Ansichten eines Informatikers

Woran ich gerade so denken musste bei den ganzen Diskussionen: Die Einschätzung der Gefahr

Hadmut
14.7.2021 1:02

Bin ja schon was älter.

Ich kann mich noch erinnern, als die ersten Autohersteller anfingen, ab Werk Sicherheitsgurte einzubauen. Vielleicht gab es das auch vor meiner Zeit schon, aber ich habe das noch so in Erinnerung, das als kleines Kind noch miterlebt zu haben. Die gab es damals auch zunächst nur auf den Vordersitzen.

Und: Es waren keine Automatikgurte. Die kamen erst so ein, zwei Jahre später. Die ersten musste man noch fest auf eine bestimmte Länge einstellen und dann war man eben so festgebunden. Technik ähnlich der, wie man sie heute noch bei den Sitzgurten im Flugzeug hat. Ein Riesengeschrei, wie sehr die Gurte uns umbringen würden, Erstickungsanfälle und sonstwas alles, man käme an nichts mehr ran und so weiter.

1976 kam die Einführung der Gurtpflicht. Ganz großes Gezeter. Es hieß, wir würden alle dran sterben. Reihenweise würden wir in den Autos verbrennen, weil wir nicht rechtzeitig aus den Gurten kämen. Die Gurte würden uns strangulieren, bei jeder stärkeren Bremsung. Leuten, die nicht der Norm entsprächen, würden die Gurte den Kopf abreißen. Und Dicke würden Platzen. Das Herz komprimiert. Und so weiter und so fort.

Als ich Grundwehrdienst hatte und Wache stehen musste, war auch gerade irgendwas mit Sicherheitsgurten, ich bekomme es nicht mehr genau zusammen. Ich dachte erst, das war die Einführung der Gurtpflicht mit Bußgeld oder sowas, stimmt aber nicht. Wir hatten aber so einen sicherheitsbedachten Kasernenkommandanten, der immer auf Sicherheit achtete, und beispielsweise keinen Privat-PKW rein oder raus ließ (Anweisung an die Wache), bei dem in der kalten Jahreszeit die Beleuchtung nicht einwandfrei funktionierte. Immerhin: Weil er ein Herz für Wehrpflichtige und ihre knappe Finanzlage hatte, bekamen die dann kostenlos in der Instandsetzung die Beleuchtung repariert.

Und der hatte auch mal für ein paar Wochen die Losung ausgegeben, dass wir an der Wache zu kontrollieren hatten, ob alle angeschnallt sind. Es dürfte keiner rein oder raus, der nicht angeschnallt war. Hatte mich auch an ein paar Wachtagen erwischt.

Es war schrecklich.

Viele Leute sahen es partout nicht ein, dass sie sich anschnallen sollten. Es wäre lebengefährlich, sie würden sich von uns nicht umbringen lassen, manche ließen es auf 20-minütige Streitgespräche ankommen. Manche waren erbost und drohten Rache oder Prügel an. Wir sagten immer nur „Befehl vom Kasernenkommandanten“, und der hatte ausdrücklich noch dazu befohlen, dass sich jeder, dem es nicht passt, mit ihm persönlich und nicht mit der Wache anzulegen habe.

Ich habe das noch in Erinnerung, wie viele Leute sich so vehement dagegen wehrten, am Steuer den Sicherheitsgurt anzulegen. Wie oft die Leute den Gurt zum Schein mit einer Hand festhielten, damit es so aussieht als ob, aber nicht bereit waren, das Ding ins Schloss zu stecken. Oder die demonstrativ nach 2 Metern anhielten und sich wieder abschnallten, und zwar so, dass wir es sehen mussten.

Und dann kam der Airbag.

Ein Mörderding sei das. Würde uns das Gesicht verbrennen. Das Genick brechen. Das Handy in der Hand am Ohr einmal quer durch den Schädel rammen. Bei jeder Bodenwelle während der Fahrt losgehen. Uns dann die Sicht nehmen und zu tödlichen Unfällen führen. Wer Airbags in Autos einbaue, wolle nur Geld machen und gehe dabei über Leichen, weihe uns alle dem Tode.

Als ich vor etwa 10 Jahren mal im Blog erwähnte, dass ich beim Radfahren einen Fahrradhelm trage, bekam ich wochenlang Warn- und Hassmails von Radfahrern, die die Helme für Mörderzeugs und Genickbrecher halten, und mich zum Massenmörder erklärten, weil ich die auch nur angesprochen habe, unverantwortbar, wenn unbedarfte Leser es mir gleichtäten, und beim Radfahren einen Schutzhelm trügen.

Bei allen drei Dingen, Sicherheitsgurt, Airbag, Fahrradhelm, wurden die Schutzmaßnahmen als weit gefährlicher und tödlicher eingestuft, als die Gefahr, vor der sie schützen sollten. Leute stemmten sich mit Händen und Füßen dagegen. Und in allen Fällen wurden sie als staatliche Bevormundung angesehen.

Ich könnte mich jetzt zumindest spontan nicht erinnern, jemals davon gehört zu haben, dass jemand im Auto verbrannt wäre, weil er den Gurt nicht aufbekommen hat, jemand vom Airbag getötet worden sei oder gar bei Unfällen Köpfe durch die Gegend geschossen worden seien, oder Radhelme ihren Trägern den Kopf abgerissen, abgebrochen, abgeschraubt hätten. Es mag Fälle gegeben haben, aber so wenige, dass sie es nicht bis zu meiner Kenntnisnahme und Erinnerung geschafft haben.

Aber warum ist das so?

Sind wir da wieder bei der Amygdala? Wird das im Hirn als eine Falle eines feindlichen Rudels verbucht?