Ansichten eines Informatikers

Vom Hirn-Krieg und von Rumänien

Hadmut
14.8.2023 23:57

Alles schon mal da gewesen?

Ich habe sehr viele Leserzuschriften zu meinem Artikel über die Hirn-Kriege bekommen. Einer, der mir besonders aufgefallen ist:

Lieber Herr Danisch,

Sie beschreiben hier mit erschreckender Klarheit genau die Situation, die ich vor vielen Jahren in Ceausescu Rumänien live und in Farbe erleben „durfte”. Genau so funktionierte dort die Gesellschaft. Das hat mich zunächst schier in den Wahnsinn und letztendlich in die Flucht getrieben. (Darauf, wie das dort geendet hat, muss ich nicht näher eingehen.) Darüber hinaus steht das ja auch nur exemplarisch für totalitäre, ideologiegetriebene Systeme im Allgemeinen. Ich erinnere mich z.B. noch gut an das Dejavu-Erlebnis, das mir die Lektüre von Viktor Klemperers Lingua Tertii Imperii bescherte. Der Mann beschrieb meine Realität! Damals war ich Anfang 20.

Den Impuls von damals: „Ich muss hier weg!” habe ich seit geraumer Zeit wieder – zunächst einfach als ungutes Bauchgefühl, seit mind. 10 Jahren immer expliziter und bewusster. Nur fehlt mir, im Gegensatz zu damals, die Alternative, denn inzwischen ist der ganze Westen versaut. Nun tröste ich mich damit, dass ich wenigstens die Arbeitswelt weitestgehend hinter mir habe und diesen ganzen Irrsinn mit meinen fast 70 Jahren nicht mehr allzu lange ertragen muss.

Der Blog, aus dem der Artikel stammt, ist übrigens ganz allgemein eine gute Quelle auch zum Schlamassel in der Ukr. und dem Wahnsinn in der amer. Politik.

Schönen Abend und danke für Ihre Arbeit!

Erstaunlich. Von Rumänien weiß ich nämlich fast nichts.

Ich war als Kind Anfang der Siebziger mal dort, und fand die Menge der Frösche und der Marienkäfer überaus beeindruckend. Ein ganzes weißes Segel eines Segelbootes komplett rot voller Marienkäfer, die beim Schütteln des Segels herunterfielen und das ganze Boot bis zur Oberkante mit Marienkäfern überhäuften, in denen man dann stand, und die man dann mit dem Lenzeimer rauskippen musste; Ich bin als Kind von einem betonierten Weg etwa einen Meter tief auf einen Boden gesprungen, den ich für sumpfigen Strand eines Sees hielt, und bekam einen Schreck, als sich beim Aufsetzen der gesamte Boden am Stück seitlich in Bewegung setzte, weil der gesamte Boden – was von vorher nicht sehen konnte – komplett aus winzigen Fröschen bestand, die so dicht da saßen, dass man den Boden nicht mehr sehen und sie nicht mehr unterscheiden konnte. Ein sehr abgegrenztes Gebiet, das man nicht verlassen durfte. Personal in der Hotelanlage, das plötzlich spurlos verschwand, nachdem es Kritik geäußert hatte. Der Tauchlehrer. Andere Gäste desselben Veranstalters (ich glaube, es war Neckermann Reisen, bin mir aber nicht mehr sicher) beschwerten sich, dass sie Termine beim Tauchlehrer gemacht und gezahlt hatten, und der einfach verschwunden sei. Der Kellner sagte uns gegen ein Trinkgeld, dass er da wiederholt was kritisiert hatte, was er nicht hätte tun sollen. In Rumänien kritisiere man nicht. Entweder das eine nicht oder das andere nicht. Es würden keine Tauchkurse mehr stattfinden und mal solle keinesfalls fragen. Eine große Packung schöner neuer bunter Filzstifte in allen Farben (die mit den zwei Spitzen, dick und dünn), die ich damals als Kind mit dabei hatte, und die mir – zweifellos vom Zimmermädchen – aus dem Hotelzimmer geklaut wurden, ab da aber die Bettwäsche sauber war. Mein Vater meinte damals, das sei ein guter Tausch, ich bekäme neue Stifte, wenn wir wieder in Deutschland seien. (Übrigens bis heute das Einzige, was mir je aus einem Hotelzimmer geklaut wurde.) Ich habe dort in einem Schwimmkurs der Hotelanlage schwimmen gelernt, nach der rumänischen Methode: Schmeiß sie einfach alle mitten ins Wasser. Diejenigen, die den Beckenrand wieder erreichen, können schwimmen. Ich habe den Beckenrand erreicht. Ausnahmslos jeder, der in diesem Schwimmbecken war, wurde hinterher richtig krank, eine Woche lang übel Kotzen und Totaldurchfall. Ich hatte es. Und etwas später mein Vater, der mit dem Schwimmlehrer im Übermut quer durch das Becken getaucht war, um mal zu gucken, ob es welche nicht zum Rand zurück geschafft hatten. Die Dreiwochenreise deshalb nach zweien abgebrochen. Der andere Grund war, dass das Hotel mangels Versorgung kein Essen mehr servieren konnte.

In Erinnerung geblieben ist mir dabei vor allem eine entsetzliche deutsche Familie am Nachbartisch, mit sehr vielen Kindern, die verblüffende Ähnlichkeit mit dem Roman „Im Dutzend billiger“, so ein Überbleibsel der 50er und 60er Jahre. Der Familienvater als Patriarch und Oberidiot, dominant, groß, breit, der lauteste im Hotelrestaurant, nicht zu überhören, unfassbar penetrant, stopfte sich eine Serviette oder auch direkt die Tischdecke oben in den Hemdkragen, und sammelte dann von der gesamten Familie erst einmal alle Messer des Tischbesteckes ein, um mit Krach und Getöse, Geschepper und weit ausholenden, theatralischen Bewegungen immer paarweise zwei der Messer aneinander zu wetzen. Jeden Tag dieselbe Prozedur. Wir hatten die so behandelten Messer dann auch mal auf dem Tisch: Völlig versaut und vermurkst. Widerrede und Widerspruch duldete er nicht. Ich fand den Mann unfassbar abstoßend. Mein Vater ermahnte mich, dass ich damit zwar recht hätte, es aber dennoch für mich behalten solle. Ich würde ihn ohnehin nicht ändern können. Es gab mir aber zu denken, weil es nicht sehr lange später zum großen heiligen Familienkrach kam, weil mein Großvater das Familiensilberbesteck völlig ruiniert hatte, weil er meinte, die Messer müssten geschliffen werden, und es dabei völlig vermurkst hat. Es kam zu familiären Debatten über den Verdacht, dass der Krieg zwar vorbei sei, das aber vielleicht noch nicht alle mitbekommen hätten, und ein Silberbesteck nun einmal nicht nach Fronteinsatz und Gebrauch als Ersatzteil am Panzer auszusehen habe. Ich hatte als Kind den Schluss gezogen, dass es wohl früher üblich und erforderlich gewesen sein müsse, die Messer des Essbestecks regelmäßig oder vor jedem Gebrauch zu wetzen – konsistent mit der Beobachtung, dass zur Zeit meiner Kindheit noch fahrende Scherenschleifer ihre Dienste für Scheren und Messer anboten, ebenso wie „Mister Minit“ in den Kaufhäusern. Und den weiteren Schluss, dass es wohl erhebliche qualitative Fortschritte bei Essbesteck gegeben haben müsse. Die Sache mit den Messern hat mit Rumänien eigentlich gar nichts zu tun, aber diese Familie am Nachbartisch war so penetrant auffällig und hat sich mir so in das Gedächtnis geprägt, dass sie mir einfach unwillkürlich einfallen, wenn ich an Rumänien denke. Ob die Messer dort einfach schlechter waren, kann ich heute nicht mehr sagen. Was sich einem als Kind eben so in das Gedächtnis bohrt. Ich habe mein Lebtag auf die Anschaffung eines Silberbestecks verzichtet und rate grundsätzlich davon ab, Besteckmesser am Bandschleifer im Keller zu wetzen (sofern man nicht dringend nach einem Anlass sucht, sie auch einzusetzen). Das geht und wird schief.

Sonst weiß ich über Rumänien praktisch nichts. Nur ein paar Erinnerungsfragmente aus der Zeit als kleines Kind und dem Blickwinkel eines solchen.

Es wäre allerdings durchaus beeindruckend, wenn es sich so verhielte, wie der Leser beschreibt, dass nämlich auch dort zur damaligen Zeit eine Art kommunistischer Hirn-Krieg gegen alle stattfand, die etwas konnten, was nicht jeder kann.

Ein anderer Leser nämlich hatte zu meinem Artikel an die chinesische Kulturrevolution und den von mir mehrmals erwähnten Umstand erinnert, dass man in China jedem die Finger brach, der Klavier spielen konnte, weil es eben nicht jeder konnte und man nicht duldete, dass jemand etwas kann, was andere nicht können: Die Tyrannei der Versager.

Das könnte der Zustand unserer Republik sein: Die Tyrannei der Versager. Ich hatte es schon beschrieben, dass mein Blog mal mit der Beobachtung anfing, dass in der Hochschulinformatik die Unfähigen die Macht übernahmen, systematisch in die Posten gedrückt wurden.

Die zentrale Frage ist, ob es eine Art Symptom, Syndrom ist, dass es also eine Art Neid ist oder der Umstand, dass Intelligente unter Versagern immer Außenseiter und damit sozial Geächtete sind, für die man nicht stimmt, oder ob dahinter eine bestimmte Absicht steht, jeden, der irgendetwas kann, aus der Gesellschaft zu tilgen, indem man – „Quality is a myth“ – eine Gesellschaft von Nichtskönnern baut, in der dann alle gleich sind, weil keiner mehr irgendwas kann. Gender Studies sind ja so eine Art Ausbildung zum staatlich geprüften Diplom-Nichtskönner, der sich dann beschwert, gegegenüber jedem benachteiligt und diskriminiert zu sein, der irgendetwas kann. Unsere ganze Politik ist ja eine Lobby der Nichtskönner und eine Agenda der Vernichtung aller Könnenden – was sonst sollte diese Gleichstellung als leistungsunabhängige Ergebnisgleichheit auch sonst sein?

Ja, damals aus Rumänien konnte man noch in den Westen fliehen.

Aber wohin könnte man heute noch fliehen, wenn die Welt im Ganzen der Verblödung anheim gefallen ist?

Vielleicht irgendeine Insel mit der Hoffnung, bei nächster Gelegenheit einfach vergessen zu werden und von den Landkarten zu verschwinden, weil eh keiner mehr weiß, was das ist? Man wollte ja schon „gerechte“ Kartenprojektionen erfinden, und wenn man es richtig anstellt, kann man ihnen welche unterjubeln, auf denen die eine oder andere Insel schlicht gar nicht mehr auftaucht, nicht mehr abgebildet wird.

Wer soll auch noch Landkarten lesen können, wenn sie bald nicht mal mehr Text lesen können? Und welche Rolle spielt das überhaupt noch, ob Landkarten stimmen? Wenn selbst unsere Regierungsflieger auch nur noch bis zur nächsten Panne kommen?

Taka-Tuka-Land. Das ist so eine Insel mit zwei Bergen, kurz vor Mittelerde. Man wird das alles in den Landkarten verzeichnen, aber am falschen Ort. Da, wo man nichts findet außer Wasser, und dann sagen, sie seien der Erderwärmung und dem damit angestiegenen Meeresspiegel zum Opfer gefallen und es niemals mehr finden.

Das ist der richtige Ort.