Ansichten eines Informatikers

Leichen, Bestatter und das MESA-Prinzip

Hadmut
23.8.2023 16:20

Auch beachtlich.

Könnt Ihr Euch noch an meinen Artikel vom November 2016 erinnern? Frauen und Leichen

Ein Bestatter klagte mir damals sein Leid über die die Frauenquote und Feminismus im Bestatterwesen. Durch irgendwelche Fernsehserien und Fernsehkrimis seien die der Auffassung, dass Bestatterinnen dafür zuständig sind, Leichen hübsch zu schminken, und die halt geduldig still halten und sich nicht beschweren. Und aus Quoten und Antidiskriminierung müsse der die auch einstellen und kann sie nicht ablehnen. Viele Frauen könnten sich aber nicht vorstellen, dass Menschen auch außerhalb der Bürozeiten sterben und abgeholt werden müssen, und noch weniger könnten sich vorstellen, dass man die Leichen selbst rumtragen muss. Manche Frauen scheiterten bereits am Heben eines leeren Eichensargs, wenn die 100kg-Leiche noch gar nicht drin ist.

Was mich daran erinnert, dass ich Kenntnis erlangte von einem Fall, in dem einer so ungünstig in einem Winkel seiner Wohnung verstarb, dass die Bestatter Aufpreis verlangten, weil sie da mit ihren normalen Behältnissen nicht reinkamen und den in einen Bergebeutel stopfen und rausschleifen mussten. Und der ging wohl vor Starre nicht ohne weiteres an der Tür um die Ecke. Kostet Kraft. Kostet extra.

(Kalauer: Er wurde um die Ecke gebracht.)

Nun schreibt mir wieder ein Bestatter. Auch der klagt sein Leid.

Allerdings nicht über Frauen im Besonderen, sondern deren Verallgemeinerung, die heutige Jugend. Und zitiert mein Schlagwort MESA. MESA = Macht Euren Scheiß alleine!

Sehr geehrter Herr Danisch.

Ich bin als Bestatter in [anonymisiert, nördliche Hälfte Deutschlands] tätig und komme mit sämtlichen Menschgruppen in Berührung.
Von jung bis alt. Reich, wohlhabend bis Grundsicherung. Grundsicherung auch von jung bis alt.

Folgendes beobachte ich in meinem Umfeld und bei meinen Kunden

1. Man macht keine Überstunden mehr.
Die Zeiten der Mehrarbeit sind vorbei. Die Firma ist einem egal.
MESA !

2. Man geht zum Arzt.
Die Zeiten der Arbeit mit “Schnupfen“ oder “Husten“ , “Fieber”sind vorbei.
MESA !

3. Loyalität zum Arbeitgeber ist Geschichte.
Kein Mehreinsatz über den notwendigen Punkt hinaus.
MESA !

4. Selbständige werden zugeschüttet mit irgendwelchen Auflagen.
10min einer Stunde Arbeitszeit muss ein Selbständiger mAn für den Staat aufwenden.
So mein aktuelles Empfinden. Gefühlt ist es mehr Zeit.
Ich muss erzwungene Fristen einhalten.
Wenn der Brief nicht ankommt, muss ich Strafen bezahlen.
Richtige produzierende Selbständige unter 40 sehe/erlebe ich nicht mehr.
Da wächst auch nichts nach im erzeugenden Gewerbe.
Im Geschwätzgewerbe ist der Nachwuchs überbordend. Allerdings ohne jede Leistung.
Man kann Visitenkarten und Geschäftspapiere entwerfen lassen. Nimmt für sowas 80 € netto Stundenlohn und schämt sich nicht für sein Nichtwissen.
Für Visitenkarten/Geschäftspapiere sollte ich 750 € netto bezahlen.
( heisst da hat jemand , 2 Frauen in einem StartUp, 8 h gebraucht um eine Visitenkarte und meine Geschäftspapiere zu designen – eine der beiden Frauen ist über die Zeit/am Anfang ausgeschieden – zwischen beiden Frauen seitdem gerichtlich angeordnetes Kontaktverbot – und am Ende ist mir Kokolores angeboten worden – Gedöns welches ich mir auch mit einer Zeichenapp selber hinrotzen kann)
MESA !

5. Eine Durchsicht eines meiner Firmenwagen dauert neuerding 24h.
Früher – bis vor ca 2 Jahren – habe ich den/die Firmen-PKW gegen 16uhr in der Werkstatt abgegeben und konnte den Wagen am kommenden Tag gegen 12uhr wieder abholen und nutzen.
Seit diesem Jahr kann ich meine Firmen-Fahrzeuge weiterhin zu 16uhr abgeben.
Aber die Abholung ist nicht mehr zu 12uhr möglich.
Ab 16uhr. Weswegen ? Krankheit ! Von 6 Mechanikern sind nur noch 3 gesund.
Warum sagt mir die Werkstatt das nicht vorher damit ich planen kann ?
“Ja hätten Sie mal gefragt !“ ist die Antwort.
Die Rechnung für den Werkstatttermin erhalte ich aber weitehin online innerhalb 24h.
Zahlung zu sofort. Skonto Null.
MESA !

Es bricht mich so sehr an …

####################

Grüsse aus […] an Sie.

Ja.

Das ist jetzt gar nicht mal bestattertypisch, das ist eigentlich dasselbe Klagelied, das von vielen Handwerkern kommt. Klempner oder Maler könnten das genauso sagen.

Was mich jetzt aber interessieren würde:

Wenn man monatelang auf einen Termin beim Maler oder Klempner wartet, kann man das meist noch irgendwie verkraften. Eine Wand streichen oder einen Wasserhahn austauschen kann ich zur Not auch mal selbst.

Was macht man aber mit einer Leiche, wenn der nächste freie Bestattertermin in 2 Monaten ist? Bei 30°C?

Also, in meinen Kühlschrank würde die nicht passen.

In den Keller kann ich sie auch nicht legen, was sollen denn die Nachbarn denken.

Gut, in Berlin könnte man es machen wie die Berliner mit dem Sperrmüll: Man legt sie raus auf den Gehweg und hängt einen Zettel „zu verschenken“ dran. In Berlin wäre die ruckzuck weg, aber ihr wollt nicht wissen, was die dann damit machen.

Aber was ist eigentlich, mal so im Ernst, wenn wir nicht mehr genügend Bestatter haben?

Es gibt da ja irgendwelche Fristen, die auch Leichen einzuhalten und innerhalb derer sie sich unter der Erde einzufinden haben. Was aber macht man, wenn da keiner mehr kommt?

Da hat man dann eine Leiche rumliegen und keiner holt sie ab.

Und dann?

Selber hinfahren?

Neulich wurde irgendwo ein Erbe angeklagt, weil er Pistole und Munition des Verblichenen zur Polizei gebracht hat, um sie dort abzugeben. Hätte er nicht dürfen, denn damit rumzufahren ist sie zu „führen“, und dafür braucht man einen Waffenschein. Er hätte sie von der Polizei abholen lassen müssen. Darf man Leichen eigentlich selbst durch die Gegend fahren?

Ich glaube nicht. Mir sagte mal ein Sanitäter, dass selbst der Schwerstverletzteste mit abgetrenntem Kopf immer erst im Krankenhaus stirbt, weil immer erst dort der Tod festgestellt wird. Niemals würden sie einen Tod im Rettungswagen feststellen, weil sie sonst sofort anhalten, in den Leichenwagen umladen und den ganzen Rettungswagen desinfizieren müssten. Dafür hätten sie keine Zeit.

Als ich noch an der Uni war, gab es dort irgendeine kleine Gruppe, ich glaube, die haben Musik gemacht, die mit so einem uralten antiquarischen Leichenwagen unterwegs waren. Alter VW Bully, erste Generation, Nirosta- oder ähnlich beschichtet. Als die zufällig mal vor einer Veranstaltung geparkt hatten und gerade aus dem Auto kamen, habe ich mal gefragt, wo sie den herbekommen hätten, sowas gibt es ja nicht als Gebrauchtwagen. Sie sagten, das würden sie auch nie wieder machen. Eigentlich sei er als ausgemustert spottbillig gewesen, aber erst zu spät hätten sie erfahren, dass es da Vorschriften gibt und im Prinzip das ganze Auto in irgendeiner Chemikalie (Formaldehyd, Isopropanol oder irgendsowas, ich weiß es nicht mehr) untertauchen und ewig einweichen müssen, bis das Auto für normalen Gebrauch wieder freigegeben worden sei. Mir fällt zwar jetzt keine Vorschrift ein, aber ich kann mir im Bürokratiestaat Deutschland nicht vorstellen, dass man seine Leichen selbst durch die Gegend fahren darf und die Polizei da keinen Diskussionsbedarf empfindet.

Ist wohl Landesrecht. § 13 BayBestV:

§ 13
Bestattungsfahrzeug

(1) 1Leichen dürfen im Straßenverkehr nur mit Fahrzeugen befördert werden, deren Aufbauten zur Leichenbeförderung eingerichtet sind und ausschließlich für diesen Zweck verwendet werden. 2Je Fahrzeug dürfen höchstens vier Verstorbene zur gleichen Zeit befördert werden. 3Die Gemeinde kann für den Einzelfall Ausnahmen zulassen, wenn eine würdige Beförderung gesichert ist und gesundheitliche Gefahren nicht zu befürchten sind.

(2) Die Aufbauten müssen folgenden Anforderungen entsprechen:

1. sie müssen eine würdige Beförderung gewährleisten,
2. sie müssen umschlossen und durch eine fest eingebaute und geschlossene Wand vom Fahrerraum getrennt sein,
3. ihr Boden muss gegen das Durchdringen von Flüssigkeiten abgedichtet sein,
4. sie müssen leicht wasch- und desinfizierbar sein,
5. der Sarg muss so befestigt werden können, dass er sich während der Fahrt nicht verschieben kann.

(3) Bei Auslaufen von Flüssigkeit aus dem Sarg sind die Aufbauten gründlich zu reinigen und zu desinfizieren.

Die Gemeinde kann für den Einzelfall Ausnahmen zulassen. Lastenfahrrad? Sackkarre? U-Bahn? Tram? Kann sich eine Leiche selbst für lebend erklären? I identify as a … ?

Und ist die Leiche überhaupt eine Leiche, wenn auch kein Arzt mehr für den Totenschein kommt? Termin erst in zwei Monaten? Der Tod also noch gar nicht festgestellt wurde? Gilt dann überhaupt Bestattungsrecht? Oder kann man da noch Rente beantragen?

Und wenn, wie dann?

Wie im Krimi in den Teppich einwickeln, dazu einen weißen Anzug mit großem weißem Hut, roter Krawatte und schwarzen Lackschuhen tragen, und wenn einer blöd guckt noch zur Abschreckung heiser und mit Pizza-Akzent zum Teppich sagen „Man stellt sich nicht gegen die Familie, Luigi! Ich habe Dich behandelt wie eine Sohn! Und was machst Du? Verpfeifst mich an die Bullen!“ Der Passant wird sich überlegen, ob er was sagt. Auch wenn im Teppich nicht Luigi, sondern nur die demente Tante Luise steckt.

Oder setzt man die einfach auf den Beifahrersitz? Sonnenbrille auf? Dann einfach im Wald abladen?

Oder im Baumarkt Zement, eine Plane und Seile kaufen? In den See? Nachts im Schrebergarten vergraben?

Oder wie in Hitchcocks „Immer Ärger mit Harry“ einfach weiterreichen, damit der nächste das Problem hat? Oder mitschleppen, wie in der Parodie „Immer Ärger mit Bernie“?

Per DHL?

Verfüttern?

Soylent Green?

Leute, mal im Ernst: Eine ganze Menge Berufe kann man auch mal für gewisse Zeit entbehren. Ich war seit vor Corona nicht mehr beim Friseur. Schneidemaschine auf 9mm eingestellt. Dass man in Berlin 2 Monate auf Arzttermine wartet, ist auch nicht neu.

Aber was macht man, wenn kein Bestatter mehr kommt?

Auch Corona und die Klopapiernot hättet Ihr Euch vor kurzer Zeit noch nicht vorstellen können. Auch nicht, dass wir im Industrieland Deutschland Angst haben müsten, ob wir energietechnisch über den Winter kommen. Oder dass wir die Bundeswehr nochmal brauchen. Keine Krise scheint mehr ausgeschlossen.

Was ist, wenn wir bei normaler Sterbequote, also ohne irgendwelche Pandemien oder Katastrophenfälle, nicht mehr genug Bestatter (oder genauer gesagt: Bestatterarbeitsleistung, siehe oben) haben, um die Leichen zeitnah abzuholen?

Sollte man nicht künftig neben Nudeln und Klopapier für Krisenfälle nicht auch zwei, drei Leichensäcke und ein paar Chemikalien bunkern, nur für den Fall der Fälle, falls die Oma die Klimahitze …