Ansichten eines Informatikers

Der Fluch der Transparenz

Hadmut
16.12.2012 12:24

Auf Philosophen bin ich schlecht zu sprechen. Ich kann mich momentan nicht erinnern, in den letzten Jahren schon mal irgendetwas sinnvolles von einem zeitgenössischen Philosophen gelesen zu haben, schon gar nicht von einem unserer Kulturkreise. In meinen Augen ist die Philosophie der Neuzeit zu einem – meist verbeamteten – Dummschwätzertum geworden, ein Kult, der dem sinnlosen und willkürlichen Geschwafel huldigt. Ich wüsste auch nicht, wozu die heutigen Philosophen überhaupt gut sein könnten. Sie verbrauchen Geld und Energie und produzieren CO2, sind völlig nutzlos, reden blödes Zeug in unverständlicher Sprache, und kommen sich dabei auch noch überlegen vor. Warum man die Philosophie überhaupt den Wissenschaften und Universitäten zuordnet und nicht dem brotlosen Unterhaltungsbereich und der Kategorie erfolgloser Künstler, habe ich nicht verstanden.

Umso erfrischender ist es, wenn dann doch mal einer etwas interessantes und lesenswertes sagt, wie jetzt Byung-Chul Han in der Süddeutschen über den Drang zur omnipräsenten Transparenz.

Man kann durchaus in unserer denkbefreiten und gleichsschaltungs-, phrasen- und gesinnungsorientierten Ideologiegesellschaft auch mal darüber nachdenken, ob Transparenz immer nur der Demokratie dient, oder Ausfluss einer Ideologie ist, eine Inhaltsprothese der Inhaltslosen. Der Weg etwas zu fordern, wenn man nicht weiß, was man fordern könnte, weil man kein Konzept hat. Etwas, was man immer fordern kann. Die kanonische Blanko-Forderung. Die Politik für Politiklose wie Piraten.

Ich habe hier schon häufig über die moderne Rhetorik geschrieben, mit denkbefreienden Universalfloskeln und Standardargumenten zu arbeiten, sich so einen Satz von Forderungen als Instrumentarium anzulegen, mit denen man immer und zu jedem Thema irgendwas blubbern, fordern, vorwerfen, kritisieren kann. Unsere Universitäten funktionieren fast nur noch so.

Insofern ist der Gedanke durchaus nicht falsch, sich hin und wieder mal zu überlegen, ob die ein oder andere Transparenzforderung tatsächlich einer demokratischen Aufklärung dient, oder letztlich nur der Versuch ist, irgendetwas zu fordern, wenn einem nichts Gescheites einfällt. Und natürlich, wie es der Philosoph anspricht, auch nur ein Effekt der Gleichmachereiideologie ist.

Ich möchte es mal so sagen: Transparenz hat zwar einen Zweck, aber man sollte darauf achten, dass sie diesen Zweck erfüllt und nicht zum Selbstzweck wird. Denn selbst wenn man für weitestgehende Transparenz eintritt sollte man darauf achten, dass sie funktional und nicht nur pseudotransparent ist, und das kann man nur daran messen, ob sie den Zweck erfüllt.

19 Kommentare (RSS-Feed)

Janik
16.12.2012 12:56
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Wo ist der Fluch? Und wo liegen die Vorteile der Intransparenz in einer Demokratie?


Hadmut
16.12.2012 12:59
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Die Fragestellung ist blödsinnig. Aus einer Kritik an blindwütiger Transparenz folgt nicht, dass Intransparenz Vorteile haben müsste. Weil es keine Dichotomie aus völliger Transparenz und Intransparenz gibt.

Genau das meine ich bzw. dieser Philosoph: Das völlig hirnlose herumbeten auf Ideologien mit solchen Verbal-Hämmereien. Genau die Blödheit Deiner Frage ist der Fluch nach dem Du fragst.


Heinz
16.12.2012 13:03
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> nur pseudotransparent ist

Genau das wird nämlich oft vergessen, gerade von den Piraten, die ich nicht für sonderlich transparent halte.


georgi
16.12.2012 13:46
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… und schon wieder so viele Vorurteile…

… zumindest ich habe eine Vorstellung, was Piratenpolitik sein könnte, wenn man sie richtig präsentieren würde. Irgendetwas in der Art, wie sich fefe die Republik wünscht. Das ist nicht inhaltslos.

…ansonsten: Gleichmachereiideologie. Wo gibt es denn sowas? Ich sehe im öffentlichen Raum nur aggressive Haßtalks im Fernsehen, blödes seichtes Geschwätz von “Leistungsgesellschaft” etc. Und was hat das mit Philosophie zu tun? Daß zeitgenössische Philosophie doof ist, weiß ich noch. Aber etwas elitäreres, also gerade nicht gleichmacherischeres als ein philoshophisches Seminar über die Conception Sartres zu Fragen der Ästhetik bei Rotwein kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen. Ich hoffe, Du weißt auch, daß zeitgenössische Philosophie, also Derrida, Foucault, Butler etc. ausschließ von den besten und feinsten Universitäten der Welt kommt, irgendwo von der Sorbonne, aus Stanford, Yale oder sonstwoher, genau da, wo elitäre Auslese am entschiedensten betrieben wird, w&auuml;hrend Datensicherheit nur etwas fürs blöde Volk ist, und auch an irgendeinem popeligen Institutchen gelehrt und praktiziert wird.


Hadmut
16.12.2012 13:59
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Ich kenne keine einzige Universität, der man Qualität aufgrund philosophischer Ergüsse zuschreiben würde. Sie haben Philosophie eher wegen der Vollständigkeit im Portfolio, also notwendiges Übel. Die Philosophie ist im ganzen so niveaulos, dass sie den Schwindeleffekt erreicht, dass die lauteren unter den Schlechten als Gute erscheinen. Sind sie aber nicht.

Und übrigens wird auch IT-Sicherheit an den besten Universitäten gelehrt. Nur mit dem Unterschied, dass die da richtig große Informatik-Fakultäten haben und nicht nur mal einen einzelnen Lehrstuhl, der etwas auffällt.

Davon abgesehen halte ich Foucault und Butler für ziemliche Schwätzer, die einfach irgendeinen Käse blubbern. Denn ihre Ansicht beruht darauf, dass es keine Verifikation gibt und deshalb alles gleich wahr ist, bis es falsifiziert wurde. Auf diesem Niveau kann man natürlich endlos blubbern.


jck
16.12.2012 14:30
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Ich finde, Hadmut, deine Interpretation sehr viel besser als den Quatsch, den der Philosoph von sich gibt. Der nämlich trennt nicht zwischen der Transparenz eines Systems und der Transparenz des Individuums, wirft beides in einen Topf und kritisiert dann jeweils so, wie es ihm passt – und das nichtmal gut.

Wenn ich mich nun hinstelle und eine totale Transparenz des Systems fordere, dann hat das einen guten Grund: Ich will, wenn wir schon eine Demokratie haben, auch wissen, was gespielt wird. Und dazu gehört auch, dass ich weiss, wie Politiker entscheiden und ob Politiker für das viele Geld, was sie verdienen, auch wirklich Politik machen oder lieber für noch mehr Geld was anderes.

Das ich gleichzeitig Privatsphäre, also völlige Intransparenz, für mein (und jeden anderes) Privatleben fordern kann, ist kein Widerspruch. Dieses Recht haben Politiker und jeder andere, der sich in die Öffentlichkeit begibt, jedoch nicht – es ist aber ihre freie Entscheidung, es aufzugeben. Muss keiner.


Johanna
16.12.2012 15:53
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@jck: “Und dazu gehört auch, dass ich weiss, […] ob Politiker für das viele Geld, was sie verdienen, auch wirklich Politik machen oder lieber für noch mehr Geld was anderes.”

Denn erstens muss selbstverständlich in diesem Land Jedermann die Allgemeinheit informieren, wenn er einen Zweitjob annimmt. Außerdem ist das so eine Sache mit den Zweitjobs: Sobald man im Nebenjob mehr verdient, als im Hauptberuf, kann der Hauptberuf kein Hauptberuf mehr sein. Und wir wissen ja auch, dass jeder Arbeitnehmer mit Nebenjob und jeder Selbständige mit Zweittätigkeit sich auf alles konzentrieren kann, nur nicht auf seine Haupttätigkeit. Oder ist es in Wahrheit doch ganz anders als auf diesem Stammtischniveau?

Und zweitens ist es auch völlig belanglos, was ein Politiker inhaltlich fordert und wofür er eintritt, wenn man ihm doch einfach das Recht auf Privatsphäre aberkennen kann und dann schön in seinen Affären und unehelichen Kindern herumsticheln kann und damit genug Material für Pöbeleien finden kann, die man einfach neudeutsch als “Shitstorm” bezeichnet, damit die unflätige Pöbelei niemandem so schnell auffällt.

Ganz ehrlich: Ich habe lieber einen Politiker und Amtsträger, der mit legalen Nebentätigkeiten weiteres Geld verdient, als Leute wie Sie, die mit zweierlei Maß messen und Dinge, die Sie für sich selbst als ganz selbstverständlich erachten, anderen unter dem Vorwand der “Transparenz” aberkennen wollen. Sie fordern nämlich in Wahrheit gar keine Transparenz, sondern Sie fordern totale Kontrolle.


patzer
16.12.2012 16:44
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http://www.youtube.com/watch?v=4MiYtvbK4JY
OT:Aber vielleicht was für den Gastgeber.


Oppi
16.12.2012 17:20
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Politiker treffen entscheidungen die unser aller Leben mitbestimmen. Dazu sind sie von uns durch demokratische Wahlen beauftragt und werden gleichzeitig von uns durch Steuergelder bezahlt. Sie regieren uns nicht weil sie über uns stünden, sondern sind in Wahrheit unsere Bediensteten, an die wir Aufgaben delegieren, denen wir uns nicht selbst widmen können oder wollen.
Wenn ich jemandem eine Aufgabe delegiere, muss es trivialerweise mein Recht sein zu kontrollieren, wie er diese Aufgabe ausführt. Dazu gehört logischerweise auch das Wissen darum, ob er möglicherweise noch von anderen interessierten Gruppen finanziell abhängt, was seine Arbeit für mich beeinflussen könnte. Ein Arbeitnehmer muss seinen Chef fragen, wenn er einen Nebejob annehmen will. Ein Politiker ist Arbeitnehmer der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung. Wenn er das nicht möchte, muss er die Aufgabe ja nicht annehmen.

Wenn man von zwei unterschiedlichen Dingen spricht, muss man zwangsweise mit zweierlei Maß messen. Das eine ist die Privatsphäre, über die niemand Auskunft geben muss, das andere die Rechenschaftspflicht gegenüber dem Arbeitgeber über die eigene Arbeit. Nur ist im Falle von Staatsdienern eben jeder Wahlberechtigte auch Arbeitgeber.

Wer intellektuell nicht in der Lage ist, zwischen diesen beiden Feldern zu unterscheiden, hat wahrscheinlich Politiker verdient, die eher Bedienstete von Banken und Versicherungen sind, als Deligierte des Volkes.


jck
16.12.2012 17:31
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@Johanna “Sie fordern nämlich in Wahrheit gar keine Transparenz, sondern Sie fordern totale Kontrolle.”

Ja, ich finde es entsetzlich, dass Politiker ohne jegliche Kontrolle ungestraft machen dürfen, was sie wollen. Und ja, ich fordere eine totale Kontrolle von Politikern. Beispielsweise durch totale Transparenz.

Weil, und das sage ich nochmal: Ich finde, was Politiker machen, ist zu wichtig, als das sie nebenbei was anderes machen sollten. Ob mein Friseur nebenbei mit einer Band auftritt oder meine Anwältin nachts strippt ist mir egal. Wobei letztere das nicht dürfte, Anwälte haben da so Regeln.

Und ich messe nicht mit zweierlei Maß. Ich habe genau einen Maßstab für Politiker, und der gefällt Ihnen nicht, und dafür haben Sie keinerlei Argumente, sondern nur unangemessene Vergleiche und “Stammtischniveau”-Parolen. Dass die Leute keine Privatsphäre im Sinne von Sexleben haben? Nunja, wenn mir ein Politiker was von Familienförderung erzählt und dann in Thailand Prostituierte aufsucht, finde ich das als Wähler schon entscheidungsrelevant. Sie nicht?

Das Problem ist nämlich, dass Politiker dazu da sind, die Meinung des Volkes, also auch meine Meinung zu vertreten. Und da will ich schon wissen, was die Person für ein Mensch ist, was sie wirklich denkt. Denn der wichtige Punkt ist, dass ich meinen Automechaniker nicht bezahlen muss, wenn er Mist baut. Mit dem Mist der Politiker hingegen muss ich leben. Sie übrigens auch, und ich finde es traurig, dass es Ihnen offenbar egal ist, wer alles für Sie entscheidet.

Und ich bleibe auch dabei, dass Transparenz bei Nebentätigkeiten wichtig ist. Dass Steinbrück Vorträge für JP Morgan, Deutsch Bank, BNP Paribas, etc. hält, mag nämlich selbst dem dümmsten Beobachter die Augen dafür öffnen, dass Steinbrücks hochgelobtes Finanzmarktreformkonzept nichts anderes als hochtrabender Aktionismus ist, der zu nichts führt, begleitet von ein paar Parolen, die im Konzept wahrscheinlich nicht umgesetzt werden. (Ich sage explizit nicht, dass andere Konzepte besser sind; ehrlicherweise ist es sogar eines der besseren Konzepte, es ist nur nicht gut. Man braucht zum Beispiel keine Finanztransaktionssteuer, um Hochfrequenzhandel zu unterbinden. Man könnte ihn auch verbieten, um ihn zu unterbinden. Das wäre auch funktional einfacher.)

Ihrem Punkt mit den Shitstorm hingegen schließe ich mich an, aber das ist nicht die Schuld von Menschen wie mir, das sind die Politiker unter sich und die Medien, die das aufbauschen. Das ist traurig, hat aber nichts mit einer Transparenzforderung zu tun.


Hadmut
16.12.2012 17:36
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Oh, wieder dieses dumme Geschwätz. “Nicht totale Kontrolle” = “ohne jegliche Kontrolle”

Das ist genau der Blödsinn, den ich meine.

Als ob man daraus, dass man nicht mit 300km/h auf der Autobahn fahren sollte, folgern müsste, sich gar nicht mehr zu bewegen.


jck
16.12.2012 17:49
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@Hadmut “Nicht totale Kontrolle” = “ohne jegliche Kontrolle”

Das habe ich so nicht gemeint. Ich stelle nur fest, dass Politiker im Rahmen der aktuellen “Kontrollmöglichkeiten” für meine Maßstäbe deutlich zu viel machen (dürfen) und finde weiterhin, dass das, was die Leute machen, so wichtig ist, dass eine Forderung nach totaler Kontrolle keineswegs übertrieben ist. Und wenn sie nur dazu führt, dass sich ein Kompromiss ergibt, der etwas mehr Kontrollmöglichkeiten bietet.


Hadmut
16.12.2012 18:30
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> Das habe ich so nicht gemeint.

Und warum schreibst Du es dann so? Warum läuft die ganze Debatte so? Warum kommt das so in Mode, mit absurden Übersteigerungen zu argumentieren?


Joe
16.12.2012 18:49
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Warum läuft die ganze Debatte so? Warum kommt das so in Mode, mit absurden Übersteigerungen zu argumentieren?

Systematische Verblödung durch öffentlich-rechtliches Fernsehen.


EBecker
16.12.2012 19:01
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“Denn erstens muss selbstverständlich in diesem Land Jedermann die Allgemeinheit informieren, wenn er einen Zweitjob annimmt.”
Aber der Arbeitsgeber sollte es wissen und bei Politikern ist das Volk der Arbeitgeber. Und davon abgesehen gibt es die nicht zu verachtende Möglichkeit, dass über diese Beschäftigung nur Schmiergeld (welcher Art auch immer) gewaschen wird.


Johanna
17.12.2012 10:56
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@jck: Wenn Sie Stammtischparolen liefern, darf ich mich nicht auf Ihr Niveau herabbegeben? Wenn nur noch in Form von Rabulistik debattiert wird, möchte ich so kurz vor Weihnachten auch mal so bequem argumentieren.

“Das Problem ist nämlich, dass Politiker dazu da sind, die Meinung des Volkes, also auch meine Meinung zu vertreten.”

Das ist falsch und hier haben Sie vollkommen daneben gegriffen. Dazu hilft Ihnen bereits ein Blick in das Grundgesetz, Artikel 38, Absatz 1, Satz 2: “[Die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.”

Jeder Abgeordnete vertritt “das ganze Volk” und hat gerade deswegen NICHT Ihre oder meine Meinung zu vertreten. Wenn er eine Meinung vertritt, dann ausschließlich seine eigene. Diese hat er nur vor seinem Gewissen zu verantworten. Das Volk zu vertreten, heißt gerade nicht, Einzelmeinungen zu folgen oder der am lautesten geäußerten Meinung hinterherzulaufen. Das wäre nämlich eine verkappte Form der Diktatur und nichts anderes als die Durchsetzung des Rechts des Stärkeren.

“Wenn mir ein Politiker was von Familienförderung erzählt und dann in Thailand Prostituierte aufsucht, finde ich das als Wähler schon entscheidungsrelevant. Sie nicht?”

Nein. Erstens unterstellen Sie mit der Frage “Sie nicht?”, dass jemand, der nicht Ihrer Meinung folgt, auf ganzer Linie gegen Sie sein müsse. Zweitens verallgemeinern Sie mit dem Begriff “Politiker” auf unzulässige Weise. Politiker ist beispielsweise bereits Jedermann, der sich in einer Partei engagiert. Und wenn Erwin Kowalski aus Bottrop-Kirchhellen in der Fußgängerzone in lustigen Flyern das Eine fordert, in Thailand dann aber das Gegenteil davon tut, geht mir das (Sie entschuldigen bitte) am Allerwertesten vorbei. Was Sie meinen, sind Amtsträger bzw. Abgeordnete. Das ist ein kleiner Teil unserer “Politiker”. Der Abgeordnete ist zwar vom Willen des Wählers “entkoppelt”, da er aber ein politisches Amt angetreten hat und mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedergewählt werden will, wird er sich durchaus informieren und auch daran orientieren, wie die Debatte in der Gesellschaft geführt wird. Und das ist der eigentliche Kern des Problems: Wir führen keine echten Debatten mehr. Die meisten Menschen fordern nur noch (so wie Sie, die Sie einfach nur erwarten, dass ihre Meinung gefälligst zu vertreten sei).

Fordert ein Abgeordneter “Familienförderung”, die Gesellschaft aber in einer großen Mehrheit nicht, so wird dieser Abgeordnete oder zumindest dessen Partei bei der nächsten Wahl die Quittung dafür bekommen. Solange zu relevanten Themen eine inhaltliche Debatte in der Bevölkerung stattfindet, interessieren mich die Bordellbesuche von Abgeordneten nicht im Geringsten. Außerdem (das aber nur am Rand) unterstellen Sie, dass ein Bordellbesuch etwas anrüchiges sei. Das mögen viele Leute so sehen und auch ich würde mich wundern, derartiges von meinen Mann zu erfahren, es ist aber eine Wertung. Nicht Jedermann muss aber genauso werten, wie Sie oder ich.

@EBecker: Ja, der Arbeitgeber eines Angestellten muss über Zweitjobs informiert werden. Der Arbeitgeber ist aber nicht “die Allgemeinheit”. Auch ist ein Angestellter an die Weisungen seines Arbeitgebers gebunden. Bei Abgeordneten existiert aber keinerlei Bindung an Weisungen “der Allgemeinheit” oder “des Volkes” (siehe den oben genanntem Artikel des Grundgesetzes). Also ist “das Volk” gerade nicht der “Arbeitgeber” des Abgeordneten, denn die Abgeordneten sind in unserem Land (aus gutem Grund) frei. Ferner: Wäre “das Volk” der “Arbeitgeber” der Abgeordneten, warum setzen dann die Abgeordneten Ihre Diäten selber fest?


dentix07
17.12.2012 22:34
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@ Johanna

…die Abgeordneten sind in unserem Land (aus gutem Grund) frei.

Bis auf den Fraktionszwang! Erscheint mir etwas seltsam! Einerseits sind die Abgeordneten nur ihrem Gewissen verantwortlich – also auch nicht dem Volk oder Wählern gegenüber – aber die Fraktion (der jeweiligen Partei (!)) darf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten vorschreiben?
Vielleicht sind wir nicht die “Arbeitgeber” der Abgeordneten im üblichen Sinne, aber wir sind zumindest die Bezahler!
Heißt das nicht im Rückschluss, wir haben es zu bezahlen, aber nichts zu sagen?
Heißt es nicht: wer bezahlt, bestimmt? (Na ja, es heißt auch: wer bestellt, bezahlt! Aber haben wir uns diese Abgeordneten – man sehe sich das Listenwahlverfahren an – wirklich selbst bestellt? Oder haben andere sie bestellt, wir bezahlens und haben trotzdem nix zu sagen?)


Johanna
18.12.2012 9:53
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@dentix07: “Heißt das nicht im Rückschluss, wir haben es zu bezahlen, aber nichts zu sagen?”

Natürlich haben wir “etwas zu sagen”, denn die Meinungsäußerung ist und bleibt frei – egal wie sich unsere Parlamente zusammensetzen. Aber wir haben nicht, wie “jck” es gefordert hat, etwas “zu befehlen”. Das ist der gravierende Unterschied.

Dass wir als Souverän in einer representativen Demokratie, wie sie unser Grundgesetz nunmal vorsieht, einen großen Teil unserer Macht auf vier Jahre an eine kleine Gruppe von Abgeordneten abgeben, ist völlig in Ordnung. Wenn Sie oder andere dies “stört” (gönnen Sie mir hier bitte diesen schwammigen, von mir hier nicht abwertend gemeinten, Begriff), haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder, Sie stoßen die Debatte an, die representative Demokratie in eine direkte Demokratie (z.B. nach Schweizer Vorbild) umzuwandeln, oder Sie tun das, was “jck” fordert: Den Abgeordneten völlig entrechten und damit im Grunde den Sinn eines Parlaments in Frage zu stellen.


Phil
18.12.2012 14:45
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@Johanna

Ich halte auch nichts von direkter Demokratie (“Mob-Herrschaft”), aber ich denke, dass trotzdem einiges falsch läuft.

IMHO dürfte der Fraktionszwang nur die Listenplätze gelten, denn die Direktmandate sind nicht unbedingt wegen der Parteilinie gewählt.
Das wäre ein erster Ansatzpunkt. Es ist mir sowieso unklar, wie sich der Fraktionszwang mit der Gewissensfreiheit (oder so) aus der Grundgesetz vereinbaren lässt.

Laut UN gehört Deutschland zu den korruptesten Ländern der Welt. Da könnte man mal ansetzen und jedwede Zuwendung seitens einzelner oder Unternehmen verbieten.
Im Prinzip darf in Deutschland ein Angeordneter nur “vor” der Abstimmung im Parlament (!) kein Geld nehmen.
Für Abstimmung in Ausschüssen und nach der Abstimmung kann er verlangen was er will – das kann doch nur ein Scherz sein.

Wenn man Nebeneinkünfte verbietet – ein Abgeordneter sollte eigentlich gar keine Zeit für Nebeneinkünfte haben – dann stellt sich auch das Problem der Transparenz nicht. Dann könnte ein Abgeordneter wie jeder Promi behandelt werden – von der Presse verfolgt, aber nach belieben privat. Privatsphäre ist für eine gesunden Geist durchaus wichtig.
Die Vergütung für Abgeordnete, insbesondere unter Einrechnung der großzügigen Renten, sollte eigentlich hinreichend für ein Leben ohne Nebeneinkünfte sein. Schließlich bekommen Abgeordnete mehr als zehnmal so viel, wie angeblich zum Leben nötig ist.

Auch die Parteienfinanzierung sollte man mal genau unter die Lupe nehmen. Eventuell reicht es, wenn man die privaten Spenden auf das X-Fache des staatlichen Förderbetrages beschränkt?
Ich weiß nicht, wie es im Moment geregelt ist, aber ich denke, dass alle Spenden an eine Partei über den Klingelbeute-Betrag (50€?) mit Spender und Betrag, sowie Spender-Jahressumme eindeutig aufgelistet sein müssen.