Kann man so etwas auch in echt fotografieren?
Ein Leser fragt an.
Es sind nicht alle so zufrieden mit diesem Polizeifoto wie ich.
Einer schreibt
Schärfeverlauf
…der ist gruselig. Die harte Kante / der harte Übergang zwischen Blende 24 und Blende 1,4 mit dem unplausiblen Verlauf am mittleren Streifenwagen tut fast schon weh…
Deshalb hatte ich ja schon eine App vermutet. Dass der Schärfeverlauf nicht stimmen kann, sieht man besonders am rot-weißen Flatterband, das unscharf ist, der Bus rechts aber weiter weg ist und scharf, während das Rückenschild des Polizisten links näher dran ist und auch wieder scharf, es also zwei Schärfezonen gibt. Anscheinend ist das ein echtes Foto, das mit einer Handy-App nachbearbeitet wurde, die nicht gemerkt hat, dass das Band vorne und nicht hinten im Hintergrund ist.
Trotz der Fehler finde ich aber die Farben und die Bildwirkung gut. Es gibt auch KI-Bilder, die richtig schwere inhaltliche Fehler haben und mir trotzdem gut gefallen.
Nun fragt aber ein Leser an:
Sehr geehrter Herr Danisch,
wenn ich das, was Sie im Blog immer erzählen als Maßstab nehme, dann habe ich null Ahnung von Fotografie.
Desgleichen von Computern und Bildbearbeitung.
Ich knipse halt, digital und auch auf Film.Vor diesem Hintergrund eine Frage.
Das mittlere Polizeiauto, hintenunten ist “POL” noch scharf zu lesen. Kaum 30 cm höher dann schon totale Unschärfe.
Ähnlich das Laub im Vordergrund.
Bekommt man das mit rein optischen Mitteln, Objektiven, hin?
So schlimm sieht das bei mir gar nicht aus, ich habe mir das in voller Auflösung angesehen, aber in der verkleinerten und stärker komprimierten Version könnten das Kompressionsartefakte sein.
Aber die Frage ist: Kann man so etwas auch optisch Fotografieren?
Die Fehler im Schärfeverlauf mit dem doppelten Schärfebereich natürlich nicht. Was genau bedeutet: Doch, kann man. So etwas war mal in den 80ern kurz in Mode, sich vor die Kamera eine Glasscheibe oder einen einfachen, optisch neutralen Glasfilter, UV-Filter oder sowas zu montieren und dann mit dem Finger dünn Vaseline draufzuschmieren und Muster zu erzeugen, die sich dann in der Schärfe äußerten. So etwas will man nicht, kam auch bald wieder aus der Mode.
Dann gibt es inzwischen Objektive mit Blenden von 1.2, 1.0 oder sogar 0.95 (für viel Geld sogar noch drunter), die einen brutalen Schärfeverlauf haben, und mit denen man Portraits hinbekommt, auf denen die Augen genau scharf, aber die Ohren schon unscharf sind. Mit denen bekommt man schon derbe Dinger hin.
Was mir hier aber als naheliegend einfiel, um so etwas zu fotografieren, wäre ein Tilt-Objektiv:
- Ein Tilt-Objektiv ist eines, das ein Gelenk hat und das man gegenüber der Kamera (=Bildebene) kippen kann. Weil sich Objektiv-, Bild- und Schärfeebene, wenn man sie von der Seite betrachtet als Gerade zeichnet, immer in einem Punkt treffen (normalweise im Unendlichen, weil parallel) kippt dann, wenn man die Kamera gegenüber der optischen Achse kippt, damit auch die Ebene dessen, was scharf abgebildet wird.
Man verwendet das normalerweise, um die Schärfentiefe zu dehnen („Schärfentiefedehnung nach Scheimpflug“) etwa wenn man ein Zifferblatt einer Armbanduhr oder die Zuschauer auf einer Tribüne fotografieren will, damit die Schärfeebene oben von einem weg kippt, also schräg ist, etwa wie eine Zuschauertribüne o.ä.
Man kann das aber auch absichtlich „falsch herum“ kippen und die Schärfenebene genau gegen den Bildinhalt kippen, damit die Schärfenebene die Szene quasi durchschneidet. Kennt Ihr diese Miniaturenfotos, auf denen Autos, Menschen, Strände aussehen wie Spielzeugeisenbahn? Die werden genau so fotografiert. Weil dadurch die Schärfenebene viel zu kurz wird, und derselbe Bildeindruck entsteht, wie bei einem Macroobjektiv, wo das auch so ist und wo wir „gelernt“ haben, dass dieser Bildeindruck „winzig klein“ bedeutet.
Und damit könnte man zwar nicht die Fehler simulieren, aber den Bildeindruck. Damit kann man solche besonderen räumlichen Tiefen erzeugen.
- Ein Shift-Objektiv ist eines, das man gegenüber der Kamera parallel verschieben kann. Das verwendet man, um stürzende Linien zu vermeiden, wenn man etwa vor einem hohen Haus steht und nach oben fotografieren will, weil man normalerweise die Kamera dazu nach oben richten muss, und dann die Hauskanten perspektivisch „stürzen“. Verschiebt man aber das Objektiv, kann die Bildebene parallel (oder zumindest weniger gekippt) bleiben, und das Problem tritt nicht (oder geringer) auf.
- Ein Tilt-Shift-Objektiv ist eines, das – Überraschung! – beides kann.
Früher waren die Dinger so richtig sauteuer, Canon, Nikon so ab 2000 Euro.
Inzwischen bekommt man die aber drastisch preisgünstiger beim Chinesen.
Und es geht sogar noch billiger, denn es gibt inzwischen Adapter. Man kann sich nämlich den Umstand, dass die neuen spiegellosen Kameras ein geringeres Auflagemaß (=Abstand Bildebene/Sensor zur Bajonettauflagefläche) als die alten Spiegelreflexkameras haben, zunutze machen, und seine alten Objektive für Spiegelreflexkameas, die auf größeren Abstand gerechnet sind, per Adapter zum Tilt- oder Shiftobjektiv machen und so etwa alten Weitwinkeln mit F-Bajonett eine ganz wunderbare neue Aufgabe geben. Auch diese Adapter bekommt man beim Chinesen.
Diese Fehler bekommt man damit nicht hin. Weil alles, was ich über Objektive erzählt habe, immer noch in den Gesetzen der Linsen-Optik arbeitet. Ausnahme ist die Vaseline (obwohl selbst die nach diesen Gesetzen funktioniert, aber die Form des Geschmiers halt willkürlich ist).
Auch wenn dieses Foto da vermutlich mit einer echten Kamera (oder einem echten Handy) fotografiert und dann per KI o.ä. nachbearbeitet wurde und optische Bildfehler hat: Es gefällt mir in Bildwirkung, der Tiefenwirkung, den Farben.
Und es ist eigentlich eine schöne Bildidee, sich mal mit einem Tilt-Objektiv irgendwo eine schöne Herbstallee zu suchen, und so etwas mal echt zu fotografieren.
Die Polizei dürfte vermutlich weder Dienst-Tilt-Objektive noch die Zeit für so ewas haben, aber Bildbearbeitungs-KI.
Obwohl:
Ich kann mich an einen Vorgang von 2008 in Neuseeland erinnern. Ich hatte da mit einem Wohnmobilchen irgendwo hinter einem Bahnhof auf einem einsamen Parkplatz geparkt, weil ich keinen Campingplatz zahlen wollte und dachte, da sieht mich keiner. Am nächsten Morgen wurde ich von Dudelsackmusik geweckt. Wo kommt die Musik her? Rausgeguckt: Alles voller Autos, ich inmitten von Hunderten von Autos – war ein park-and-ride-Parkplatz. Fototasche geschnappt, auf zur Musik.
Irgendeine Polizeifeier. Großaufmarsch der Polizei mit Dudelsack, Kilt, Musik, einer darunter sogar mit Turban.
Ich da sofort Kamera raus, alle hielten mich mit der dicken Nikon für einen Profifotografen von der Presse und ließen mich da auch durch. Auf einmal neben mir eine so richtig verdammt gut aussehende Frau im Kampf-Overall, die auch fotografierte, dasselbe dicke Nikon-Objektiv. Polizistin der Presseabteilung, und es war ein Spaß, uns beim Fotografieren gegenseitig zu zeigen, was wir so „im Beutel haben“. 🙂
Die haben sich dann versammelt, einen Haka aufgeführt (das einzige Mal in meinem Leben, dass ich einen Inder mit Turban einen neuseeländischen Haka aufführen gesehen habe), und zum Abschluss gab es da noch ein reichhaltiges Buffett, an dem ich mich dann ungehindert und auch willkommen bedienen konnte, weil man mich ja für Presse hielt. So kam ich a) zu einem üppigen und luxuriösen reichhaltigen kostenlosen sehr-spät-Frühstück, und habe die Bekanntschaft einer verdammt gut aussehenden Polizistin gemacht, die nicht nur für Männer mit großem Objektiv etwas übrig, sondern auch selbst dicke Dinger vorzuzeigen hatte.)
Ich muss Euch irgendwann mal die Bilder zeigen. Wobei inzwischen die Bildbearbeitung und KI so fortgeschritten ist, dass mir längst kein Mensch mehr glaubt, dass ich diese Fotos mal in echt so gemacht habe.
Es ist also nicht grundsätzlich so, dass Polizisten keine guten Objektive haben. Das ist nur in Deutschland und im Kongo so.