Ansichten eines Informatikers

Reisfressende Chinesen im Mao-Anzug

Hadmut
5.3.2017 14:32

Herr Li schaute mich empört an.

Mir ging noch was durch den Kopf.

Ich war vor einigen Jahren mal mit einer Gruppe der Gesellschaft für Informatik zu einer einwöchigen Studienreise in Peking. Das einzig positive und sinnvolle, was mir von der Gesellschaft für Informatik je untergekommen war.

Unser Reiseführer für diese Woche war Herr Li. Herr Li stellte sich uns mit „Li wie Meier“ vor, weil irgendwie so ungefähr ein Drittel der Chinesen Li heißt. Herr Li war sehr nett und ein ausgezeichneter Reiseführer. Etwas seltsam fand ich, dass er es so genoss, mit Touristen abends im Restaurant nach mehreren chinesischen Schnäpsen „Drei Chinesen mit dem Kontrabass…“ zu singen. Er liebt das Lied.

Davon abgesehen war Herr Li ernst, vergeistigt. Ein Akademiker. Ein trockener, nüchterner, kritischer, eher stiller Geist. Der durchaus sehr präzise die positiven und negativen Entwicklungen seines Landes erkannte und analysierte. Und der uns ermutigte, ihn alles zu fragen. Er hatte in Deutschland studiert und sprach sehr gut deutsch, zog die Tätigkeit des Reiseführers aber der Ausübung seines erlernten Berufs vor.

Nach vier, fünf Tagen, als wir uns schon besser kannten, und am Tag nach Absingen des Kontrabass-Liedes kamen wir unterwegs beim Abklappern der einschlägigen Pflichtsehenswürdigkeiten auf das Bild des Chinesen an und für sich bei den Deutschen, und wie sich Peking so entwickelt habe. Er schimpfte durchaus darauf, dass Peking in so kurzer Zeit so viele Autos bekommen hätte, noch vor wenigen Jahren seien private PKW verboten gewesen. Der Chinese an sich, meinte er, könne nicht Auto fahren. Viele Leute, die ihr Leben lang nie etwas anderes als Fahrrad gefahren seien und Verkehr nicht kannten, seien innerhalb von 2 Monaten in ein Auto gesetzt worden, um im Ergebnis führen sie wie die Henker. Das Überqueren eines Zebrastreifens in Peking gehört zu den lebensgefährlichen Risiken, vor denen das Auswärtige Amt eigentlich warnen müsste. Ich bin selbst zweimal fast Polizeiautos (ohne Blaulicht) zum Opfer gefallen, die fahren nämlich auch nicht besser.

Ich verlieh meinem Erstaunen und meiner Beeindruckung Ausdruck. Was ich hier sähe, eine moderne, technisierte Großstadt, sei beeindruckend. Zwar könnten sie wirklich nicht Auto fahren, aber immerhin hatten sie eine moderne Großstadt in kaum mehr als 10 Jahren aus dem Boden gestampft (heute würde ich sagen, da schaffen wir nicht mal den Flughafen), denn selbst die meisten Straßen hat es vor 10, 20 Jahren noch nicht gegeben. Das sei so ganz anders als das Bild des Chinesen, das ich in meiner Kindheit aus Büchern gelernt hatte.

Der Chinese, so hatte ich in der Kindheit aus Büchern, Filmen und generell gelernt, sei uniform gleich, alle rennen in Mao-Anzügen herum, haben einen dreieckigen Hut auf, grinsen undurchsichtig-debil-verschlossen, fressen aus Schüsselchen Reis und fahren klingelnd Fahrrad. Das sei ja offensichtlich Unfug, ich sähe hier ja etwas völlig anderes.

Herr Li blieb stehen.

Schon das war beachtlich, denn Herr Li blieb selten stehen.

Herr Li hielt inne und schaute mich mit verständnislos-grimmigem Blick an. Auch das tat er sonst nie.

Ich dachte, ich hätte ihn mit dem Bild des dämlich grinsenden Chinesen beleidigt, und überlegte, wie ich auf die Schnelle eine fernöstlich-adäquate Entschuldigung zusammenklempnern könnte.

Wie ich denn darauf käme, dass dieses Bild falsch sei. Wieso ich mich von ein paar Straßen und Autos so leicht täuschen lassen würde.

Äh…moment… wie jetzt?

Ja, natürlich sei das so gewesen. Genau so, fuhr er fuchtig fort. Ich schien da einen wunden Punkt getroffen zu haben. Noch vor ein paar Jahren – Herr Li war undefinierbaren Alters, aber anscheinend ein Stück über 50 – seien sie alle in gleichen Mao-Anzügen rumgerannt, hatten nichts zu fressen außer einem Schüsselchen Reis, waren auf den Bewegungsradius eines alten Made-in-China-Fahrrades beschränkt, und wer überleben wollte, habe zu allem stets nur schweigend milde gelächelt und genickt. Und zwar so oft, bis das der normale Bewegungsablauf war. Das Bild des albernen Chinesen, das Kinder in Deutschland früher gelernt haben, hätte damals exakt der Realität entsprochen. Und wer heute gegen dieses Bild anrenne, das dürfe man ja alles nicht mehr sagen, der verleugne, was man mit ihnen gemacht habe.

So plötzlich, wie der Groll aufgetreten war, war er auch wieder verflogen. Herr Li pries in freundlicher Harmonie die Schönheit eines Tempels, vor dem wir angekomen waren. Es war dieser plötzliche, aufblitzende Grimm, dessentwegen mir die Szene so in Erinnerung geblieben ist.

Mir geht dieser Tage so durch den Kopf, dass ich eigentlich nach Peking fahren und das Gespräch mit Herrn Li weiterführen müsste. Wenn ich nur wüsste, wie man in Peking jemanden findet, von dem man nicht viel mehr weiß als dass er Li heißt.

Ich würde ihm nämlich gerne sagen, dass wir hier bei uns das, was sie hinter sich gelassen haben, gerade vor uns haben.

  • Die Grünen wollen den Individualverkehr verbieten, und zu meinem gestrigen Artikel über die Fahrradmesse schrieb mir jemand, dass die Posse mit den Lastenfahrrädern darauf zurückginge, dass die Grünen diese irgendwo gefordert hatten und fördern wollten. In Berlin will rot-rot-grün den PKW-Verkehr verbieten, Dieselgate kommt ihnen gerade recht und die Stadt zur Fahrradstadt umbauen. Fernreisen und Individualverkehr werden bekämpft.
  • Das Essen wird uns auch immer mehr madig gemacht, Fleisch verdammt, wir werden auf vegane Kost konditioniert.
  • Die Einheitskleidung wird auch durchgesetzt, wehe der Frau, die sich zu freizügig zeigt, gerade hatten wir ja das Beispiel der Allianz-Damen, die attackiert wurden, weil sie kurze schwarze Kleider und nicht das einheitsgraue Business-Einheitskostüm trugen. Die Gender-Version des Mao-Anzuges. Gibt’s auch in der türkisch-arabischen Variante.
  • Und wer hier überleben will, sollte sich zu allem angewöhnen, das Maul zu halten, milde zu lächeln und zu nicken.

Viele Leser schrieben mir, dass ich mit meiner Diagnose des fortschreitenden Kommunismus nur dem Grund nach richtig läge, in den Feinheiten aber den Fehler machte, zu sehr auf Marx zu gucken. Tatsächlich orientierte sich das, was hier abliefe, eher an Figuren wie Che Guevara und Mao.

Tatsächlich erinnert vieles von dem, was hier abläuft, an die Frühzeit der chinesischen Kulturrevolution. Man hat da beispielsweise Pianisten die Finger gebrochen, weil man der Meinung war, dass das gegen die Gleichheitsgrundsätze verstöße, wenn jemand Klavier spielen kann und andere nicht. Alles hat man kurz und klein geschlagen, um das Ideal völliger Gleichheit zu befördern, jener Gleichheit, in der sich die Bonzen dann zu Millionären und dann Milliardären aufpumpten.