Ansichten eines Informatikers

Von Framing und den Hirnfunktionen

Hadmut
4.10.2025 16:04

Ein Leser fragt an.

Hallo Hadmut,

eine kurze Frage zu deinem Artikel: Ein Schädel-Hirn-Trauma und die Funktionsweise des Gehirns

https://www.danisch.de/blog/2025/10/01/ein-schaedel-hirn-trauma-und-die-funktionsweise-des-gehirns/

“Ich überlege deshalb, ob Hakenkreuze, Antifaflaggen, Farben (rot, grün, braun), Uniformen für Linke so wichtig sind, weil die als einfache optische Muster der Freund-Feind-Kennung leicht zugänglich sind, und deshalb so etwas wie Hakenkreuze und Antifasymbole als eine Art Prothese, als Orientierungshilfe dienen, weil man rational nicht versteht, was der andere macht und warum. “

Ich verstehe noch nicht, warum das deiner Meinung nach nicht/oder anders auf alle Menschen zutrifft.

Meine Frage: Wo ist der Unterschied zum “Framing” – also wenn da zb einer cutting edge Virenforschung beteibt, dann bleibe ich offengesagt im Verständnis abgehängt zurück und falle auf das Framing seiner Tätigkeit zurück. Je nachdem ist er dann brillianter Retter oder geisteskranker Wahnsinniger.

Also warum kann Dummheit (oder Unwissenheit) nicht ausreichen? Warum vermutest du Hirnmängel bzw Schädigungen/Veränderungen am normalen Ablauf?

Weil das unterschiedliche Hirnfunktionen sind.

„Framing“ ist meistens verbal, manchmal natürlich auch visuell durch Fotos, Filme, Hintergrunddarstellungen.

Jedenfalls das verbale Framing zielt auf den Denkapparat, den rationalen Teil ab.

Das visuelle Framing oder auch Symbole wie Farben, Hakenkreuze, Antifa, zielen auf die Freund-Feind-Kennung und die Mustererkennung der Amygdala ab, und die funktioniert eben sinnesunmittelbar – optisch, akustisch, olfaktorisch – aber nicht auf dem Umweg über Sprache. Die Amygdala kann sicherlich auch den Klang einer Stimme, eine Sprachmelodie erkennen, aber nicht Sätze, weil man die erst bis zum Ende hören muss, um sie zu verstehen, die Amygdala aber vor allem im Bereich bis zu einigen hundert Millisekunden arbeitet.

Die Amygdala soll uns ja vor Angreifern bewahren und Freunde erkennen, und das funktioniert eben nicht nach dem Schema „Hören wir erst einmal, was er sagt.“ Das müssen sehr schnelle Reaktionen sein, sonst nutzen sie nichts.

Beim sprachlichen Framing geht es darum, dem Unwissenden oder Denkfaulen eine leicht zu fressende Pseudoerklärung für den rationalen Teil des Gehirns, den Präfrontalen Cortex.

Bei Symbolen und visuellem Framing geht es darum, sehr schnell jemanden als Freund oder Feind, gut oder schlecht, links oder rechts, halal oder haram einzustufen, bevor das Hirn dazu kommt, zu denken.

Das sind grundsätzlich unterschiedliche Mechanismen.

Und obwohl man das damals noch nicht wusste, trifft verblüffenderweise die Unterscheidung im Verfassungsrecht nach Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit genau diesen Punkt. Die Rundfunkfreiheit geht nicht so weit wie die Pressefreiheit und geht mir der Verpflichtung zur Ausgewogenheit und die Meinungsbildung dem Zuschauer zu überlassen einher, gerade weil man wusste, dass Bewegtbilder und Ton eine viel höhere suggestive Wirkung haben.

In der juristischen Literatur versucht man sich das auch damit zu erklären, dass bei Video und Ton die Wahrnehmungsgeschwindigkeit vorgegeben ist, während es bei Text und Bild dem Leser überlassen wird, wieviel der über Sätze usw. nachdenkt.

Damit haben die zwar die Ursachen nicht verstanden, die Sache aber durchaus richtig erfasst und beschrieben, weil gerade Audio und besonders Video nicht nur direkt auf die Amygdala und die Mustererkennung wirken kann, sondern durch den hoch getakteten Informationsfluss den rationalen Teil überlasten, mit Zuhören auslasten kann, so dass keine Rechenleistung (=Denkleistung) und auch keine Zeit mehr übrig bleibt, um darüber nachzudenken, wenn man nicht ständig nach jedem Satz die Pause-Taste drücken würde.

Und genau das erleben wir gerade mit Hochdruck, weil uns in den Medien etwa zu Palästina ständig hungernde Kinder gezeigt werden, die um Essen betteln, also auf visuelle Weise das Rudelverhalten aktiviert wird, Kinder zu füttern.

Deshalb ist das auch so übel, wenn man Fotos von Leuten mit Hakenkreuzen oder erhobenem Arm zeigt, weil das mit Erklärungen nicht mehr gut zu machen ist.

Ich habe die Story schon einige Male erzählt: Der Professor, bei dem ich an der Uni war, war ein Hochstapler und krimineller Halunke, aber ganz sicher kein Nazi, sondern links und sehr SPD-nah (oder sogar Mitglied). Eines Tages berichtete er in einer Vorlesung davon, dass er im Crypto-Museum der NSA in den USA war, und erzählte davon, und hatte damals auch ein paar (analoge) Fotos vom Museum gemacht, die wir ihm damals mit dem Tintenstrahldrucker auf spezielle Tintenstrahloverhead-Folien gedruckt hatten, damals Stand der Technik, Beamer gab es ja noch nicht. Er erzählte also, welche Abteilungen und Ausstellungsstücke es da so gibt, und kam natürlich auch auf die Enigma (weil das Institut selbst ja auch eine Enigma hatte, die ich auch schon in Vorlesungen vorgeführt hatte). Also legte er die Folie mit seinem Foto von der Enigma-Vitrine auf, und erzählte wirklich von nichts anderem als der Enigma-Ausstellung.

Aber, ach.

Damals (es gab mal Bilder online, aber sie scheinen alle verschwunden zu sein) hatte man im NSA-Museum die Enigma-Ausstellung so gebaut, dass im Hintergrund an der Wand eine riesige – möglicherweise sogar echte – Nazi-Hakenkreuz-Flagge drappiert war, um zu zeigen, dass das die Nazi-Maschine war. Der Professor hatte in diesem Moment überhaupt nichts von Nazis im Kopf und erzählte wirklich nur von der Kryptoausstellung, und erklärte noch „Dann kommt man da rein und dann hängt da oben …“ und machte so eine Handbewegung, wie man eben so gestikuliert, wenn man erklärt, dass man da durch einen Gang kommt und da oben etwas hängt.

In diesem Augenblick machte ein Mitarbeiter – ohne böse Absicht, eigentlich zur Dokumentation der Vorlesung und für Werbezwecke – ein Foto von ihm.

Das Ergebnis war schrecklich. Denn an der Wand hinter ihm war das Foto von der Enigma vor der riesigen Hakenkreuzfahne, er verdeckte aber die Enigma, so dass man ihn mit erhobenem rechtem Arm vor einer riesigen roten Hakenkreuz-Wand sah. Und dann hatte der noch so einen etwas altmodischen Anzug an und eine Art Nickelbrille auf.

Obwohl wir genau wussten, dass der wirklich gar nichts mit Nazis zu tun hatte, etwas völlig anderes erzählt hatte und auch die Armbewegung dynamisch war und etwas ganz anderes bedeutet hatte, sah der auf diesem Foto wie der totale Erznazi aus, weil diese Bildwirkung so enorm war. Damit hätte man den total vernichten können, dabei war das Foto noch nicht einmal gefälscht, sondern an sich echt.

Die Wirkung von Bildern, Symbolen, visuellen Informationen ist viel brisanter und gefährlicher als Text. Sie geht an andere Teile im Gehirn, die viel schneller reagieren und sofort Freund-Feind-Erkennungen auslösen, Sympathie, Ekel, Abscheu, Kampfbereitschaft.

Und deshalb ist das auch richtig, dass wir in Deutschland zwischen Presse- und Rundfunkfreiheit unterscheiden.