Ansichten eines Informatikers

Fünfbindiger Kohlenstoff

Hadmut
2.10.2022 22:02

Hach, das weckt Erinnerungen an die Schule.

Ich hatte in der Oberstufe einen alten, schrecklich unfähigen Chemielehrer, eigentlich eine tragische Gestalt, weil den alle nur noch auslachten.

Vom Aussehen noch so im 50er-Jahre-Stil, mit grauen, über die Deckelglatze gekämmten Haaren, Krawattennadel, Anzug, Hosenträgern, und zu großem Umfang. Und ausgeleierten Unterhosen Feinripp. Er hatte nämlich die Angewohnheit, die wegen seiner uralten und ausgeleierten Hosenträger gerne rutschenden Hosen alle paar Minuten hochzuziehen, und so dann und wann erwischte er dabei nicht die Hose, sondern die Unterhose und zog die, ohne es zu bemerken, über das Hemd bis zum Rippenbogen hoch. Der einzige Mensch, den ich kannte, der seine Unterhose über dem Hemd trug.

Als er mal irgendwas zu Magneten erzählte und auf Disketten kam, die er nur vom Hörensagen kannte, wollte ich glänzen und reichte eine. 5 1/4 Zoll, ohne Papierhülle, wohlgemerkt. Er zeigte sie und meinte fachmännisch, dass er sie jetzt mal nicht heraushole (aus der schwarzen Plastikhülle, ich erschreckt „der wird doch nicht…“). Oft frei erfunden, was der so erzählte.

Und Hypochonder. Immer, wenn wir keine Lust hatten, reichte ein „Herr Gerber, Sie sehen heute aber gar nicht gut aus…“, dass der den Tatterich bekam und die Stunde ausfallen ließ.

Wir haben auch gern Gerber-Bingo gespielt, vor der Stunde Wetten abgeschlossen, dass wir uns melden, irgendwas sagen und darin möglichst absurde Begriffszusammenstellungen unterbringen, ohne dass er merkt, dass wir Mist reden. Ich kann mich noch erinnern, dass ich irgendwo mal „Triggerung“ unterbrachte und er es sogar übernommen hatte, ohne es zu verstehen. Ich hatte auch mein erstes „Mobiltelefon“ dort vorgeführt. 1983 oder 84, lange vor D-Netz und C-Netz-Handy. Kennt Ihr noch die alten kleinen grauen Festnetzapparate der Bundespost mit Wählscheibe und Blechklingel mit mechanischem Klöppel, die es dann auch in orange und grün gab, und die an der Wand mit Kabel fest angeschlossen waren? Irgendwo hatte ich einen Schaltplan für einen Generator einer Klingelspannung gefunden, auf einer Lochrasterplatine nachgebaut, und alles zusammen in die Schultasche gepackt. Und mitten in der Chemiestunde den Knopf gedrückt. “RRRRINNG” – Telefon aus der Schultasche geholt, mit Kabel in die Schultasche, auf den Tisch gestellt, abgenommen und „Danisch…“ und mit ernster Miene dann so „Ja … ja … nein … auf keinen Fall … ja … unbedingt … machen Sie das so …“. Wieder weggepackt, als sei nichts gewesen. Gerber fassungslos. Hat mir das aber voll abgenommen, weil ich als der Computerheini und Nerd bekannt war. Und wenn er es mir nicht geglaubt hätte, hätte er sich nicht getraut, das zu sagen. Er hat dazu einfach gar nichts gesagt und hat auch so getan, als sei gar nichts gewesen. Der Rest des Kurses meinte hinterher, sie hätten sich auf die Finger beißen müssen, um nicht laut loszuprusten und am Boden zu liegen vor Lachen.

Und fachlich hat er viel Mist erzählt. Der bekam die chemischen Gleichungen nicht hin. Der malte irgendwas an die Tafel, und wenn wir nachfragten, weil die Zahl der Atome vor und nach der Reaktion nicht gleich war, malte der einfach noch irgendwo welche dran, was dann auch nicht stimmte, aber gerne zu sechs- und siebenbindigen Kohlenstoffatomen führte.

An den musste ich gerade denken.

Oben rechts ein fünfbindiges C-Atom. Bei der CH3OH-Gruppe. Eins nach unten, drei Wasserstoff, und OH. Macht fünf. Ist zwar vermutlich kein Formelfehler, sondern nur ein Fehler beim Zeichnen, aber erstens müsste es einer promovierten Besserwisserchemikerin auffallen, und zweitens musste ich nun einfach an Herrn Gerber denken. Und einfach hoffen, dass Mai Thi die Unterhosen nicht auch über die Bluse außen hochzieht.