Ansichten eines Informatikers

Felix mit dem Plastikschädel

Hadmut
2.2.2024 15:16

Es gibt noch Fortschritte in der Technik.

Vor fast 30 Jahren, ich war noch an der Uni, hatte ich in Sachen IT-Sicherheit an der Kopfklinik in Heidelberg zu tun, und dabei vor Ort und über die Informatik-Medizin-Themen der Kollegen einiges mitbekommen und gesehen, so auch die ersten 3D-Drucker. Damals noch mit Laser und Kunsthaft, fürchterlich stinkend und grotesk teuer, nicht vorzustellen, dass ich jemals selbst einen 3D-Drucker haben würde.

Einige Kollegen hatten damals mit der Radon-Transformation zu tun, in der ein zweidimensionales Dichtefeld in Linienintegrale entlang einer Schar von Geraden und wieder zurück transformiert wird. Das ist nämlich genau das mathematische Verfahren, mit dem man aus den Messwerten eines Computertomographen, der ja um den Körper, etwa den Schädel, herumfährt und mit einer Phalanx aus Messsonden die Durchlässigkeit für Röntgenstrahlen entlang einer Richtung misst – also genau das Linienintegral entlang einer Richtung. Das ist mit der Fouriertransformation verwandt, bei der man das Integral entlang von Sinuswellen bildet. Das war zwar nicht so mein Hauptthema, aber ich war damals am Institut unter anderem der Transputer-Fuzzi, und weil das viel Rechenleistung braucht und die Transputer damals unsere höchste Rechenleistung hatten, hatte ich das für die Kollegen auf dem Transputercluster implementiert. Wollten die, nachdem die gesehen hatten, wie schnell ich mit dem Transputercluster Apfelmännchen rechnen konnte.

Wir kamen dann in Kontakt mit den ersten 3D-Druckern, die noch in Labors standen und sehr schwierig zu bedienen waren, weil das Produkt eine Konsistenz nur knapp über Pudding hatte und man versuchen musste, den Glibber möglichst unversehrt in den UV-Ofen zum Härten zu bugsieren, und dadurch auch die Größe begrenzt war.

Jedenfalls drängte es sich geradezu auf, und war wie ein Wunder, dass man mit der Kombination aus beiden Techniken die Knochen lebender Menschen ohne sie zu verletzen kopieren konnte. Es ging damals ein wunderbarer Unterkiefer durch alle Hände, der so genau gedruckt war, dass man am Kiefer sogar die beiden kleinen Löcher vorne sehen konnte, durch die da Nerven austreten. Es galt allerdings nur als „Wunder der Technik“ zum Staunen und Lehren, um Studenten Anatomie und deren Unregelmäßigkeiten und Abnormitäten vor Augen zu führen, Lehr- und Forschungsmaterial.

Bis die Kunde von der Sensation den Umlauf machte, dass Chirurgen das Ding spontan in einer echten Operation eingesetzt hätten. Ich weiß nicht mehr, ob es ein Unfall oder eine Missbildung war, aber Chirurgen standen vor der Aufgabe, eine massiv krumme und verformte Schädeldecke eines Mädchens irgendwie in Streifen und Teilchen zu zerschneiden, und dann gerade und in normaler Schädelform wieder zusammenzubasteln. Und die waren auf die Idee gekommen, sich vom Schädel und den Tomographiedaten erst einmal einige Kopien aus Plastik drucken zu lassen und daran so lange die Operation zu proben, üben, optimieren, bis sie wussten, wie es am besten funktioniert. Die haben so lange Plastikkopien des Schädels „operiert“, bis sie es konnten, und erst dann den echten Schädel. War wohl als etwas skurril aufgenommen worden, weil sie die ersten Versionen nicht im OP, sondern im Büro auf dem Schreibtisch operiert hatten, und erst zum Schluss hin auch noch einmal unter OP-Bedingungen und mit OP-Werkzeug geübt hatten. Irgendwer, der den Grund noch nicht kannte (und später dann begeistert war) hatte auch blöd angefragt, was das solle, den immer gleichen Schädel drucken zu lassen, wenn sie ihn ständig gleich wieder kaputt machten.

Deshalb finde ich das überaus interessant, dass sie jetzt einem Kind mit zertrümmertem Schädel sogar ein Schädelersatzteil aus dem 3D-Drucker eingebaut haben, und das sogar zu einer unerwartet schnellen Heilung führte.

Beachtliche Frage, wie lange das hält. Nicht nur, dass es nicht mitwächst, die Frage wäre auch, ob der Kunststoff wirklich so lange hält und chemisch stabil bleibt.

Auf jeden Fall sehr interessant.