Das Software Defined Vehicle (SDV)
Vom Auto zum Softwareprodukt.
Weil ich das gerade eben angesprochen hatte: Ich hatte diese Tage einen seltsamen Artikel im FOCUS gelesen: Mit dem 50-Cent-Dilemma verlieren deutsche Autobauer Milliarden
Rund 100 kleine Computer arbeiten in einem modernen Auto effizient zusammen. Doch die deutschen Autobauer hängen organisatorisch noch in der Zeit der Hardware-Dominanz fest – und verlieren so den Anschluss.
Über 100 Jahre haben wir Autos über ihre Mechanik definiert. Über Motor und PS. Und wie sie sich auf der Straße anfühlen. Doch diese Definition wird gerade komplett neu geschrieben.
Das Auto wird von der Maschine zum Computer auf Rädern. Zum Software Defined Vehicle (SDV). Und deutsche Hersteller kämpfen dabei nicht primär mit der Technologie. Sie kämpfen mit sich selbst. Mit ihren eigenen Strukturen.
Diese Aussage halt ich gleichzeitig für völlig richtig und zutreffend und trotzdem für blödsinnig.
Das könnte daran liegen, dass wir in blödsinnigen Zeiten leben und jede zutreffende Beschreibung der Realität deshalb dazu neigt, blödsinnig zu klingen.
Ursprünglich, zu meiner Zeit damals, war ein Auto einfach eine Maschine, die einen von A nach B bringt. Fertig. Optional hielt sie einen dabei noch warm, und manche Fahrzeuge spielten sogar etwas Musik dabei. Ende. Sonst nichts.
Heute ist das so ein Lifestyle-Ding geworden, bei dem die Bewegung, das Fahren, zur Nebensache wird. Eigentlich verwunderlich, dass es noch keine Autos gibt, die nicht für den Straßenverkehr gedacht sind, keinen Motor haben und auch keine Zulassung, Versicherung und TÜV brauchen, sondern die man sich so in den Vorgarten stellt, um darin mit Freunden zu quatschen, die Kinder zu zeugen und so weiter.
Software Defined Vehicle.
Der Begriff stammt aus der Informatik. Wir haben da Software Defined Radios, Software Defined Networks. Software Defined Clouds. Und so weiter.
Heißt: Wir haben sehr stark orthogonalisierte und hochkonfigurierbare Systeme, deren Zusammenwirken verschiedener Komponenten konfigurierbar ist, und denen wir dann per Konfiguration sagen, was sie tun und wie sie zusammenwirken sollen. Heute brauche ich mal Cloud-Computing mit 5 Hosts und zwei Netzwerken. Oder heute will ich mal Funk auf dieser Frequenz mit jeder Modulationsart mithören.
Den Begriff verwendet man, wenn man eine Vielzahl von Komponenten durch konfigurbare und programmierbare Schaltkreise miteinander unterschiedlich verbinden kann.
Aber ein Software Defined Vehicle ist Blödsinn. Dummes Marketinggeschwätz.
So: Ich fahre nur kurz einkaufen, eigentlich reichen mir drei Zylinder, das kleine Autoradio, und die Rückbank lasse ich auch zuhause, aber das Auto bitte in gelb und nur das kleine Autoradio.
Aber morgen muss ich über die Autobahn. Da brauche ich alles sechs Zylinder und den 100 Watt Stereo, außerdem langen Radstand.
Und am Wochenende gehen wir Möbel kaufen, da bräuchte ich den Kombi-Kofferaum und hinten gleich die Doppelachse, dafür vorne eher Diesel.
Was soll der Quatsch? Am Auto gibt es nichts, was man mal so und mal so zusammenkonfiguriert.
Oder doch?
Bei Tesla kann man je nach Zahlung unterschiedliche Reichweiten bekommen. Sie sind ja bekannt dafür, dass sie bei Katastrophen wir Huricanen für ein paar Tage kostenlos die größere Reichweite freischalten, damit die Leute kostenlos aus dem Katastrophengebiet fliehen können.
Niemals würde ich einen BMW kaufen, aus verschiedenen Gründen. Aber neulich kam noch einer dazu, als sie beschrieben, dass sie die Sitzheizung in jedes Auto einbauen, man sie aber gegen Gebühr freischalten muss. Was nämlich die Frage aufwirft, ob man dann überhaupt verfügungsberechtigter Eigentümer des Wagens oder nur dessen Mieter ist. So etwas hielte ich gerade noch bei Miet- und Leasingfahrzeugen für sehr grenzwertig vertretbar, aber keinesfalls mehr bei einem gekauften Fahrzeug. Geht gar nicht. Demnächst dann Scheibenwischergebühr?
Geht es hier nur um Abzockmodelle?
Also nur um Freischaltungs- und nicht um Konfigurationsmethoden?
Einen schicken, bekannten Marketingbegriff, um eine Abzocke gut klingen zu lassen?
Wenn Code nicht das Problem ist, was ist es dann? Die bittere Wahrheit: Wir versuchen, ein Software-Produkt mit dem Betriebssystem eines Hardware-Konzerns zu bauen.
Heute teile ich die wichtigsten Erkenntnisse aus unserem Gespräch. Warum das Middle Management unfreiwillig die Innovation tötet. Warum ein Hardware-Manager, der 50 Cent spart, 100 Millionen kostet. Und warum wir nicht mehr Entwickler brauchen, sondern andere Manager.
Erst mal zur Dimension. Ein modernes Auto ist nicht ein Computer. Es ist ein Netzwerk aus ungefähr 100 kleinen Computern. Im Automotive nennen wir diese Computer Steuergeräte (ECUs). Sie steuern alles: Bremsen, Airbags, Radio, sogar Fensterheber. Über die Jahre sind immer mehr Funktionen dazugekommen.
Darauf laufen Millionen Zeilen Code. Und diese 100 Computer müssen in Echtzeit miteinander kommunizieren. Fehlerfrei. Weil sonst Menschen verletzt werden können.
[…]
Aber genau das machen wir heute im Auto. Diese Komplexität lösen wir nicht mit “mehr Entwicklern”. Wir lösen sie nur mit einer anderen Organisation.
Und genau die blockiert uns. Hier sind drei Gründe.
1) Das 50-Cent-DilemmaStellen Sie sich vor, Sie wären Abteilungsleiter für ein Steuergerät. Ein klassischer Hardware-Manager. In Ihrer Zielvereinbarung steht ein klares Ziel: Kosten senken. Sie finden einen Weg, den Speicherchip im Steuergerät etwas kleiner zu dimensionieren. Sie sparen 50 Cent pro Auto. Bei zwei Millionen Autos sind das eine Million Euro Einsparung. So bekommen Sie Ihren Bonus. Werden befördert. Und haben Ihren Job gemacht.
Drei Jahre später. Das Auto ist auf dem Markt. Die Software-Abteilung will ein neues Feature per Over-the-Air-Update ausrollen. Ein Feature, für das Kunden Geld bezahlen würden. Aber es geht nicht. Warum? Der Speicher ist voll. Weil wir den billigeren Chip genommen haben.
Die Einsparung von einer Million Euro heute verhindert Einnahmen von 100 Millionen Euro morgen. Das ist das 50-Cent-Dilemma. Unsere Prozesse sind auf den SOP, den Start of Production, optimiert. Die Hardware wird gerade so groß gemacht, dass die Funktionen von heute reinpassen. Nicht die von morgen.
Das allerdings kann ich bestätigen, denn das habe ich selbst schon erlebt. Ich war freiberuflich, allerdings jeweils nur ganz kurz und für Kleinkram, zweimal auch indirekt für Autohersteller tätig.
Und da wurde mir (2008) gesagt: Alles muss knapp sein. Wer die Software so schreibt, dass das Autoradio mit weniger Speicher auskommt und deshalb 1 Euro spart, spart bei einer Million Autos eben auch eine Million Euro, und bekommt dafür eine schöne Provision. Also bemüht man sich, das Autoradio – oder was auch immer – 1 Euro billiger zu bauen, indem man etwas einspart.
Warum?
Weil man Autos nach dem Kauf nicht mehr verändert. Die sollen unverändert laufen bis zur Verschrottung. Sie nachträglich zu erweitern ist nicht vorgesehen.
Mit der Methode ist damals Nokia mit seinen Mobiltelefonen gegen Apple untergegangen.
Ein Nokia-Telefon war, einmal gekauft, völlig unveränderlich. Es gab keinerlei neue Features, keine neue Software, und nur äußerst selten überhaupt Bugfixes. Man kaufte sie, benutzte sie dann 1 bis 2 Jahre genau so, wie sie waren – und ersetzte sie dann durch ein Neues.
Das iPhone dagegen kaufte man „nackt“, und konnte dann ständig neue Apps und Softwareversionen installieren, das Ding „lebte“. So hat Apple Nokia in kürzester Zeit den Garaus gemacht.
Wer das gerade „gelernt“ hat, sind die Kamerahersteller.
Früher war das so, dass wenn man eine Kamera gekauft hat, deren Eigenschaften festgemauert waren, und zwar auch zur Zeit der DSLR, in der schon alles per Software lief. Updates gab es bestenfalls für Bug Fixes oder die Kompatibiltät zu neuen Objektiven, die sie verkaufen wollten. Sonst gab es nichts, Neuigkeiten immer nur im neuen Kameramodell. In dem Moment, in dem die Kamera auf dem Markt kam, war ihre Entwicklung abgeschlossen, sie eigentlich schon „tot“.
Seit einiger Zeit, nämlich dem Aufkommen der Spiegellosen, hat sich das geändert. Auch, weil man von vornherein wusste, dass man a) die Software bis zum Verkauf gar nicht fertig bekommt und b) auf Features, die die Konkurrenz bietet, nicht ständig mit neuen Modellen reagieren kann, und c) der Verkauf nicht warten kann, bis die Software alle geplanten Features erkannt und implementiert hat.
Dazu kommt, dass Kameras immer weniger von Mechanik abhängen und immer stärker softwaregetrieben sind. Sogar Objektive brauchen heute Softwareupdates. Je mehr die Software aber „kann“, weil sie Aufgaben der Hardware übernommen hat, desto mehr kann man aber auch ändern.
Beispiel:
Früher waren der Fokus- und der Zoomring am Objektiv mechanisch. Damit war die Funktion, die Drehrichtung, das Verhältnis von Drehwinkel zu Wirkung festgelegt.
Heute dagegen sind das nur noch sensorische Ringe, die als Eingabe an die Elektronik dienen, und damit über den Prozessor Stellmotoren steuern. Man kann also die Drehrichtung, die Funktion, die Intesität und so weiter per Software einstellen und zum Beispiel begrenzen.
Sogar Nikon, früher stur wie ein Felsblock, hat damit angefangen, für Kameramodelle, die schon auf dem Markt sind, immer wieder neue Softwareversionen mit neuen Funktionen herauszugeben.
Das macht man heute eben so.
Aber geht das bei Autos auch?
Eigentlich nicht. Außen. Beim Fahren.
Aber Autos können ja heute selbständig einparken. Das kann man verbessern.
Und der ganze Innenmultimediakram.
Ich bin da skeptisch. Der Aufwand ist nicht nur zu groß, sondern ich halte ein Auto auch für nicht unbedingt dafür geeignet, ständig aktualisiert und erweitert zu werden. Und ich halte es für keine gute Idee, das überall einzuführen, nur weil die Leute sich das vom iPhone so angewöhnt haben.
Ich verbringe jetzt schon einen gewaltigen Teil meiner Zeit damit, alle möglichen Geräte ständig zu softwareaktualisieren. Ständig muss ich irgendetwas aktualisieren, patchen, updaten. Ich komme gar nicht mehr nach, alleine schon meine Objektive zu aktualisieren.
Ich war doch neulich in Japan, und habe auch ein paar Videos mit einer kleinen DJI-Kamera gemacht. Auch die brauchte und verlangte dann einige Male ihren Softwareupdate.
Als ich dann da mit der – sorgfältig aktualisierten – Kamera unterwegs war, war dann, was eben passiert, unterwegs irgendwann der Akku leer. Kein Problem, dafür habe ich Ersatzakkus dabei. Und wollte etwas wichtiges aufnehmen, was nicht wiederholbar war. Ich weiß nicht mehr, was, aber es war wichtig.
Oh, nein, sprach die Kamera, das gehe jetzt nicht. Sie habe festgestellt, dass dieser Akku (den ich nach dem Kamera-Update zum ersten Mal an die Kamera anschloss) noch nicht auf dem aktuellen Softwarestand sei und deshalb nicht die volle Funktionsfähigkeit gewährleisten könne. Ich müsse deshalb jetzt abwarten, bis die Kamera die Firmware des Akkus aktualisiert habe.
Es dauerte eine Weile, und die Kamera verkündete dann auch freudig, dass sie das jetzt erfolgreich abgeschlossen habe, und mir der Akku nunmehr mit all seinen neuesten Funktionen zur vollen Verfügung stehe. Aber da war es dann zu spät.
Scheiße. Kein Video. Ich wollte doch einfach nur ein Video aufnehmen.
Ich bin mir nicht sicher, ob es mir vor dem Software Defined Vehicle nicht grausen sollte.
Ich hege nämlich den Verdacht, dass nach dem „Debanking“ auch das „Devehicling“ kommt. Einmal zur falschen Demo oder zur falschen Partei gefahren, oder einfach zu schnell, *Zack* legen sie einem das Auto lahm.