Ansichten eines Informatikers

Von Glück und Angst

Hadmut
5.1.2024 2:51

Ein Leser fragt an.

Ich hatte geschrieben:

Schon dieser Terminus: „social chemosignals“. Als wäre es für mein Blog geschrieben. Zeigt mal wieder, dass wir keine „Geister“, irgendwie beseelt sind, sondern das Hirn chemomechanisch wirkt, ordinäre Automaten.

Der Leser fragt:

Nur wozu dann ein Bewusstsein, ein Ich-Empfinden. Wieso krieg ich dann mit, dass ich ich bin? Wieso laeuft dann nicht das gesamte Weltgeschehen ab ohne dass irgend jemand auch nur das geringste davon spuert? Wozu das Empfinden von Glueck/Angst/Schmerzen wenn ein entsprechend automatisches Verhalten genuegt?

Das täuscht.

Das Ich-Empfinden, dazu gibt es allerlei Experimente, ist nur eine Illusion, eine Art Algorithmus, der uns die Steuerung erlaubt, und, das ist besonders interessant, die unterschiedlich schnell vorliegenden Ergebnisse verschiedener Gehirnteile so synchronisiert und zusammenfasst, dass es uns wie eine einheitliche Vorstellung vorkommt.

Anders gesagt: Das „Ich“ ist nur ein Rechentrick, um die vielen kleinen ichs als ein einheitliches großes Ich erscheinen zu lassen, damit wir uns nicht allzu sehr mit uns selbst streiten (funktioniert beim einen besser, beim anderen weniger). Es gibt einige Experimente, bei denen wir einen fremden Arm für den unseren halten, oder glauben, den Schmerz zu fühlen, wenn ein Hammer auf eine Gummihand schlägt, die wir per Trick für unsere eigene halten. Ich bekomme es nicht mehr ganz zusammen, neulich gab es irgendwo ein Experiment mit einem umlaufenden Zeiger, ähnlich wie bei einer Uhr, der uns, ich weiß es nicht mehr genau, erschien, als hätte er einen Knick, obwohl er völlig gerade war, weil die prädiktiven und analytischen Teile des Gehirns unterschiedlich schnell sind, und der eine Teil den inneren Teil des Zeigers schneller erfasst als der andere Teil den äußeren (weiß nicht mehr genau, wie das ging, der äußere Teil lief irgendwie unter einen Zahnrad oder sowas durch, weshalb wir den inneren Teil analytisch sahen und den äußeren prädiktiv oder umgekehrt, ich krieg’s nicht mehr ganz zusammen), weshalb wir also eigentlich zwei Zeigerteile sehen müssten, die versetzt laufen (ähnlich einem rolling-shutter-Effekt bei der Filmkamera). Sehen wir aber nicht, wir sehen einen einheitlichen Zeiger, der aber einen Knick hat. Obwohl er gerade ist. Weil das alles zusammenläuft und in der großen Schüssel zu einem plausiblen Teig zusammengerührt wird, der dann daraus einen Knick macht. Weil ein Zeiger mit Knick, aber ohne die Zähne, genau so aussehen würde. Oder so ähnlich. Müsste man noch einmal raussuchen.

Tatsächlich aber ist dieses Ich gar nicht so ichig, wie wir uns das einbilden, sondern wir glauben und wünschen das nur, dass wir selbstbestimmte Menschen wären, sind wir aber gar nicht so sehr, wie wir uns das vorstellen. Ganz andere Teile des Körpers bestimmen etwa darüber, worauf wir gerade Appetit haben, oder ob wir mit jemandem Streit anfangen.

Das ist das, wie es ist.

Die Frage nach dem „warum“ ist im Prinzip falsch gestellt. Denn sie unterstellt, dass sich da jemand was dabei gedacht hat, dass da eine konstruktive Absicht dahinter steckt.

Es war aber keine Absicht und keine Planung, kein Konzept und kein Ingenieursentwurf, sondern das Produkt einer evolutionären Entwicklung. Der Mensch kann eigentlich nichts wirklich gut im Vergleich zu Tieren. Zu allem, was wir können, gibt es Tiere, die es besser können (irgendwo habe ich gelesen, die Ausnahme sei der Marathon-Lauf, kein Tier könne so ausdauernd und weit laufen wie der Mensch, weshalb die ersten Menschen in und vor der Steinzeit angeblich recht erfolgreich jagen konnten, indem sie Tiere über lange Strecken zu Tode hetzten, statt den direkten Kampf zu suchen). Trotzdem hat der Mensch die weiteste Ausbreitung auf der Erde, mehr als Ameisenarten, Kakerlaken, Ratten. Weil die Kombination sehr effektiv war, und der Mensch verschiedene mittelmäßige Fähigkeiten besonders gut kombinierte, und dadurch überragend wurde.

Und das setzte wohl voraus, den Mensch auch neural besonders gut zu vernetzen, und das alles zu synchronisieren, weshalb wir nachrichtlich sprechen, hören, lesen und sowas alles können. Und das nun wieder setzt voraus, dass wir es gleichzeitig tun, oder besser gesagt, dass es uns gleichzeitig vorkommt. Weil es sonst unmöglich wäre, das alles zu verknüpfen.

Ich habe oft beschrieben, dass mir beim Maschinenschreiben – nie jedoch handschriftlich – oft ein gewisser Schreibfehlertyp unterläuft, bei dem ich Silben mit anderen verwechsle, die gleich oder ähnlich klingen, aber anderes bedeuten, oder, allerdings sehr, sehr selten, ein verwandtes, aber anderes klingendes Wort schreibe. Obwohl ich genau weiß, wie das Wort geschrieben wird und ich den Schreibfehler niemals mit der Hand, mit dem Stift machen würde. Offenbar, weil die Worte im Bewegungsgedächtnis für das Tastaturschreiben als Bewegungsabläufe und nicht per einzelnen Buchstaben gespeichert sind, und per Silbenklang zugeordnet. Ich hatte mal eine Tastatur, auf der die Tastenbeschriftungen komplett abgenutzt waren und alle Tasten nur noch schwarz glänzten, bis auf F und J mit dem fühlbaren Tastpunkt für die beiden Zeigefinger in der Grundstellung. Ich konnte auf der Tastatur keine einzelnen Zeichen finden oder eingeben, hatte aber überhaupt kein Problem, schnell und fließend Blog-Texte zu schreiben, weil ich ja beim Schreiben auch nicht auf die Tastatur (und oft auch nicht richtig auf den Bildschirm) schaue.

Ich habe darauf geachtet, wie diese Fehler zustandekommen. Sie entstehen nachlaufend. Immer wenn ich relativ schnell schreibe, die Gedanken schnell und flüssig laufen. Weil ich gedanklich dem geschriebenen Text schon etwas voraus bin. Informatiker-Sprech: Ich schreibe dann nicht mehr synchron, sondern in einem Pipelining-Modus. Das bedeutet aber, dass die subjektiv gefühlte Synchronität nicht mehr besteht, und andere Teile des Gehirns, die nur noch für den Klang von Sprache zuständig sind, versuchen, mit dem Schreiben hinterherzukommen und dann zu falschen Silben greifen. Es passiert nämlich nicht, wenn ich langsam schreibe. Das hat mit dem Timing zu tun und dass die Teile des Gehirns nicht mehr synchron arbeiten, sondern Pipelining machen.

Auch das zeigt, dass das „Ich“ uns nur vorgaukelt, als gäbe es da eine zentrale Steuerzentrale, die über alles die Kontrolle hat, obwohl es nicht so ist.

Möglicherweise war es nur so möglich, alles unter einen Hut (Schädel) zu bringen, weshalb wir Feinmotorik, Lesen, Sprechen, Singen, Hören können, ein Orang-Utan aber eben so nicht.

Und das alles so zu vernetzen, dass es uns wie ein „Ich“ erscheint und wir auf die Umwelt reagieren, sie wahrnehmen, sie emotional bewerten, was letztlich auch nur sehr alte Rechenmethoden sind, hat uns evolutionäre Vorteile gebracht.

Ich habe aber schon lange den Verdacht, und wollte darüber eigentlich schon einen Artikel schreiben, dass ich immer öfter den Verdacht habe, dass es erstaunlich viele Menschen gibt, die gar nicht denken im modernen Sinne, sondern ihre Umwelt fast nur auf einer emotionalen Weise erleben und bewerten. Ich habe ja schon geschrieben, dass mir da im linken Lager so viele Leute begegnet sind, die auf mich wirken, als fehle ihnen ein Teil vom Hirn, und dass es zur Rudelmechanik gehört, die Teile im Rudel abzuschalten. Es gibt enorm irrationale Leute, und ich habe den Verdacht, dass sie ausschließlich in einer Emotionalwelt leben. Etwa sehr abergläubige oder religiöse Menschen, und vielleicht ist das auch der Grund für Religiosität.

Ich hatte vor einiger Zeit mal einen Blogartikel über eine Untersuchung geschrieben, die herausgefunden haben wollte, dass ein erstaunlich großer Teil der Menschheit sich selbst nicht wie eine Stimme denken hören kann, deshalb also gar keine Eigenwarnehmung der eigenen Gedanken und Willensbildung hat. Ich glaube, das geht genau in diese Richtung. Die haben die Einzelteile des Gehirns (oder zumindest ein paar wichtige), aber denen fehlt die Funktion, das zusammenzufassen. Die haben womöglich gar kein „Ich“ in diesem Sinne. Womöglich ist Autismus, was ich auch schon geschrieben habe, ein Fehler in diesem Mischverfahren.

Ich hatte schon beschrieben, dass gerade im linken Lager viele Leute sind, die überhaupt nicht in Individuen, in Individualismus denken können, kein Eigeninteresse, keine Eigeninitiative wahrnehmen können, sondern immer nur rudelmechanisch in Kollektiven, Gruppen, Klassen denken. Das könnte genau dazu passen, dass die Leute kein – sagen wir mal, kein voll intaktes und funktionsfähiges – Ich haben, sich deshalb auch keinen Individualismus vorstellen können, es in ihrer Welt nicht möglich ist, dass jemand etwas selbst macht, sondern immer alle nur als beeinflusstes Kollektiv handeln.

Insofern wären Linkstum und Marxismus, aber auch die Religion, das logisch folgende Symptom solcher Hirndefizite.

Ich kannte mal jemanden, der unfassbar abergläubisch war, der alles um sich herum nur in Astrologie, Magie, guten und schlechten Omen, Ritualen, und all so einem Zeugs wahrnahm, Menschen nur in Form der ihnen unterstellten bösen Absichten bis zum Verfolgungswahn. Das könnte auf ein Defizit in genau dieser Hirnfunktion hindeuten, die dafür zuständig ist, die Wahrnehmungen und Rechenergebnisse in der richtigen Mischung zu einem Ich zusammenzufassen. Womöglich ist es genau das, was einen guten Naturwissenschaftler ausmacht.

„Warum“ ist die falsche Frage. Es steckte ja keine planungsvolle Absicht dahinter.

Es hat halt so funktioniert, dass es Vorteile gegenüber anderen brachte und einen kontinuierlichen Verbesserungspfad bot. Es bot eben die Möglichkeit, Beobachtungen, Prognosen, emotionale und rudelmechanische Wertungen zusammenzufassen und daraus Handlungen abzuleiten, also komplex zu entscheiden. Entwickelt man das weiter, kommt man irgendwann beim „Ich“ an, das ständig damit beschäftigt ist, die Umgebung zu beobachten, zu bewerten, Prognosen zu erstellen und Handlungsweisen daraus abzuleiten. Und wenn man das noch ein bisschen weiterentwickelt, dann kommt man beim heutigen „Ich“ an, das aber eigentlich auch nur ein ständiges Handlungsentscheidungsrechnen ist.

„Ich“ und „Wir“ sind dabei eben nur die beiden Optimierungszielfunktionen Individuum und Rudel, bei denen vorteilhaftes Handeln zu deren Gunsten zu einer evolutionären Durchsetzung der Gene führen.