Ansichten eines Informatikers

Klagelied verzweifelter Zauberlehrlinge

Hadmut
30.3.2017 1:31

Ich war gerade bei einer Veranstaltung des NDR und des RBB mit einer Preview der Polit- und Medien-Dokumentation „Nervöse Republik“ von Stephan Lamby über die Krisenlage bei Politik und Medien mit anschließender Podiumsdiskussion.

Meine Meinung dazu.

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.

(von Goethe, Der Zauberlehrling)

Ich weiß nicht, an wen sich die Veranstaltung so genau richtete, anscheinend war das vorrangig an Journalisten adressiert, aber ich konnte mich da problemlos anmelden. Die Veranstaltung fand im Babylon Kino in der Nähe des Alexanderplatzes statt, wegen „Prominenz aus Politik und Medien“ mit viel Sicherheitspersonal, Taschenkontrolle, Ausweiskontrolle, Sicherheitsband am Handgelenk (das man ziemlich einfach wieder aufziehen konnte).

Nach der Begrüßung wurde der 90-minütige Film gezeigt, der laut Webseite am 25.04.2017 um 22:45 in der ARD gezeigt wird. Der Reporter Stephan Lamby hat mit der Kamera über ein Jahr lang Politiker und Journalisten beobachtet, wie sie mit dem immer größeren Misstrauen der Bevölkerung, der immer stärkeren Ablehnung und der immer größeren Konkurrenz durch die Social Media umgehen, besonders immer mit dem Blick auf die „rechtspopulistischen“ Parteien. Man hatte in der Ankündigung schon erwähnt, dass der Film mit „offenem Ergebnis“ und ohne Drehbuch gedreht wurde, und dementsprechend besteht der Film auch nicht aus einer durchgehenden Handlung oder einem durchgehenden Thema, sondern eine Aneinanderreihung vieler einzelner Beobachtung, Mitschnitte, Interviews. In der Anmoderation wurde das schon politisch aufgeladen und vorgespannt, als sie das auf die Frage zuspitzten, warum es heute nur noch zwei Fronten gibt, die jeweils die Nazis und die Linksversifften genannt werden. Die Frage sei, warum man heute statt der Alten Linken die Neue Rechte habe. Der Reporter meinte in der Podiumsdiskussion danach, dass „nervös“ eigentlich zu kurz gefasst ist, man hätte es auch „hysterisch“ nennen können. Und eine zentrale Frage sei, ob die Republik die Fassung verliere. Sie sagten auch, dass sie da irgendwo online und noch irgendwo anderes (ich hab’s nicht richtig verstanden, irgendwie habe ich „bei Das Erste und Debate“ gehört, konnte mir aber keinen Reim drauf machen)

Ich habe mir da jetzt nicht so viele Notizen gemacht, es sind halt oft so atmosphärische Aufnahmen aus dem Tagesgeschäft von Politikern wie Frauke Petry, Sahra Wagenknecht, Peter Tauber, Katarina Barley (die auch da waren und im Anschluss an der Podiumsdiskussion teilgenommen haben), außerdem Heiko Maas und Thomas de Maizière (die nicht da waren), wobei den größten Stich im Film de Maizière machte, ich sage jetzt nicht, womit, aber er hat (zu Recht) gegrinst wie ein Honigkuchenpferd. Und man sieht Arbeit und Gespräche aus den Redaktionen und mit Leuten von SPIEGEL und BILD. Darunter Aussagen, bei denen ein Raunen durch das Publikum ging, etwa wenn einer von der BILD ganz direkt sagt, dass sie politische Meinungen bekämpfen, oder so eine Bemerkung fällt, dass sich eine Rüge „organisieren“ ließe. Die Frage kam auf, ob man dann überhaupt noch Journalist oder schon Aktivist sei. Und ob es nicht den Pflichten widerspräche, wenn der Journalist bekämpft statt berichtet.

Immer wieder kam dabei auch zum Tragen, dass es einen Kampf zwischen Reportern und Politikern gäbe, auch am Tonfall der Aussagen war oft zu hören, es da Animositäten und Feindlichkeiten gäbe (in der anschließenden Podiumsdiskussion dann aber auch wieder geschimpft, dass sie zu sehr zusammenhocken). Heiko Maas erklärte im Interview, dass es ihn ärgere, dass es nicht mehr darum ginge, was man sagt, sondern wer man sei. Er lasse sich aber von den Beschimpfungen aber nicht beeinflussen. Überhaupt ging es in dem Film mehrfach auch darum, welcher Art Beschimpfungen Politiker und Journalisten schriftlich und auch persönlich bei Auftritten ausgesetzt seien. Allerdings ging es auch darum, dass immer mehr Bots und Agenturen eingesetzt würden, nicht nur um in den Social Media Aussagen zu verbreiten, sondern auch Fragen zu stellen und zu beantworten, was so weit ginge, dass inzwischen schon Computer miteinander redeten, der eine fragt, der andere antwortet. Die CDU denkt über den Einsatz von Bots nach.

Barley und Wagenknecht sprachen darüber, dass es inzwischen regelrechte Aufrufe zu Gewalt gäbe.

Journalisten haderten damit, dass sie immer wieder falsch lagen, Brexit, Trump, deutsche Wahlen, Sigmar Gabriel. Einer gab aber auch zu, dass das Misstrauen selbstverschuldet sei, eine Ursache wäre, dass man seine großen Reichweiten als Zustimmung interpretiert habe, was sie nicht waren. Inzwischen wendeten sich die Bürger Social Media zu, weil sie dort glauben die Wahrheit zu bekommen, die man ihnen vermeintlich vorenthalten habe. Der klassische Journalismus verliere an Bedeutung.

Nach dem Film gab es eine „Umbaupause“ (Filmleinwand weg, Podium hin), in der Anne Will mit dem Filmautor über das Entstehen des Filmes plauderte. Ich fand das etwas ärgerlich, weil ich nach inzwischen 2 Stunden mal pinkeln musste, und dort dann erst mal Schlage stand, weil ich offenbar nicht der einzige war, dem es so ging. Ich fand das komisch, dass man dreineinhalb Stunden Veranstaltung ohne Pinkelpause macht, habe dann aber überlegt, ob diese „Umbaupause“ nicht die pikierte Umschreibung dafür war und man einfach nur kein Pausengefühl aufkommen lassen wollte. Deshalb weiß ich aber nicht, was er gesagt hat, weil ich nicht dabei war.

Danach gab es eine Podiumsdiskussion, geleitet von Anne Will, mit den vier anwesenden Politikern von CDU, SPD, Linke, AfD und Journalisten, in der sich dann erst ein Journalist der BILD und dann Anne Will mit Frauke Petry gestritten haben, und dann der Filmemacher noch irgendwas von privaten Problemen der Protagonisten angesprochen hatte, worunter sich die anderen auf dem Podium nichts vorstellen konnten.

[Nachtrag: Was mal wieder meine oft geäußerte Meinung bestätigt, dass Podiumsdiskussionen/Talkshows überflüssig, nutzlos und nur Selbstdarstellung auf Kosten der Nerven des Publikums und billige aufwandsarme Sendezeitfüllerei sind, aber sie stehen halt so drauf.]

Meine Film-Bewertung

Oh je, oh je.

Ich fand den Film nicht gut. Zumindest nicht sonderlich gut. Ich hatte so den Eindruck, dass man ein Jahr lang rumgemacht und Geld verbraten hat, also muss der Film jetzt auch gefeiert und für gut befunden werden. Das kam bei mir nicht wie ein Film an, sondern so, als ob einfache Ende von Zeit oder Geld war oder die gesagt haben, „Nu mach hinne“, und die dann einfach zusammengekehrt haben, was sie bis dahin hatten.

Ich hatte den Zeitablauf nicht im Kopf und dachte nach 40 Minuten, Gähn, langweilig, jetzt müsst’s ja gleich vorbei sein, aber nee, der dauerte 90 Minuten. Die zweite Hälfte kam mir dann aber doch ein Stück besser vor.

Wobei man sich jetzt natürlich auch nochmal überlegen muss, ob der Film selbst nicht so gut war, oder ob das, was er zeigte, nicht gut war. Hat der Filmemacher versagt, weil er die Widersprüche der Betrachteten nicht aufgegriffen hat, oder hat er seine Leistung gebracht, weil sie mir ja aufgefallen sind? Ich neige zu ersterem, weil mir die Widersprüche schon aus meiner eigenen Arbeit bekannt sind, und nicht der Film sie mir vermittelt hat, sondern ich sie darin wiederentdeckt habe. Die weit überwiegende Mehrzahl der Anwesenden (hauptsächlich Journalisten) hat sie nicht bemerkt, wie sich auch beim anschließenden Stehempfang zeigte.

Vor allem aber hat mich gestört, dass der Film das Thema irgendwie total verfehlt hat. Es ging wieder mal fast nur darum, dass der Bürger an allem Schuld ist und nicht mehr bereit sei, die hohe Qualität von Politik und Medien anzuerkennen. Völlige Überheblichkeit. Selbstkritik gab’s dann doch noch, aber nur in kleinen Dosen.

Sie schimpfen zwar ständig auf den dummen Bürger, der ihnen nicht mehr traut, sie beschimpft, alternative Quellen sucht. Passt ihnen überhaupt nicht. Aber die Frage, ob der Bürger damit vielleicht irgendwie recht haben könnte, wird nicht angeschnitten. Man macht sich über Bürger lustig, weil die nicht so eloquent und sprachbegabt wie alle diese PR-Artisten sind.

Sie geifern, weil der Bürger das Gefühl habe, dass die Medien ihnen irgendeine Wahrheit vorenthalten habe, kommen aber nicht ansatzweise auf die Frage, ob das nun stimmt oder nicht. Sie sind so überheblich, dass sie schon das bloße Zweifel an Medien an sich für eine Ungeheuerlichkeit halten. Dabei gab es in den letzten Jahren ja nun wirklich genug Themen, die die Medien uns vorenthalten und die sie ausgeblendet haben. Wo sich die Presse massiv geweigert hat, darüber zu berichten.

Rotzfrech fand ich das auch, wie Maas da rummaulte, wie sehr er doch beschimpft werde, dass er sich davon aber nicht beeinflussen lasse, und dass es nicht mehr darauf ankäme, was man sagt, sondern wer man sei.

Da fühle ich mich als Bürger verhöhnt, veralbert, belogen bis zum hintersten Anschlag. Ich habe jahrelang versucht, gegen diese Staatskorruption anzukämpfen, um dann herauszufinden, dass man auch vor Gericht das nie gelesen hat, weil ich die Unperson war. Macht Euch mal klar, dass der Mann Bundesjustizminister ist, und nicht ansatzweise mitbekommt, was da schief läuft und worin er versagt. Maas hat völligen Realitätsverlust und meint, das ginge alles nur darum, ihn zu beleidigen. Er ließe sich davon nicht beeinflussen – der lässt sich aber von überhaupt nichts beeinflussen, der hat sich wie ein Autist komplett von der Außenwelt abgeschottet und nimmt das Hass-Gejammer nur noch als Legitimation für seine Rundum-Ignoranz und seinen Kreuzzug gegen das Internet. Auf mich wirkt der, als sei der nur noch von seinen persönlichen psychischen Problemen getrieben und von nichts anderem mehr. Dieser ganze Krieg gegen Facebook, Twitter, Hatespeech und was nicht alles ist letztlich nichts anderes als der persönliche Krieg von Klein-Heiko, der mit seinem Job hoffnungslos überfordert ist, gegen die große böse Welt, die so gemein zu ihm ist. Der zentrale Punkt daran ist aber einfach, dass er mit dem Job heillos überfordert ist. Alles dreht sich um seine Seelenverfassung.

So einen Eindruck habe ich aber generell von Medien und Politikern, wenn auch nicht so stark wie in solchen Einzelfällen wie Maas.

Jahrelang haben es sich Politiker und Journalisten, die schlicht damit übefordert waren, ihren Job richtig zu machen, einfach leicht gemacht und alles als rechtsradikal, rechtspopulistisch, dumm hingestellt, was nicht ihn ihren Plan passte. Nun war das aber keine Einbahnstraße. Das ist zurückgeschwappt und man zahlt mit gleicher Münze zurück: Lügenpresse, linksversifft, und so weiter.

Und dann tritt genau das ein, was de Maizière süffissant ansprach, nämlich dass Journalisten gerne austeilen, aber nichts vertragen. Das ist genau das Problem. Journalisten haben über die Jahre in einem Stil über andere gesprochen, der unter aller Sau war, sind aber zu Tode beleidigt, wenn in gleicher Weise zurückgesprochen wird.

Solche Themen hätte man wunderbar aufgreifen können, hat man aber nicht. Vielleicht ist der zentrale Fehler des Filmes, dass man ihn von einem Journalisten hat machen lassen, und damit der Film unter denselben Problemen leidet, unter denen seit Jahren fast alles Journalistenwerk leidet. Sie sind heilig, schuld sind immer die anderen.

Gruselig finde ich auch, dass sie sich zwar über Bots aufregen und sie ablehnen, und immer wieder betonen, dass es nicht glaubwürdig sei, wenn in den Social Media irgendwer x follower oder y likes oder z retweets oder sowas hätte. Aber dass man darauf abgefahren ist, solange es politisch opportun war, verschweigt man. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hat man für die #Aufschrei-Quatsch den Grimme-Preis verliehen. Dass das aber genau die Sorte Schwindel war, die man heute den abweichenden Meinungen vorhält, und damit die Mainstream-Medien und der öffnetlich-rechtliche Rundfunk selbst mit dem Schwindel angefangen haben, will man nicht sagen und nicht wahrhaben. Man könnte es auch als Fake News einstufen.

Insgesamt hat der Film auf mich gewirkt, als würden Politiker und Journalisten jetzt hilflos vor den Folgen ihrer eigenen Taktik stehen und die Schuld nun bei anderen suchen. Man hat jahrelang damit gearbeitet, jede Abweichung von der eigenen Meinung extrem zu beleidigen, zu pathologisieren, zu kategorisieren, und ist nun entsetzt darüber, dass man selbst so behandelt wird, wie man andere behandelt hat.

Man hat mit Konfrontation und dem Krieg zweier Parteien gearbeitet und steht nun hilfslos davor, dass man das bekommen hat, was man selbst gebaut hat. Man hielt sich für unangreifbar, dachte, man hat das Monopol auf diese Art der Kriegsführung, und bildete sich sein, dass man so mit dem Bürger umgehen kann, ohne dass der sich wehrt. Auch heute klang das wieder an, dass Journalisten sich einbilden, schlauer und gebildeter als der Rest der Bevölkerung zu sein, dabei sind die meisten erbärmlich kleine Lichter. Das Gefälle, das man sich eingebildet hat, existiert so nicht. Sie haben die Steppe angezündet und merken nun, dass ihre Füße brennen.

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.

Man kann sich drüber streiten, ob ich das so sehe, weil der Film gut oder schlecht sei. Ich halte ihn für schlecht. Letztlich wird ihn sich aber jeder selbst anschauen und sich seine Meinung dazu bilden müssen.

Bleibt die Erkenntnis, dass vor allem die Presse gerade ziemlich hilflos ist und mit Entsetzen darauf blickt, wie es weitergeht, und dabei fürchtet, dass es gar nicht weiter geht. Aber noch sind sie der Überzeugung, dass die böse Welt daran schuld ist und alle ihnen Unrecht tun. Das reicht alles noch nicht, um Änderungen und Umdenken hervorzurufen. Da müssen die Umsätze noch viel mehr in den Keller gehen und noch viel mehr Leute an die Luft gesetzt werden.

Dann werden vielleicht mal auch welche merken, dass da eben nicht nur Hatespeech ist, sondern auch substanzielle Kritik, die sie nur nie wahrgenommen haben. Die Fixierung auf Beleidigungen und Hatespeech, als ob es nichts anderes gäbe, ist vor allem ein Selbstbetrug.

Und so besteht die Krise der Medien vor allem darin, dass sie Selbstbetrüger sind, darin erfolgreich waren und nun jammern, Betrogene ihrer selbst zu sein.