Ansichten eines Informatikers

Die Grünen und die Scharia

Hadmut
7.11.2023 11:22

Oder: Das Geschwätz des Omid Nouripour.

Ein Leser fragt, was ich davon halte:

Da stellt sich erst einmal die Frage, ob das Zitat überhaupt stimmt oder Fake News ist. Weiß man ja heute nie.

Da gibt es die selbsternannten Pseudo-Faktenchecker von correctiv.org, die behaupten:

Nein, Omid Nouripour will in Deutschland nicht „die Scharia einführen“

Eine Aussage des neuen Co-Vorsitzenden der Grünen, Omid Nouripour, wird verkürzt wiedergegeben. Anders als behauptet sagte Nouripour nicht, dass Teile der Scharia in Deutschland „eingeführt“ werden sollten. Er sagte, dass diejenigen Interpretationen der religiösen Glaubensvorschriften, die mit dem Grundgesetz vereinbar sind, in Deutschland angewendet, also ausgelebt werden können sollten.

von Matthias Bau
08. Februar 2022

[…]

Ende Januar haben die Grünen eine neue Parteispitze gewählt. Die Nachfolge von Annalena Baerbock und Robert Habeck traten Ricarda Lang und Omid Nouripour an. Noch am gleichen Tag verbreitete sich eine falsche Behauptung über Nouripour auf Twitter (hier und hier) und Youtube: Angeblich wolle er „die Scharia in Deutschland einführen“. Auch die österreichische Webseite Report24, die immer wieder Falschbehauptungen verbreitet, behauptete das in einem Artikel.

Zusammen mit der Behauptung wird ein kurzer Videoausschnitt von einer Aussage Nouripours im Bundestag verbreitet. Darin sagt der Grünen-Politiker jedoch nicht, dass er „die Scharia einführen“ wolle.
Omid Nouripour stellte 2018 eine Zwischenfrage bei einer Bundestagsdebatte

Die Aussage Nouripours stammt aus einer Bundestagsdebatte vom 11. Oktober 2018. Wir fanden das Originalvideo auf dem Youtube-Kanal des Deutschen Bundestages. Ab Minute 13:30 findet sich die Aussage Nouripours, die auf Twitter verkürzt wiedergegeben wird. Er reagierte auf einen Redebeitrag eines AfD-Politikers. Eigentlich sprach er 80 Sekunden lang. Wie aus dem Video hervorgeht, meinte Nouripour, dass Musliminnen und Muslime diejenigen religiösen Glaubensvorschriften befolgen können sollten, die mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Sie verweisen dabei auf Youtube:

Kontext:

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 4
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Also: Nouripour hat etwas in der Art gesagt.

Aber: Es ist inhaltlicher Quatsch. Auch juristischer. Dazu aus der Wikipedia:

In Frankfurt erlangte er 1996 das Abitur an der Bettinaschule. Danach nahm er ein Studium der Germanistik, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz auf, das er 1997 um ein Zweitstudium der Soziologie, Philosophie und Volkswirtschaftslehre ergänzte. Beide Studiengänge schloss er nicht ab, nachdem er 2002 hauptamtliches Mitglied im Bundesvorstand der Grünen geworden war.

Nouripour ist Muslim, verheiratet und hat einen Sohn.

Beide Grünen-Chefs Lang und Nouripour sind also Jura-Abbrecher (oder Jura-Scheiterer, je nachdem, wie man es nimmt).

Juristen sagten mir, das Jura-Studium sei sehr anstrengend, man sei sehr viel mit Lernen beschäftigt. Und der will gleichzeitig noch Germanistik und Politikwissenschaft studiert haben? Und weil ich das nicht ausgelastet hat, noch ein „Zweistudium“ der Soziologie, Philosophie und Volkswirtschaftslehre obendrauf?

Sechs Fächer gleichzeitig?

Respekt! So schlau und intelligent wirkt der auf mich gar nicht. So intellektuell hätte ich den eher … ach, lassen wir das, sonst wird mir wieder ein Konto gekündigt.

(Andererseits sagten mir Geisteswissenschaftler, dass Studiengänge wie Germanistik, Politikwissenschaft, Soziologie, Philosophie völlig trivial und anspruchslos seien, weil es ohnehin nur völlig willkürliches Geschwätz sei, auf dessen Richtigkeit es an keiner Stelle ankäme und die auch keiner beurteilen könnte, die man durch Immatrikulation und gelegentliche Anwesenheit quasi automatisch studiere, die Akademisierung der Faulen und Unfähigen.)

Warum ist das Quatsch?

  1. Das Grundgesetz, genauer gesagt, die darin beschriebenen Grundrechte schützen den Bürger vor den drei Staatsgewalten. Das heißt, dass der Staat die Religionsausübung zu achten hat, aber nicht, sie gegen andere durchzusetzen. Schwierig ist die Formulierung der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung. Sowas wird von Linken immer gerne als Handlungsauftrag des Staates gegen die Bürger ausgelegt, ist es aber nicht. Es ist nur eine Handlungsanweisung des Staates gegen sich selbst. Nicht gegen andere Bürger.

    Hier sieht man aber wieder diesen ständig zu beobachtenden Effekt, dass rot-grün die Grundrechte „rumdreht“ und zum Recht des Staates gegen den Bürger macht.

  2. Die Scharia durchzusetzen, solange sie mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

    Wisst Ihr, was das heißt?

    Es heißt alles. Denn das Grundgesetz bindet nur die drei Staatsgewalten und nicht die Bürger. Das Grundgesetz kann also solches gar nicht unvereinbar mit der Scharia sein, weil Grundgesetz und Scharia unterschiedliche, disjunkte Adressaten haben. Das ist wie nachts ist es kälter als draußen.

    Heißt also, dass er entweder als Halbjurist, Abgeordneter und Grünenchef das Grundgesetz nicht verstanden hat, oder dass er das nur rhetorisch einsetzt um zu verschleiern, dass er die Scharia durchsetzen will.

  3. Ist Euch aufgefallen, dass normales, einfachgesetzliches Recht in dessen Aussage gar nicht vorkommt? Er meint also, dass – solange die Scharia mit dem Grundgesetz vereinbar ist – die Scharia hier ausgelebt werden können muss.

    Also Parallelgesellschaft gegenüber unserem Rechtssystem. Scharia statt BGB. Handabhacken auf dem Kotti. Auspeitschungen auf dem Alex.

    Was dann aber letztlich doch auf eine Kollision mit dem Grundgesetz hinauslaufen könnte, denn die legen fest, dass nur der Bundestag und die Landtage Gesetzgeber sein können.

  4. Was ist die Scharia?

    Gar nicht so einfach. Ich habe schon einige Male versucht, sie nachzulesen. Wikipedia:

    Die Scharia,[1] das islamische Gesetz, beschreibt „die Gesamtheit aller religiösen und rechtlichen Normen, Mechanismen zur Normfindung und Interpretationsvorschriften des Islam“.

    Wie Nouripour selbst einräumt, gibt es da verschiedene Auslegungen. Man weiß also nicht so genau, was das eigentlich ist, und es heißt effektiv, dass jeder machen kann, was er will, indem er den Koran auslegt oder Fatwas anschleppt, wie er gerade will.

  5. Der zentrale Fehler (auch des ganzen Islam): Die Anwendung der Scharia ist keine Religionsausübung.

    Denn die Ausübung der Religion ist, das zu tun und zu lassen, woran man selbst glaubt. Der Islam im Allgemeinen und die Scharia im Besonderen ist aber die mit Gewalt durchgesetzte Pflicht, zu tun und zu lassen, woran andere, Stärkere, glauben. Also kann der Staat nur die Pflicht haben, vor der Scharia zu schützen, und nicht, sie durchzusetzen oder zu ermöglichen.

    Denn der Bürger, Einwohner, Mensch, der sich nicht an die Scharia halten will, hat einen Schutzanspruch gegen den Staat, dass er nur den Gesetzen unterliegt, die nach unserer Gesetzgebung erlassen sind. Diesen Schutzanspruch würde der Staat aber verletzen, wenn er – wie hier Nouripour als Teil der Legislative oder auch nur durch Unterlassen – duldet, dass hier eine Parallel-Legislative, -Judikative und -Exekutive entsteht.

    Nouripour sagt also nichts anderes, als dass er eine verfassungswidrige Parallelgesellschaft dulden und durchsetzen will.

  6. Es ist, wie schon so oft ausgeführt, eine Grundverlogenheit, den Islam vollständig als Religion darzustellen und unter die Religionsfreiheit zu stellen. Denn der Islam ist eine absolutistische politische Ideologie, die sich als Religion ausgibt, aber Allgemein- und Alleingeltung beansprucht.

    Der Islam enthält Komponenten, die mit einer Religion nicht mehr vereinbar sind und es deshalb unvertretbar machen, den Islam nur als Religion auszugeben. Der Islam ist (auch) ein politisches und gesellschaftliches System mit Alleingeltungs- und deshalb Verdrängungsanspruch. Der Islam ist deshalb mit keinem anderen Gesellschaftssytem vereinbar, weil er immer das Ziel hat, andere, insbesondere westliche Gesellschaftsformen zu beseitigen.

    Weil der Islam aber tief in der arabischen Kultur verwurzelt ist, gibt es in manchen arabischen Staaten wie den Emiraten oder Saudi-Arabien, auch einigen asiatischen Staaten, gewissermaßen „kompatible“, weil urarabische Herrschaftsformen, die mit dem Islam koexistieren können, weil sie sich dabei selbst dem Islam unterwerfen und ihn als Staatsreligion anerkennen. Diese wären aber wiederum mit unserem Grundgesetz unvereinbar.

Letztlich kann man das aber nur diskutieren, wenn man den so schillernden wie unsubstantiierten Begriff „Scharia“ anhand konkreter Regeln beurteilt.

Einiges findet man beispielweise hier:

Zu den besonderen Merkmalen des islamischen Strafrechts gehört die enge Verflechtung mit dem Beweisrecht. Nur bei den ta’zir-Straftaten (und den mit abhaltenden Strafen bedrohten Taten) ist der freie Beweis mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglich, bei den hadd- und den qisas-Straftaten gibt es strenge Beweisregeln, deren Beachtung Voraussetzung einer Verurteilung ist. Sie sind in den materiellen Strafgesetzen selbst, nicht in einem Strafverfahrensgesetz niedergelegt.

Bei den hadd- und den qisas-Strafen gibt es von altersher einen numerus clausus der Strafen. Bei den hadd-Strafen sind diese Steinigung, Kreuzigung, Abschneiden von Hand oder Fuß und Auspeitschung, bei den qisas-Strafen Vergeltung und Blutgeld. Bei den ta’zir-Taten gab es dagegen eine weite Palette von Strafen, der immer noch neue hinzugefügt werden konnten. Die in Europa lange Zeit wichtigste Strafe, die Freiheitsstrafe, hatte im Islam zunächst nur geringe Bedeutung. Weit verbreitet war ferner die Zurückhaltung gegenüber der Geldstrafe. Abgesehen davon, daß der Verurteilte sie vielfach nicht hätte bezahlen können, fürchtete man, daß bei der verbreiteten Korruption die Richter einen Teil davon für sich behalten könnten.

Diese Grundstrukturen sind dem schiitischen und dem sunnitischen Strafrecht gemeinsam, mag es auch im einzelnen Unterschiede geben. Die Scharia ist zu keiner Zeit und an keinem Ort je vollständig zur Anwendung gekommen. Auch heute wird sie in den Staaten (wie z. B. Sudan oder Iran), die die “volle Wiedereinführung” der Scharia postuliert haben, nur teilweise praktiziert. In den meisten islamischen Ländern kommt heute ein Konglomerat zur Anwendung aus koranischen Geboten, Elementen der islamischen Überlieferung, dem arabischen Gewohnheitsrecht, vorislamischen sowie dem europäischen Recht entlehnten Elementen, die insbesondere während der Kolonialzeit in die islamische Welt Eingang fanden.

Insofern würde ich vor der Frage nach der Rechtmäßigkeit erst einmal die Frage danach stellen, was Omid Nouripour hier eigentlich konkret meint und dann die Elemente einzeln und konkret durchdiskutieren.

Und dann aus den Einzelergebnissen der einzelnen Elemente die Gesamtbeurteilung als Bilanz bilden, ob die Scharia in unserem Land möglich ist, also bottom-up und konkret, und nicht top-down und als Begriffsgefasel, bei dem man nicht weiß, was daraus eigentlich folgen soll.

Man könnte nämlich zu dem Verdacht kommen, dass Nouripour bei der Aussage inhaltlich einfach gar nichts gedacht und nur wahlkampfmäßig geblubbert hat, was viele muslimische und linke Wähler einfach hören wollten, um dann Grün zu wählen. Ich glaube nicht, dass der auch nur 5 cm weit die Konsequenzen seiner Aussage überdacht hat.

Und, wie schon gesagt, ich glaube nicht, dass man die Frage, ob die Scharia mit dem Grundgesetz vereinbar ist, so allgemein und pauschal überhaupt beantworten kann, weil sie so nicht greifbar ist.

Man muss die einzelnen Rechtsvorschriften der Scharia (oder was man darunter verstehen will) einzeln und konkret betrachten und danach beurteilen, ob sie mit deutschem Recht und Grundgesetz vereinbar sind.

Ob die Scharia also solche mit deutschem Recht vereinbar ist, ist dann einfach eine zwingende bilanzmäßige Konsequenz daraus und keine Sache mehr der persönlichen Meinung.

Also: Wann darf man steinigen? Wann darf man Fuß abhacken? Wann darf man auspeitschen? Und wann und wofür? Und wer? Darf man abweichendes Schuldrecht anwenden? Und so weiter. Und dann zählt mal die Ja und Nein.

Und dann würde ich auch die Frage nach der Gleichheit und den gleichen Rechten aufwerfen: Darf man auch als Nichtmuslim steinigen oder Hände und Füße abhacken? Es würde etwa die Diskussion um die Klimakleber massiv verschieben und wirksame Mittel gegen die Wiederholungsgefahr bieten und die Räumung der Straßen deutlich vereinfachen. Man muss ja immer — „open minded“ – auch die Vorteile abwägend berücksichtigen, gerade dann, wenn es um Grüne geht.

Das sollte man aber nicht solchen überlassen, die das Jura-Studium abgebrochen oder nicht geschafft haben.