Ansichten eines Informatikers

Von grün zu welk

Hadmut
23.11.2023 20:49

Zeitenwende!

Ich schreibe ja seit einiger Zeit über alle die plötzlichen Positionswechsel und Rochaden in Politik und Medien. Feminismus ist abgeschafft, und Migration auf einmal ein Problem. Und das Geld wächst auch nicht mehr auf den Bäumen.

Neulich hörte ich jemanden sagen, dass der – eigentlich und bisher so linke – SPIEGEL inzwischen Artikel über Migration schreibt, für die man vor kurzem noch aus der AfD [als zu rechts] ausgeschlossen worden wäre.

Gerade gelesen in der WELT: „Die grüne Deutungshoheit ist passé“ Interview mit Andreas Rödder, 56, Professor für Neueste Geschichte und CDU-Mitglied.

WELT: Erleben wir gerade weltanschaulich die Kernschmelze jener kulturellen Hegemonie rot-grüner Koordinaten?

Rödder: Ja, und das ist ein echter Paradigmenwechsel. Die grüne kulturelle Hegemonie hat sich seit den 80er-Jahren aufgebaut und seit der Weltfinanzkrise von 2008 die politische Öffentlichkeit dominiert. Sie hat die neuralgischen Zonen des Diskurses bestimmt: Klima und Energie, Migration und Integration, Geschlecht und Sexualität.

Und sie hat die Grenzen des Sagbaren festgelegt: Wer als „Klimaleugner“, „Rassist“ oder „transphob“ galt, war aus der Debatte verbannt. Wenn Hubert Aiwanger in Erding sagte, die „schweigende Mehrheit dieses Landes“ müsse sich „die Demokratie wieder zurückholen“, dann war das institutionell falsch; im Hinblick auf die demokratische Öffentlichkeit aber sprach er genau das an, was Allensbach schon seit etlicher Zeit demoskopisch erhebt.

WELT: Das hat ja auch verfangen – in beiden Lagern. Dieser Satz.

Rödder: Erding war ein ikonischer Moment. Dort ist auch das Heizungsgesetz gescheitert – und die Strafaktion der „Süddeutschen“ ist im Rohr krepiert. Schließlich hat das Attentat der Hamas samt der sympathisierenden Demonstrationen den Schleier über den Problemen ungesteuerter Migration weggerissen. Wie Robert Habeck heute spricht, hätte noch vor Wochen als „rechts“ gegolten – wie zuvor Boris Palmer.

Aber das ist vorbei. Die grüne Deutungshoheit ist passé.

WELT: Wie erklären Sie sich diesen Wandel?

Rödder: Es gibt ein chinesisches Sprichwort, dass eine Sache, die in ihr Extrem getrieben wird, ins Gegenteil umschlägt. Die grüne Hegemonie hat ideologisch überzogen, indem sie den Rahmen des Sagbaren immer enger gezogen und immer aggressiver das Stigma „Nazi“ verteilt hat, etwa an die Teilnehmer einer Konferenz meiner Kollegin Susanne Schröter zum Thema „Migration steuern, Pluralität gestalten“ im April in Frankfurt. Irgendwann setzt dann ein, was man Reaktanz nennt: „Wenn das Nazi ist, dann bin ich eben Nazi“, sagen sich die Leute.

Hinzu kam der Einbruch der Wirklichkeit: das Hamas-Attentat und die Sympathiebekundungen von Linken und Muslimen. Der russische Überfall auf die Ukraine, der die deutsche Ideologie der „Zivilmacht“ ad absurdum geführt hat. Und das Heizungsgesetz hat eine Ahnung verschafft, dass die grüne Klima- und Energiepolitik nicht funktionieren kann.

Ja, ja.

Das erklärt, dass und warum wir gerade aus der links-rot-grünen Tyrannei entkommen. Er sagt auch wie:

WELT: Welche Chance liegt darin für eine bürgerliche Politik?

Rödder: Die Chance, sich aus der Defensive gegenüber der grünen Deutungshoheit zu befreien und eigene Positionen zu vertreten. Die Herausforderung, das Narrativ der Klimaaktivisten und Postkolonialisten zu überwinden, die bürgerliche westliche Gesellschaft sei im Kern zerstörerisch und rassistisch. Und die Notwendigkeit, ein positives eigenes Narrativ zu entwickeln, dass und wie bürgerliche Politik eine positive und lebenswerte Zukunft eröffnen kann.

Bürgerliche Politik muss sich mit Überzeugungs- und mit Strahlkraft sowohl von grüner Politik als auch von der populistischen Rechten absetzen. Die entscheidende Frage ist, ob die Gegenbewegung nach rechts, die wir erleben werden, in das Lager der populistischen Rechten oder in die demokratische rechte Mitte führt.

Was er nicht sagt, was ich aber für wichtig halte: Wie konnte das überhaupt passieren, dass wir in eine solche Lage gekommen sind? Zu bemerken, dass und warum wir da rauskommen, ist leicht, und vor allem risikolos, weil ja dann was anderes kommt. Als würde man Ende ’45 sagen, die Nazis müssen weg und die Amis helfen uns dabei. Die viel interessantere Frage ist, wie konnte es passieren, dass wir da rein rutschten.

Wie können wir verhindern, dass es wieder passiert?

Wie ziehen wir die Täter zur Verantwortung?

Wer kommt für den Schaden auf?

Wird die Entgrünifizierung genauso scheitern wie die Entnazifizierung und die Entstasifizierung?