Ansichten eines Informatikers

Der olympische Heuschrecken-Wander-Disneyland-Zirkus

Hadmut
8.8.2021 17:45

Ich habe gerade die Abschlussfeier der olympischen Spiele gesehen.

Zur Feier habe ich eigentlich nichts zu sagen.

Zum Zirkus schon.

Was Positives

Vorab mal was Positives:

Ja, olympische Spiele im Allgemeinen haben, und diese im Besonderen hatten eine positive Wirkung. Internationales Zusammentreffen, Spannung, große Emotionen, schöne Bilder, Drama, Tränen, Sieger, Goldmedaillen und Verlierer. Manchmal sogar die Dramatik des Betruges, obwohl ich mich jetzt gar nicht mal erinnern könnte, dass dieses Mal jemand wegen Dopings rausgeflogen wären. Irgendwo sagte einer, das läge daran, dass wegen Corona alle Doping-Kontrollen ausgefallen wären und natürlich jeder wisse, wann er vorher das Zeug absetzen müsse, um nicht erwischt zu werden. Sei ja schon seltsam, dass bei diesen Spielen trotz widriger Umstände so viele bisher als unbrechbar geltenden Rekorde gebrochen wurden. Manche Sportler wunderten sich ja schon selbst, wie schnell sie waren, konnten es mitunter kaum glauben. Der 400-Meter-Hürdenläufer oder eine deutsche Bahnradfahrerin, die die Wunderbarigkeit ihrer eigenen Zeiten nicht fassen konnten. Hat man vielleicht die Uhren alle etwas langsamer laufen lassen? Wer hat an der Uhr gedreht?

Egal.

Die Welt befand sich in einer Depression, einer verschärften Corona-Melancholie und da war etwas Hurra, ein paar Medaillen, Hymnen, Sieger einfach ganz dringend notwendig. Man könnte das unter psychotherapeutische Nothilfe verbuchen.

Zu denen, die ihr Glück nicht fassen können, zählt zweifellos auch Annalena Baerbock. Eben noch die Schießbudenfigur schlechthin, wurde sie durch doppeltes Glück, erst das Hochwasser, dann die Spiele gerettet. Oder erinnert sich noch jemand an ihr Plagiatsbuch und ihr faules Stipendium?

Ist jetzt etwas schnoddrig, aber es war tatsächlich mal etwas Abwechslung, mal ein paar Erfolgsmeldungen im Land des permanenten Misserfolgs zu hören. Auch wenn es weniger waren. Gerade kam im Fernsehen, dass wir in Mannschaftssportarten dieses Jahr keine einzige Medaille geholt haben und auch sonst bei Goldmedaillen abgestürzt sind. Wenn ich mich recht erinnere, von 17 auf 10.

Ex-Zehnkämpfer Frank Busemann – der ist im Fernsehen echt gut, der sollte im Fernsehen bleiben und hebt sich von den regulären Fernsehmoderatoren sehr wohltuend dadurch ab, dass er weiß, wovon er redet, und das auch noch sehr gut rüberbringt, während ich niemals verstehen werde, wieso man eine Dunja Hayali ein Sportstudio moderieren lässt – hat das vorhin erklärt. Andere Länder machen es richtig. Wir machen nichts. So ein bisschen wie Deutschland beim Eurovision Song Contest, wir landen meist auf den hinteren Plätzen, aber haben unseren Spaß dabei, vorher auszuwählen, wer von uns auf den hintersten Platz kommen wird. Weil uns das Elitäre und jeder Leistungsgedanke aus politischen Gründen längst fremd sind, das föderale Konzept sowieso alles zunichte macht und wir längst die Mittelmäßigkeit für eine Tugend halten, wenn wir nicht gerade die Dummheit anbeten.

Egal, es war mal etwas Abwechslung notwendig. Auch im Fernsehen. Noch mehr Quizshows, Kochsendungen und Bares für Rares hätte ich nicht ertragen, da nimmt man jede Abwechslung gern. Schon das Hochwasser hat mich aus der Verzweiflung der 97.015ten Corona-Sondersendung gerettet. Und ich fand es so erholsam, dass Annalena Baerbock mal endlich ein paar Tage die Klappe gehalten hat.

Wer hätte gedacht, dass der Olympiasieger im Marathon, der die letzte Goldmedaille der Spiele bekam, Eliud Kipchoge, ab und zu vor meinem Küchenfenster vorbeiläuft? Also, einmal im Jahr. Beim Berlin-Marathon.

Die Teilnahme an den Spielen ist etwas ganze besonderes. Ein Freund und Kollege meines Vaters hatte 1968 in Mexiko eine Medaille gewonnen. Der war dann einfach immer der Medaillengewinner von Mexiko. Ich habe als Kind mal erfreut gestaunt, als die im Deckel von Fanta-Flaschen auf den Gummidichtungen Portraits von deutschen Olympia-Medaillengewinnern aufgedruckt hatten, die man rausknibbeln und sammeln konnte, und ich in einer Fanta-Flasche dessen Bild fand, weil ich den ja auch selbst schon mal getroffen hatte. Ich war sogar mal bei dem eingeladen. Ein leibhaftiger Medaillengewinner der olympischen Spiele hat mir mal eine Einweisung in seine Sportart gegeben. (War dann aber aus anderen Gründen dann doch nicht so mein Ding. Ich war als Kind zwar nicht eigentlich unsportlich, nur der damals so altmodische Schulsport hat mich tödlich genervt, da war ich dann auch richtig schlecht, aber dann in außerschulischen Sportarten nicht schlecht. Aber mir fehlt es schlicht an den körperlichen Voraussetzungen, um in Sport irgendwo vorne mitzumachen. Ich bin nicht dafür gebaut.) Nichts anderes hat diesen Nimbus.

400 Tonnen

Wusstet Ihr eigentlich, dass die Uhrenfirma Omega, die die Zeitmessungen für die olympischen Spiele macht, zu diesen Spielen mit 400 Tonnen Ausrüstung, 200km Kabeln und 530 Leuten zur Zeitnahme angerückt ist?

Schade

Wer mir da wirklich so ganz dolle leid tut, das sind die Japaner.

Die haben sich so viel Mühe gegeben. So viele Kosten. So viel Aufwand. So eine tolle Gelegenheit, sich und den Charakter des Landes zu präsentieren, und dann war es nichts.

Ich habe davon gelesen, dass die Unterbringung der Athleten sehr problematisch war, weil man, wie üblich, neue Wohnungen gebaut hatte, die nach den Spielen vermietet oder verkauft werden sollten, die Verträge schon gemacht waren, und dann plötzlich die Wohnungen ein Jahr später gebraucht wurden.

Irgendwo kam ein Bericht über ein Paar aus Tokyo, die seit Jahrzehnten um die Welt reisen und bei allen Spielen dabei waren. Nur jetzt, wo sie im eigenen Land vor der eigenen Haustür stattfinden, sollen sie zuhause bleiben und sie im Fernsehen anschauen.

Dazu kommt, dass die Einnahmen aus Tourismus, Hotels, Gaststätten, Eintrittskarten, die die exorbitanten Kosten etwas abmildern sollen, komplett ausgefallen sind. Das Internationale Olympische Komitee soll angeblich mal geäußert haben, dass sie auch mit ausgefallenen Spielen gut hätten leben können, weil sie gegen Ausfall der Spiele versichert sind. Die Kasse des IOC hätte also trotzdem geklingelt. Japan bleibt auf den Kosten sitzen.

Paris

Etwas finde ich bemerkenswert. Die Ankündigung, wie die Spiele 2024 in Paris ablaufen sollen. Ich habe mich ja schon länger gefragt, was die eigentlich machen, wenn sich keine Stadt mehr findet, die den Zirkus mitmacht. Ob die dann den Preis senken.

Sowas in der Art scheint es in Paris zu geben. Paris will die Spiele moderner machen, zeitgemäßer und deshalb nicht nur klimaschonender (was sonst), sondern, was man nicht ganz so laut sagt, aber was wohl der Hauptgrund ist: Billiger. Und das IOC findet es toll. Vermutlich bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig, als es toll zu finden, weil sich herumspricht, dass bisherige Spiele oft zum finanziellen Fiasko wurden.

Paris will deshalb nicht so viele neue Spielstätten schaffen, sondern die Sportveranstaltungen an berühmten Orten abhalten, die nur etwas angepasst und umgebaut werden. Die Rede ist davon, dass sie ihre berühmten Museen nutzen wollen.

Halte ich für gar keine schlechte Idee. Das könnte überaus interessant werden, wenn die 100-Meter-Läufe vor dem Eiffelturm stattfinden, oder Fechten in Louvre? Warum nicht mal Speerwerfen in den Tuilerien? Oder einfach über die Seine? Was nicht bis auf die andere Seite kommt, muss man erst gar nicht messen?

Endlich mal was los, die Stadien sehen doch sowieso alle gleich aus.

Und was meint Ihr, was im Schlossgarten von Versailles alles möglich wäre. Gäbe es einen schöneren Platz für Weit- und Hochsprung? Kugelstoßen?

Kampfsportarten stilecht in den Banlieues de Paris?

Die Damenturnerinnen beschweren sich doch über den Sexismus ihrer knappen Kleidung. Na, wenn schon, denn schon, warum nicht ins Moulin Rouge?

Bahnenradrennen auf dem Place de la Concorde?

Das Wanderdisneyland der Olympia-Heuschrecken

Kommen wir zu was Negativem. Muss auch sein.

Mir stellt sich das wie so eine Art Wander-Disneyland dar.

Ein Konzern, der reihum Städte aussaugt. Das IOC kassiert Milliarden, während die Kosten die jeweilige Stadt trägt und die Arbeit ein Heer von unbezahlten Freiwilligen macht und die Sportler die Show veranstalten.

Oh, ja. Die große Show. Flagge und Feuer und Hymne und Symbole und Siegerehrungen. Wie Disneyland eben. Der ganz große Emotionalzirkus. Verkauft sich besser.

Letztlich sind die olympischen Spiele nur eine Art Generalunternehmer mit den einzelnen Weltverbänden als Merchandising-Nehmer. Im Prinzip wie McDonald’s. Nur mit dem Unterschied, dass McDonald’s das Zeug noch herstellt und an die Betreiber ausliefert, während das IOC eigentlich gar nichts macht, außer ein bisschen Organisation. Die Hauptarbeit macht ja die jeweilige Stadt.

Vor allem übernehmen sie keine Verantwortung. Fragt man nach, wie ich es getan habe, dann schieben sie die Verantwortung ab auf die Verbände. Und mancher Verband ist wohl ein ziemlicher Misthaufen.

Immerhin dürfte die Korruption deutlich zurückgegangen sein, seit die Städte sich nicht mehr so darum reißen. Warum sollte ein Bewerber noch schmieren, wenn er der einzige Bewerber ist?

Lohnt sich das eigentlich?

Die Medaillenausbeute für Deutschland lohnt den Aufwand wohl nicht.

Würde mich mal interessieren, was uns das alles jetzt eigentlich summa summarum gekostet hat – und vor allem, wieviel da aus den Rundfunkzwangsgebühren gezahlt wurde.

Ich hätte nichts gegen den Zirkus, wenn jeder selbst entscheiden könnte, ob er das guckt und zahlt. Mir sind da die Zahlungsströhme zu undurchsichtig.

Und gerade nach diesem Eklat mit dieser Reiterin habe ich überlegt, was so eine Teilnahme an einem Sportwettbewerb eigentlich rechtlich ist. Hat man einen Anspruch auf Fairness oder nicht? In den AGB der olympischen Spiele habe ich nichts gefunden, was dem Sportler faire Behandlung zusichert.

Möglicherweise könnte Paris etwas Heilung bringen, wenn die von vornherein die Sache anders angehen und nicht monströs Geld raushauen für Sportanlagen, die nach einmaliger Benutzung vergammeln oder abgerissen werden. Irgendwo stand mal, dass die Sportanlagen der olympischen Spiele ausgerechnet in Griechenland danach nur noch verrottet sind. Beton ist übrigens klimaschädlich und gibt CO2 ab. Und das Finanzfiasko für Tokyo dürfte sich rumsprechen. Wer kann schon ausschließen, dass es 8 oder 12 Jahre nach einer Bewerbung nicht wieder eine Pandemie geben wird? Irgendein anderes Problem?

2028 sollen die Spiele in Los Angeles stattfinden.

Fragt sich, wieviel von Los Angeles bis dahin finanziell und physisch noch übrig ist. Das ist Kalifornien. Klima. Waldbrände. Migration. Staatspleite. Steuerzahlerflucht. Das hat seine Gründe, dass sich das IOC dagegen versichert, dass sie Spiele nicht stattfinden.

Wobei ich mir bei den USA noch vorstellen könnte, dass da noch andere Städte einspringen. Falls bis dahin noch welche funktionsfähig sind.

Irgendwann wird nur noch China in der Lage sein, solche Spiele auszurichten und sogar kurzfristig für Ausfaller zu übernehmen. Es wäre die perfekte Gelegenheit für die chinesische Regierung, für den Fall, dass die USA als Ausrichter ausfallen, das kurzfristig zu übernehmen. Ich war ja mal auf einer Exkursion in Peking kurz nach deren Spielen, und stand da vor diesem Vogelnest-Stadion. So richtig wüssten sie jetzt auch nicht, was sie danach damit machen sollten, nun steht’s halt da. In China sei sowas aber kein Problem. Dann steht’s eben da. Na, und?

Ich glaube, das hält sich so nicht mehr. Vermutlich wird es nie wieder Spiele geben, wie man sie bisher kannte. Tokyo+Pandemie war eine Zäsur.

Wobei nicht unbedingt eine schlechte. Es gab sogar Sportler, denen das so besser gefallen hat. Irgendwo im Fernsehen sagte ein Bogenschütze, dass man endlich mal dieses Geräusch hört, wenn der Pfeil auf die Scheibe trifft. Das sei mit Publikum nicht möglich.

Die nächsten Winterspiele finden in China statt. Zählt nicht, die ticken anders. Dann die Sommerspiele in Paris, die Sparspiele werden. Mal abwarten. Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo, das könnte auch eine Nummer kleiner ausfallen. 2028 Los Angeles, darauf würde ich nicht wetten. Und ob sich danach noch jemand bewirbt, darauf auch nicht.

Gut möglich, dass wir nie wieder Spiele haben, wie wir sie bisher hatten.

Und meine Meinung ist nicht unbedingt so positiv, wie sie früher mal war. Zuviel Show. Zuwenig sportliche Substanz, was den Abkassierkonzern IOC angeht.

Mich würde mal sehr interessieren, wieviel Geld uns das jetzt eigentlich gekostet hat.