Ansichten eines Informatikers

Wo geht’s hier zu IKEA?

Hadmut
11.1.2013 20:13

Eine seltsame Nichtigkeit mit tiefer Bedeutung.

Der Leser wird sich jetzt gleich fragen, ob mir nichts mehr zu bloggen einfällt, wenn ich schon solche Nichtigkeiten blogge wie diese, die gleich kommt. Mir erschien der Vorgang auch als nichtig und nicht erwähnenswert. Zwei Stunden später sah das anders aus. Und nach dem nächsten Blog-Artikel wird der Leser dann auch wissen, warum.

Ich wollte diese Tage etwas kaufen und hab’s in den üblichen Läden, an denen ich so vorbeikomme, nicht bekommen. Ne simple kleine Pappschachtel für Kleinkram. Als ich vorhin auf dem Nachhauseweg an einem IKEA vorbeikam, dacht ich mir, die müssten sowas haben. Kannste gleich mal gucken, was die sonst noch so haben, weil die inzwischen ein interessantes Sortiment an LED-Lampen haben.

Nun habe ich heute nicht wie sonst direkt auf dem IKEA-Parkplatz geparkt, sondern bin zu Fuß von etwas weiter weg dorthingelaufen.

Als ich so an der roten Fußgängerampel stehe, spricht mich eine Frau an. Etwa 50 Jahre, gepflegte Erscheinung, absolut höflich, einwandfreies und korrektes Hochdeutsch, nur wenn man sehr genau hinhört, eine kaum wahrnehmbare Spur eines Anflugs eines osteuropäischen Akzents. Fragt mich sehr höflich, ob ich ihr sagen könnte, wo es zu IKEA geht.

Wäre ja an sich eine normale Frage. Zumal man von der Stelle aus das IKEA-Haus nicht sehen konnte, ein anderes Gebäude stand davor. Aber sie haben vorne so eine Riesen-Werbetafel stehen. Auf einem Mast, so geschätzte 15 bis 20 Meter hoch, und oben eine Riesentafel, geschätzt mindestens 4 x 10 Meter groß. So riesengroß, dass man es nicht übersehen kann, es beißt einen förmlich in die Nase. Allerdings nicht beleuchtet, daher doch jetzt nicht ganz so superauffällig, aber gut zu sehen. Ja, sage ich lachend, weil ich dachte, der Frau so einfach helfen zu können, und zeige auf die Tafel, da vorne ist es schon, gleich um die Ecke. Kann man nicht verfehlen.

Sie guckt da hin, brummelt etwas von wegen so dunkel, und verhält sich so, als hätte sie mich überhaupt nicht verstanden und als wäre die Werbetafel nicht da. Inzwischen ist die Ampel grün, wir gehen beide über die Straße.

Sie fragt mich nochmal, merklich verunsichert, ob es da zu IKEA geht.

Ja klar, sage ich. Denn nun auf der anderen Straßenseite stehen wir direkt vor einem Werbebanner von IKEA. So bedruckte weiße LKW-Plane, knapp mannshoch, locker 6 Meter breit, an einem Zaun befestigt. Darauf groß das IKEA-Logo, ein Pfeil und „Fußweg zu IKEA”. Deutlicher geht’s nicht.

Ich komme mir für den Bruchteil einer Sekunde von der Frau irgendwie schikaniert und veralbert vor, sage aber immer noch, eigentlich gut gelaunt und im Spaß, weil wir direkt vor dem Banner stehen, „Hier, da steht’s doch, wir stehen direkt davor!” Sie guckt mich ungläubig zweifelnd an, als ob ich sie irgendwie anlügen oder täuschen wollte, und fragte noch einmal, ob das auch wirklich stimmt. So etwas angekratzt und inzwischen leicht angenervt ob der auf mich grotesk wirkenden Situation des mehrfachen Anzweifelns meiner Wegweisung rutscht mir ein „Ja, wenn Sie mir’s nicht glauben, da steht’s doch groß und breit! Können Sie nicht lesen?” heraus. Die Frau steht verunsichert vor dem Banner.

Die Frau konnte nicht lesen. Nicht einmal ein so einfaches Wort wie IKEA.

Ich sage zu ihr, sie solle einfach immer den Leuten hinterher laufen. Waren ja noch mehr Leute dahin unterwegs.

Weil ich zwischendurch noch etwas an einem Schaufenster gucken war, überholt sie mich. Ich komme dazu, wie sie zweifelnd und unsicher direkt an der Drehtür am Eingang zu IKEA steht und mich noch einmal in sehr verunsichertem Ton fragt, ob das IKEA ist. Ja, das ist IKEA.

Zu diesem Zeitpunkt erschien mir der Vorgang bedauerlich, aber völlig unbeachtlich. Angeblich gibt es in Deutschland 4 bis 5 Millionen Analphabeten, und ich war eben einer begegnet. War nicht die erste und wird auch nicht die letzte gewesen sein.

Hätte ich da schon gewusst, was ich zwei Stunden später erlebte, hätte ich einer Analphabetin dringend von einem Besuch bei IKEA abgeraten. Der Leser möge sich überlegen, wie die im nächsten Blog-Eintrag geschilderte Situation für einen Analphabeten ausgesehen hätte.

15 Kommentare (RSS-Feed)

Kaiser
11.1.2013 20:35
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Jetzt bin ich aber gespannt. 🙂


Phil
11.1.2013 20:59
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Ja es ist sehr überraschend, wenn man plötzlich jemanden gegenübersteht, der nicht lesen kann. Es wird einem so selbstverständlich, dass diese Fähigkeit vorhanden ist.

Bei der Frau würde ich sagen, dass sie erhebliche Probleme mit der Mustererkennung hat (so etwas kann auch durch einen Unfall kommen) und deswegen noch nicht einmal das Logo erkennt. Denn normalerweise würde ich ja sagen, dass man vier, immer gleich geschriebene Buchstaben auch am Muster erkennt ohne dabei die Bedeutung der Buchstaben verstehen zu müssen.


Svenska
11.1.2013 22:34
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@Phil: Wenn man das Muster kennt, dann ja.
Mir sind Analphabeten (bzw. sehr eingeschränkte Lesefähigkeiten) schon ein paar Mal am Fahrscheinautomaten der Bahn begegnet, bei natürlich geschlossenem “Reisezentrum”. Die können einem da schon Leid tun…


unschland
12.1.2013 1:31
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@ Hadmut
Die nächste Ikea-Geschichte bricht mitten im Satz ab, – maximale Länge überschritten?


Reiner
12.1.2013 1:44
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Hi Hadmut,
beim nächsten Beitrag (IKEA-Eklat) haste wohl zuviel Text getippselt, da fehlt unten noch einiges.
Davon mal abgesehen, es hält sich selbst der Staat nicht an Gesetze, siehe Hartz4 und Grundgesetz – es geht ja nur gegen die Ärmsten der Armen…. Da stören unveräußerliche Grundrechte, auch welche mit Ewigkeitsgarantie und positiver Schutzpflicht des Staates nur.
Gruß
Reiner


Heinz
12.1.2013 2:33
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Dein nächster Post endet mit:
“Das ist mir schon klar, dass die Leute”

soll das so sein oder läuft da irgendwo was falsch?


Kaiser
12.1.2013 2:43
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Hadmut, dein weiterer Artikel bricht bei mir einfach im Satz ab und es sind auch keine Kommentare zugelassen. Bitte fixen, sonst kann ich nicht einschlafen. 🙂


Hadmut
12.1.2013 9:21
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Jau, danke für die Hinweise.

Das Problem ist schon mehrfach aufgetreten, wenn ich von unterwegs per UMTS schreibe. Da gehen manchmal beim Einchecken eines Textes am Ende einige Byte verloren, mal mehr, mal weniger. Erkennbar daran, dass die Kommentarfunktion nicht eingeschaltet ist, weil die beiden Parameter, ob ich Kommentare und Trackbacks erlaube, nach dem Text übertragen werden und auch fehlen, wenn der Post abgebrochen wird.

Ich hatte den Text sogar noch mal kurz durchgelesen, da war noch alles in Ordnung, dabei noch einen Schreibfehler gefunden und beim letzten Einchecken ist es dann wieder schief gegangen.

Das ist jedenfalls ein ziemlicher Murks von WordPress, dass WP das nicht merkt, wenn der post nicht vollständig ist.

Keine Ahnung, wie das kommt. Ich habe so den Verdacht, dass da ein Zwangsproxy dazwischen hängt, wie ihn die Mobilprovider häufig haben, und der da was abzwackt. Dem Problem muss ich auch mal auf den Grund gehen. So ein Mist!


anonym
12.1.2013 4:58
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Also ihr Blogeintrag zu Ihrem IKEA-Einkauf ist nicht fertig (hört miiten im Satz auf!). Aber er ist sehr interessant und ich würde das Video ja gerne mal sehen, um die Gesichter der Leute zu schauen. 🙂

Ich stimme Ihnen zu, dass die mangelende Rechtswahrnehmung zunehmend die Rechte in diesem Land zerbröselt, wobei ich das in meinen Studentenjobs beobachten durfte (heute fast alles 400€-Jobs, in denen zumiest – obwohl vorgeschrieben – auch kein Krankengeld, Urlaubgseld oder sonstwas zusätzlich gezahlt wird). Und da ist mir auch aufgefallen, dass das wirklich Schlimme und Frustrierende nicht der Rechtsbruch selbst ist, sondern dass dieser dann von unglaublich vielen Trotteln mitgetragen wird. Ich habe das mal ganz krass bei einer katholischen Stiftung erlebt, wo ich allen meinen Kollegen in einer sehr langen Mail vorgerechnet habe, dass ca. 60% des laut Tarifvertrag (von dem sie ohne mich auch nichts gewusst hätten, da wir über dessen Existenz gar nicht informiert worden waren) uns zustehenden Lohns unterschlagen werden. Dass wir ausserdem zu lange pausenlose Arbeitszeiten haben (Maximum im Tarifvertrag waren 12 Stunden, wir hatten 14,5). Von 8 Kollegen haben sich darauf überhaupt nur 2 zurückgemeldet, von denen mich einer noch angepappt hat, ich hätte das auch freundlicher schreiben können. Von diesen 2 wollte dann einer “mal zusammen überlegen, was wir da machen könnten”, ein anderer war unsicher, den Rest hat es nicht interessiert. Da dachte ich echt mich trifft ein Schlag. Selbst wenn man um mehr als die Hälfte des Lohns beschissen wird, nimmt man das in diesem Land inzwischen hin.
In einem anderen Job habe ich durch Zufall herausgefunden, dass die Gesundheit sämtlicher Kunden stark gefährdet wird (ging um einen Hygieneartikel) und dass die Mitarbeiter sich da vielleicht strafbar machen, wenn sie das weiter im Verkehr halten. Mit drei Kollegen drüber gesprochen war der beste Satz “das ist doch normal hier”. Ein anderer Kollege hat einfach selbst regelmäßig dafür gesorgt, dass der Artikel immer frisch da ist, wenn er arbeitet. Ansonsten hat er es aber mitgetragen. Die anderen 7 Kollegen hat es nicht interessiert. Ich habe da dann erst den Geschäftsführer gezwungen, etwas zu unterschreiben, woraus hervorging, dass er alleine dafür verantwortlich ist und die Mitarbeiter selbst wenn sie wollten nichts dagegen machen können außer zu kündigen, also zur Ausführung der Tat gezwungen sind (auf die Sache stand laut einschlägigem Gesetz mindestens 1 und bis zu 5 Jahre Bunker). Danach habe ich fristlos gekündigt und ausserdem ein paar Leuten von der Sache erzählt und bereits mitbekommen, dass es sich verbreitet. Eine Anzeige wäre mir zu krass gewesen, ausserdem hätten die das auch gut vertuschen können. So werden sie demnächst immer häufiger erst unangenehme Fragen von Kunden bekommen und schließlich immer weniger Kunden haben. Oder einen unangekündigten Besuch vom Gesundheitsamt.

Frustrierend an der Lösung ist trotzdem, dass sie so laufen musste, weil der Rechtsbruch einfach von vielen mitgetragen wird, ja manche die Sache dann noch zu beklatschen anfangen, wenn sie über den Umstand aufgeklärt werden (war bei mir mit der Stiftung der Fall, wo kurz nach meiner Mail an alle ein Kollege schrieb, was für ein toller Job das ja sei…). Mein Eindruck ist, dass viele Leute entweder feige oder faul sind und daher gar nicht genauer hinschauen und dann, wenn es nicht mehr zu leugnen ist noch feiger und fauler werden oder gleich in so eine Art Ausläufer des Stockholmsyndroms verfallen. Mir verleidet sowas inzwischen zunehmend in diesem Land länger als nötig leben zu wollen. Weil im Grunde der Rechtsbruch immer das weniger Bedrohliche wird, sondern die ganzen Leute, die das einfach hinnehmen. Sowas erzeugt eine absolut schlechte Normalität und die irgendwann auch in den Gerichten. Bezogen auf Arbeit zersetzt es natürlich auch die Qualität und ist damit im Gesamten auch noch wirtschaftsschädlich.


Joe
12.1.2013 5:03
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Bei solchen Gelegenheiten empfehle ich immer wieder gern den Film “Idiocracy”. 🙂

War die Alphabetisierungsquote Deutschlands um 1900 nicht schon bei über 99 %? Wieviel sind es denn jetzt?


nadar
12.1.2013 9:35
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Meiner Meinung nach gibt es durchaus noch wenige Bloggenswertes. 😉

Zu gern wüsste ich, woher die Frau von Ikea weiß. Wenn sie Fernshwerbung gesehen hat müsste sie eigentlich wissen, wie ungefähr das Logo aussieht.
(Keine Ahnung, ob Ikea (derzeit) fernsehwirbt, ich hab keinen entsprechenden Zeitverwschwender installiert.)


Joe
12.1.2013 9:42
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Sind Analphabeten eigentlich schon im Antidiskriminierungsgesetz berücksichtigt?


Hadmut
12.1.2013 9:47
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Nein, aber sie könnten es ja auch nicht lesen…


by33kn
12.1.2013 16:20
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Ich weiß, wie man sich als Analphabet fühlt, ich habe nämlich für einige Monate in Peking gearbeitet … und ich hatte vorher nicht jahrelang Zeit, chinesische Schriftzeichen (“Hanzi”) zu lernen. Wenn man im Ausland ist und die Sprache nicht versteht, dort aber mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird (z.B. Italien), kann man sich doch relativ gut orientieren, weil man Wörter auf Schildern wiedererkennen kann, mal was im Wörterbuch nachschauen und sich einige Wörter doch merken kann.

In Peking läuft man als “Westler” ohne Schriftzeichen-Kenntnisse an Geschäften vorbei und weiß meist nicht, um was für Läden es sich handelt, weil die Beschriftung nur mit Schriftzeichen ist. Und beim Einkaufen in Läden sind ca. 95 % der Lebensmittel nur mit Schriftzeichen beschriftet; der chinesische Markt ist so groß, dass die Hersteller ihre Produkte nicht gleich für zig anderen Länder beschriften müssen, damit die auch exportiert werden können.

Und in Peking ist es im Vergleich zu anderen chinesischen Städten noch relativ harmlos, weil da wenigstens die meisten Straßenschilder und auch die U-Bahn zusätzlich auf Pinyin (Umschreibung von chinesischen Schriftzeichen mit lateinischen Buchstaben) angegeben sind.


Joe
13.1.2013 1:40
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Das Analphabetengefühl hatte ich, als ich mal ein Firmware-Update für meinen DVD-Brenner von einem japanischen Hersteller runterladen mußte. Ich begann mit Google Translate, das scheiterte dann aber an den -Buttons ohne Alternate-Text. Also habe ich mich einfach via href-Attribut bis zum Download durchgehangelt.

Nach dem erfolgreichen Abnicken des japanischen Lizenzvertrags (seitenlanger Text mit zwei Buttons drunter ist in jeder Sprache das gleiche) verlangte die Webseite dann noch die Eingabe der Seriennummer. Das hat mir meine Heuristik verraten, die sich keine andere plausible Verwendung für ein -Feld an der Stelle ergründen konnte. Nachdem “1234” nicht funktionierte, ging es nach Eingabe der korrekten Nummer tatsächlich weiter und das Point&Click-Adventure war an dieser Stelle erfolgreich abschlossen.

Das Update-Programm selbst sprach dann übrigens fließend Englisch.