Ansichten eines Informatikers

Des Tills unwürdig

Hadmut
10.2.2024 17:25

Wenn man sich schon damit genug ist, es zu reimen.

Ich wollte aus masochistischem Bloggertum heraus gestern abend Mainz bleibt Mainz gucken, habe aber wegen einer Maschinenwartung, die länger dauerte als erwartet, den größten Teil verpasst. Früher hätte man da schnell eine Videokassette in den Rekorder gestopft, später den Festplattenrekorder auf Aufnahme gestellt, heute drücke ich am Fernseher einfach die HbbTV-Taste und kann es streamen.

Womit wir den Punkt, was heute besser ist als früher, auch schon erschöpfend abgehandelt haben.

Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind, in meiner Jugend, auch noch als Student immer sehr, sehr gerne Mainz bleibt Mainz gesehen habe, als das noch Witz und Schärfe hatte. Und vor allem: Als das noch den Sinn der Fasenacht, des Karnevals erfüllte.

Man sagt in Köln, und auch in Mainz haben sie es nun erwähnt, sehr gerne, dass die da immer deshalb gerne in alten Soldatenuniformen (angelehnt an Preußen, Franzosen u.ä.) und militärisch, mit Funkemariechen auftreten, weil es eine Persiflage auf die Macht war, weil man sich über Staatsmacht und die französischen Besatzungstruppen lustig machte (war das nicht Napoleon?). Ich kann mich erinnern, dass mich in Köln mal so ein Ur-Kölner mit Kölner Schnüss vor den Kölnern gewarnt hat, weil die Kölner aufgrund ihrer vielen Besatzungsmächte gelernt hätten, immer dem mach dem Mund zu reden, der gerade an der Macht ist, und man deshalb keinem Kölner über den Weg trauen dürfe, Kölner seien immanente Lügner. Nur im Karneval würden sie Kritik üben, indem sie sich mit dem Karnevalskram über die Machthaber lustig machen, deshalb auch die Umzugswagen.

In Mainz heißt es zwar Fasenacht, oder besser Fastnacht, das Prinzip ist aber dasselbe, denn auch Mainz war von den Franzosen besetzt. Karneval/Fastnacht war deshalb traditionell eine Machtkritik, eine Kritik an der Regierung.

Früher hatten sie, hatte der MCC, der Mainzer Carneval Club, einen genialen Till, angelehnt an Till Eulenspiegel, dargestellt von Rechtsanwalt Dieter Brandt. Auf den habe ich jedes Jahr gewartet, weil der nicht nur exzellent gesprochen hat, sondern auch hintergründigen, tiefsinnigen Witz hatte.

Der hat irgendwann aus Altersgründen ausgeschieden und ist vor einigen Jahren auch verstorben. Lange hatten sie keinen Till, oder, wenn ich mich jetzt recht erinnere, auch mal wechselnde, aber keinen, der so gut war.

Nun haben sie wieder einen. Dr. Florian Sitte. Zahnarzt.

Und den finde ich, sorry, eines Tills unwürdig.

Sprachlich platt, mehr so der Holzhammerwitz. Er macht sich zwar auch alibimäßig über Baerbock lustig, aber tendenziell betreibt der Bauchpinselei gegenüber der Regierung und drischt auf Opposition und – unvermeidlich – „rechts“ ein.

Die schaffen das nicht mehr, an frühere Zeiten anzuknüpfen.

Sie haben weder den Witz, noch die sprachliche und geistige Tiefe, und auch nicht mehr den Charakter, nach oben, gegen Macht und Zeitgeist zu schießen, sondern sind selbst der Mainstream, der nach unten tritt.

Mainz bleibt Mainz ist nicht mal mehr eine Persiflage seiner selbst. Das ist nur noch Rumgehampel und Politwichserei. Keine Kritik an den Mainstreamentscheidungen, an Energie- und Migrationspolitik, stattdessen „Ihr müsst dankbar sein“, wie gut es uns geht. Ganz kurz, nur im Nebensatz als Alibi, mal erwähnt, dass er auch Migranten nicht mag, die unsere Werte nicht schätzen.

Und dann, und das finde ich dann eine absolute Impertinenz, lobt der auch noch die Redefreiheit, weil er seine – so regierungstreue, mainstreammäßige – Rede halten kann. Als würde man sich bei Honecker dafür bedanken, dass man den Sozialismus loben darf.

Die Mainzer Hofsänger singen auch nicht mehr so gut wie früher, dafür mainstreamiger. Das sind alles nur noch Mainstreambekenntnisse.

Die merken schon gar nicht mehr, wie schlecht, wie erbärmlich sie geworden sind. Vor allem: Wie systemtreu. Und systemtreu kann man keine Fasenacht machen. Fastnacht ist Kritik nach oben und nicht Einschlagen auf die Opposition.

Ich will von meiner Kritik eine Sendung von Mainz bleibt Mainz ausnehmen, die von 2021. Damals haben sie es in der Hochzeit der Corona-Lockdowns unter Feierverbot und ohne Publikum mit Improvisationstalent geschafft, trotz allem eine ordentliche Sendung hinzukriegen, die gute Stimmung rüberbrachte. Dafür gebührte ihnen Lob und Respekt.

Aber nur noch dafür.