Ansichten eines Informatikers

Biometrie

Hadmut
17.8.2021 0:02

Das ist jetzt aber auch blöd.

Es ist halt nicht nur so, dass Biometrie in Richtung „Ich bin X“ und dann bestätigt oder nicht, also Identifikation nach Namensnennung, (was man nicht ohne weiteres mit Authentifikation gleichsetzen oder verwechseln sollte, es ist nämlich ein Riesenunterschied, ob ich kläre, wer vor mir steht, oder mit wem ich kommuniziere), oder ob einer sagt „Ich bin X“ oder gar nichts sagt und das System dann sagt „Nein, Du bist der Y“.

Erinnert mich allerdings an ein Vorkommnis. Auch schon einige Male erzählt. Ich war 1994 auf meiner ersten IETF-Konferenz in San Jose, und damals gab es eine PGP-Key-Signing-Party, sowas war damals noch neu und innovativ. Jeder, der teilnehmen wollte, sollte vorher seinen Fingerprint des Public Keys so auf einen Zettel schreiben, dass keiner rummurksen kann und man seine eigene Handschrift erkennt, und den Public Key als Mail einreichen. Dann hat man die Datei mit den Public Keys an alle verteilt und die Fingerprints aller keys auf Zettel ausgedruckt, von denen jeder einen bekam. Nun setzt man sich im Kreis, und einer nach dem anderen stand auf, sagte seinen Namen, las von seinem handschriftlichen Zettel seinen Fingerprint vor, und alle anderen konnten auf ihrem ausgedruckten Zettel mit allen fingerprints abhaken, dass er das selbst gehört und verifiziert hatte und den Schlüssel später auf seinem Rechner gegenseitig signieren und die Signatur wieder weiterverteilen.

Nun sah ich da ein Problem. Also, nur ich. Die Amis sahen da kein Problem. Nämlich dass ich ja zum ersten Mal da war und mich dort niemand kannte. Könnte ja jeder behaupten, er sei Hadmut Danisch. Also stand ich auf, zückte meinen deutschen Personalausweis, hielt ihn hoch und bot an, ihn einmal rumgehen zu lassen, damit sich jeder überzeugen können, dass ich auch der bin, der ich wirklich bin.

Ich dachte in dem Moment, das wäre eine gute Idee. War es aber nicht.

Sofort ging da die Diskussion los und wurde später auf einer Mailingliste fortgesetzt, dass ich soeben den Beweis erbracht hätte, dass die Deutschen immer noch unverbesserliche Nazis seien. Weil sie Leute in Identitäten zwingen, Meldeamt und so, und das nachprüfbar machen. Es sei aber doch von Vorteil, wand ich ein, wenn man sich etwa bei so einer Key Signing Party oder bei anderen Gelegenheiten, etwa einem Vertrag oder sowas, ausweisen könne.

Nöh, grundsätzliche Ablehnung. Man wolle keinen Personalausweis. Einige Politiker hätten sowas schon verlangt, das habe man aber jedesmal abgewehrt.

Ja, und was macht Ihr, wenn Ihr doch mal nachweisen müsst, wer Ihr seid, oder beispielsweise volljährig?

Dann nehmen wir den Führerschein!

Sie zeigten mir die, viele nicht mal mit Passfoto und von der Fälschungssicherheit noch weit unter einem Schülerausweis. Aha. Und wie bekommt man den? Wenn man den Führerschein macht. Fahrprüfung. Und wenn man keinen hat, kann man sich nicht ausweisen? Jeder Amerikaner hat einen Führerschein. Blinde auch? Die haben einen Blindenausweis. Und woher wissen die, welchen Namen die auf den Führerschein drucken sollen? Den muss man in der Prüfung sagen. Ach. Einfach sagen? Und woher wissen die, ob der echt ist? Wer wäre denn so blöd, sich einen Führerschein auf einen falschen Namen ausstellen zu lassen?

Echt schlimm. Ich habe Jahre später mal in der Federal Trade Commission in Washington einen Vortrag auf einer Konferenz gehalten und da hatten die dann Personenkontrollen. Picture ID. Ich wieder den Personalausweis raus, haben sie auch akzeptiert, obwohl sie ihn für den Führerschein gehalten haben und nicht wussten, was das ist. Ich fragte, was das denn jetzt gebracht habe, meinen Ausweis zu kontrollieren, wenn sie a) nicht wüssten, wie der aussehen muss und was das ist, und b) keine Liste der Leute hätten, die eingeladen sind, das also keinen Zweck erfüllt außer dass ich überhaupt irgendwas Flaches mit einem Bild drauf dabeihabe. Ja, meinten sie, der Umstand, dass ich so ein Ding hätte, würde doch beweisen, dass ich kein Terrorist sei. Terroristen hätten doch bekanntlich keine Ausweise. Man kenne keinen Fall, in dem sich ein Terrorist vor seinem Anschlag mit Ausweis ausgewiesen habe. Da ich es aber gerade getan hätte, sei ich ergo kein Terrorist. Nicht ganz, sagte ich, ich komme aus Deutschland, bei uns herrscht Ordnung. Bei uns haben selbstverständlich auch die Terroristen Personalausweise. (Was ich heute übrigens schon wegen der Wartezeit auf einen Ausweistermin in Berlin nicht mehr behaupten würde.)

Das verunsicherte dann nicht nur sie, sondern auch einen Amerikaner hinter mir. Der nämlich sei mit dem Zug da, weil das in der Nähe des Bahnhofs war, habe keinen Mietwagen genommen und deshalb seinen Führerschein nicht dabei. Er könne sich nicht ausweisen. Sie haben dann seine Kundenkarte von Walmart akzeptiert. Egal, Hauptsache Picture-ID.

Was sich geändert hat, längst nehmen sie beim Einreisen die Fingerabdrücke.

Zurück zur Signing Party. Ich hatte hernach auf der Mailingliste gefragt, was sie denn auf das schmale Brett bringe, dass die Deutschen Nazis seien, weil sie Personalausweise haben. Jedes Land in Europa habe die, und Briten und Franzosen seien ja nun erweislich Nazi-Gegner gewesen.

Nun, so die Begründung desjenigen, irgendein Verwandter sei damals nur dem Warschauer Getto entkommen, weil er willkürlich Papiere fälschen und einfach eine beliebige andere Identität annehmen konnte. Deshalb sei jede Form von fester Identität oder Ausweis für immer und ewig Nazi. Basta.

Aha.

Dabei haben die Deutschen inzwischen hoch wirksame Schutzvorkehrungen gegen die Wiederholung der Nazis. Nichts wäre heute noch in der Lage, organisatorisch einen zweiten Weltkrieg anzufangen oder ein Warschauer Getto anzulegen. Sowas bekämen wir längst nicht mehr hin. (Denkt nur an die Odyssee, bis ich meinen neuen Personalausweis hatte.)

Damals dachte ich, die Amis haben nicht alle Latten am Zaun.

Schaut man sich aber diese Situation mit der Biometrie in Afghanistan nun an, dann ist das tatsächlich so eine Situation, wie sie sie damals auf der Mailingliste beschrieben hatten.