Ansichten eines Informatikers

Die Murksentscheidung des Verfassungsgerichtshofs Berlin

Hadmut
25.6.2025 16:57

Wenn Verfassungsrecht durch political correctness ersetzt wird.

Es ging ja heute durch die Presse, dass Aktivisten eine Bürgerentscheid beantragt haben, den Innenstadtring (innerhalb des S-Bahn-Rings) von Berlin so gut wie autofrei zu machen. Nur Lieferdienste, Müllabfuhr, Taxi usw. sollen noch fahren dürfen. Bürger sollen nur noch maximal 12 Fahrten pro Jahr in Berlin unternehmen sollen, und die vorher beantragen müssen und nur unter bestimmten Bedingungen genehmigungsfähig sein, etwa Transport schwerer Güter.

Die Stadt Berlin habe Bedenken gehabt, ob das überhaupt verfassungsrechtlich zulässig sein kann.

Der Verfassungsgerichtshof hat heute entschieden, dass das zulässig sei und nicht gegen Grundrechte verstoße. Hier gibt es das Urteil zum Download. Und hier die Beschreibung der Richter am Verfassungshof.

Mir graust es gerade schon beim Lesen, was für einen Verfassungsschrott die da fabriziert haben. Das ist nicht nur in der Sache falsch und schlecht, es ist auch formal völlig schlecht gemacht.

Beispiel Berufsfreiheit

Ab Seite 38 betrachten sie das Grundrecht der Berufsfreiheit. Da kommt ein bisschen Blabla, liest sich, wie zusammengegoogelt, als ob die zum ersten Mal im Leben mit diesem Grundrecht überhaupt zu tun hätten (und schaut man sich an, was diese Richter sonst so machen, tun sie das wohl wirklich).

Marktteilnehmende haben keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleichbleiben. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder künftige Erwerbsmöglichkeiten.

Das ist schlicht falsch.

Die kennen die Verfassungsrechtslage nicht.

Da muss ich nicht mal nachschauen, das weiß ich aus dem Stand. Da gibt es die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Prüfungsrecht an den Hochschulen von 1991, in der das erläutert wurde, dass der Staat nicht nur bei harten Zugangsprüfungen, sondern generell auch bei der Wettbewerbsfähigkeit und dem Vorankommen nicht eingreifen darf, weil er sonst die Berufsfreiheit verletzt. Es besteht zwar kein Anspruch gegen den Staat, die Wettbewerbsbedingungen gleich zu halten und Erfolg sicherzustellen. Es besteht aber ein Abwehranspruch gegen den Staat, wenn der in die Wettbewerbsbedingungen eingreift und sie – etwa aus politischen Gründen – manipuliert.

Und hier führt es zu erheblichen Beeinträchtigungen, wenn beispielsweise nur noch junge Leute einen Beruf ausüben können, die ihre Sachen, die sie brauchen, tragen können. Plötzlich soll die Berufsfreiheit von der Gesundheit und Körperkraft abhängen.

Beispiel: Ich. Früher habe ich noch eine richtig schwere Fotoausrüstung herumgetragen, in den Emiraten mal rund 120 km in drei Tagen (laut GPS-Tracking). Das kann ich nicht mehr. Rücken kaputt gesessen, drei Bandscheibenvorfälle. Ich kann nur noch sehr leichte, kleine Kameras über längere Strecken tragen, ansonsten brauche ich ein Auto.

Beispiel: Ich. Ich schwitze stark. Deshalb habe ich bei Außentätigkeiten normalerweise immer Ersatzkleidung und Getränke im Auto dabei.

Das sind alles persönliche Problem, die zu lösen mein persönliches Problem ist. Ich habe keinen Anspruch gegen den Staat auf „Gleichstellung“, dass er das für mich löst.

Aber ich habe einen Unterlassungsanspruch gegen den Staat, dass er sich da so einmischt, dass er es mir einseitig unmöglich macht oder erschwert, mein Problem zu lösen und es effektiv unmöglich macht, den Beruf unterwegs noch auszuüben.

Pressefreiheit

Seite 47:

Die Regelungen des Gesetzentwurfs verletzen die Religionsausübungs- (Art. 29 Abs. 1 Satz 2 VvB und Art. 4 Abs. 2 GG), die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 21 Satz 1 VvB und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und die nicht ausdrücklich durch die Berliner Verfassung, aber jedenfalls durch das Grundgesetz geschützte Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht.

Mehr fällt ihnen zum Presserecht nicht ein.

Multi-Schwachsinn.

  1. Die wissen anscheinend überhaupt nicht, was die Pressefreiheit in Deutschland ist. Sie bezieht sich nämlich nicht auf Äußerungen (das ist in Deutschland die Meinungsfreiheit), sondern das Recht, Erkundigen einzuziehen und überall hinzukommen, zu fotografieren, zu filmen.

    Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit und die Beschränkung auf die räumliche und zeitliche Ausdehung des ÖPNV sind natürlich eine Beschränkung der Pressefreiheit. Man kommt ja nicht mehr überall und zu jeder Zeit hin, und kann beispielsweise eine Kameraausrüstung nicht mehr vollständig mitnehmen.

  2. Man soll jede Fahrt vorher beantragen und sich genehmigen lassen müssen.

    Völlig untragbar, Eingriff in die Berufsgeheimnisse und Pressegeheimnis, außerdem das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Und denen fällt dazu ein: Gar nichts.

Freizügigkeit

Artikel 11: Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

Ein solches Gesetz würde aber die Freizügigkeit massiv beeinträchtigen, vor allem für Alte, Beeinträchtigte, oder solche, die kranke Verwandte pflegen wollen, bestimmte Berufe ausüben und ähnliches.

Auch das kommt im Urteil überhaupt nicht vor. Das haben die überhaupt nicht geprüft. Lediglich im Sondervotum von Prof. Dr. Burholt, der als Einziger dagegen war, wird die Freizügigkeit wenigstens als Begriff erwähnt (Seite 63 unten).

Gleichheit vor dem Gesetz

Warum eigentlich soll jemand, der außerhalb des Ringes wohnt, 12 Fahrten frei haben, jemand, der innerhalb des Ringes wohnt, aber auch nur 12? Denn beide brauchen ja Fahrten zur Werkstatt, zum Tanken, zum TÜV, zum Reifenwechsel und so weiter, die bei dem, der im Ring wohnt, aber dann angerechnet werden.

„Gemeinwohl“

Sie beziehen sich verschiedentlich auf das Gemeinwohl als Argument.

Das ist auch nicht haltbar. Berlin wäre die erste Stadt, die das derartig strikt und umfassend machte. London hat einen Innenstadtteil, der aber nicht so strikt wie in dieser Forderung reglementiert ist, und der vor allem den Business- und Öffentlichen Bereich betrifft, so weit ich weiß, weniger Wohnbereiche. (Außerdem unterliegt London nicht unseren Grundrechten.)

Man kann aber wohl kaum mit einem überragenden Gemeinwohl argumentieren, wenn der Rest der Welt das nicht braucht.

Gemeinwohl-Interessen wären beispielsweise Betrieb der Müllabfuhr und der Abwasserkanäle. Aber nicht, eine ganze Stadt (der S-Bahn-Ring umfasst zwar nicht ganz Berlin, aber mehr als die Innenstadt, der ist ziemlich groß) lahmzulegen.

Erstes Fazit

Ich habe das noch nicht ganz gelesen, sondern nur in Teilen und etwas überflogen.

Und ich habe noch nichts sonst nachgelesen, noch keine Urteilsrecherche gemacht, sondern nur das geschrieben, was mir spontan aus meinem Wissen so einfällt.

Das Ding wirkt auf mich, als wäre es von Rechtslaien geschrieben, fast wie KI-Gefasel, die ein bisschen Bla Bla schreiben, denen es aber am Verfassungsrechtswissen schlicht fehlt, die das Wesen der Grundrechte überhaupt nicht verstanden haben.

Ich glaube nicht nur nicht, dass es zu so einem Volksentscheid kommen wird, sondern auch nicht, dass das vor dem Bundesverfassungsgericht und EU-Gerichten bestand haben könnte.

Das ist Pfusch.

Das Problem sehe ich eher darin, dass die meisten der Richter ja auch sonst Berufsrichter sind, und da vermutlich dann genau so einen Schrott produzieren.

Die wichtigere Frage als diese Schnapsidee von ein paar bescheuerten Aktivisten ist deshalb, warum eigentlich eine Hauptstadt wie Berlin einen so unfähigen Verfassungsgerichtshof hat.