Ansichten eines Informatikers

Die Mischung aus tödlicher Informatik und mörderischer Weltoffenheit

Hadmut
23.8.2021 19:40

Da kann man auch mal drüber nachdenken.

Wir reden immer von Waffenexporten, aber nie vom Wissensexport von waffenfähigem Wissen.

Oder: Wieder ein Puzzlestück.

Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass die Taliban nicht mehr die Höhlenmenschen von vor 20 Jahren sind, sondern sich enorm weitergebildet haben – oder weitergebildet wurden.

Ein Leser schrieb mir die Tage, dass ihm etwas aufgefallen ist: Früher traten die Taliban auf wie in Rambo-Filmen, mit der Kalaschnikow im Hüftanschlag. Heute sind sie unterwegs wie amerikanische Söldner. Kampfausrüstung, Brillen, Kampfhandschuhe, und vor allem: Nicht nur amerikanische Waffen, sondern auch deren Art und Weise, die Waffe zu halten, nämlich diagonal vor dem Körper mit der Schulterstützte über dem Arm und dem Zeigefinger am Abzug vorbei. Sie wirken wie ausgebildete und ausgestattete Söldner. Man kann die Frage stellen, ob sie von den USA und der deutschen Bundeswehr ausgebildet wurden, oder ob ausgebildete afghanische Soldaten übergelaufen sind, ob da Leute aus dem Ausland kamen (es hieß ja, Pakistan wäre da eng mit drin) oder das einfach nur gut abgeguckt ist.

Jedenfalls: Sie haben sich vorbereitet und gelernt, wie auch immer.

Auch der Umgang mit Medien kommt nicht einfach so und spontan. Irgendwo waren Bilder zu sehen, auf denen Fotografen und Kameramänner Taliban dirigieren und aufstellen, damit das passend wirkt.

Golem hat einen Artikel darüber, wie die Taliban auch in Sachen IT auf dem neuesten Stand sind (und offenbar mehr Ahnung von IT haben als unsere Bundesregierung) und systematisch Gegner im Netz, in den Social Media jagen:

So hatte eine Redaktion ein Foto mit GPS-Koordinaten ins Netz gestellt. Zum Glück wurde das Bild rasch wieder entfernt. Eine Nichtregierungsorganisation hatte ein Video mit dem Hilferuf eines Journalisten veröffentlicht, dessen afghanisches Medienunternehmen für die Bundeswehr gearbeitet hat, aber zunächst die Regeln des Informantenschutzes nicht beachtet.
Bildinhalte können Verstecke verraten

Anhand der Bettwäsche und des Vorhanges konnte auf den möglichen Aufenthaltsort des Gefilmten geschlossen werden. Dazu ist eine gewisse Ortskenntnis erforderlich. Die aber haben die Taliban nach Kabul mitgebracht. […]

Und sie haben auch ihre Spezialkräfte für die Ermittlung von Gegnern nach Kabul geschickt. Die sind in Sachen Informationstechnik und Bildforensik ganz gut ausgebildet und ausgerüstet – das übrigens seit 20 Jahren.

Die Al-Qaida-Gruppe Bin Ladens hatte über viele Jahre hinweg sogar eine bestens aufgestellte IT-Abteilung. Den amerikanischen Militärs ist es nie gelungen, diese Abteilung völlig auszuschalten. Nach 2011 sind Teile der IT-Spezialkräfte von Al Qaida zu Taliban-Gruppen abgewandert.

Sie bauten ab 2015 zunächst die Infrastruktur für die Taliban bei Whatsapp und Telegram auf und richteten eine eigene Videoproduktion für Propagandazwecke ein, die ab 2017 auf sich aufmerksam machte. […]

Gegenwärtig nutzen die Taliban soziale Medien und Internettechnik nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren. Dazu werden aktuell im Netz verfügbare Videos und Fotos ausgewertet.

Daraus entstehen Fahndungsaufrufe, die per Telegram und Whatsapp an die eigenen Kämpfer versendet werden. Auch die Besatzungen der Checkpoints rund um den Flughafen in Kabul werden so mit aktuellem Steckbriefmaterial versorgt. […]

Die Bilder und Videos aus dem Netz werden nicht nur mit Gesichtserkennungssoftware ausgewertet, sondern auch bildforensisch untersucht, um Hinweise auf Verstecke der Taliban-Gegner zu erhalten. Dazu werden eigene Auswertungswerkzeuge genutzt, aber auch im Netz frei verfügbare Tools. […]

Die Taliban nutzen eben das gesamte Arsenal, das im Netz für die Faktenprüfung zur Verfügung steht. Dazu gehören auch Wunderground und WolframAlpha zur Abfrage von Wetterdaten, um einen Aufnahmeort verifizieren zu können. Auch über die Berechnung von Sonnenstand und Schattenwurf können Orte und damit Verstecke verifiziert werden, […]

Was manchmal als totalitäres Auftreten westlicher Staaten befürchtet wurde, tritt nun ausgerechnet in einem Land ein, das man bisher immer als sehr, sehr rückständig betrachtet hatte – aber mit westlicher Hilfe. Auch mit unserer:

In die Methoden der Bildanalysekette des FBI haben Ausbilder des pakistanischen Geheimdienstes ISI die Taliban-Spezialkräfte eingewiesen. Die Führungskräfte der IT-Abteilung von Al Qaida waren zudem gut ausgebildete Informatiker mit Abschlüssen amerikanischer und deutscher Hochschulen.

Toll.

Unsere eigene Bundesregierung ist in Sachen IT für alles zu doof, aber die Taliban haben wir top ausgebildet.

Und unser Bundesverteidigungsministerium ist dämlich genug, ein Foto aus dem Innenraum eines A400M voller Flüchtlinge zu publizieren, auf dem deren Gesichter zu erkennen sind.

Was mir übrigens ziemlich unerwartet – aus der Ecke hätte ich damit jetzt nicht gerechnet – wieder mal ein Puzzlestück dazu liefert, warum sie mich damals als Kryptologen abgesägt und die deutsche Kryptoforschung mit Pfeifen und garantiert unfähigen Quotentussis besetzt haben: Der Abfluss von Kryptographie-Wissen in Richtung islamischer Staaten durch unsere „weltoffene“ Hochschul- und Migrationspolitik.

Es drängt sich natürlich auf, dass wenn die sich hier das Know-How geholt haben, um Leute biometrisch zu erkennen und das systematisch auszuwerten, natürlich auch kryptographisches Wissen nutzen würden und werden. Da schält sich dann heraus, warum die Geheimdienste hier damals universitätsöffentliche Kryptoforschung verhindert haben.

Spezielle Analysesoftware haben die Taliban laut Analytikern des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes am freien Markt eingekauft. Auf jeden Fall liegen Anzeichen vor, dass über den südostasiatischen Al-Qaida-Ableger AQIS Fachkräfte aus Sicherheitskreisen Indonesiens und Malaysias für Schulungszwecke der Taliban-Spezialfachkräfte in Sachen Informationstechnik gewonnen werden konnten. Dazu dürfte auch die Bildforensik zählen.

Bei der Identifizierung von Gegners per Gesichtserkennungssoftware und biometrischer Daten hilft nach Berichten des amerikanischen Verteidigungsministeriums zudem der pakistanische Geheimdienst ISI aus. Zuletzt war das in größerem Umfang der Fall, als die Taliban biometrische Analysegeräte namens Handheld Interagency Identity Detection Equipment des US-Militärs erbeuteten.
Pakistan hilft gern mit Know-how

Sie konnten mit dem Gerät nicht umgehen und benötigten Trainings und Handbücher. Beides wurde prompt aus Islamabad geliefert. Damit verfügen die Taliban jetzt über Identifizierungsmöglichkeiten für einen Großteil der ehemaligen Ortskräfte des US-Militärs.

Das schält sich förmlich heraus, dass und warum die Geheimdienste damals Kryptoforschung sabotierten.

Grundsätzlich erweist sich die vielgepriesene „Weltoffenheit“ an dieser Stelle als mörderisch, weil wir damit das organisierte, systematische Töten lehren.