Ansichten eines Informatikers

Science – it’s a girl thing: Lippenstift-Wissenschaft

Hadmut
4.8.2012 12:30

Anmerkungen und Reaktionen zu einer missglückten feministischen Frauen-in-der-Wissenschaft-Kampagne der EU.

Ich hatte kürzlich schon mal kurz drüber geschrieben, in der EU gab es eine donnerdoofe und auch als doof wahrgenommene Kampagne, um mehr Frauen in die Wissenschaft zu bekommen: Science, it’s a girl thing. Damit alle wissen, worum es da geht, hier nochmal der Video dazu:

Dazu gab es jede Menge negative Reaktionen, viele auch als Video, ich liste unten ein paar auf. Die Reaktionen waren so heftig, dass die EU den Video zurückgezogen und gesperrt hat. Wohlgemerkt, hinter der Kampagne standen Frauen.

Obwohl relative viele über das Video geschimpft haben und es für völlig verfehlt halten, ist es dennoch (oder gerade deshalb) interessant, sich zu überlegen, warum es als verfehlt empfunden wird. Denn objektiv muss man sagen, dass die rein technische Qualität exzellent ist, das Ding ist von Werbeprofis gemacht, allerdings eben auch ideen- und phantasielos, ein reiner Audio- und Video-Mode-Stil aktueller Werbung. Würde es am Ende nicht um Wissenschaft gehen, sondern als Werbender C&A, L’Oreal oder die Cosmopolitan auftreten, hätte sich überhaupt niemand an dem Video gestört, man hätte es als normal und branchenüblich angesehen, und aus dem Bereich stammten wohl auch die, die das Video gemacht haben.

Anscheinend war das eine Firma, die sehr erfahren darin ist, der Zielgruppe „Frau” etwas zu verkaufen – Schuhe, Mode, Lippenstifte. Und das funktioniert. Zalando führt gerade vor, wie man Millionen damit verdient, Frauen Schuhe zu verkaufen, indem man ihnen ein völlig beklopptes Frauenbild in der Werbung vorführt. Und es funktioniert, sie kaufen wie die Bekloppten. So ganz falsch ist das Frauenbild wohl nicht, wenn es so gut funktioniert. (Wobei man eben streiten kann, ob ein Frauenbild dann richtig ist, wenn es die Realität gut beschreibt, oder wenn es den größten Werbeerfolg hat.)

Anscheinend ist man da von der EU einfach mal zu irgendeiner Werbefirma gegangen, die sonst Schuhe und Lippenstifte anpreist und mit der Zielgruppe Frau erfahren ist, die aber von Wissenschaft keine Ahnung hat, und hat denen gesagt, sie sollen doch bitteschön auch mal „Wissenschaft” an Frauen verkaufen. Und die haben es aus ihrer Sicht eben so gemacht, wie man Frauen eben auch Schuhe und Lippenstifte andreht. Wieviel das mit Wissenschaft zu tun hat, kann man an Germany’s Next Topmodel sehen.

Damit war der Videospot nicht schlecht im eigentlichen Sinne, sondern hatte einfach nur das Thema meilenweit verfehlt. Man wollte Wissenschaft als Alternative zu anderen Berufen anbieten, als ob man die Leute dazu bringen will, ihre Lippenstiftmarke zu wechseln.

Was man in all dieser Empörung aber beachten sollte: So abwegig und absurd das Wissenschaftsbild in diesem Video erscheinen mag, es ist gar nicht so weit weg vom Wissenschaftsbild der Auftraggeber, der Feministinnen. Denn in der Feministischen Literatur wird durchaus ein solches Wissenschaftsbild propagiert und gefordert, auch wenn es widersinnig erscheint. All die sachliche, nüchterne, asexuelle, trockene, rationale Laborwissenschaft wird als typisch männlich und als frauenverachtend und -diskriminierend hingestellt. Eine „Gleichstellung” in der Wissenschaft würde erfordern, dass man jegliche Qualitäts- und Ausbildungsanforderungen fallen lässt und die als „typisch weiblich” hingestellten Eigenschaften wie kommunikatives und soziales Verhalten als gleichwertig ansehen müsse. Sich anzumalen und aufzubrezeln gehört aber zum Sozialverhalten.

Dass dieser Video so entgleist ist, war kein Betriebsunfall. Es ist genau das, was Gender-Feministinnen als „Gleichstellung” fordern, nämlich dass Frauen mit den frauentypischen „Stereotypen” (ich mag das Wort nicht) genauso anerkannt werden müssen. Und schließlich wird ja der Vorwurf erhoben, dass das Asexuelle, die sexuelle Neutralität der Wissenschaft, frauenausgrenzend sei. Was ja nichts anderes bedeutet als dass eine Wissenschaft, die nicht frauendiskriminierend sein soll, stärker sexuell aufgeladen sein müsse – Lippenstift, Stöckelschuhe, kurze Röcke.

Denkt man das alles mal konsequent zu Ende, dann bleibt eine Frage übrig: Muss man die Wissenschaft zu den Frauen tragen, oder müssen die Frauen zur Wissenschaft kommen? Macht man die Wissenschaft zur Lippenstift-Show, oder bleibt man doch dabei, dass es in der Wissenschaft um Leistung geht und weibliches Gehabe allein nicht genügt?

Die Frage wirkt auf den ersten Blick sicherlich blöd. Schaut man sich aber an, wie die Gender-Feministinnen fordern, für Frauen in der Wissenschaft sämtliche Qualitätsforderungen abzuschaffen und zwangsweise alles was sie sagen als gleich gut anzusehen, läuft es genau darauf hinaus, eine solche Lippenstift-Wissenschaft zu bauen.

Und wenn man sich etwa in der Informatik anschaut, was Feministinnen da fordern und vorlegen, dann ist eine solche „Lippenstift-Wissenschaft” bereits etabliert.

Das Video war kein Betriebsunfall und kein Missverständnis. Es passte – so widersinnig das klingt – exakt zum feministischen Wissenschaftsbild.

16 Kommentare (RSS-Feed)

Heinz
4.8.2012 14:14
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,,Die Reaktionen waren so heftig, dass die EU den [<–] Video zurückgezogen und gesperrt hat."

so heftig?

scnr xP


Johann
4.8.2012 15:48
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Hanz Moser
4.8.2012 22:51
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Welchen Grund hat es denn, dass du für Video durchgängig männliche Artikel und Pronomen verwendest?

Ist das ein versteckter Gag a la “jetzt finden es alle schlecht, also muss es männlich sein”?


Hadmut
4.8.2012 23:09
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Keinen bestimmten Grund, einfach nur so angewöhnt in einer Zeit, als das noch maskulinum war.

Früher hieß das nämlich mal Videofilm, und nicht Video, weil Video für sich eigentlich kein Substantiv, sondern nur ein Präfix mit Attributcharakter ist. Es gab ursprünglich Videokassetten, Videokameras, Videorekorder, Videoproduktionen und Videofilme, aber kein „Video”. Der Videofilm als Gegenstück etwa zum Super-8-Film ist ein Substantiv im Maskulinum.

„Das Video” ist eigentlich grausig-anglizistisches Neusprech mit Marketing-Denglisch-Einschlag. Da muss man aber ein gewisses Mindest-Alter haben, um das noch miterlebt zu haben. Damals wurde das zu „Bring mal einen Video aus der Videothek mit!”

Der Wechsel vom Maskulinum zum Neutrum ging, soweit ich mich erinnern kann, sprachlich vor allem mit der Loslösung vom physischen Medium einher. Solange man mit einem Film immer zwingend das Medium betrachtete (Film, Kassette, DVD) und das damit im verbalen oder gedachten Kontext von „Film” stand, war das maskulinum.

Erst seit durch die modernere Computertechnik und die hohne Speicher- und Übertragungskapazitäten Videos nicht mehr regelmäßig mit dem Medium verbunden sind, sagt man eher das Video. Aber nicht weil es irgendeinen Grund oder Sinn hätte, sondern weil sich willkürliche umgangssprachliche Sprechweisen manchmal durchsetzen.

Darin wieder eine Geschlechter-Kampfsache zu sehen, ist eigentlich nur Unfug.


Goofos
5.8.2012 13:39
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Ich denke ich muss hier etwas die Werbefirma in Schutz nehmen. Man kann es natürlich immer der Werbefirma in die Schuhe schieben wenn die Werbung schief geht. Dann war eben die Werbung Schuld weshalb sich das vollkommen grandiose Produkt nicht platzieren konnte.

Es kann aber auch am Auftraggeber liegen. Zum einen, dass der Auftraggeber eigentlich keine Ahnung hat was er will und dementsprechend planlos die Informationen aussehen. Oder zum anderen, dass der Auftraggeber ganz präzise weiß was er haben will und wie es aussehen soll, auch wenn es völlig behämmert ist.

Wenn es sich bei der Werbefirma tatsächlich um Profis handelt, würde ich auf den Auftraggeber tippen welcher das vermurkst hat. Es wäre deshalb durchaus interessant wie die Vorgaben der EU-Kommissarin aussahen, wenn so ein Spot dabei heraus kommt.


Hadmut
5.8.2012 13:53
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War kein Angriff auf die Werbefirma. Meiner Vermutung nach sind die eben auf Verkauf und nicht auf Wissenschaft eingestellt (welche Werbefirma ist das schon?) und im Rahmen dessen schon durchaus sehr gute Arbeit abgeliefert. Optisch und Marketing-mäßig ist der Spot tadellos.


Thomas
5.8.2012 15:50
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Wieso interessieren sich eigentlich so viele Jungs und junge Männer für die Wissenschaft (auch als Beruf)? Um mal nicht immer nur zu fragen, was Frauen und Mädchen davo abhalten könnte…


anonym
5.8.2012 16:15
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Interessieren sich denn tatsächlich “viele” Jungs und junge Männner für Wissenschaft?


yasar
5.8.2012 20:29
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Ich oute mich auch mal als alter Knacker, der den Videofilm noch kennt.


Phil
6.8.2012 9:56
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@Thomas AFAIK haben Jungen einen instinktiven Drang zum Verstehen und Reparieren, welcher den empirischen Wissenschaften entgegen kommt. Jungen sind dadurch von Natur aus eher Entdecker (was sich sicher auch evolutionär begründen lässt).

Allerdings neigen Jungen auch eher zum Raten als Mädchen, welche gewissenhafter und akribischer sind. In der tagtäglichen Laborarbeit sind die Frauen also im Vorteil, weil es eher ihrem natürlichen Verhalten entspricht.

Wenn ein Projekt knapp wird, dann neigen Männer eher dazu, eine “kreative” Abkürzung zu nehmen, während Frauen eher Tag und Nacht arbeiten um sich genau an die Vorgaben zu halten.

Darüber hinaus ist es wohl auch ein Problem, dass Frauen in der Wissenschaft eher nicht so im Rampenlicht stehen, was dazu für, dass junge Mädchen in der Pubertät dies Rolle i.d.R. nicht annehmen. Gewissermaßen ist dies eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Vielleicht hätte man bei Star Trak statt Wesley ein Mädchen in die Rolle des Jungen Wissenschaftlers setzen sollen ?!

Der dritte Effekt ist, dass Frauen eher zeitig aussteigen um eine Familie zu gründen (und mehr Zeit mit ihr zu verbringen), was wohl primär daran liegt, dass Frauen von Natur aus Harmonie bedürftigen sind als eher auf Respekt und Hierarchie fixierte Männer. Im Prinzip sind Frauen nur glücklich, wenn alle Freund (und Freundinnen) ebenfalls glücklich sind.

Natürlich sind diese Effekte nicht absolut, sonder eher als Tendenz zu verstehen.


Thomas
6.8.2012 14:57
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@Phil: Bei “von Natur aus” bin ich grundlegend skeptisch, da man hier meist sehr stark vereinfacht und sich auch die Entwicklung des Menschen mittels langer Zeiträume sehr einfach erklären möchte.

Ich habe zb. den Eindruck, dass die Evolutionstheorie bisweilen sehr einfach ausgelegt wird, vor allem in den Bereichen, in denen es um Verhalten geht. Manchmal wirkt es geradzu kreationistisch.

Zudem denke ich auch, dass es eine arge Verkürzung ist, solche Entwicklungstendenzen über lange Dauer (mehrere tausend Jahre) schlicht auf die heutige Arbeitswelt übertragen zu wollen. Frauen wurden bis ins 20. Jahrhundert zb. nicht deswegen von bestimmten Berufen ausgeschlossen, weil das einer evolutionsbiologisch begründbaren Notwendigkeit entsprochen hätte oder sonst irgendwie in ihrem “Wesen” gelegen hätte. Sondern das war Politik, die laxe Interpretationen von Biologie und/oder Gotteswillen als Begründung genommen hat, die akzeptiert worden sind oder werden mussten.

Ich finde, was viel zu selten – zu Gunsten eines nach meiner Ansicht eher krationistisch gewendeten Evolutionsbegriffs – beachtet wird, das ist in der Tat unsere Kindererziehung. Das norwegische Bildungsministerium (das ist dort für Kinder zuständig, bei uns ist es das Familienministerium!) hat 2008 ein Papier herausgegeben, in welchem es unter anderem die (wie ich finde) sehr interessante Frage aufwirft, warum unsere Kinder auch heute noch (nach der Frauenbewegung und ihrer Emanzipation in vielen Bereichen) in etwa ähnlich “stereotype” Berufswünsche haben wie vor 50 Jahren; ob da nicht Dinge in den Kitas und Familien passieren, die eben zu diesen Wünschen führen (Knackpunkt ist hier übrigens u.a., dass in allen Ländern dieser Welt, die ein Kitasystem haben, fast ausnehmlich Frauen arbeiten und fast ausnehmlich Frauen mit ähnlichen soziokulturellen Hintergründen, also eine Recht homogene Gruppe)? Ich halte diese Frage jedenfalls für beachtenswert. Ich denke zudem, dass eine genauere Erforschung dieser Frage auch bewirken würde, dass evolutionsbiologische Annahmen nicht mehr so lax in den Raum geworfen werden. Sie erklären nämlich nie, wieso die postulierten Gesetzmäßigkeiten über ganze Epochen hinweg sich auch genau so wieder in der Gesellschaft abbilden (können), obwohl diese sich teilweise fundamental verändert – es gibt gewaltige Unterschiede zwischen der mesopotamischen Kultur und der industrialsierten Dienstleistungsgesellschaft; warum es also evolutionsbiologisch plötzlich doch geht, dass Frauen in stark technisch orientierten Berufen aufgehen können, Pfarrer werden können, Lehrer, sich trotz natürlichem Zwang gegen Kinder entscheiden können, obwohl es ihrer Natur entspricht usw., wo all das vorher als biologisch unmöglich abgetan wurde (Frau ist nicht von Gott dazu auserwählt, Frau ist nicht klug genug etc.). Der biologische Körper hat sich ja kaum sehr viel verändert.

Auch die Behauptungen über kindliche Intelligenz sind kritisch zu sehen.
Bspw. habe ich in meiner Tätigkeit mit Kindern oft genug beobachen können, dass allgemein Kinder “einen instinktiven Drang zum Verstehen” haben (Neugierde) und nicht bloß Jungs; sie sind alle Entdecker. Kinder, die nicht Entdecker sind, sind nicht evolutionsbiologisch zu betrachten, sondern eher psychopathologisch: wenn Kinder nicht mehr neugierig sind, dann muss etwas krasses passiert sein.
Kinder können das auch kaum anders haben, da ihnen ein vernunftgesteuerter Zugang zu Dingen notwendig bis zu einem gewissen Alter abgeht, den müssen sie ja erst lernen (das ist u.a. Aufgabe der Erziehung). Aus dem Grund der noch nicht vorhandenen Vernunft sind Kinder ja auch nicht strafmündig, sondern sollen es optimaler Weise spätestens mit dem 18., aller spätestens mit dem 21. Lebensjahr erst werden.
Auch die Neigung “Abkürzungen zu nehmen” ist allen Kindern gemein, da sie sich wesentlich probabilistisch an Dinge heran wagen. Was auch logisch ist, da die Vorkenntnisse erst gelernt werden müssen genauso wie die Kenntnisse gewisser nicht sichtbarer Kräfte (zb Schwerkraft). Die kann man nur im Sinne von Trial and Error wirklich entdecken und verstehen.

Ich denke, man müsste gerade in solchen letztlich gesellschaftspolitischen Fragen (Geschlecht, Intelligenz und Arbeit) weit mehr auf die Erziehung als auf die Biologie schauen, die sicherlich ihren Anteil hat, aber nicht für alles zur Verantwortung gezogen werden kann (die Natur erfordert bspw. nicht die Art der Befüllung unserer Spielwarenregale, an denen man gut sehen kann, wie wir über Kind&Geschlecht denken: für Mädchen gibts Puppen und Küchen…).
Es wird sonst schnell apologetisch, zb. müsse man dann naturbedingt den Jungs eben wirklich viel häufiger ihr aggressives, auf Konkurrenz drängendes Verhalten abtrainieren und zwar am besten präventiv, noch bevor es sich äußern kann (was gruselig ist, denn das ist ein wenig wie PreCrime!).
Ich denke auch, dass man in diesen Fragen aufpassen muss, nicht aus Versehen eine kreationistische Wendung des Evolutionsbegriffes vorzunehmen, was man jedes Mal dann tut, wenn man sagt, die Natur wollte dies und das so/hat es so “angelegt”, dass Mädchen so und Jungs so sind. Die Natur will gar nichts, sondern sie hat Mechansimen wie die Vererbung, die schlicht funktionieren, egal ob wir sie kennen und verstehen oder nicht. Sie hat aber keinen Willen (außer man ist animistisch geprägt!).


Hadmut
6.8.2012 15:01
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@Thomas: Und woher willst Du wissen, dass es nur an der Erziehung und so gar nicht an der Biologie liegt? Weil’s die Ideologie so vorschreibt?

Man kann doch den biologischen Aspekt nicht pauschal und ungeprüft ausschließen, nur weil einem das Ergebnis nicht behagen würde.


Thomas
10.8.2012 14:41
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@hadmut: bin vielleicht etwas übers Ziel hinaus geschossen. Dass die Biologie irrelvant wäre, wollte ich keines Falls sagen, weswegen ich gerade das mit dem Kreationsimus erwähnt habe. Ich bin für eine strenge Anwendung von Theorien, nicht für zusammengeschusterte mashups.
Was allerdings sich von selbst versteht, ist eben, dass die Biologie einen Anteil an jedem menschlichen Verhalten hat. Dass es noch irgendwas anderes gibt, das ebenfalls sehr beeinflussend ist, muss grundsätzlich ausführlich dargestellt werden und hat ausserdem immer gleich so eine Art Esoterik-Unterstellung.
Wirklich schlimm (persönliche Aversion) finde ich aber wirklich diese Willensaussagen, also dass die Natur das und jenes so und so eingerichtet habe, weil…. Das ist nicht Evolutionsbiologie, sondern eben Kreationismus für mich. Weil es der Evolution ein teleologisches Prinzip unterschiebt, was eben genau Kreationismus ist (ob man sagt: “Der Schöpfer hat vorgesehen” oder aber “die Natru hat vorgesehen”, es ist das selbe Prinzip)

Ansonsten muss ich das einfach anhand meiner praktischen Arbeit so feststellen, dass man Kinder wirklich stark lenken kann in dem, was sie sind/sein sollen. Weswegen ich einfach an diesem überbordenden natürlichen Biologieanteil zweifeln muss, weil ich dieses “natürliche” Mädchen/Jungenverhalten einfach auch zu oft durch bestimmte Elterntypen hervorgerufen sehen habe. Vor allem habe ich auch Mädchen und Jungen kennengelernt, die einfach gar nicht so waren, wirklich jenseits davon. Wer ist davon jetzt die Normalstandardgruppe? Ich gehe eher davon aus, dass man auch bspw. die Hormonentwicklung von Kindern durch Erziehung beeinflussen kann (im Moment ist man ja sehr auf alles aus, was Aggression bewirken könnte) und dass das dann Rückwirkungen hat, aber das ist schwer formulierbar ohne esoterisch zu klingen.

Ich habe auch schon Mädchen sagen hören, sie würden nicht wild rumlaufen, obwohl sie Lust hätten, denn “das machen doch nur Jungs”. Sowas denken sich KInder nicht aus, sondern das kriegen sie vermittelt, von vielen Stellen. Das kann enorme Auswirkungen haben, auf die gesamte Entwicklung eines Kindes. Da kann auch die Biologie nicht viel retten, wenn man sowas ständig zu hören bekommt und auch vorleben muss; da hilft nur noch Erkenntnis und Selbstsorgsamkeit.

In den 60iger/70iger Jahren war das bspw. vollkommen anders (zb. Piaget), da hat das Geschlecht des Kindes wenig Rolle gespielt für Bildung. Und aus dieser Zeit haben wir auch die besten und gesichertsten Erkenntnisse über die frühe Kindheit, die bis heute niemand ernsthaft widerlegen konnte.

Und mir gehts hier gerade wirklich bloß darum, wieso man sich immer so einig ist, dass gerade die Biologie so stark determinierende Auswirkungen gerade auf die Bildung haben kann (wie gesagt: vor 40 Jahren hat das in wissenschaftlichem Maße noch niemand irgendwie wichtig gefunden); ob man da nicht was verkürzt und deswegen was übersieht und fälschlicher weise entschuldigt. Das ist die einzige Gefahr, auf die ich hindeuten will. Dass man vergisst, was eigentlich Erziehung sei und was sie sowohl bewirken als auch anrichten kann.


Hadmut
10.8.2012 15:13
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> Was allerdings sich von selbst versteht, ist eben, dass die Biologie einen Anteil an jedem menschlichen Verhalten hat.

Gerade das bestreiten die Genderisten/Queeristen aber doch ausdrücklich.

> Wirklich schlimm (persönliche Aversion) finde ich aber wirklich diese Willensaussagen, also dass die Natur das und jenes so und so eingerichtet habe, weil

Ja. Die Natur hat gar nichts eingerichtet, das würde ihr nämlich wieder ein willentliches, zielgerichtetes Handeln unterstellen.

Trotzdem sind viele Eigenschaften natürlichen Ursprungs, eben weil sie sich als vorteilhaft erwiesen und durchgesetzt haben.

> Ich habe auch schon Mädchen sagen hören, sie würden nicht wild rumlaufen, obwohl sie Lust hätten, denn “das machen doch nur Jungs”. Sowas denken sich KInder nicht aus, sondern das kriegen sie vermittelt, von vielen Stellen.

Und das ist eben ein Denkfehler. Diese Sichtweise kann durchaus auch daherrühren, dass verschiedene Teile des Gehirns unterschiedliche Handlungsweisen bevorzugen, etwa der bewusste Teil wild rumtollen will, während womöglich irgendwas im Unbewussten sagt, dass es für weibliche Individuen günstiger sein könnte, sich unauffällig zu verhalten. Bei vielen Tieren sind die Männchen auffällig und die Weibchen haben Tarnmuster, weil sich das als beste Überlebensstrategie bewährt hat.

Dem muss man nicht folgen, weil wir nicht mehr auf Bäumen leben. Aber es hilft auch nichts, dazu einfach falsche Behauptungen aufzustellen, wie die Feministinnen es tun.


Thomas
10.8.2012 20:45
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@Hadmut: Also ich bin aber kein Genderist/Queerist usw. Ich habe dafür schon zu viele negative Erfahrungen gemacht mit denen, besonders mit den Genders. Die sind manchmal selbst geradzu gegen mich als Homo und zwar immer dann, wenn sie auch pauschal gegen alles Männliche sind. Beispiel Bibliotheken. Damit haben die sich für mich als ideologisierte Fundis geoutet gleichzeitig und disqualifiziert. Die Queers sind im wesentlichen eine Partybewegung geworden, werden aber meistens als “Das Schwulentum” verstanden, auch wenn sie nur ein Bruchteil sind. Kann ich nichts gegen machen, ist aber auch nicht meine Welt.

ich will nicht behaupten, es könne nicht sein, dass es auch eine Art Grund”normalität” in der Biologie gibt, die durchs Geschlecht gesteuert bzw. erst verursacht wird. Ich bin nur sehr für zurückhaltende Gedankenformung, weil das eine sehr komplexe Sache ist. Ich kann mir auch einfach nicht mehr vorstellen, dass so eine Art “biologisch-geschlechtliche Chasis” alleine als Erklärung schon ausreicht, dafür sind die Verhalten viel zu verschieden (allein die Frau/Mannbehandlung auf verschiedenen Kontinenten und über Epochen hinweg). Also ich meine: man muss auch erklären können, wie diese “angelegten” biologischen Mechanismen denn wirken können, wieso sie gerade so wirken und nicht anders, trotz (oder wegen? das ist die Frage) einer Erziehung, die nicht mehr von den Menschen auf Bäumen gemacht wird und auch nicht für Menschen auf Bäumen; und wie diese Chasis über die Jahrhunderte so verschiedene Formen annehmen konnte; welche wohl möglich sind usw…

Was mich bezogen auf kindliche Bildung und Geschlecht stört: ich höre bei diesen Fragen der Bildsamkeit von Menschenkindern fast nur noch: das Gehirn wars. Oder: die Gene warens. Oder: Gehirn und Gene warens. Ich höre eigentlich nie mehr: unsere Erziehung war das. Und das finde ich doch wirklich sehr komisch. Schaue ich mir die ritalinisierten Jungs in unseren Schulen an, finde ich definitiv nicht, dass deren desinteressiertes Verhalten nur durch deren eigene Gehirne ausgelöst worden sein kann. (Zumal das Jungens bspw. in Japan kaum passiert, die kennen da auch das “Null-bock-auf-Schule”-Syndrom nicht. Haben die nun biologisch ganz andere Jungs, weil die kein Ritalin brauchen? Die Schulform ist fast die selbe wie bei uns, aber bspw. der Kindergarten ist völlig anders und deren Gesellschaft hat viele kinddgerechte Lernmöglichkeiten schon für ganz Kleine ausserhalb der Schule).
Alles, was man aus der Unkonzentriertheit (?) unserer Jungs gemacht hat ist aber: das sind deren Gehirne (die können nichts dafür, brauchen aber Medikamente), wir können sonst nichts gegen machen. Das war für mich bspw. vorschnelle und schlechte Engführung von (Neuro)Biologie und Erziehung, weil die Biologie den “Zuschlag” vollkommen erhalten hat und dann keiner mehr über evtl. inadquate Erziehungs- und Bildungsmethoden in oder außerhalb unserer Schulen nachdenken musste (mein Eindruck). Die Genders hätten das aber keines falls besser gelöst, bei denen wären irgendwie die Männer alleine dran Schuld und das Patriarchat und man müsse die Mädchen fördern. Das wäre aber auch nicht der Zuschlag zur Erziehung gewesen, sondern der zum Pauschalismus.
Die Genderisten haben zumeist eine sehr verschrobene Sicht aufs Biologische, weil alles nur Konstrukt ist (ausser dem genderism), was ein konsistentes Bedenken langfristig sich nicht ändernder Dinge (wie der menschlichen Biologie) stark erschweren kann. Ist aber im Grunde die von mir oben erwähnte Frage danach, was denn heute Erziehung sei. Wer sich mit der neueren Biologie nicht beschäftigt, wird darauf nur kleingeistige Antworten geben können.
Ich wäre sehr für eine gute Theorie, die sozusagen Kultur und Neuron vereint. Was ich bisher dazu gelesen habe, hat mich aber meist stark ernüchtert. Es ist immer noch entweder alles Neuron oder alles Kultur, bestenfalls ein halbgares Mashup. Das finde ich inzwischen ermüdend. Meines Empfindens nach sind da die Fronten auch sehr verhärtet, warum weiß ich allerdings nicht. Für mich sieht es wesentlich nach Opposition aus kindischen Motiven aus.

Was ich an Ihrer Ausführung jetzt nicht ganz verstehe ist das, was sie übers Unbewusste sagen, also was Sie darunter verstehen. Das sagt mir gerade nicht viel.

Wobei ich schätze, dass über den Schnittpunkt von Biologie und Psychologie des Unbewssten momentan noch nicht viel gesagt werden kann, wahrscheinlich wegen der wechselseitigen Verachtung von Nautr- und Sozialwissenschaften; und einer latenten Tendenz, wissenschaftliche Interdisziplinarität kaum wirklich ernst zu nehmen. Interessant ist das mit Sicherheit, nötig eigentlich auch (wozu forschen wir seit fast 20 Jahren direkt am kindlichen und menschlichen Hirn, wenn wir es nicht in unser Verständnis von Erziehung integrieren wollen? Und wozu forschen wir seit fast 50 Jahren zu Erziehungsfragen, wenn wir diese nicht in unser Verständnis der (Neuro)Biologie integrieren wollen? Weiß das jemand?)


Ralf Muschall
13.8.2012 18:55
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Die Frage, ob Biologie oder Erziehung, ist IMHO erstmal zweitrangig. Die Entscheidung für einen wissenschaftlichen Beruf fällt ja nicht in der Kleinkindphase. Allerdings spielt Biologie eine Metarolle – Mädchen wissen, dass sie wahrscheinlich später die Familie auf dem Hals haben werden, und orientieren sich daher von vornherein überdurchschnittlich oft auf Berufe mit geregelter Arbeitszeit – also öder Bürokram, personennahe Dienstleistungen, Einzelhandel. Dort erwirbt man nunmal selten wissenschaftliche Erfolge. Außerdem treibt der dadurch verursachte Andrang die Löhne in diesen Berufen in den Keller (eine Vollzeit-Frisörin ist mit 50 ebenso Krüppel wie ein Maurer, muss aber Hartz-4 beantragen, um zu überleben).
Wissenschaft setzt nun einmal voraus, dass man unvorhergesehen die Nacht im Institut bleibt – mit Familie erfordert das eine Menge an Hilfe und Infrastruktur, was hierzulande beides fehlt.