Ansichten eines Informatikers

Kommentarkultur und Zukunft der Blogs

Hadmut
23.8.2012 13:52

Im Allgemeinen bin ich ja nicht so ein Freund von Netzpolitik.org, weil die meines Erachtens den Fehler machen, dass sich der Verstand dort nach der politischen Ausrichtung orientiert, und nicht umgekehrt. Aber aktuell haben sie zwei treffende Blog-Artikel (den und den), die auf das hinauslaufen, was ich hier auch schon gelegentlich beobachtet habe und was sich in meiner Kommentar-Policy niedergeschlagen hat. Eine Degeneration der Kommentarkultur, die ich hier allerdings nur zu manchen Themen beobachte. Bemerkenswert finde ich, dass auch viele andere Blogger immer wieder den Effekt beobachten, dass viele Leute glauben, einen Anspruch darauf zu haben, ihre Meinung (und manchmal auch ihren Müll) auf den Webseiten, auf Kosten und auf die Verantwortung anderer publizieren zu können und es schon für Zensur halten, wenn sie ihre Meinung in eigener Verantwortung äußern müssten. Als ob sie einen Anspruch darauf hätten, dass jemand anders die Verantwortung für ihre Meinung übernimmt.

Unangenehm ist auch der Effekt, dass viele Leute glauben, eine Art Graffiti-Anspruch gegen abweichende Meinungen zu haben. Niemand dürfe eine Meinung äußern, wenn sie nicht den Anspruch darauf hätten, ihre Gegenmeinung gleich dazuzuschreiben. Als müsse jede Meinung, die ihnen nicht passt, gleich mit allen Gegenmeinungen vermischt werden um einen Durchschnitt nahe Null zu bekommen oder sie gleich zu diskreditieren.

Darüber könnte man jetzt eben end- wie ziel- und nutzlos debattieren.

Für den Informatiker stellt sich aber die Frage, was man dagegen machen kann.

Es gibt ja inzwischen einige Überlegungen, soziale Netzwerke auf andere Art und Weise zu bauen, um Facebook-Kraken zu vermeiden. Dezentrale, eigenverantwortliche, aber vernetzte Publikationsplattformen.

Das Problem daran ist, dass man eine Kontrollfunktion braucht. Ist alles auf einer Webseite, wie bei der Kommentarfunktion eines Blogs, dann hängt auch die Verantwortung an einem Kopf, und auch die Themenauswahl. Nicht optimal, und nicht wirklich gut. Gibt man aber alles frei und lässt jeden drauflosrotzen, kommt das raus, was man im Usenet/News hat, was heute praktisch keiner mehr benutzt, weil es zu einer völligen Müllhalde verkommen ist.

Mir gehen da gerade so ein paar Ideen durch den Kopf. Muss aber erst einmal sehen, was es bisher schon so gibt.

Hat irgendwer schon mal Diaspora oder Friendica ausprobiert?

19 Kommentare (RSS-Feed)

Thomas Wagner
23.8.2012 15:06
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Diaspora wollte ich im Herbst 2011 eine Chance geben … und warte seitdem auf eine Einladung.


dwio
23.8.2012 15:51
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Einen Teil der Kontrolle kann man in “die Crowd”, auslagern, indem die Nutzer andere Kommentare bewerten können. Youtube hat soetwas, das Kommentarsystem disqus.com auch. Anhand eines Schwellwerts werden Kommentare mit zu vielen negativen Bewertungen ausgeblendet, andere hervorgehoben.
Auf den News-Portalen, die ich besuche, funktioniert Disqus ganz gut. Aber wenn die Diskussion ernster und politisch wird, wie hier im Blog, ist es, denke ich, nur bedingt geeignet. Problematisch wirds dann, wenn man die Kommentare nicht mehr anhand von objektiven Qualitätsparametern einer Diskussion, sondern Subjektiv nach der eigenen Meinung bewertet. Am Ende bliebe nur die Meinung der Mehrheit stehen und dann kann man das Diskutieren auch gleich ganz lassen


dwio
23.8.2012 15:58
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Nachtrag:
Obriges System funktioniert natürlich besser, wenn die Nutzerbasis groß ist. Wenn die Diskussionsrunde kleiner ist, kann die Dynamik natürlich viel schneller Kippen. In kritischen Blogs wie deinem fühlen sich ja öfter mal ein paar ideologische Fuzzis auf den Schlips getreten und könnten so einee Kommentarfunktion “kapern”.


Norbert
23.8.2012 16:35
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Sorry, aber was ist das bitte:

Hat irgendwer schon mal Diaspora oder Friendica ausprobiert?

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Hadmut
23.8.2012 16:36
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Projekte, die dezentrale OpenSource-Alternativen zu Facebook usw. darstellen wollen.


Heinz
23.8.2012 17:29
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Natürlich hat Keiner ein Recht darauf, dass sein Kommentar veröffentlicht wird, aber man darf natürlich schon Leute kritisieren, die abweichende Meinungen löschen/nicht (wie die anderen Kommentare veröffentlichen.

Ansonsten wäre ja auch die (lösch-)Kritik an einigen Femiblogs oder an Wikipedia ungerechtferitgt…


Thomas
23.8.2012 17:58
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Diaspora ist leider sehr leer (wenige Nutzer). Ansonsten sehr ähnlich zu Facebook, allerdings ohne Datenoktopismus.
Das andere kenne ich nicht.


lars
23.8.2012 18:35
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Während manche Prinzipien (hochwerten) sehr gut funktionieren können, weil diese auch passend sind (siehe zB stackoverflow) würden diese zB hier (in einem Misch-Masch aus sachlichen und emotionalen Diskussionen) vermutlich fehlschlagen.

Man könnte evtl 2 Skalen mit je 2 Wahlmöglichkeiten einführen:
unsachlich (-)……………………(+) sachlich
ablehnend (-)……………………(+) subjektiv richtig

dann könnte man stets zB die 4 “kritischsten” Kommentare besonders hervorheben.

Sehr gut ist auch der Mechanismus der Baumstruktur im Heiseforum, wodurch gleichzeitig mehrere Diskussionsstränge gebildet werden.


Die grundlegenden Überlegungen sind doch recht einfach. Öffentlich unzensierbar geht nur verteilt auf Länder anonym und freier Zugang, ähnlich wie das Usenet. Sobald einer moderieren kann wird selbst der netteste Moderator erpreßt.
Man kann nicht zentral säubern. Die Säuberung muß jeder selbst machen, indem er entscheidet, was er liest.

Carsten

Raucherfahrt
http://tr.toonpool.com/user/463/files/raucherfahrt_898515.jpg


Hadmut
23.8.2012 19:47
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Usenet ist frei. Trotzdem lese ich es seit über 10 Jahren nicht mehr, weil’s auch nichts mehr taugt.


vera
24.8.2012 0:21
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https://opalkatze.wordpress.com/2011/10/07/einladung-zu-diaspora/ Bitte erst lesen, dann klicken. Sind nur vier Sätze.


vera
24.8.2012 0:24
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Weiterer Vorschlag: Google+, sehr gezielt anwendbar, gute Debattenkultur. Eher wie Twitter als Facebook-ähnlich. Wenn ihr mit der gmail-Adresse sonst nichts macht, müsste das vertretbar sein. Auf jeden Fall einen Blick wert, auch, wenn Google dransteht – ihr wisst doch, wie man so was knautschfrei macht.


@vera
[Einladung zu Diaspora]
“Sei der Erste dem dies gefällt.”
haha

Die Frage nach der Öffentlichkeit erledigt sich doch schneller als man denkt.

@Hadmut
Ich meinte das Konzept. Wenn Menschen ein Forum nicht oder schlecht benutzen, dann brauchst du kein neues. Welche tauglichen Foren gibt es denn? Halten wir mal Konzept und Praxis etwas auseinander. Außerdem ändern sich auch Meinungen.

Was nun? Zentrale Moderation, Zensur… oder freies Forum mit dezentraler Filterung?

Carsten

Zensur
http://www.toonpool.com/user/8878/files/self_censorship_selbstcensur_859525.jpg


Hadmut
24.8.2012 10:54
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Das wär natürlich gut möglich, dass das Problem schon wieder mal nicht in der Software steckt sondern vor der Tastatur sitzt…


Hanz Moser
24.8.2012 11:18
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Für mich sieht das nach dem Versuch aus, ein soziales Problem durch Technik zu lösen. Das schlägt praktisch immer fehl.

Das schon angesprochene Heiseforum zeigt das ganz deutlich. Die Idee, Beiträge nach der Qualität zu bewerten ist gut. In der Praxis bekommen plumpe Stammtischsprüche den grünen Balken, weil es den Leuten gefällt, und kohärente Argumentation gegen die vorherrschende Meinung wird rot gefärbt. Nur in den entfernten Ästen sachlicher Beiträge funktioniert das System halbwegs. Halbwegs, weil nur wirklich dumme Sprüche rot sind und von den grünen Antworten darauf die Hälfte wieder Stammtischniveau hat.

Das Problem ist die Unterscheidung von tatsächlicher Qualität und persönlicher Gefälligkeit. Das werden die Leute dort auch dann nicht hinbekommen, wenn man ihnen zwei Bewertungsdimensionen gibt. Dann ist ein Beitrag wie “Den Politikern gehört allen das Gehalt gestrichen!” in Zukunft eben nicht nur einmal für die Zustimmung grün, sondern noch ein zweites Mal, weil der Großteil das (in genau der Länge und dem Wortlaut) für einen wertvollen Diskussionsbeitrag hält.

Das Problem, wenn man es technisch angehen will, ist einen Filter zu bauen, der das Rauschen beseitigt und das Signal verstärkt. Das geht nur bis zu einem gewissen Signal-Rausch-Abstand…


Es ist das Problem des Kriteriums. Nach welchem Kriterium soll eine zentrale Stelle filtern? Das gibt garantiert Streit. Es gibt Einmischung, Erpressung, Verfahren, Proteste, Zensur, Hausrecht…
Moderiert ist nicht frei.
Frei ist Saustall, jeder muß selbst entscheiden. Und genau das bedeutet Freiheit, jeder kann selbst entscheiden.

Carsten

Diplomatenjagd
http://www.youtube.com/watch?v=q2-h46TFeN0


Phil
24.8.2012 18:42
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IMHO tritt dieses Problem immer wieder auf, siehe Usenet, Email und jedes beliebige Board oder Forum.

Wie teilweise schon geschrieben handelt es sich hier eher um ein sozial-technisches Problem, d.h. es ist mit Technik allein nicht so lösen. @Hanz +1 für die physikalische Erklärung mit dem Rauschabstand

Es gibt (soweit ich überblicken kann) drei technische Lösungen mit diversen Unterspielarten:
* Blacklisting (+ Captchas, hidden Form Fields, etc.)
* Verhaltenserkennung [u.a. greylisting] (wird teilweise für Wikis genutzt)
* Whitelisting (auch bekannt als strikte Moderation 😉 )

Es bietet sich natürlich eine Kombination an.
Den ersten beiden Methoden ist gemeinsam, dass sie für einen direkten Angriff leicht zu umgehen sind. Genau genommen gilt dies sogar für die Moderation, da ein Kommentarspam jeden Moderator überfordern kann.

Ist die Nutzerbasis groß genug, bietet sich eine Verhaltenserkennung wie bei Stackoverflow an. Mit dem Punktesystem wird gewünschtes Verhalten bevorzugt und die Leute werden so gleich erzogen.
Verhält man sich lange wie erwünscht, so kann man sich mit der Zeit eine größere Vertrauensbasis aufbauen uns somit auch stärker selbst eingreifen –> automatisches Moderationssystem.

Für kleine Blogs, bzw. geringen Nutzerbasen ist dieser Ansatz jedoch wegen der starken Streuung nicht praktikabel. Hier geht leider nur der Whitelisting Ansatz. Dadurch wiederum ist die Freigabe prinzipiell von der Laune des Moderators abhängt.

Aufgrund der rechtlichen Situation werden wohl auch weiterhin kleine Blogs eine strikte Moderation verwenden müssen.

Davon losgelöst ist die Frage ob zensiert werden darf. Die Antwort lautet auf jeden Fall ja, denn auch wenn sich bekanntere oder größere Blogs dann gefallen lassen müssen, dass die Zensur angeprangert wird, so stellt doch eine Kommentarfunktion nur eine Einladung, nicht jedoch ein Recht zur Beteiligung dar.

Dies ist vergleichbar wie ein offenes Grillen im Garten, wo man Passanten anbieten mitzumachen. Dies Bedeutet eben nicht, dass deswegen gleich jeder Mitgrillen darf. Wenn der Grillmaster sagt, Gemüse kommt in die Schüssel und nicht auf den Grill, dann ist das so. Wer anderer Meinung ist, der kann ja eine eigene Grillparty veranstalten.


vera
24.8.2012 21:30
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Es war freundlich gemeint. Welche Buttons ich auf meiner Seite habe, braucht euch doch nicht zu stören.


@vera
Wenn der erste gesucht wird, dem das gefällt, dann war noch keiner da. So war das gemeint.

@Phil
Ein kleines Forum hat Hausrecht und muß dann zensieren. Du verstehst nicht, was öffentlich und unzensiert bedeutet.

Carsten

no bomb inside
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