Geisternachhilfe
Das müssen wir nochmal üben.
Es gab schon Jahre, in denen kam gar niemand, und ich habe bis März gebraucht, um den Süßkram selbst zu fressen.
Dieses Jahr kamen so viele Geister, Gespenster und Monster wie noch nie. Viel losgeworden bin ich aber auch nicht, weil die alle so verdammt höflich und bescheiden waren. Ich habe noch nie so schüchterne Vampire, Mörder und Monster erlebt. Was mir durchgehend auffiel:
- sehr viele Migranten, noch nie so viele Migranten. Anfangs fast nur Migranten.
- sehr viele Mädchen, noch nie so viele Mädchen.
- alles so total höflich und wohlerzogen, manchmal sogar die Eltern dahinter. Alle so total höflich „Wie sagt man …?“
Das war es gruselig, so ängstliche Geister und Gespenster zu sehen, die dastanden, als hätten sie Angst, sie könnten vielleicht stören oder sich nicht gut genug benehmen.
Eigentlich kenne ich das so „Nehmt, Ihr Geister, nehmt alles, was ich habe, aber lasst mir mein Leben!“
Dieses Jahr: „Schon alles? Ihr könnt Euch gerne mehr nehmen.“ Nicht so, dass ich die falschen Dinge da gehabt hätte. Ich habe zwar die Bonbons vergessen, aber Schokolade ging bisher immer und ich habe extra Skelette und Gummifledermäuse aus dem zypriotischen Gruselbedarf beigelegt. Es ist ja auch nicht so, dass das schlecht ankam, aber manchmal standen die Eltern dahinter und belehrten „nur eins, damit die anderen Kinder auch was bekommen!“ Deutsches Spießertum? Nein. Migrantisch. Integriertes Spießertum.
Mehrfach: Tür auf. So ganz leise und brav, dass ich kaum was höre, so rein versuchsweise, nur nichts falsch machen: „ … [verlegenes Lächeln] … süsses … oder … saures …?“
Wie, und davor soll ich Angst kriegen?
Drei kleine Gespenstinnen erst mit Schokolade versorgt und dann belehrt: Leute, das könnte Ihr so nicht machen, man hört Euch ja kaum. Das muss richtig föhnen, so richtig mit Wumms! Man muss Angst bekommen! Merken, dass ihr da seid. Und versteckt Euch nicht so in der Ecke. Herrje, es ist Geisterstunde, mehr Hurra!
Mmmh. Ja.
Wisst Ihr, wie ich mir vorkam? Kennt Ihr die Szene aus Disneys Dschungelbuch, in der Balu der Bär Mogli beibringt, wie ein Bär brüllen muss? So „Oh, Kind …“? Nimm mal die Zähne auseinander.
3 Minuten später klingelte es wieder. Dieselben drei. Hatten sich offenbar beratschlagt und geübt.
Viel lauter war es immer noch nicht. Viel böser auch nicht. Aber immerhin eine Oktave tiefer, nicht mehr auf Engelsstimmchen und nicht so zaghaft, etwas entschlossener. Oh, sagte ich, das ist schon viel besser.
Hier, nehmt nochmal Schokolade, jetzt will ich mein Leben retten.
Nein, das ginge nicht, sie hätten ja schon was bekommen. Sie könnten ja nicht zweimal.
Liebe Güte.
Wenn das schon die Gespenster sind, was kommt denn dann als Christkind?
Außerdem haben die den Spruch nicht verstanden. „Süßes oder Saures“. Die haben das alles so vorgetragen als bitteten sie um wahlweise etwas Süßes oder etwas Saures. Ich habe schon überlegt, ob ich den nächsten, die so kommen, ein Glas saure Gurken gebe. Und mich geärgert, das ich keine sauren Drops oder sowas gekauft hatte (Notiz für nächstes Jahr).
Im Amerikanischen Original heißt das „Trick or Treat!“ – Streiche oder Süßigkeiten! Im Prinzip, so strukturell, ja eine Erpressung. Schutzgeldzahlung. Rück Süßigkeiten raus oder werde Opfer von Schabernack.
Vor 20 Jahren hieß das in Deutschland noch „Süßes, sonst gibt’s Saures!“ Was sprachlich nicht ganz so gut ist, aber sinngemäß stimmt, und die Lautalliteration zumindest nachahmt.
Das scheint inzwischen keiner mehr zu wissen. Die fordern nicht mehr, die fragen, als ging es darum, ob sie da Süßigkeiten oder Saures zu erwarten hätten, als ob sie mal höflich anfragten. Nicht, dass der Beklingelte Saures von den Gespenstern bekäme, sondern umgekehrt. Und denen hätte auch niemand abgenommen, dass sie einem Streiche spielen würden. Die wissen das nicht einmal, dass das eigentlich die Sitte ist.
Es ist schön, wenn so viele Kinder kommen.
Und es ist auch schön, wenn die alle so brav und wohlerzogen sind, und so total höflich und respekterfüllt daherkommen, besonders migrantische. Wenn die alle so ganz lieb und schüchtern fragen, ob sie auch nicht stören, und keinesfalls mehr als ein Stück nehmen. Alles ein bisschen zu schön, zu musterdeutsch.
Ich weiß das wahrzunehmen, zur Kenntnis zu nehmen, zu schätzen, zu würdigen, zu loben. Alles so nette Kinder. In Karlsruhe hatte ich mich damals noch geärgert, als so freche Rotzlöffel tagsüber die Straße sperrten und meinten, sie können in frechem Ton von Autofahrern Gaben erpressen. Das war auch nichts, da sind die wohlerzogenen schon angenehmer.
Aber es ist halt einfach nicht Halloween. Das ist wie beim Schulaufsatz Thema verfehlt, die Sitte nicht verstanden.
Und ich muss leider hinzufügen, dass ich es in heutigen Zeiten leider auch für erforderlich halte, dass auch Kinder, besonders auch Mädchen, und es ist erstaunlich, dass ausgerechnet ich als Feminismuskritiker das sage, lernen, auch mal mit Wumms, hier bin ich, aufzutreten und ihre Stimme so zu erheben, dass man sie auch hört und auch ein Erwachsener merkt, dass da eine Person und nicht nur so ein kleines schüchternes Etwas ist. Mal lernen, wie man brüllt, die Stimme hörbar einsetzt. Sich auch mal frontal vor eine Tür stellen und nicht immer nur so, dass man niemandem im Wege stehen könnte. Und nicht so, dass man nachfragen muss, was sie will. Da kommt man sich vor, als wäre die Batterie vom Hörgerät leer, dabei habe ich gar keine.
Singen wäre für den Anfang was.