Ansichten eines Informatikers

“Durchstarten!”

Hadmut
10.1.2013 19:39

Oh, dieses Geschwafel.

Eines dieser Wörter, die man immer öfter liest: „durchstarten”

In Stellenanzeigen suchen sie Leute, die „durchstarten” wollen. Um zu sagen, dass jemand ein toller Hecht ist, sagt man heute „durchstarter”. Irgendwo stand, dass in Bulgarien die Frauen jetzt voll „durchstarten”.

Durchstarten hört sich so schön nach Dynamik, Kraft, Vollgas, Aufstieg auf. Ungehinderter Abflug.

Dabei heißt Durchstarten eigentlich nur, eine verhunzten oder aus anderen Gründen (Seitenwind, Turbulenzen,…) missglückten Landeanflug abzubrechen. Durchstarten heißt, dass was schief gelaufen ist und man den Versuch aufgibt, um nicht auf die Schnauze zu fallen. Ist nämlich ein Begriff aus der Luftfahrt und heißt, dass der Pilot im Anflug auf die Landebahn oder sogar schon nach dem Aufsetzen den Landeversuch abbricht, weil irgendetwas außer Kontrolle gerät, Vollgas gibt und die Kiste wieder hochzieht, um Abstand zum Boden zu gewinnen. Vor einiger Zeit ging mal ein schönes Foto (gab’s da nicht auch ein Video?) durch die Presse (hier, ein Update dazu hier), weil ein Lufthansa-Airbus bei der Landung im Sturm deftig Wind von der Seite bekam, ins Schlingern geriet, mit der Flügelspitze über den Boden kratzte, und dann eben durchstartete, weil der Kapitän erfasste, dass die Situation am Boden nicht mehr vernünftig unter Kontrolle zu bekommen war und man deshalb nicht Land, sondern „Luft” gewinnen musste, damit man es nochmal versuchen konnte. Eigentlich nicht weiter der Rede wert. Kommt halt vor und die haben die Situation richtig gerettet. Schön sah’s aber nicht aus, eher nach spektakulärem Wackeln.

Und das soll nun das neue Wort für Super-Leute sein.

20 Kommentare (RSS-Feed)

Kaiser
10.1.2013 20:25
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Das wäre doch mal was für neusprech.org. 🙂


Skeptiker
10.1.2013 22:42
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Hadmut, nicht auch noch eine Sprachmüllabteilung aufmachen, oder nur eine kleine *gg. Sonst übernimmst du dich bei all den Entsorgungsparkseuphemismen und “sozialen” “Netzwerk” Krückenübersetzungen heutzutage. Und vergehst an .. äh … Zentralorganherausforderungen … oder so.

Serveradmins reden ja auch dann und wann von “Maschine durchstarten” …. da passt das dann sogar: Irgendwas ist vorher schiefgegangen.

In der Einheitsfliegersprache heißt das übrigens “go around”, die Autopiloten haben dafür sogar einen Knopf (“G/A”), und das drückt schon deutlicher aus: War nix, nochmal versuchen.

Und achja: Wenn ich mich recht erinnere, war der “pilot flying” bei dem Ding in Hamburg eine Frau, die “Copilotin”, wie das im Volksmund heißt (regulär “Erster Offizier”, der/die Inhaber/in des rechten Pilotensitzes im Cockpit), und ich finde, die hat das unter den Bedingungen ganz gut gemacht (alle noch am Leben). Das Adrenalin in so einer Situation kommt auch bei den Profis in 100ml-Gläsern, und da ruhigzubleiben ist eben Charakter- und Trainingssache. Nicht in erster Linie eine Frage von Uniformrock oder -hose. Einfach gasgeben und gefühlvoll am Horn oder im dem Fall am Stick ziehen, macht je nach Situation sowieso noch keinen erfolgreichen Go Around, zumal die Turbinen echt scheißträge sind. Ich bin sicher, auch die im Cockpit haben hinterher gekotzt.

Ich weiß nicht mehr, ob die überhaupt hätten anfliegen dürfen bei dem Wetter – schlussendlich ist ja der Chef auf dem linken Sitz der Verantwortliche für solche Entscheidungen, egal welcher von den beiden fliegt. Wenn die das nicht wissen konnten, war das echt’n Ding für einen Orden.

Ich starte dieser Tage übrigens in den Urlaub durch *gg


Hadmut
10.1.2013 22:49
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Laut Krawall-Medien und BILD war es „die schöne Co-Pilotin” und gerettet hat es angeblich der markant männliche Kapitän. Ist aber Quatsch, weil das die normale Einteilung ist, in Krisen übernimmt der Chef. Und mit ihrem Aussehen hatte es auch nichts zu tun. Das ist hier aber eigentlich auch nicht das Thema.

Thema ist, dass „durchstarten” eigentlich „War nix, nochmal versuchen” bedeutet.


Hanz Moser
10.1.2013 23:30
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Naja, wenn wir bei der Betrachtungsweise der Massenmedien bleiben passt der Begriff in gewisser Hinsicht. “Die Manager” verhunzen ja auch regelmäßig alles und hauen dann mit dicken Abfindungen zu einem anderen Unternehmen ab, wo sie wieder einen Managerposten bekommen.

Das hat doch was von “durchstarten”, nicht? 😉


euchrid eucrow
11.1.2013 0:08
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Thema ist, dass „durchstarten” eigentlich „War nix, nochmal versuchen” bedeutet.

nicht unbedingt. wenn der pilot beim landeanfug auf den neuen flughafen in berlin merkt, das er auf einer buckligen schotterpiste landen soll, deshalb durchstartet und stattdessen in den sonnigen süden fliegt wo es cocktails mit schirmchen gibt, kann man “durchstarten” durchaus als “auf zu neuen ufern” deuten.
das ändert aber nix daran, dass diese formulierung in stellenausschreibungen einfach nur albern ist.


Tenshinhan
11.1.2013 8:53
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Oder man bezieht das “Durchstarten” nur auf den Vorgang, dass die Piloten die Schubhebel nach vorne drücken und so Vollgas geben. Dann würde das in dem Zusammenhang auch in den Stellenausschreibungen wieder passen oder?


tux
11.1.2013 11:41
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aber so ist meiner Meinung nach auch der Begriff in den Jobangeboten zu verstehen. “Du hast bisher scheisse gebaut, als mach jetzt was richtiges.”
Da wo man denkt, dass alles an die Wand gefahren wurde, probieren es doch nochmal neu.


Da isser:
http://youtube.com/watch?v=OiP6d9MfPhU
Die Böen sind das Problem

Heißt vielleicht, is böig, in unserer Firma, suchen Sie sich lieber gleich was Vernünftiges.
Oder, Buzzwordschleuderer sind hier willkommen.


Skeptiker
11.1.2013 13:09
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@Tux und @Hans, nur dass “Durchstarten” in der Fliegerei bedeutet, dass man nicht irgendwas Neues versucht, sondern exakt dasselbe nochmal. Und aus Sachzwang: Solange bis es klappt.


Michael Vogt
11.1.2013 15:55
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Was solche sprachlichen Dinge angeht wuerde ich einmal hier http://www.belleslettres.eu/ nachfragen. Diese Seite ist das Beste, was ich bislang zum Thema deutsche Sprache gefunden habe.

Unter Anderem auch deshalb, weil dort Aussagen meiner Lieblingsschwatzbacke Ana­tol Ste­fano­witsch auf eine sehr eindrucksvolle Weise auseinandergenommen werden( http://www.belleslettres.eu/artikel/busen-brust-etymologie-bedeutung.php )


Michl
11.1.2013 16:40
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Noch so ein schönes Wort ist Quantensprung. Immer wieder bei angeblich riesigen Veränderungen, dabei gehts nicht kleiner als ein Quantensprung.

Man muss halt immer berücksichtigen dass man es zu 98% mit geistig wenig Leistungsfähigen zu tun hat.


node14u
11.1.2013 17:46
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ist es auch durchstarten, wenn man auf dem weg zum kiosk die bildzeitung und ihre schlagzeile sieht- die die vorhergehende – als ununterbietbar eingestufte- noch um meter unterbietet… und abdreht?

oder heisst durchstarten mit vollgas auch: umdrehen wenn man wieder einmal angenommen hatte, ein wc bei “Mäcky Dee” hätte irgendetwas mit hygiene zu tun?

oder geht durchstarten nur “vorwärts”?
und wenn … wie heist dann die andere technik, bei der die richtung um 180° geändert wird – auch ohne seitenwind.

durchstarten sollte auch dieser beitrag, bevor er den boden berührt…


Michael Vogt
11.1.2013 18:33
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“Quantensprung”

Ich waere da vorsichtig. Auch ich habe mich ueber die Benutzung dieses Wortes immer wieder mal aufgeregt. Ich musste aber feststellen, das serioese Sprachforscher eher von folgendem Ansatz ausgehen:

Sinngemaess:”Wenn die Mehrheit der Sprecher einer Sprache unter dem Wort a die Bedeutung x verstehen, dann ist das nicht als falsche Bedeutung zu bewerten, auch wenn das Wort a urspruenglich etwas anderes bedeutet hat”.

Und wortwoertlich:”…dann be­deu­tet es lexi­kalisch das, was die Sprecher und Hörer dieser Sätze darunter ver­ste­hen. Allein diese De­fini­tion ist maßgeblich. (Quelle: http://www.belleslettres.eu/blog/olympiade-bedeutung-etymologie.php )

Selbst der Duden erwaehnt ausdruecklich zwei unterschiedliche Bedeutungen( http://www.duden.de/rechtschreibung/Quantensprung ).

Es ist immer wieder interessant was einem aufgetischt wird und was eigentlich richtig ist. Z.B. wie Bastian Sick in seiner Buchreihe “Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod” seinen Lesern suggeriert, der Genitiv sei am Aussterben und hier http://www.belleslettres.eu/artikel/genitiv-deutsche-sprache.php das Gegenteil bewiesen wird.


Hadmut
11.1.2013 19:46
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Na, mit Quantensprung habe ich eigentlich kein Problem.

Denn Quantensprung bezieht sich ja nicht auf die Größe, sondern darauf, dass man einen Sprung über eine Strecke macht, die man nicht kontinuierlich überbrücken kann, wo man sich also nicht langsam voran- und heranarbeiten kann, sondern wo es nur ein entweder oder gibt. Und genau das hat es ja etwa mit Elektronen auf sich, die auf eine höhere Umlaufbahn gehoben werden, weil sie da nicht langsam und kontinuierlich, sondern nur sprunghaft steigen können. Auf solche Fälle angewandt erscheint mir der Begriff durchaus richtig und angemessen, weil nur dieser Begriff diese besondere Bedeutung ausdrückt.


Skeptiker
12.1.2013 0:19
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@Michael Vogt, wenn ein “Sprachforscher” einen so unsäglichen Mist verzapft, kann er kein seriöser sein, weil es zu völliger Beliebigkeit führen würde, sich ausschließlich danach zu richten, was die Mehrheit der “Hörer dieser Sätze darunter ver­ste­hen. Allein diese De­fini­tion ist maßgeblich.” Beim Verzicht auf Grenzen der semantischen Freiheit kann man auf Sprache auch gleich ganz verzichten, das läuft ihrem Sinn und Wert völlig zuwider.

Ja, man muss so sprechen, dass man von der Zielgruppe verstanden wird, klar. Was ich wirklich gesagt habe, weiß ich quasi erst, wenn ich höre, was sie mir antworten. Typisches Beispiel: Der Begriff “Theorie” in der Wissenschaft und im Volksmund, da muss ich je/nachdem sorgfältig formulieren, was ich meine.

Intellektuell und irgendwann auch real gefährlich wird es aber, wenn Begriffe verschiedene Bedeutungen (bekommen) haben und man aus dem Kontext nicht mehr schließen kann, was gemeint ist. Die Entwertung von Begriffen zuzulassen, weil irgendein Mehrheitsgeschmack die Semantik verbogen hat, spricht für einen ziemlichen Mangel an Durchblick, am Verständnis der Zusammenhänge.

“Quantensprung”, “Theorie” und “Durchstarten” sind da noch harmlos, da erkennt man leicht, was jeweils gerade gemeint ist (und kann Akademiker, die “aber das ist doch nur eine Theorie” sagen, problemlos für den Müll abwatschen, den sie gerade gesagt haben: Diplom zurückgeben!). Ähnlich “zeitgleich”, was neuerdings fast immer statt “gleichzeitig” gesagt wird. Klingt irgendwie dynamischer oder was? Aber kein Problem im Kontext.

Aber was ist z.B. mit “Transparenz”? “Durchsichtig” oder “unsichtbar”? Weswegen knallen Vögel an Glasscheiben? Weil sie den Durchblick haben? Sätze wie “Das ist für den Benutzer vollkommen transparent” haben mal die eine und mal die andere Bedeutung. Mist.

Was ist mit “um das Doppelte gestiegen?” Das wird seit einiger Zeit so inflationär falsch benutzt (“um” statt “auf”), dass jeder Text, der nicht auch die absoluten Zahlen enthält, wertlos ist, wenn man die Information nicht schon hatte und das einschätzen kann. Von wegen, “was die Mehrheit darunter versteht”. Bockmist!

Was ist mit “Vergewaltigung”, die Lieblingsbezeichnung vieler Aktivistinnen für heterosexuellen Sex? Wie soll ich die gewaltsame Schändung einer Frau denn jetzt noch nennen, wenn ich davon sprechen und verstanden werden möchte? Da hilft es auch nicht, die Massenmorde im “Dritten Reich” dadurch zu relativieren, dass ich alles und jeden und eben auch die Genderistinnen “Nazi” nenne, der radikalideologisch daherschwadroniert. Wer’s nicht besser weiß (humanistische Bildung ist ein knappes Gut im Volk), hält “Nazi” irgendwann für eine harmlose Beschimpfung und wird es einfach nicht mehr glauben, wenn er hört, was die damals wirklich angerichtet haben.

Usw usw.

Auf diese Weise werden sinntragende Worte aus der Sprache herausgeschlagen, die man einfach nicht mehr benutzen kann, wenn man einen bestimmten Punkt machen will. Und zwar peu a peu auch aus der Sprache der Fachleute untereinander, was dramatisch ist, denn:

Sprache ist aber das einzige(!) Medium zum intellektuellen Austausch und zur Wissensweitergabe etc. Bleibt mir also weg mit “seriösen” Sprachforschern und so einer semantischen Beliebigkeit.


Hanz Moser
12.1.2013 2:47
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@ Skeptiker
“@Tux und @Hans, nur dass “Durchstarten” in der Fliegerei bedeutet, dass man nicht irgendwas Neues versucht, sondern exakt dasselbe nochmal. Und aus Sachzwang: Solange bis es klappt.”

Ich sehe nicht, dass das meinem Kommentar widersprechen würde 😉


Skeptiker
12.1.2013 9:35
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@Hanz -> Das hat doch was von “durchstarten”, nicht? – Ja das ist natürlich richtig so gesagt. Ich meinte die Bemerkung davor, sinngemäß: Neuer Job, andere Firma, derselbe Murks. Als Pilot musste dafür ja erstmal den Flieger landen, in dem du gerade sitzt 🙂 Aber ist Wortklauberei meinerseits, stimmt schon.


Tom
12.1.2013 16:53
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@Skeptiker: “nur dass “Durchstarten” in der Fliegerei bedeutet, dass man nicht irgendwas Neues versucht, sondern exakt dasselbe nochmal. Und aus Sachzwang: Solange bis es klappt.”

Nur bedingt: der Pilot kann sich nach einem missed approach proc durchaus entscheiden direkt seine alternate destination anzufliegen, wenn er zu dem Schluss gekommen ist, dass ein zweiter Anflug ebenso erfolglos bleiben wird. Sicher muss er auch dort laden, aber eben unter anderen Bedingungen. Das dieser Fall stelten eintritt, liegt auch daran, dass die company rule, an die er sich, und das leider nicht zuletzt, zu halten hat, das nicht unbedingt gutheißt, weil teuer ist.

Das aber nur am Rande und fast schon OT.


O.
12.1.2013 20:13
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Also, wenn eine Firma Durchstarter sucht,
kann man das auch so interpretieren:
“Lange werden Sie bei uns nicht bleiben. Wir brauchen Sie nur kurz als Lückenbüßer, und Sie fliegen eh bald wieder raus… es sei denn, Sie gehen ohnehin aus eigener Entscheidung, da Sie sie unser Arbeitsklima mit Mobbing und vielen unbezahlten Überstunden nicht aushalten.”


Michl
12.1.2013 20:56
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@Michael Sprachforscher haben beim Quantensprung überhaupt nichts zu sagen, nur Quantenphysiker. Das ist so wie die dummen, die emotionale Intelligenz erfinden, was es gar nicht gibt, damit auch sie sich mit dem Begriff Intelligenz in Verbidung bringen können. Wenn alle das Wort falsch verwenden soll es so richtig sein, das kann doch wohl nicht wahr sein.

@Hadmut “Auf solche Fälle angewandt”
Aber auf solche Fälle wenden sie den Begriff eben nicht nur an, sondern immer dann, wenn sie etwas besonders groß und besonders toll finden. Das ist ein Quantensprung nicht.

@Skeptiker
Schöne Beispiele. Prozent, wenn man Prozentpunkte meint, ist auch sowas. 5% sind 20% weniger als 25%. Eben nicht, sondern 20 Prozentpunkte. 20% weniger wären 20%.