Ansichten eines Informatikers

Bomben: Da habe ich mich wohl geirrt

Hadmut
6.8.2022 19:02

Ich fürchte, ich habe einem Leser gerade eine falsche Antwort gegeben.

Oder: Wenn das Nitroglycerin raustropft.

Ein Leser hatte mir zum Brand auf dem Berliner Sprengplatz geschrieben, dass das nicht völlig abwegig sei, dass Bomben von selbst hoch gehen, das sei doch schon vorgekommen, dass irgnedwo einfach was explodiert, selbst im Wald, und sich dann herausstellt, dass das ein alter Weltkriegsblindgänger war, der nach 70 Jahren spontan hochgegangen ist.

Ich hatte geantwortet, dass das bekannt ist, dass das die chemischen Langzeitzünder sind, die damals nicht auslösten und dann doch irgendwann losgehen. Meines Wissens, weil die Säure oder das Lösungsmittel zwar immer noch in der Ampulle sind, aber diese Zelluloid-Plättchen irgendwann von selbst aufgeben oder irgendwelche Bewegungen im Boden die Dinger auslösen.

Aber, so hatte ich geantwortet, auf solchen Sprengplätzen werden nur Bomben ohne Zünder gelagert. Wenn sich der Zünder nicht entfernen lässt, müssen die an Ort und Stelle gesprengt werden (wie damals in München), die kann man nicht mehr transportieren. Und fester Sprengstoff ohne Zünder gehe nicht von selbst hoch, der sei stabil.

Habe ich mich geirrt?

Ein Leser schrieb mir nämlich

Anläßlich der explodierten Altmunition bei der Berliner Polizei denke ich gerade wieder daran, daß es bei der Bundeswehr noch viel heftigere Altlasten gibt.

An 6 Standorten lagern in BW-Munitionslagern 32.000 Stück LARS-Artillerieraketen (das System kennen Sie vielleicht noch aus Ihrer Wehrdienstzeit, eingeführt 1969, ausgemustert 2000). aus denen Nitroglycerin austritt. Zersetzungsprozesse in überlagerter Munition halt. Dessen Neigung, bei Herabtropfen spontan zu explodieren, dürfte Ihnen sicherlich bekannt sein. Bericht z. B. hier in der Wikipedia.

Ein geeignetes Entsorgungsverfahren ist nicht bekannt; also hat man die Bunker einfach zugesperrt. Und so zersetzten sie sich weiter…
Vielleicht entsorgen sich die LARS-Raketen auch irgendwan selber wie die Fliegerbomben im Grunewald. Wobei dann die im Schnitt 5.000 Stück Raketen an einem Standort bestimmt noch mehr Feuerwerk als die Berliner Sammlung produzieren dürften…

Ich weiß, dass Dynamit die Erfindung war, Nitroglycerin auf Kieselgur zu träufeln, damit es stabil und erschütterungsfest wird. Und dass das unter bestimmten Umständen auch wieder austreten kann. Aber das altmodische Dynamit hielt ich für längst veraltet und ersetzt. Ich war der Meinung, dass längst (auch im zweiten Weltkrieg) chemisch und von der Mischung her stabile Sprengstoffe verwendet werden.

Findet man auch auf Wikipedia:

Im September 2021 erstellte das Bundesverteidigungsministerium einen internen Bericht, in dem der Austritt von explosivem Nitroglycerin aus den eingelagerten Raketen des Systems beschrieben wurde. Betroffen seien etwa 32.000 Raketen in Lagern in Meppen, Wulfen, Nörvenich, Köppern, Eft-Hellendorf und Wermutshausen. Die Bunker wurden gesperrt und ein Umgang mit den Raketen sowie ihr Transport untersagt. Ein geeignetes Verfahren für die Entsorgung der Raketen sei nicht bekannt. Im Januar 2022 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Details aus dem Bericht.[6][7]

Das wusste ich nicht. Uns hatten sie damals bei der Bundeswehr erzählt, dass die Zünder das sind, womit man besonders vorsichtig umgehen muss, und da wurden wir auch geschult. Man hatte uns gezeigt, dass ein Zünder von der Größe einer Tintenpatrone aus dem Schulfüller eine Schweinepfote zerfetzen kann, und dass man dessen Funktionsfähigkeit mit dem Messgerät niemals direkt messen darf, weil er hochgehen könnte, sondern immer nur einer leeren Munitionskiste (dickes, stabiles Holz) oder so, dass man die Kabel um einen dicken Baum führt und auf der anderen Seite steht, einem also nichts passieren kann, wenn das Ding beim Messen hochgeht. Sprengstoff dagegen, insbesondere „Sprengmasse formbar“ (wie Marzipan) sei völlig unproblematisch, damit könne man machen, was man wolle, sogar das Zeug fressen. Es gab die Story von einer geplanten Übungssprengung von Bäumen, und die funktioniert, indem man die mit dem Zeug ummantelt und einen Zünder reinsteckt (alternativ: Sprengschnur – nicht mit Zündschnur zu verwechseln – drumwickelt), und als die schon sprengen wollten, kam einer mit einer einstweiligen Untersagung vom Verwaltungsgericht, und die mussten den ganzen Sprengstoff mit dem Taschenmesser aus den Bäumen puhlen.

Dass beim Lagern von Sprengstoff irgendwann das Nitroglycerin raustropft, war mir bisher nur von den alten Dynamitstangen geläufig. Das kam mal in irgendeinem Kinofilm vor, dass die Stangen „schwitzten“.

Ich kann mir aber trotzdem nicht vorstellen, dass die Sprengmeister und Entschärfungsspezialisten der Polizei das nicht wissen und eine solche Bombe, wenn es das denn bei solchen Bomben überhaupt gibt, dann noch transportieren würden. Denn dann müste das ja nach 70 Jahren schon längst ausgelaufen sein und man würde die dann keinesfalls mehr transportieren.

Also: Wusste ich nicht, da habe ich womöglich eine falsche Antwort gegeben. Ich kann mir aber trotzdem nicht vorstellen, dass man solche Bomben, wenn es sie denn überhaupt gegeben hätte, noch zum Sprengplatz transportieren würde. Und warum sollte es 70 Jahre lang nicht, und dann in 3 Monaten raustropfen?

Dass die Bundeswehr aber alte Raketen hat, aus denen das Zeug raustropft, und die man weder transportieren, noch entsorgen kann, finde ich jetzt würzig.