Ansichten eines Informatikers

Der Bundesgerichtshof und das Presserecht für digitale Medien

Hadmut
18.12.2025 22:14

Anwaltspost.

Zu schade, dass ich die Gesichter der Richter der Presserechtskammer des Verwaltungsgerichts Berlin nicht sehen kann.

Ich hatte doch berichtet, dass die Richter der Presserechtskammer des Verwaltungsgerichts Berlin mir zweimal abgesprochen haben, als Blogger einen pressrechtlichen Auskunftsanspruch zu haben (in einem Fall haben sie ihn mir gegeben, aber weil ich auch ein Buch geschrieben hatte, nicht als Blogger), weil Presse nur körperliche Verbreitung sei (Papier, nach Literatur aber auch CDROM).

Ich hatte sie damals gefragt, wie sie das aufrecht erhalten wollen, wenn es nur noch digitale Medien gibt, denn das Sterben der Papierzeitung hatte ja schon begonnen. Hat sie nicht interessiert.

Ich hatte ihnen dargelegt, dass diese Ansicht der Rechtsgrundlage entbehre und Juristenfolklore sei, weil wie beim Kinderspiel „Stille Post“ entstanden: Einer schreibt die Urteilsbegründung beim anderen ab, und ständig verändert sie sich. Ursprung war meines Wissens eine Entscheidung, die ich mal vor ungefähr 30 Jahren irgendwo gelesen habe, wonach es nicht unter das Presserecht falle, wenn jemand vom Betriebsrat vor der Firma steht und – soweit ich mich erinnere, mit einem Kopiergerät oder einer Spiritus-Umdruckmaschine – Flugblätter verteilt. Man hatte damals entschieden, dass das nicht unter Presse fällt, weil die Auflage nicht groß genug war und das nicht öffentlich, für jedermann zugänglich und käuflich war, sondern nur an die Mitarbeiter des Unternehmens gerichtet. Man konnte nicht einfach hingehen und sagen „Interessiert mich, ich würde gerne ein Exemplar kaufen“. Weil man sich damals aber noch keine elektronischen Medien vorstellen konnte, und eine Verbreitung und Vervielfachung damals noch identisch damit war, es zu drucken, hatte man das damals so formuliert, dass das mit richtigen Druckmaschinen und nicht nur einem Kopiergerät oder einer Umdruckmaschine produziert werden muss. Sie wollten auf Massenvervielfältigung hinaus. Wie so oft hat die Juristenfolklore daraus mal wieder Mist produziert und daraus über mehrfach Urteil- und Kommentar-Abschreiben gemacht, dass Presse nur körperlichem Substrat stattfinden könne, also auf Papier oder auf CDROM angeboten werden müsse – obwohl es dafür überhaupt keine Grundlage gab.

Tatsächlich hatte man ursprünglich nur entscheiden wollen, dass Presse nur das ist, was in hinreichend großer Stückzahl vervielfältigt wird und nicht nur einer geschlossenen, bestimmten, kleinen Benutzergruppe, sondern einer Allgemeinheit zugänglich ist. Und Webseiten erfüllen das ja in perfekter Weise. Wollten sie aber auch nicht hören. Wo kämen wir hin, wenn sich Juristen vom Infomatiker einen über Medien erzählen ließen?

Leider habe ich lange in den Datenbanken gesucht, und mich gewundert, warum ich diese Entscheidung nicht wieder finden konnte, obwohl ich mir doch ganz sicher war, das vor Jahrzehnten mal in irgendeiner juristischen Zeitschrift gelesen zu haben. Ich bin dann aber irgendwann auf ein Urteil – BVerfG oder BVerwG – gestoßen, das sich inhaltlich exakt so las, als hätte sie genau dieses Urteil aufgehoben, aber aus irgendeinem formalen Grund, der mir nicht weiter half, weshalb man aber wohl diese – aufgehobene – Entscheidung aus den Datenbanken getilgt hat. Es entbehrt aber nicht einer gewissen Komik, dass die Rechtsprechung mancher Gerichte, wonach Presse auf Papier verteilt werden müsse, auf einer „Stille-Post-Kette“ mit fehlerhaften Weitergaben beruhte, deren Anfangsurteil als rechtsfehlerhaft aufgehoben und nie rechtswirksam geworden war. Oder wie man bei den Juristen so schön sagt: „Quality is a myth.“

Inzwischen gab es allerdings Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, die das aufgehoben haben. Die sagen, dass es auf den Inhalt und nicht auf das Substrat ankomme, dass also auch redaktionelle elektronische Medien unter den Pressebegriff fallen. Soweit ich ersehen konnte, war irgendwer anderes an dieselbe Kammer geraten, hatte wegen deren Ansichten pro Forma eine Zeitung in Druck gegeben, aber Berufung eingelegt, und das Oberverwaltungsgericht hat den Papierkäse dann kassiert, denn es war ja auch zu lächerlich und fax-deutsch, elektronische Medien vom Pressebegriff auszuschließen. Zumal das nie eine demokratisch legitimierte Grundlage hatte. Das war nur lange Stand der Technik, dass man Massenpublikationen nur auf Papier verbreiten konnte, aber nie eine juristische Anforderung. Im Gegenteil war der Pressebegriff immer „technologieoffen“ – anders als die EU.

Ich hatte schon vor einigen Jahren eine Entscheidung eines anderen Gerichts zitiert, die schon der Meinung waren, dass selbstverständlich auch elektronische Medien Presse sein können. Die hatten dort dem Kläger das aber aus einem anderen Grund abgesprochen: Der hatte nämlich nur ein Forum betrieben, in dem Leser diskutierten, er selbst aber nichts schrieb. Und da sagten sie, dass es an der notwendigen Eigenschaft einer redaktionellen Bearbeitung fehle: Presse ist nicht an ein Medium gebunden, aber schon daran, dass man selbst inhaltlich etwas schreibt, was meinungsbildend sein kann. Wenn man nicht selbst schreibt, kann man keine Presse sein.

Was übrigens inzwischen durchaus von einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit zu einer interessanten Frage geworden ist, denn ist man Presse, wenn

  • man Agenturmeldungen der dpa und anderer nur durchreicht, oder
  • Artikel von der KI oder freiberuflichen Autoren schreiben lässt, und eben nicht selbst schreibt?

Nun schreibt mir dazu ein Rechtsanwalt:

Lieber Herr Danisch,

Danke für Ihre Arbeit und die interessanten und inspirierenden Artikel.

Ein vielleicht für Sie interessantes BGH – Urteil zum Thema 85 II DSGV und § 23 Abs. 1 Satz 1 MStV „Unternehmen der Presse“ auszulegen als „alle Anbieter von Telemedien zu journalistischen Zwecken“

(Dieser Bereich ist ja bei Ihnen öfter Gegenstand im Block)

BGH, Urt. v. 29.7.2025 – VI ZR 426/24

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=4096&Seite=8&nr=142816&anz=1004&pos=259&Blank=1.pdf

ab Rn 38

…§ 23 Abs. 1 Satz 1 MStV…

Der Begriff „Unternehmen der Presse“ ist aber

verfassungs- und europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass er alle Anbieter von Telemedien zu journalistischen

Zwecken erfasst (vgl. auch BVerfG v. 27.8.2019 – 1 BvR 811/

17, AfP 2019, 514; BVerfG, Beschl. v. 10.7.2019 – 1 BvR 1197/

19, juris Rz. 3 f.)

Inhaltlich auch ein interessanter Fall.

Ihnen eine frohe Weihnacht und alles Gute!

Wow. Na, da schauen wir doch mal rein.

c) Unterfällt ein Datenverarbeitungsvorgang dem Medienprivileg (hier: Art. 85 Abs. 2 DSGVO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV), muss er sich nicht an Art. 6 und Art. 7 DSGVO messen lassen mit der Folge, dass ein auf die Verletzung dieser Bestimmungen gestützter Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO nicht in Betracht kommt.

d) Der Begriff “Unternehmen der Presse” im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV ist verfassungs- und europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass er alle Anbieter von Telemedien zu journalistischen Zwecken erfasst. Hierunter können auch politische Parteien fallen, selbst wenn sie nicht über eine organisatorisch selbständige, für Publikationen zuständige Abteilung verfügen (Abgrenzung zu BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2015 – 1 B 32/15, K&R 2016, 66).

e) Die Formulierung “zu journalistischen Zwecken” im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV ist weit und in Anlehnung an die unionsrechtliche Terminologie in Art. 85 DSGVO auszulegen.

Kurios und beachtlich daran ist übrigens, dass auch der BGH mit der Zeit geht und inzwischen Screenshots in seine Urteile aufnimmt, die doch bisher immer strikt rein textlich waren.

Im Prinzip muss man sich das ganze Urteil mal durchlesen. Da sind so viele Aspekte drin, auch zum Datenschutz und Medienstaatsvertrag. Trotzdem will ich noch etwas herausstellen:

[50] Die Formulierung “zu journalistischen Zwecken” im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV ist weit zu verstehen. Wie bereits ausgeführt macht die Bezugnahme in der Begründung zum 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag auf den Wortlaut des Art. 85 DSGVO eine Auslegung in Anlehnung an die unionsrechtliche Terminologie erforderlich (vgl. Begründung zum 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, LT-Drs. NRW 17/1565, S. 82 i.V.m. S. 77 Abs. 3). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfolgt eine Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen Zwecken dann, wenn sie zum Zweck hat, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten (EuGH, Urteile vom 14. Februar 2019 – C-345/17, AfP 2019, 222 Rn. 53 – Buivids; [Große Kammer] vom 16. Dezember 2008 – C-73/07, K&R 2009, 102 Rn. 61 – Satamedia). Damit erfasst der Begriff des Journalismus nicht nur die “Qualitätsmedien”, sondern auch andere Formen der öffentlichen Berichterstattung; er erstreckt sich nicht lediglich auf überkommene Publikationskanäle, sondern kann auch auf neue Formen des Publizierens angewandt werden (Nettesheim, AfP 2019, 473, 475).

Und damit ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin genau so falsch, wie ich sie eingeschätzt hatte.

Sie sprechen aber in Absatz 51 auch das an, was ich oben schon beschrieben hatte:

[51] Dies bedeutet aber nicht, dass auf das Erfordernis eines Mindestmaßes an eigener inhaltlicher Bearbeitung der bereitgestellten Informationen verzichtet werden kann. […]

An sich nicht weltbewegend, eigentlich nur folgerichtig, aber schön, dass das mal so hübsch zitierfähig zusammengeschrieben wurde.