Analoge Fotografie wieder im Kommen?
Bullshit by NDR.
Video: “Analoge Fotografie wieder beliebt bei jungen Menschen”
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/analoge-fotografie-immer-beliebter-bei-jungen-menschen,hallonds-4258.html
Bei Leica seien 20% aller verkauften Kameras wieder analog, vor 10 Jahren bei unter 1%.
Ich hätte jetzt Lust, einen blöden Witz zu machen: Was meint Ihr, was da erst los ist, wenn es auch wieder Filme zu kaufen gibt.
Meiner Meinung nach erzählen die da Bullshit, typisches „Halbwissen“, denn manches, was da gesagt wird, ist schlicht und einfach falsch. Sie verwechseln nämlich manuelle Einstellung mit chemischem Film.
So zeigen die zum Beispiel einen Handbelichtungsmesser und reden vom Einstellungen von Blende und Belichtungszeit.
Das aber macht man bei Digitalkameras genauso. Man braucht keine Kamera ohne Belichtungsmesser, um die Belichtung von Hand zu messen, sondern kann bei (nahezu) allen (allen ernstlichen) Kameras die Automatik auch abschalten und auf „M“ (manuell) stellen. Dazu braucht man keine analoge Kamera.
Und was die da hochhält, sieht wie ein Sekonic L-358 aus. (Ich habe zwei L-858.) Das ist ein Blitz- und Verhältnisbelichtungsmesser. Dessen Hauptfunktionen beziehen sich auf Blitz- und Lampenverhältnismessung, und die kann sie dort, wo sie da rumfotografiert, gar nicht verwenden. Zwar kann das Gerät auch die einfache, gewöhnliche Belichtungsmessung, den kann man auch als normalen Belichtungsmesser verwenden. Aber das kann die Kamera selbst dann genauso, nämlich mit einer Spot-Messung auf eine Graukarte.
Die Belichtungsmessung hat eigentlich gar nichts damit zu tun, ob man auf Film oder Sensor fotografiert. Bis auf den Umstand, dass man dabei den Blendenumfang des Films berücksichtigen muss. Und der ist bei modernen Sensoren längst höher als bei chemischem Film. Und: Bei Digitalkameras kann man nicht nur „richtig“, sondern auch „nach rechts“ belichten. Das ist nicht politisch gemeint, sondern bezieht sich auf das Histogramm, wo „rechts“ die hellen und links die dunklen Stellen statistisch angezeigt werden. Es gibt daher die Technik, dass man bei Digitalkameras das Bild nicht so belichtet, dass es „richtig“ belichtet ist, sondern so, dass man den Messumfang des Sensors optimal ausnutzt, also möglichst viel Information einfängt, wenn man RAW-Bilder macht, und dann in der Nachbarbeitung erst die „richtige“ Belichtung wählt, weil das vom Ergebnis besser ist, als wenn die Kamera gleich so fotografiert, dass es für ein Endfoto (z. B. jpeg) passen würde.
Und dass man an „analogen“ Kameras „mehr einstellen“ könnte, stimmt auch nicht. An Film-basierten Kameras kann man nämlich in der Regel nicht viel mehr als Blende und Belichtungszeit einstellen, ansonsten Film und Objektiv wählen. An Digitalkameras gibt es sehr viel mehr einzustellen. Es ist also genau andersherum, als die im Video behaupten.
Richtig ist, dass es wieder einen Trend zur manuellen Fotografie gibt. Also Kameras, bei denen man mit einem Drehdrad direkt Blende und Belichtungszeit einstellen kann. Das gibt es aber auch digital. Nikon hat (was ich vorher nicht geglaubt hätte) ziemlichen Erfolg mit seinen „Retrokameras“ Zf und Zfc, die zwar Digitalkameras sind, aber wie klassische Film-Kameras aussehen und bedient werden können.
Das hat viel damit zu tun, dass viele Leute von den Möglichkeiten moderner Digitalkameras schlicht überfordert sind und sich nach einfacher Bedienung sehnen. Ein Fotograf sagte mir mal, dass der Grund, warum die teuren Digital-Leicas so beliebt seien, nicht in deren Bildqualität liege (die allerdings exzellent sei), sondern darin, dass Leica die Bedienung sehr einfach gemacht und auf viele Funktionen einfach verzichtet habe.
Ein anderer Grund ist, dass wir seit wenigen Jahren aus Asien mit einer Flut von günstigen, aber guten Festbrennweiten überschwemmt werden, mit denen man verdammt viel Spaß haben kann. Die aber – zumindest früher – fast immer ohne Elektronik gebaut wurden und deshalb weitgehend manuell bedient werden mussten. Plötzlich war das Fotografieren wie in den 50ern wieder en vogue.
Aber: Dafür braucht man nicht nur keine Film-Kamera, sie passen sogar nur an moderne spiegellose Digitalkameras, weil sie für das geringere Auflagemaß gerechnet und gebaut sind. Und weil man sie mit spiegellosen Digitalkameras sogar besonders gut benutzen kann (z. B. digitale Sucherlupe). Die Kombination aus spiegellosen Kameras und günstigen asiatischen Festbrennweiten macht sogar einen Riesen-Spaß, ist richtig gut. Das geht mit chemischen Film-Kameras gar nicht.
Der Punkt ist aber eben: Diese modernen Kameras muss man bedienen und beherrschen können. Dazu gehört, dass man sich mal die Bedienungsanleitung durchliest, und die kann heutzutage gerne mal 1000 Seiten umfassen (pro Sprache, wohlgemerkt, nicht der Sammelband). Und das kapiert nicht mehr jeder.
Der eigentliche Grund für chemische Fotografie ist nicht, dass man viel einstellen kann, sondern dass es nur noch drei Einstellräder und sonst nichts zu kapieren gibt. Und selbst für die drei Räder sagt einem der Belichtungsmesser dann, wie man zwei davon einstellen muss.
Und wenn das Bild nichts wird, dann ist es halt schief gegangen. Eine Ausrede, die man bei Digitalkameras eben nicht hat.
Ich war mal vor 15 Jahren auf einem Seminar von Arri in München. Die stellen hochqualitative Digitalkameras für Kinofilme her.
Ein erfahrener Kameramann erzählte, dass sich die Arbeit sehr verändert hat. Zu Zeiten des analogen Films hat man den Film gefilmt, und hat den Film erst am nächsten Tag belichtet gesehen, wenn das Set schon wieder abgebaut und die Schauspieler weg waren, und dann hat man es eben so genommen, wie es eben war. Heute schreit der Regisseur nach dem Take, dass jeder bleibe, wo er ist, dann in den Digital-LKW rennt und sich in der Kammer am hochauflösenden Bildschirm anschaut, ob auch wirklich alles super-knackscharf war, und wenn ihm das nicht gefällt, kommt er wieder raus und lässt die Szene wiederholen, jetzt aber bitte auch das andere Auge des vierten Schauspielers scharf.
Und manche Leuten gefällt das eben nicht, so hochkompliziert und komplex zu arbeiten. Es gibt Leute, die haben regelrecht Angst vor den Menüs moderner Digitalkameras. Die wollen wieder reduziert arbeiten, sind aber dann auch nicht gut genug drauf, um eine Digitalkamera einfach so zu verwenden, wie man eine analoge, chemische Kamera verwendet hat.
Mich zieht nichts zum Film zurück.
Ich gönne es aber jedem, genauso wie ich es jedem gönne, wieder Schallplatten zu hören. Wer Spaß daran hat – bitte sehr.
Aber dann so einen Käse zu erzählen, dafür habe ich kein Verständnis.
Hätte die einfach gesagt, die modernen Kameras seien ihr zu kompliziert, sie verstehe das alles gar nicht – dann hätte ich gesagt, OK, mach.
Würde jemand sagen, „Ich habe die Schnauze voll von dem Digitalzeugs“ – würde ich auch sagen, OK, mach.
Erzählt mir aber jemand so einen Käse wie die da, würde ich sagen, „Du hast die Kamera nicht verstanden – und den Belichtungsmesser auch nicht“. Viele Profifotografen arbeiten übrigens auch bei Digitalkameras fast ausschließlich auf „M“, stellen alles manuell ein. Und spätestens dann, wenn man im Studio fotografiert, ist das sogar fast zwingend.
Die Frage ist aber, was Leute in einem Studium „Fotojournalismus“ verloren haben, die solchen Mist erzählen und Digitalkameras offenbar nicht verstehen.
Ich würde ja gerne mal deren Curriculum sehen.
Und in einer Rundfunkanstalt müsste man es auch besser wissen, denn nicht nur die zwei Tussis, sondern auch der Sprecher erzählen Mist.