Ansichten eines Informatikers

Die Verstrickungsklausel des § 160a Abs. 4 StPO

Hadmut
26.10.2025 2:05

Noch ein Detail zur Hausdurchsuchung bei Norbert Bolz.

Ein Leser schreibt mir zum Artikel von vorhin:

Das Geschwätz des Dr. Max Kolter – heutiger Artikel

Sehr geehrter Herr Danisch,

Ihre Ausführungen zum Thema Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern habe ich dankbar zur Kenntnis genommen; sind für mich von großem Interesse. In einem Punkt bin ich mir nicht sicher, ihre Darstellung richtig verstanden zu haben und vielleicht geht es auch anderen Lesern so, daher habe ich eine Rückfrage an Sie.

So, wie ich den § 160a Abs. 4 StPO lese, sind die in dieser Norm genannten Berufsgeheimnisträger nur dann geschützt, als sie nicht selbst letztlich Beschuldigte sind.

(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist. Ist die Tat nur auf Antrag oder nur mit Ermächtigung verfolgbar, ist Satz 1 in den Fällen des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 anzuwenden, sobald und soweit der Strafantrag gestellt oder die Ermächtigung erteilt ist.

Herr Bolz war aber hier selbst der Beschuldigte.

Ich hätte erwartet, dass Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern auch in diesen Fällen gesetzlich erschwert wären, eben weil etwa durch eine Beschlagnahme von Computern, wie Sie auch schreiben, Informationen über andere Personen oder Sachverhalte, zu denen die Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern dürften, in den Besitz der Ermittlungsbehörden gelangen würden. Aus § 160a StGB zumindest kann ich dies entgegen Ihrer Darstellung jedoch leider nicht herauslesen.

Habe ich sie in diesem Punkt falsch verstanden? Ergibt sich der Schutz vor Ermittlungsmaßnahmen, speziell Durchsuchungen, hier evtl. aus einer anderen Norm oder ist aus allgemeinen Gesichtspunkten bei der Güterabwägung zur Frage der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen?

Sehr gut beobachtet. Gut aufgepasst.

Ich hatte es aus begrenzter Zeit nicht so ausführlich dargestellt und ausgeleuchtet. Weil es mir nicht darum ging, die Rechtslage im Sinne einer Vorlesung in einem kurzen Blogartikel erschöpfend darzustellen, sondern aufzuzeigen, dass die Aussage dieses Dr. Kolter falsch ist. Der nämlich hatte geschrieben

Und zu den Standard-Ermittlungsmaßnahmen gehört die Hausdurchsuchung. Sie hat nur zwei Voraussetzungen: Anfangsverdacht und eine allgemeine Wahrscheinlichkeit, bei der Durchsuchung taugliche Beweismittel zu finden.

Und das stimmt eben nicht, weil eben auch geprüft werden muss, ob es Berufsgeheimnisse gibt, ob der Wohnungsinhaber Beschuldigter oder Dritter ist usw. Was zum Beispiel gar nicht betrachtet wird: Wohnt Bolz alleine, oder hat der Frau und Kinder?

Ich bin auch gerade nicht in Berlin, komme deshalb gerade nicht an Literatur, Juris und Beck Online.

Deshalb so grob aus der Erinnerung und was ich gerade online finde:

Berufsgeheimnisträger sind nicht alle gleich. Die entfalten nicht alle auf gleiche Weise Wirkung. Wenn ich zu einem Arzt sagte, dass ich Kopfschmerzen habe oder ihm den Fußpilz oder die Geschlechtskrankheit zeige, fällt das sofort unter das Berufsgeheimnis, wenn ich ihn in seiner Eigenschaft als Arzt anspreche. Die Formulierung des § 53 Absatz 1 StPO verwendet da verschiedene Formulierungen. Bei Ärzten, Anwälten usw. heißt es „was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist“ , bei Verteidigern sogar „Verteidiger des Beschuldigten“ – der Beschuldigte muss Beschuldigter und der Anwalt dessen Verteidiger sein. Ansonsten muss da ein Beicht-, Patienten- oder Mandantenverhältnis bestehen.

Ärzte, Anwälte, Pfarrer und so weiter haben also immer nur in Bezug auf einen bestimmten Menschen, mit dem sie ein berufsbezogenes „Behandlungsverhältnis“ haben, ein Zeugnisverweigerungsrecht. Das ist personenbezogen und setzt ein berufliches Verhältnis zu der Person voraus. Ein Anwalt, Pfarrer oder Arzt, der zufällig aus dem Fenster guckt und sieht, wie einer einen anderen niedersticht, mit dem er selbst nichts zu tun hat, hat kein diesbezügliches Zeugnisverweigerungsrecht. Es geht immer darum, dass derjenige ein berufsbezogenes Verhältnis zum Arzt oder Anwalt hat. Bittet der verletzte Täter den Anwalt um Beistand oder den Arzt zum Hilfe, dann besteht das Zeugnisverweigerungsrecht. Es geht um das „Anvertrauen“.

Bei Publizisten ist das anders.

Schauen wir nochmal in § 53 StPO:

5. Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.

Die in Satz 1 Nr. 5 genannten Personen dürfen das Zeugnis verweigern über die Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, über deren Inhalt sowie über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen. Dies gilt nur, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialien für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt.

Im Gegensatz zu Ärzten, Anwälten, Pfarrern brauchen Journalisten also kein „Mandantenverhältnis“, kein „Anvertrauen“.

Bei ihnen sind auch Beobachtungen, Zwischenergebnisse oder Absender von Unterlagen und die Unterlagen geschützt. Beispielsweise ein Whistleblower.

Diese sogenannte Verstrickungsklausel des § 160a Abs. 4 StPO wurde vor einigen Jahren nachträglich eingefügt, man müsste sich da die Gesetzesbegründung heraussuchen.

Es ging, soweit ich das in Erinnerung habe und auf die Schnelle verifizieren konnte, siehe etwa hier und hier. Oder hier, bei dieser nachträglich eingefügten Vertrickungsklausel ausschließlich um Rechtsanwälte.

Man hatte nämlich das Problem, dass sich Rechtsanwälte auch dann, wenn sie selbst an Straftaten beteiligt sind, was ja ab und an vorkommt, sich und Komplizen zu schützen versuchen, indem sie ein Mandantenverhältnis fingieren, vortäuschen. Es geht darum, dass sich ein Anwalt nicht darauf berufen kann, ein Mandantenverhältnis zum X zu haben und deshalb nicht gegen X aussagen dürfe und müsse.

Diese Situation und damit den Zweck dieses Gesetzes gibt es bei Journalisten aber nicht, weil sie keine „Mandanten“ haben. Es ist ja nicht so, dass Bolz die Herausgabe von Akten damit verweigerte, dass er ein Mandantenverhältnis zum X habe. Deshalb ist diese Verstrickungsklausel nach ihrer Begründung hier so nicht anwendbar, und deren Formulierung ist ja auch schon so komisch, dass man merkt, dass damit Spezialfälle gedacht sind, dass man sich also nicht hinter einem fingierten Mandatenverhältnis verschanzen kann.

Die Verstrickungsklausel passt hier nicht nur nicht, es geht auch um etwas anderes.

Es ging ja nicht darum, dass die Polizei die Akte zum Mandanten X haben wollte und Bolz die mit „Geht nicht, ist ein Mandant von mir“ verweigert hatte, sondern dass sie das ganze Notebook mitnehmen wollten, von dem sie selbst unterstellten, dass er damit journalistisch arbeitet und twittert.

Und damit sind zwangsläufig – anders als bei einer Mandantenakte – auch die ganzen Mails, Arbeiten, Notizen von Bolz von der Beschlagnahme betroffen, können also aufgedeckt werden, und über die Wegnahme auch eine Verletzung der Pressefreiheit, der Recherche sein.

Und das ist der springende Punkt: Der Staat darf nicht einfach irgendeine Witzbeschuldigung fingieren, um unter einem Vorwand Dinge auszuspionieren, die a) mit dem Vorwurf nichts zu tun haben und b) von der Pressefreiheit geschützt sind.

Denn die Pressefreiheit hat nicht nur Verfassungsrang, sie ist auch ein Menschenrecht.

Es gibt deshalb auch Urteile des EGMR, beispielsweise die Affaire Jecker c. Suisse, Individualbeschwerde 35449/14, wonach Publizisten Berufsgeheimnisträger sind und die Ausforschung von Mandantenverhältnissen Artikel 10 EMRK verletzt.

Denn auf dem Notebook von Norbert Bolz – oder eben auf meinem Bankkonto, wozu ich das damals rausgesucht und nachgelesen habe – gibt es viele Informationen, die mit dem Tatvorwurf überhaupt gar nichts zu tun haben, und deshalb auch nicht unter die Verstrickungsklausel der Tatbeteiligung fallen können.

Dazu kommt eben noch das IT-System-Grundrecht, weil auf dem Notebook allerlei Daten drauf sind, auf die die Staatsanwaltschaft bei einem so leichten Vorwurf nicht zugreifen darf.

Es ging also bei dieser Verstrickungsklausel nach der Begründung um Rechtsanwälte, die zusammen mit anderen Straftaten begehen, nicht etwa als Anwalt, aber dann ihre Anwaltstätigkeit als Vorwand verwenden wollen, um ein Mandantenverhältnis zu fingieren und dann Zeugenaussage oder die Herausgabe von Akten über die Person X zu verweigern.

Und das ist bei Journalisten, gar einem wie Bolz, ja nun gar nicht der Fall.

Ich bin deshalb da so hinter her, weil man bei mir ja einen einen Schuldvorwurf fingiert hatte, um pro Forma ein Strafverfahren zu eröffnen, sich aber überhaupt nicht für meinen Blogartikel (die „Tat“) interessiert hatte, sondern das als Vorwand, um das Konto zu filzen und abzuschießen, also meine Kontakte auszuforschen.

Und genau das, nämlich dass der Staat Strafverfahren vortäuscht, um die Pressefreiheit zu brechen, ist nicht der Sinn und Zweck dieser Vertrickungsklausel aus § 160a Absatz 4 StPO.