Fotografie früher besser?
Ein Leser schreibt mir über seinen Schmerz zur Fotografie.
Hallo Hadmut,
du schreibst:
—
Mich zieht nichts zum Film zurück.
Ich gönne es aber jedem, genauso wie ich es jedem gönne, wieder Schallplatten zu hören. Wer Spaß daran hat – bitte sehr.
—Ich denke, das ist ein großer Unterschied, also analoge Schallplatten vs. chemische Fotografie. Schallplatten sind lediglich die schlechtere Version der Musikkonservenwiedergabe, aber sonst genau das gleiche wie eine CD oder Streaming. Analoge und digitale Fotografie sind dagegen Aufnahmetechniken und unterscheiden sich ganz grundlegend in Möglichkeiten, Anwendung, Verarbeitung etc…
Ich habe zu Analog-Zeiten sehr viel fotografiert, auch gelegentlich privat Diavorträge gemacht, zu denen richtig viele Leute kamen. Mit dem Aufkommen der digitalen Fotografie habe ich das Hobby praktisch eingestellt. Das Problem: Es ist nichts besonderes mehr. Gute Bilder gibts überall im Internet – Landschaftsaufnahmen in den sattesten Bonbonfarben, perfekt belichtet, der Ausschnitt überlegen gewählt. Warum? Kann man alles hinterher verschönern. Im Zweifelsfall machst Du 30 Fotos, nimmst das beste und läßt Photoshop drüber laufen. Wenn ich früher in exotischen Ländern unterwegs war, hatte ich i.d.R. etwa 30-40 Dia-Filme mit. Bilder wurden maximal 3x (mit verschiedener Belichtung) aufgenommen, das war’s. 1-2 Monate später hat man gesehen, ob’s was wurde. Die Lichtempfindlichkeit war begrenzt, Aufnahmekapazität knapp und teuer.
Wenn Du früher gute Bilder haben wolltest, mußtest Du richtig was können. Zwar braucht man auch heute noch ein gutes Auge und Gespür für die Situation, aber es ist einfach nicht mehr dasselbe. Für mich hat es komplett seinen Reiz verloren.
Gerade mal bei Google “Landschaftsfotografie eingegeben, kommt z.B. sowas hier:
https://jonathanbesler.de/wp-content/uploads/2021/11/60_3929-Panorama-Allgaeu-Alpen-Berge-Hinterstein-Sommer-Sonnenaufgang-Nebelhorn-Obertal-Giebel-Hochvogel-Alpengluehen-Gewitter-Oberallgaeu-orange-rot-gruen-sonne-1.jpg
Gute Szene, aber glaubst Du, die Farben wären echt? Eben. Macht keinen Spaß mehr.
Naja, was sind echte Farben? Woher weiß ich überhaupt, ob alle Menschen Farben gleich sehen? (Ich weiß, dass es nicht alle tun, es gibt genetische Unterschiede und Tetrachromaten, für die Fotos und Bildschirme, alles, was auf RGB oder YMC beruht, Falschfarben darstellen, und die man früher hoch bezahlte, weil militärische Tarnfarben bei denen nicht funktionieren.)
Und ja, in Neuseeland habe ich solche Farben schon gesehen. Da gibt es Gegenden, da fährt man rum und denkt, jeden Augenblick kämen die Hobbits um die Ecke.
Der Punkt ist aber: Selbst wenn der Leser recht hat – es hilft ihm ja nichts, wenn er zurück zur Filmfotografie kehrt, aber alle anderen digital bleiben.
Er hat natürlich recht, dass Fotografieren früher viel schwerer war. Und dass das heute nicht nur deutlich leichter (nicht alles, die Kameras sind durchaus schwerer zu beherrschen) automatisch geht, man einfach viel mehr Aufnahmen macht. Das würde ich so aber nicht ohne weiteres stehen lassen.
- Ich glaube, dass es heute auch leichter und durchführbarer ist, Fotografieren zu lernen. Denn früher war das richtig teuer. Und bis man da Ergebnis hatte, hatte man die Einstellungen schon wieder vergessen und konnte das auch nicht nochmal anders probieren. Heute sieht man das Ergebnis sofort und kann auch gleich „rumprobieren“ oder Einstellungen ändern, kann praktisch kostenlos auch 100 Bilder ausprobieren.
Viele Leute halten das für schlecht. Ich halte es für gut, weil man damit lernen kann.
Ich hatte ja mal vor ein paar Jahren hier rumgefragt, weil ich Leser hatte, die sich eine Kamera nicht leisten konnten, die Tochter aber gerne eine analoge Fotokamera hätte. Leser waren so nett, ihr eine Kamera samt Objektiv zu spenden. Trotzdem hielte ich Digitalfotografie für weit besser, weil man zum Lernen sofort die Wirkung sieht. Beispielsweise haben nicht alle Kameras eine Abblendtaste, um die Wirkung der Blende vorab zu sehen.
- Ein guter Fotograf ist nicht notwendigerweise einer, der besser fotografiert, sondern der strenger aussortiert. Das ist eigentlich zu erwarten, dass jemand nicht nur ein Foto macht und einem das dann vorlegt, sondern mehrere macht, und kontrolliert, ob beispielsweise was im Bild ist, was nicht reingehört.
- Man muss sehr viel probieren, um die Kamera zu beherrschen, und das kann ja chemisch kein Mensch bezahlen.
- Viele gute Fotos entstehen, obwohl man das vorher nicht erwartet hat, weil die Hemmschwelle stark gesunken ist – kostete ja nichts und ich habe Platz für 10.000 Bilder. Also kann ich das Bild mal probieren.l
Ich sehe aber noch einen anderen Punkt:
Unsere Qualitätsmaßstäbe haben sich stark verschoben.
Vor Jahren waren wir noch über Diavorträge begeistert – weil wir es nicht besser kannten.
Ehrlich gesagt, war die Fotografie der früheren Jahrzehnte überwiegend ziemlicher Mist. Das sieht man nicht nur an alten Fotozeitschriften, sondern auch an den eigenen Fotos. Ich hatte mal alte Fotos sortiert, auf die ich als Student noch recht stolz war und die ganz toll fand. Als ich die dann nochmal mit einem Diaprojektor an die Wand warf, kam mir das nur noch als Mist vor: Schärfe oft lausig, schlecht geschnitten, Gesichtsausdruck miserabel. Und sowas alles.
Wir waren früher einfach viel anspruchsloser, hatten viel niedrigere Maßstäbe. Wir waren früher mit jedem Mist zufrieden. Allerdings fluchen Fotografen und selbst Kamerahersteller auch darüber, weil man sich früher das Foto und die Bildwirkung ansah. Heute guckt man auf dem 4k-Monitor nach, ob das Bild auf Pixelebene scharf ist.
Trotzdem: Ich bin der Meinung, dass das – trotz vieler Nachteile – deutlich besser geworden ist.
Ich rate jedem, der sich dafür interessiert, sich mal auf dem Flohmarkt oder so alte Fotozeitschriften, Playboy-Hefte, „Schöner Wohnen“, Cosmopolitan und so weiter anzusehen. Erst ab etwa Mitte der Neunziger, als die digitale Bildverarbeitung in Schwung kam, gab es einen deutlichen Qualitätsschub. Dann war nochmal 10 Jahre Ruhe, bis die Digitalkameras brauchbar wurden, und ab etwa 2010 gab es nochmal einen richtigen Schub nach vorne, weil da dann richtig gute Digitalkameras verfügbar waren.
Ich glaube gerne, dass viele sich nach der alten haptischen Bedienung zurücksehnen, Schallplatte oder chemischer Film. Aber ich verwende auch keine Videokassetten oder Compactkassetten mehr.
Ja, viele Leute stehen auf „Retrokameras“ wie Nikon Zf, Zfc und die Fujis.
Aber: Ich finde die Ergonomie einfach schlecht. Die liegen nicht gut in der Hand.
Will sagen …
Ich verstehe die Argumente alle.
Ich habe selbst die Fotografie ab den 70ern miterlebt und mich als Kind sehr ausgiebig mit allen Kameras seit dem 19. Jahrhundert befasst.
Und wisst Ihr was?
Erst seit etwa 2009 gibt es Kameras, mit denen ich zufrieden war, dann gab es ein paar Jahre einen Durchhänger, und inzwischen gibt es Kameras, die ich richtig gut finde – die modernen spiegellosen Kameras. Ich finde die besser als alles, was es je gab. Es hat 150 Jahre gedauert, aber jetzt ist das richtig gut. Ich hatte zwischendurch auch die Lust verloren, weil da zuviel Murks unterwegs war, aber inzwischen sind die Kameras so gut geworden – und mit den Objektiven aus China auch so günstig – dass ich das richtig gut finde.
Und ich käme, ehrlich gesagt, nicht mehr auf die Idee, ernstlich chemisch zu fotografieren.
Alte analoge Kameras sind gut zum Anschauen, für ins Museum, und zum Verstehen. Die kann man noch aufmachen, reingucken, kapieren.
Aber davon abgesehen halte ich Kameras mit chemischen Film für erledigt. Es gibt allerdings noch Kinoproduktionen, die noch auf Film aufnehmen. Aber auch die bearbeiten danach alles digital weiter.