Ansichten eines Informatikers

Die gesetzliche Quadratur des Kreises

Hadmut
30.5.2022 14:17

Über die Einführung eines neuen, korrekten Wertes für die Kreiszahl π durch die Legislative.

Oder: Mathematik der Geisteswissenschaftler.

Ich hatte doch zur Rechtmäßigkeit des Lügens geschrieben, dass es im Allgemeinen nicht verboten sei, zu behaupten, dass 3+4=99.

Darauf schrieb mir ein Mathematiker, dass er mir das großzügig nachsehen wolle (der wohlwollende Physiker würde mir wohl schreiben: „Messfehler“), solange ich es unterlassen würde, mich an der Kreiszahl π zu vergreifen. Damit nämlich habe man schlechte Erfahrungen gemacht. Er verweist dazu auf den mir bisher nicht bekannten Fall der Indiana Pi Bill, in der ein Gesetzgebungsgremium den Wert von Pi gesetzlich auf den Wert 4 oder 3,2 festzulegen, weil damit alles besser werde, und nur im letzten Augenblick noch von einem Mathematiker davon abgebracht werden konnte.

Die Posse fand im Jahr 1897 im Parlament des Bundesstaates Indiana statt, könnte meines Erachtens (auch in Biologie und Physik) jederzeit auch in unseren Parlamenten von heute stattfinden – oder findet mitunter sogar statt. Stichwort Gender.

Aus der Wikipedia:

Indiana Pi Bill ist die inoffizielle Bezeichnung eines Gesetzentwurfs, der im Jahr 1897 dem Parlament des amerikanischen Bundesstaates Indiana zur Beschlussfassung vorgelegt wurde. Mit seiner Verabschiedung sollten – fachlich unhaltbare – Ausführungen des Arztes Edward J. Goodwin[1] zur Kreisberechnung und zur Quadratur des Kreises Gesetzeskraft erlangen, im Gegenzug wollte Goodwin dem Staat Indiana die unentgeltliche Nutzung seiner Erkenntnisse gestatten.

Die Vorlage wurde vom Repräsentantenhaus ohne Gegenstimme angenommen, nach Intervention durch den Mathematikprofessor Clarence A. Waldo vertagte der Senat die endgültige Verabschiedung auf unbestimmte Zeit.

Worum geht’s?

Edward Johnston Goodwin aus Solitude in Posey County veröffentlichte ab 1892 mehrere Versionen einer Arbeit über die Quadratur des Kreises. Über seine Inspiration schrieb er selbst, er habe im Jahr 1888 „auf übernatürliche Art und Weise das exakte Maß des Kreises“ erfahren.[2] Eine der Versionen mit dem Titel Quadrature of the circle erschien 1894 unter der Rubrik Queries and Information im ersten Band der Zeitschrift American Mathematical Monthly. Die Bemerkung “Published by the request of the author” weist den Beitrag als Annonce Goodwins aus, die von den Herausgebern der Zeitschrift vermutlich als Füllmaterial aufgenommen wurde. Dieser Artikel war die Grundlage für den späteren Gesetzentwurf.

Der Beitrag im American Mathematical Monthly ist unklar formuliert und in sich widersprüchlich. Der amerikanische Mathematiker David Singmaster konnte aus dieser und aus weiteren Abhandlungen Goodwins insgesamt neun verschiedene Werte für π herauslesen. Goodwin geht in seiner Arbeit zunächst davon aus, dass Quadrat und Kreis flächengleich sind, wenn sie den gleichen Umfang besitzen, ein Viertel des Kreisumfangs also der Quadratseite entspricht. Der Artikel beginnt mit der Feststellung

„Eine kreisförmige Fläche ist gleich dem Quadrat über einer Strecke, die gleich dem Quadranten des Umfangs ist; […]“[3]

Eine neue mathematische Wahrheit

Erste Kammer ist das Repräsentantenhaus, dem Taylor I. Record, Abgeordneter aus Goodwins heimatlichem Wahlkreis Posey County, am 18. Januar 1897 die House Bill No. 246 vorlegte. Deren Präambel lautete:

“A Bill for an act introducing a new mathematical truth and offered as a contribution to education to be used only by the State of Indiana free of cost by paying any royalties whatever on the same, provided it is accepted and adopted by the official action of the Legislature of 1897.”

„Ein Gesetzesentwurf, der eine neue mathematische Wahrheit vorstellt und als Beitrag zur Bildung für die alleinige Nutzung durch den Staat Indiana ohne Aufwendungen durch Gebühren darauf gleich welcher Art angeboten wird, vorausgesetzt er wird angenommen und durch das offizielle Gesetzgebungsverfahren des Jahres 1897 eingeführt.“

Geile Argumentation: Wenn der Staat Indiana zustimmt, gesetzlich zu regeln, dass π = 4 ist, darf er im Gegenzug die Erkenntnis forthin kostenlos in der Schulausbildung verwenden. Bei so einem Schnäppchen muss man zuschlagen.

Ökonomisch gesund: Alle anderen wären dann gesetzlich daran gebunden, π = 4 zu verwenden, müssten dafür aber Lizenzen bezahlen.

Die Politik war begeistert:

Die House Bill No. 246 wurde mit 67 zu 0 Stimmen verabschiedet und an den Senat weitergeleitet. Ein Abgeordneter – ein ehemaliger Lehrer – begründete seine Zustimmung:

“The case is perfectly simple. If we pass this bill which establishes a new and correct value for π , the author offers to our state without cost the use of his discovery and its free publication in our school text books, while everyone else must pay him a royalty.”

„Der Fall ist vollkommen einfach. Wenn wir dieses Gesetz verabschieden, das einen neuen und korrekten Wert für π einführt, bietet der Autor unserem Staat die kostenlose Nutzung seiner Entdeckung und ihre freie Verbreitung in unseren Schulbüchern an, während jeder andere ihm eine Gebühr zahlen muss.“

Letzte Rettung:

Zufälliger Gast der Sitzung war Clarence Abiathar Waldo, Mathematikprofessor an der Purdue University. Nach der Verabschiedung der Vorlage durch das Repräsentantenhaus setzte er sich mit dem Senat in Verbindung und bemühte sich, die Senatoren über den Inhalt von Goodwins Arbeiten aufzuklären.

Der Senat befasste sich mit der House Bill No. 246 erstmals am 11. Februar. Der Entwurf wurde nach der ersten Lesung an das Committee on Temperance, also den „Abstinenzausschuss“ verwiesen; ob mit Absicht, bleibt Spekulation.[6] In der nächsten Senatssitzung am 12. Februar empfahl der Ausschuss, den Entwurf zu verabschieden. Es folgte die zweite Lesung, bei der der Erfolg von Waldos Überzeugungsarbeit offensichtlich wurde. Zeitungen zufolge rissen die Senatoren schlechte Witze über den Entwurf, lachten und waren eine halbe Stunde lang in aufgeräumter Stimmung. Im offiziellen Senatsbericht hieß es hingegen nur kurz: „Senator Hubbell beantragte, die weitere Beratung der Vorlage auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Dem Antrag wurde stattgegeben.“[7] Ausschlaggebend für die Aussetzung des Verfahrens war dabei nicht, dass Goodwins Theorien von den Senatoren für falsch gehalten wurden, sondern „daß sie den Wert des Vorschlags nicht einschätzen können. Er wurde einfach nicht für einen Gegenstand der Gesetzgebung gehalten.“

Heute

Zwei Dinge kann man damit verstehen.

Das eine ist, dass wir die Freiheit von Forschung und Lehre im Grundgesetz eingeführt hat, weil man gemerkt hat, dass Politiker für sowas einfach zu doof sind.

Das andere ist, dass wir Gender und sowas heute leider deshalb haben, weil wir nicht nur keine „Wissenschaftler“ mehr haben, die sich noch wagen, das Maul aufzumachen – oder auch nur wüssten, was sie dann sagen müssten.

Der Hauptgrund aber dürfte sein, dass im Bundestag viel gesoffen wird, er aber nicht über einen „Abstinenzausschuss“ verfügt.

Denn Politiker derselben Sorte haben wir noch heute.