Ansichten eines Informatikers

Vom subtilen Unterschied zwischen Presse und Rundfunk

Hadmut
27.12.2025 22:03

Ein Leser bittet darum, ich möge ihm einen durchpusten.

Presse und Rundfunk

Nabend Herr Danisch,
Eine Frage, die mich seit einiger Zeit umtreibt. Womöglich können Sie mir mein Oberstübchen durchpusten.

Wenn ich moderne Websites zum Beispiel von Nius besuche, dann wechseln sich geschriebene Texte mit Videos/Shorts ab. Die Grenze zwischen Print- und Telemedium verwischt zusehends.
Sind diese Websites überhaupt noch Presse? Ist das nicht längst eine Zwitterform mit Hang zum Rundfunk?

Sie zielen oft und zu Recht darauf ab, dass Presse Zeit zur Reflexion lässt. Eingebettete Videos teils in den Texten verkürzen bzw. vernichten diese Zeit.

Vielleicht haben Sie ja Lust, sich Gedanken zu diesem Thema zu machen und diese mit mir oder der Öffentlichkeit zu teilen.

Beste Grüße
[…]

P.S.: Die einzig verbliebene Website in meinem Konsumbereich, die ausschließlich aus Text besteht, ist die Ihre.

Das ist in der Tat schwierig, und die Unterscheidung immer weniger zu halten. Und auch textbasierte Seiten sind immer schwieriger aufrecht zu halten, weil

  • Die Werbeeinnahmen wegbrechen und Werbung, soweit überhaupt noch, für Videowerbung bezahlt wird, man also eigentlich schon für das Einkommen Werbung machen muss,
  • viele Leser eben keine Leser mehr sind, sondern Schauer. Die Leute lesen keine Texte mehr … nein, falsch gesagt. Immer weniger Leute lesen Texte. Das hat damals angefangen, als man das alles mit „tl;dr“ kommentierte – too long, didn’t read. Die Leute wollen es kurz und denkfrei.

    Dazu kommt, dass viele Leute auch nicht mehr ruhig sitzen, sondern entweder akustisch eingestellt sind und das unterwegs mit Ohrhöhrern hören wollen – deshalb die Flut an „podcasts“. Oder sie wollen es eben als Video sehen. Erstaunlich viele Videoblogger und Videopodcaster produzieren längst in diesem schrecklichen Hochkant-Format, weil die Leute auf Handy-Bildschirmen gucken wollen. Erschreckend viele Kamerahersteller unterstützen Videos im Hochkantformat. Obwohl das ja eigentlich Quatsch ist, weil bei den meisten Menschen die Augen neben- und nicht übereinander liegen. Es gibt aber bestimmt bald ein Gesetz, wonach man sich zum Vertikalen erklären kann.

    Auf einer abstrakten Ebene könnte man die Lage als „Der Wurm muss dem Fisch, nicht dem Angler schmecken“ umschreiben.

  • Auch auf Sender-Ebene ist es so, dass viele Leute lieber ein Video machen als einen Text schreiben, weil viele Leute keine Texte schreiben, aber quasseln können. Es ist auch leichter, Grimassen in die Kamera zu machen oder etwas in die Kamera zu zeigen, als es zu beschreiben.
  • Es gibt aber eben auch objektive Gründe. Immer öfter nämlich muss man Meldungen, Sendungen, Äußerungen kommentieren oder als Beleg bringen, die andere gemacht haben. Je mehr Quellen nur noch als Video zu haben sind, desto schwieriger wird es, diese in Textform zu kommentieren. Der Leser freut sich zwar, dass ich ein Text-Blog habe, aber faktisch stimmt das so ja schon nicht mehr, weil ich immer öfter Videoschnipsel einbinden muss – ob nun über eingeblendete Tweets oder Youtube-Videos, oder als Videos auf meinem eigenen Server. Wenn das Quellmaterial Video ist, ist es schwierig, daraus einen Kommentartext zu machen.

    Allerdings: Ich hatte mich gerade nach KI-Diensten umgesehen, die mit ordentlicher Qualität Videos (nein, nur die Tonspur) in Text umwandeln. Gibt es, kostet aber.

Heißt: Der Trend geht nun einmal zum Video. Und man kann sich dem kaum entziehen.

Ich hatte neulich beschrieben, dass der BGH entschieden hat, dass es auf die Darreichungsform nicht (mehr) ankomme, um Presse zu sein, auch die elektronischen Medien, so redaktionell, auch „Presse“ seien. Dazu kommt auch, dass die ersten „Zeitungen“ den Druck eingestellt haben, und absehbar ist, dass noch viel mehr Verlage dies tun werden, weil sich das nicht mehr rentiert und viel zu teuer und zu langsam geworden ist. Jede Zeitung ist eine Zeitung von morgen, und damit morgen die Zeitung von gestern, Und wer interessiert sich für die Zeitung von gestern?

Reine Textmedien werden untergehen, und es gibt sie ja auch faktisch schon kaum mehr. Und deren Publikum ist weg, die Leute können ja immer schlechter lesen.

Dazu kommt, dass Video ja immer billiger ist. Man bekommt inzwischen für unter 1000 Euro schon die nötigste Ausstattung, für die vor wenigen Jahren noch öffentlich-rechtliche Fernsehstudios vor Neid blass geworden wären. Für 5000 Euro kann man sich profitauglich ausstatten.

Die technische Unterscheidung ist immer weniger haltbar. Auch wenn man sich das wünschen würde.

Problem daran ist, dass jeder Rülpser gleich einige Megabyte belegt.

Ich habe hier fast 20 Jahre Blog und fast 30.000 Artikel, und kann die hübsch kompakt zusammenkomprimieren, und etwa – samt der Bilder und Videos, die ich selbst auf dem Server habe – auf eine CDROM brennen. Das geht mit dem ganzen Videokram nicht.

Da wird es in nächster Zeit noch allerhand Veränderungen geben.

Eine richtig gute Antwort habe ich deshalb nicht darauf.

Wäre ich aber Lehrer, etwa für Deutsch oder Kunst, und hätte etwas beim Lehrplan zu sagen, würde ich den Kindern heute nicht mehr beibringen, mit dem Wasserfarben- oder Aquarellkasten herumzupinseln, wie wir das damals über uns ergehen lassen mussten.

Ich würde als Kunstlehrer heute Fotografieren und Videos machen lehren. So ungefähr achte oder neunte bis zehnte Klasse. Fotografieren und Videos mit Schwerpunkt Optik, Bildgestaltung, Beherrschen der Kamera.

Und im Deutschunterricht nicht mehr nur Aufsatz-Schreiben, sondern Podcast- und Videomachen, Sprechen, Texte darauf auslegen, Gestaltung, Plan. Medientechnik.

Allein schon, um überhaupt einen Job zu bekommen. Denn in der IT ist es seit Jahren standard, dass

  • Bewerbungen elektronisch einzureichen sind,
  • mindestens das erste Bewerbungsgespräch per Videokonferenz stattfindet.

Ich weiß, dass es vor einigen Jahren schon in den Deutschunterricht einzog, Powerpoint-Vorträge mit Beamer zu halten. So wenig ich Powerpoint mag – ich halte es für sehr gut und wichtig, wenn Kinder das in der Schule lernen, weil man das einfach braucht. Und im Prinzip ist das Machen von Podcasts und Youtube-Videos nur die konsequente Fortsetzung davon.

Ich habe auch von Projekten oder zumindest der Idee dafür gehört, und finde das ganz großartig, dass es Schul- bzw. Klassenfreundschaften zwischen Schulklassen verschiedener Kontinente gibt, die sich elektronisch über ihren Schulalltag und Lehrstoff austauschen. Beispielsweise war unser Geschichts- und Erdkundeunterricht damals totlangweilig. Heute interessieren mich die Inhalte sehr, aber die Präsentation und dieses Abprüfen auswendig gelernter Jahreszahlen waren einfach schaurig schlecht. Es ist aber wunderbar, wenn einem jemand am anderen Ende der Welt zu dem Thema zeigen kann, wie es da wirklich aussieht.

Beispielsweise hat einer unserer Erdkundelehrer ständig von Windhuk erzählt. Als ich dann mal selbst dort war, sah es da ganz anders aus, als ich mir das nach dessen Blabla vorgestellt hatte. Es gibt aber inzwischen großartige Filme, die das wunderbar zeigen.

Fazit

Wie sagt man so schön?

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder.

Ich halte das nicht grundsätzlich für schlecht, weil Fotografie und Videographie einfach viel mehr Möglichkeiten bieten und etwas viel kürzer und klarer darstellen können.

Die Mischung macht’s.

Aber eine Gefahr sehe ich: Der ganze KI-Scheiß kann Video sehr unglaubwürdig machen. Man merkt das jetzt schon, dass unter fast jedem Video „Certified KI-Bullshit“ gepostet wird, auch wenn das gar nicht stimmt, so wie man vor 15 Jahren noch „gephotoshopped“ drunter schrieb.

Das gilt für Texte aber auch.