Der Bierdeckel in der Not

Würde oder Religion – was ist wichtiger?

In den letzten Monaten schickten mir viele Leser Links auf Social-Media-Warnungen, dass Horden von Juden in Zypern einfallen und ganz Zypern rauben und verreinnahmen würden. Fragen gingen so weit, ob man da überhaupt noch auf die Straße gehen und auf den Bestand seines Besitzes hoffen könne, wenn doch Israel jetzt ganz Zypern okkupiert habe.

Also … in Paphos merke ich davon bisher exakt gar nichts. Nichts dergleichen. Und hätte auch von niemandem irgendetwas in dieser Art gehört. Keine Ahnung, woher diese Gerüchte komme und wer sie in Umlauf setzt. Im Gegenteil, es ist hier sogar sehr, sehr, sehr selten, dass man welche – erkennbar – sieht. Mich haben mal welche auf der Straße angesprochen, ob ich vielleicht wüsste, ob und wo es da ein koscheres Restaurant gebe. Aber das ist zwei oder drei Jahre her.

Heute abend war ich mal wieder an der Strandpromenade spazieren. Hin und wieder, wenn mir danach ist, gehe ich – mal in der einen, mal in der anderen Richtung – einen Spaziergang am Meer entlang machen. Bisschen Bewegung. Bisschen frische Luft. Bisschen unter die Leute. Bisschen Schiffe gucken. Bisschen Bikinis gucken.

Und: Eis essen. Heute: Waldbeerensorbet und Pfefferminze mit Schokostückchen.

Wie ich so den etwas schmaleren Weg zwischen den Hotels und den Stränden entlang ging, und da auch viele Leute unterwegs waren, kamen mir zwei junge Männer, so Anfang 20, entgegen, und gingen so direkt, dicht an meiner linken Seite, an mir vorbei.

Beide sehr angeregt in ein Gespräch vertieft, haben überhaupt nicht auf ihre Umwelt geachtet und mich mit Sicherheit auch überhaupt nicht wahrgenommen.

Der, der weiter von mir weg war, also aus meiner Sicht der Linke, hatte etwa meine Größe und trug eine kleine, weiße Kippa. Recht klein, sah man deshalb nicht auf große Entfernung, und eben so typisch, aus Stoff und entsprechend der Kopfform gewölbt, saß eben so passend auf genau dem Teil des Kopfes, auf dem bei mir die Waldlichtung herrscht.

Durch den, weil mir dessen helle, weiße Kippa auf ein paar Meter Entfernung ins Auge stach, bin ich überhaupt erst aufmerksam geworden, weil man dann unwillkürlich auch auf den anderen schaut.

Hä!?

Der andere war etwas kleiner, sogar kleiner als ich, und hatte seine Kopfoberkante gerade so auf meiner Augenhöhe. Weshalb ich dem – was mir sehr, sehr selten passier – auf den Kopf gucken konnte.

Und der hatte auch etwas auf dem Kopf, aber: nicht rundlich, nicht an die Kopfform angepasst, sondern völlig eben, flach, gerade.

Man will da natürlich nicht gaffen und nicht blöd auffallen, aber so im Vorbeigehen sah das für mich so aus, als hätte er sich mit zwei silbernen Haarklemmen einen runden Bierdeckel da befestigt, wo normalerweise die Kippa sitzt (und ich oben ohne, Cabrio rumlaufe).

Anscheinend ein Notbehelf nach Verlust der Originalherrenoberbekleidung.

Mir ging die Frage durch den Kopf, was wichtiger ist: Religion oder die persönliche Würde.

Die Frage ist mir allerdings bekannt, die geht mir beim Gang durch Berlin ständig durch den Kopf.

Oder war das vielleicht eine Art subtiler Religionskritik?