Ansichten eines Informatikers

Medizinproduktegesetz

Hadmut
18.10.2022 14:17

Bin ich hier in der Klapsmühle, oder was?

Ach, ich armer, alter, leidender Mann!

Normalerweise markiere ich in meinen Artikeln die Stelle, ab der das Unheil anfängt, gerne mit „Aber, ach“. Das geht hier nur nicht, weil in diesem Artikel vor dem Unheil nichts Unheilloses kommt, von dem man brechen könnte. Es geht direkt mit Unheil los.

Ich war beim Optiker.

Um nach einer neuen Brille zu schauen. Meine Werte haben sich verschlechtert, allerdings ist die alte Brille jetzt auch schon wieder über 6 Jahre alt, und obwohl eine teure Markenbrille, zeigt sie einen unangenehmen Effekt: Die Bügel nämlich bestehen zum Teil aus Kunststoff, sind aber auf eine Metallgestänge aufgeschoben. Und eigentlich aufgeklebt. Anscheinend aber ist der Kleber nie fest geworden oder hat chemisch aufgegeben und so eine sehr klebrige, harzige Konsistenz angenommen, wie Schmierfett, und gelegentlich verrutscht das Plastik auf dem Metallkern und legt klebrige Teile frei.

Und dass sich die Werte altersbedingt verändern, ist jetzt auch nicht so ungewöhnlich. Ich weiß nicht, ob das so stimmt, aber ich habe von mehreren Seiten, auch in einer Augenarztpraxis die Erklärung bekommen, dass das Auge lebenslang wächst, der Schädelknochen aber nicht, und deshalb das Auge in seiner Höhle zunehmend in die Länge gedrückt wird und seine Schärfeebene verstellt.

Das Hauptproblem dürfte – bei mir – aber Corona, Lockdown, Home Office sein: Der Optiker meinte nämlich man müsse immer wieder alle 20, 30 Minuten die Arbeit unterbrechen und den Blick in die Ferne schweifen lassen, um die Augenmuskulatur wieder an „Unendlich“ zu dehnen. Dummerweise gibt es hier in Berlin Mitte keine Ferne, geschweige denn, in der Ferne etwas zu sehen, was man täglich oder gar stündlich sehen wollte. Und so ist wohl ein Stückchen meiner Fokussierfähigkeit dem Lockdown zum Opfer gefallen, weil der Optiker meine hoffnungsvolle Frage, ob man das durch Aufenthalt an schönen Urlaubsorten wieder rücktrainieren könnte, abschlägig beschied. Futsch sei futsch. Insofern unterscheiden sich Augenoptiker auch nicht von Urologen, deren Wahlspruch ja „Use it or lose it“ lautet. Selbes Prinzip. Sagen sie ja auch gegen Alzheimer. Noch fallen die Brillenwerte zwar nicht unter das Kriegswaffenkontrollgesetz, aber ich merke das schon, dass man als Informatiker mit der Bildschirmarbeit körperliche Schäden sammelt, Rücken habe ich auch. Schade eigentlich, dass man die Bandscheiben nicht gegen die Augenlinsen tauschen kann, das könnte helfen. So gesehen (und gefühlt) bin ich froh, den Bürojob nicht mehr zu haben, denn es war zuviel der Belastung. Da heißt es immer, der hat einen angenehmen Bürojob, der sitzt bequem, trocken und warm, aber jahrelang, jahrzehntelang zu sitzen und auf den Bildschirm zu glotzen hinterlässt eben Schäden. Vor Jahren hatten sie mich mal zum Physiotherapeuten geschickt. Dem sagte ich, dass ich körperlich ja eigentlich gar nicht hart arbeite, und nicht wie ein Bauarbeiter Schäden hätte. Der lachte mich aus. Er hätte fast nur noch Informatiker und IT-Leute da. Bauarbeiter eigentlich nicht, deren Rücken sei ziemlich in Ordnung. So ähnlich ging es mir nun beim Optiker. Und alle reden sie beim Renteneintrittsalter immer vom Dachdecker. Von den Schäden, die man sich in der IT holt, ist nie die Rede.

Wie ich so die Details einer neuen Brille aushandle, rät er mir noch zu einer Versicherung gegen Bruch, Verlust und dergleichen.

Brauche ich die? Ich habe noch nie eine Brille verloren. Und mir ist noch nie eine gebrochen. (Einen Kratzer habe ich mir allerdings schon eingefangen.)

Nun, sagt er, das sei wichtiger als früher. Sie könnten nämlich nichts mehr reparieren. Einen kaputten Bügel auszutauschen, das gehe nicht mehr.

Klar, dachte ich, das sind ja alles keine Markenbrillen mehr, sondern Billiggestelle aus Fernost, da gibt es keine Ersatzteile, wie das früher mal üblich war.

Nein, widerspricht er meinem Gedanken, der mir wohl anzusehen war, sie dürften es nicht mehr.

Ei, wieso denn das nicht mehr? Wer verbietet es denn?

Der Gesetzgeber. Jetzt habe ich den Namen des Gesetzes nicht mehr genau im Kopf. Medizingerätegesetz oder Medizinproduktegesetz oder sowas. Brillen dürften nicht mehr repariert werden.

Ich dachte, der will mich verarschen, um mir die Versicherung anzudrehen. Er sagte aber, das höre sich idiotisch an, dahinter stecke aber die Industrielobby und die Regierung, die beide wollen, dass man neue Brillen kauft, um den Markt am Leben zu halten. Da musste ich daran denken, was das BSI mir damals über IT-Sicherheit sagte, nämlich „Security Business is growing up“. X ist, wenn die Wirtschaft zu X ausreichende Umsätze meldet. Fertig.

Nun schaue ich also in das Medizinproduktegesetz auf dem Webserver des Bundesministeriums der Justiz, und alles, was ich da sehe: „Weggefallen“.

Einige Optiker erwähnen aber auf Webseiten, dass das Medizinproduktegesetz Vorschriften auch zu Brillen enthalte, etwa dass man getragene Brillen aus hygienischen Gründen nicht umtauschen dürfe. Und dass der Optiker nur Brillen verkaufen dürfe, die in Ordnung seien.

Aber dass man sie nicht reparieren dürfe, das habe ich noch nicht gefunden.

Und finde es auch seltsam. Denn einerseits schimpft man auf Handyhersteller und die gesamte Elektronikbranche, dass viele Geräte nicht zu reparieren seien, und will sie unter Druck setzen, damit Geräte so gebaut werden, dass man sie auch reparieren kann. Andererseits verbietet man angeblich den Optikern, Brillenbügel auszutauschen, wenn sie kaputt sind.