kids so in ihren Kinderzimmer oder die Nachbarn auf deren Sofa so alles treiben.
Willkommen in der schönen neuen Welt der schier grenzenlosen Totalüberwachung!

Schaut man sich die Reaktionen auf den NSA Skandal sowie den jüngsten Meldungen zu den dreisten Machtdemonstrationen britischer Geheimdienste an, so steht zu befürchten, dass sich daran wenig ändert. Der Großteil der Bevölkerung will nun mal FFF und folgt dabei wie eine Horde dummer Schafe ihrem “guten Hirten”.

Ein paar ewig nörgelnde Querulanten und Paranoiker wehren sich noch verzweifelt indem sie lustige Verschlüsselungsstrategien entwickeln oder den Geräten mit Lötkolben und Schraubenzieher zu Leibe rücken.
Dies ändert aber nichts daran, dass sie dabei in einigen Jahren aus jeder Deckenlampe oder Steckdose beobachtet werden, wenn die Fusion zwischen Energieversorgung und IT/TK abgeschlossen ist.


Andreas
23.8.2013 14:45
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@Pete

So wie die Radios in Nordkorea 😉


Fabian
23.8.2013 16:44
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Naja, zwei Unterschiede gibt es noch:

1. Ein Fernseher ist nach wie vor optional
2. Noch kannst man die Geräte eigenständig ausschalten (und nicht wie bei Orwell lediglich “leise” drehen).


Jemand
23.8.2013 22:55
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Spaßfakt:
Die Xbox One wird in einigen Staaten schon als Spionagewerkzeug klassifiziert.


Roflcopter
24.8.2013 3:35
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“Man muss dazu aber erst einmal einen Account aufmachen, Name, E-Mail, Passwort. Und ne Telefonnummer soll man auch noch angeben.

Die E-Mail-Adresse ist aber so etwas wie eine weltweit eindeutige ID, Geheimdienste verwenden sie als Personenschlüssel.”

Ja nee is klar …
email: http://10minutemail.com/10MinuteMail/index.html
Telefonnummer: http://vsimcard.com/free_cards.php


calushy
26.8.2013 13:41
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Hadmut beschäftige Dich mal mit HD+ und Rückkanal.
Es braucht kein Internet.

Gruß,

calushy.


node14u
29.8.2013 8:49
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hätte orwell von facebook und handy gewusst, wäre “1984” noch unglaublicher gewesen… damals.

ich finde es nur immerwieder erchreckend wie wenig junge leute dieses buch nichteinmal kennen.
ich habe eine meiner gedruckten ausgaben gerade mal wieder verliehen und bin auch diesmal auf den kommentar gespannt.
meinereiner musste das damals noch in der schule durchackern(78)und ich frage mich, ob man das nicht wieder in den lehrplan aufnehmen sollte.
das würde sicher manchen eintrag in facebook oder film in Youtube ersparen.
oder etwa nicht ?


Pjotr
29.8.2013 23:11
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> hätte orwell von facebook und handy gewusst, wäre “1984? noch unglaublicher gewesen… damals.

…und es hätte sich dann sicher nicht verkauft. Der Roman war damals gerade so eben noch kapier- und vorstellbar, deswegen erfolgreich. 1948, als das Buch fertiggeschrieben wurde, hatte noch niemand Fernseher. Diese waren aus der Zeitung bekannt, aber unerschwinglich.

Kleiner Gegencheck: Star Treck -The next Generation wurde von 1987-1994 gedreht, da ist von Foren, Social Networking, crowdsourcing und dem Dauergesimse, -gewische und -gechatte aber nicht die Spur zu finden. Da hat es noch zentrale Computer… und Kommunikatoren und Tablet-Computer werden sparsamst genutzt. Shitstorm is nich’, und es gilt eine top-down-Befehlsstruktur, ohne occupy-artige Proteste.

Und das, obwohl an der Westküste schon damals (flatrate sei dank) von 1985-1994 GEnie in Betrieb war: http://en.wikipedia.org/wiki/GEnie ein frühes social Network mit allem was es jetzt auch noch gibt: chat, foren, spiele, etc. (Bei uns in Deutschland war 1993 gerade mal “Die Villa” als social network geboten.)

Das “social” Ding hat irgendwie alle überrollt.

> ich finde es nur immerwieder erchreckend wie wenig junge leute dieses buch nichteinmal kennen.

das kommt sicher, weil es amazon von den Tabletts verschwinden hat lassen (http://www.nytimes.com/2009/07/18/technology/companies/18amazon.html). 😉

Ich hab seit 2001 keine Glotze und kein Radio mehr, da Werbe- und Propaganda-Allergie. Und seit 2 Wochen kein Smartphone mehr (nach 7 Monaten ausgiebigem Technik-Test), es bringt einfach zu wenig Nutzen für den Aufwand. Und in letzter Zeit ertappe ich mich bei der Frage, ob ich wichtige Sachen nicht besser doch ausdrucken sollte.