Ansichten eines Informatikers

Der Entwurf Sperr-resistenter Informationsmedien

Hadmut
5.3.2017 13:12

Wird das inzwischen notwendig?

Manchmal empfinde ich es als großen intellektuellen Vorteil gegenüber Jüngeren, die Entstehungsphase des Internet und die Kryptokriege der 90er Jahre miterlebt zu haben. Man hat da so eine rebellische Grundhaltung bekommen, die die „Jugend von heute“ in ihrem stromlinienförmig-angepassten Akzeptanz- und Konsumgehabe nicht kennt.

Es gibt ja so den Spruch „Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben“. Nur dass in diesem Fall die Eltern/Älteren sehr gute Gründe dafür hatten und es sich inzwischen mehr und mehr zeigt, dass es sinnvoll gewesen wäre, die Warnungen zu beherzigen.

Es heißt ja auch gerne, die Alten würden die Jungen belagern und erdrücken, Alterspyramide und so, die Jungen müssten sich vor den Alten schützen. Wir erreichen aber immer stärker den Zustand, in dem sich die Alten vor dem Dummheitsdruck der Jungen schützen müssen.

Ich glaube, das ist in der Geschichte der Menschheit neu oder zumindest ein sehr seltenes Phänomen, dass nicht die Jungen die Meinungsfreiheit gegen die Borniertheit der Alten durchsetzen, wie es normal wäre, sondern die Alten die Meinungsfreiheit gegen die Borniertheit und Dummheit der Jungen schützen müssen.

Dazu gibt es ja diese Rhetorik-Muster-Schublade, dass man immer dann, wenn einer über die Jugend schimpft, entgegenhält, dass das schon die alten Griechen zu Platons Zeiten getan hätten. Ja, und? Ist es deshalb falsch? Heißt das, dass für alle Zeit die Jugend, egal, was sie macht, immer besser als die Alten wären, einfach weil man schon zu Platons Zeiten geschimpft hätte und damit jegliche Kritik „illegitim“ ist, wie man heute so gerne faselt? (Sie reden ja nicht mehr von falsch und richtig, sondern von Legitimierung, und schimpfen anderer der Postfaktizität.) Man löschte auch schon zu Platons Zeiten Feuer mit Wasser. Ist es deshalb falsch oder verfehlt?

Seit Platons Zeiten war es aber fast immer so, dass die Alten sich geistig festgefressen hatten und die Jungen für geistige Freiheit, neue Ideen, Meinungs- und Redefreiheit und solches kämpften.

Das ist heute anders.

Heute müssen die Alten ihre Redefreiheit gegen die Jungen verteidigen. Die sich zwar kurioserweise als „progressiv“ bezeichnen und auch dafür halten, sich in weiten Teilen aber nur noch wie bornierter Pöbel aufführen. Ausgerechnet die Generation Twitter, die die technischen Möglichkeiten der Meinungsfreiheit hat wie keine zuvor, ausgerechnet die verfängt sich in einem Selfie-Totalitarimus, wie es auch noch keinen gab. Die diktatorlose Diktatur. Die Selbstversklavung.

Wenn ich mir überlege, wen ich als Gegner der Meinungsfreiheit auffasse, dann sind das eigentlich kaum Leute oberhalb meines Alters, ein paar in meiner Altersgruppe, aber ganz viele darunter. Ich komme mir manchmal vor, wie ein reicher alter Knacker, der sieht, dass seine Nachkommen des Erbes nicht würdig sind und es vernichten, und der sich überlegt, wie man das, was er mit aufgebaut hat, irgendwie in Sicherheit bringen kann. Nur dass es hier eben nicht um Geld, sondern um geistigen Reichtum geht. Manchmal komme ich mir auch vor wie der Astronaut in „Planet der Affen“, der irgendwie in der falschen Zeit gelandet ist und zu erklären versucht, dass das alles mal anders war. Und dafür bestraft wird, dass er redet und auf Ruinen zeigt.

Mir gehen immer öfter Gedanken durch den Kopf, die sich um die – technische – Frage drehen, wie man eigentlich die Rede- und Meinungsfreiheit gegen diese Leute verteidigen kann, die sich da in Politik und Medien eingenistet haben. Mir graust es einfach anzusehen, wie sich Politik, öffentlich-rechtliche Medien, private Medien immer stärker zu einem Propaganda- und Zensurapparat verwandelt haben. Manchmal komme ich mir vor wie jemand, der im Dritten Reich oder in der DDR verfolgt wurde, weil er erwischt wurde, als die Frequenz in seinem Radio auf den Feindsender eingestellt war.

Genau diesen Effekt, nämlich das Gebot, nur noch die staatlich gesteuerten Propaganda-Medien zu hören, und das Verfolgen abweichender Medien unter Strafe zu stellen, entwickeln sie jetzt gerade wieder. Und die Entwicklung findet vor allem deshalb statt, weil wir es Politikern, Juristen, Journalisten viel zu einfach machen, zu sperren und zu löschen. Technisch und rechtlich.

Mir gehen da gerade jede Menge technischer Ansätze durch den Kopf, wie man diese ständige Filterei zumindest massiv erschweren und abwehren kann. Vieles davon wäre an sich gar nicht neu, sondern beruht auf alten Grundmustern (z. B. store-and-forward statt zentralem Speichern, eigentlich nämlich ist diese Anfälligkeit des Internet für Zensur eher eine Erscheinung des modernen Internet mit seinen hohen Bandbreiten, nicht des frühen.). Ein zentrales Problem ist nämlich, dass man das dezentrale Speichern durch hohe Bandbreiten ersetzt hat. Es gab mal Zeiten, da hat man seine Software und was es so gab, auf riesigen Diskettensammlungen gespeichert. Fish-Disks bei Amiga. Die frühen Linux-Distributionen wie Soft-Landing, Slackware und – ich glaube – anfangs auch Debian wurden noch per Diskettenstapel verteilt, und da war dann auch alles drauf. Der technische Siegeszug des Web mag viele Vorteile gebracht haben, aber eben auch den Nachteil, dass die Speicherung nur noch sehr zentralisiert erfolgt und man damit auch zentralisiert löschen und ändern kann.

Ein zweites Problem ist diese Kostenlos-Mentalität. Man geht immer und überall davon aus, immer alles und jederzeit kostenlos zu bekommen. Web, Mailboxen, was auch immer. Sich mal selbst um Informationen zu kümmern, so wie man früher ein Buch gekauft und es sich zuhause ins Regal gestellt hat, gibt es fast nicht mehr. Ich habe schon Leute erlebt, die auf Reisen erst gar nicht mehr fotografieren, weil man im Netz doch sowieso schon Bilder von allen irgendwie sehenswürdigen Orten bekommt. Andere sollen fotografieren, sie gucken nur noch.

Damit wird man in eine reine, willenlose, widerstandslose Konsumentenhaltung gedrückt. Und damit sind wir nicht nur beim Urproblem, denn Feminismus ist ja auch nichts anderes als eine Ausprägung des Anspruches, immer alles und jedes kostenlos und ohne jede Eigenleistung zu bekommen, sondern auch wieder beim Problem des Zitatrechts des § 51 UrhG. Denn Medien und Juristen setzen durch, dass man sich Informationen nicht selbst speichert und/oder sie zitiert, sondern dass der Staat willkürlich regeln kann, wer wann was wie lange sehen darf und wann es wieder verschwunden ist (Grüße von Orwell). Ich hatte genau das neulich in meinem ARD-Artikel als Unterschied zwischen „erschienen“ (nicht-flüchtigen) und „veröffentlichten“ (flüchtigen) Werken angesprochen. Flüchtigkeit begünstigt Zensur.

Man wird, wie man es dreht und wendet, nicht darum herum kommen, Informationen unabhängig vom Staat zu speichern. Das kostet Geld. Kostenlos wird es nicht gehen. Aber es kostet nicht so viel, dass man es sich nicht leisten könnte.

Wir müssen ein neue Infrastruktur erschaffen, das Post-Web sozusagen. Internet 3.0 oder Web 3.0. Web 1.0 waren Webseiten, Web 2.0 waren interaktive Foren. Web 3.0 müsste dann Schutz gegen Zensur sein. Weg von der Struktur eines einzelnen, zensierbaren Servers.

Mir geht einiges durch den Kopf.

Die Frage ist, wie finanziert man es, dass da mal ein paar schlaue Leute 3 bis 5 Jahre nur daran arbeiten?