Gleichheit durch Diversität
Ein Leser fragt an. Ich erkläre es.
Prolog
„Unwissenheit ist Stärke“
„Krieg ist Frieden“
„Freiheit ist Sklaverei“
(George Orwell, 1984)
„Diversität ist Gleichheit“
„Sozialismus ist Demokratie“
(SPD, so ungefähr)
Leseranfrage
Ein Leser fragt an:
Fragen ueber Fragen
Hadmut, das Leben wird von Tag zu Tag verwirrender:
Wenn alle Menschen gleich sind,
wenn alle Kulturen gleichwertig sind,
wenn es keine genetischen Unterschiede gibt…
=>
Wie kann dann Diversitaet unsere Staerke sein?
Woher sollte diese Diversitaet denn dann kommen?
Warum brauchen wir dann ueberhaupt Diversitaet
wenn sie doch gar nicht existiert?
Da hat der Leser im Marxismus- und Gender-Unterricht nicht gut aufgepasst.
Ich habe das vor einiger Zeit schon einmal erläutert, aber das ist wohl schon ein paar Jahre her. Also eine aktuelle Erklärung.
Der Leser ist in Logik, Realität und Empirie verhangen. Das muss er sich abgewöhnen.
Realität gibt es im Marxismus nicht, alles ist Diskurs, und der Diskurs schafft die Realität. (Amen!)
Das nun beruht auf der Sprechakttheorie. Eine Kuh unterscheidet sich nach der Theorie der Marxisten nicht von einem Pferd (oder einem Telefon), weil sie irgendwie tatsächlich unterschiedlich wären, sondern weil eines Tages ein unverschämter Mensch daherkam, und das eine „Kuh“, und das andere „Pferd“ nannte (und später noch einer kam, der das Telefon Telefon nannte). Erst seit es die sprachlichen Mittel gibt, Kuh, Pferd und Telefon unterschiedlich zu benennen, sind sie – nach Ansicht der Marxisten – auch erst unterschiedlich. In einer Kultur, in der es keine Worte für Kuh und Pferd (und Telefon) gäbe, könnte man sie auch nicht unterscheiden. (Koinzidenz, Korrelation und Kausalität: auch eine hypothetische Koinzidenz erlaubt es Geisteswissenschaftlern, beliebige Kausalitäten zu behaupten).
Leichte Übung für den Leser: Einmal mit Forelle, Eiche, Feuerlöscher und einem Gegenstand aus Eurem Besitz durchdeklinieren.
Darauf beruht zum Beispiel das Geschlechterverständnis Linker. Es gäbe von Natur aus gar keine Geschlechter, sondern diese würden erst durch die Sprechakte bösartiger Hebammen erzeugt, indem sie nach der Geburt Sprechtakte tätigen wie „Es ist ein Junge!“ oder „Es ist ein Mädchen!“.
Die Eltern würden das nämlich niemals sehen oder gar festlegen können, wenn ihnen die Hebamme nicht sagte, was es sei.
Darauf beruht auch deren Technik des „Dekonstruierens“ – etwa von „binären Geschlechtereinteilungen“, „Geschlechterrollen“ und so weiter. Weil ja nach der Sprechakttheorie alles nur „soziale Konstrukte“ sind, deren Sprechwirkung durch ständige Reproduktion, Wiederholung verfestigt werde, ist man so konsequent zu glauben und zu predigen, dass sich alle Eigenschaft – egal ob Geschlecht, Kuh oder Telefon – mit der Zeit auflösen werde, wenn man die Leute davon abhält, sie zu benennen.
Daher kommt die „Gendersprache“, auch die „inklusive Sprache“. Wenn man dafür sorgt, dass man immer zwei Geschlechter anspricht (Parteitag: „Liebe Freundinnen und Freunde“), so ist man überzeugt, löst sich die Diskriminierung der Frau einfach so auf. Und wenn man gar keine Geschlechter mehr anspricht und das Geschlechtliche völlig aus der Sprache tilgt, so glaubt man, lösen sich auch die „Geschlechtszuschreibungen“ auf.
Man glaubt als, dass wenn man etwa eine Frau nicht mehr als „Frau“, „sie“ und eben weiblichen Pronomen anspricht, sondern mit „hen“ oder „pfupf“ oder eben „Telefon“, sie mit der Zeit auch die Geschlechtsmerkmale und der Diskriminierungszustand zurückbilden. Wenn man jemanden konsequent mit „hen“ anspricht, bilden sich die Brüste zurück und die Menstruation hört auf, dafür steigen Gehalt und Kompetenz. Glaubt man.
Deshalb gibt es verbotene Worte, und deshalb wird man als „Sexist“ beschimpft, wenn man „Frau“ sagt. Weil man jedesmal, wenn man „Frau“ oder „sie“ sagt, die Geschlechtszuschreibungen reproduziert und verfestigt.
Warum?
Das ist eine geistige Krücke, die man braucht, um den Marxismus zu erklären. Der Marxismus basiert auf einem Klassenmodell, streitet aber gleichzeitig jegliche Genetik ab.
Nun hat man das Problem, wie man das Zustandekommen von „Klassen“ wie der Arbeiterklasse, dem Proletariat, oder eben der Bourgeoisie erklärt. Es sind „soziale Konstrukte“.
Dasselbe braucht man auch für Befähigungen, Fähigkeiten, Berufserfahrungen, Berufe: Die gäbe es alle gar nicht.
Alles sei nur soziale Zuschreibungen, die man per Sprechakt begeht, um Leute in Klassen einzuteilen, etwa indem man Leute zu Wissenschaftlern macht, indem man sie so nennt und ihnen einen weißen Kittel anzieht.
Deshalb hatte man ja den feministischen Schlachtruf „Quality is a myth“ losgelassen und Frauen als „Quereinsteiger“ in alle Posten gedrückt, weil man der Auffassung war, dass sich die ganze Sozialisierung von Berufen und Befähigungen einfach umprogrammieren lässt, indem man die Leute per Zwang an Frauen auf hohen Posten gewöhnt. Es wurde ja auch oft gesagt, dass es keine Rolle spiele, ob die Frauen befähigt seien, sondern nur wichtig sei, dass sie möglichst schnell auf die Posten kämen und mit „Frau Professor“ oder sowas angesprochen würden, das mit der Sachkunde käme dann später von selbst – und wenn nicht, sei es auch nicht schlimm, die Leute würden sich dann eben an andere Sachkunde gewöhnen. An „Kompetenzen“ statt Fähigkeiten.
Darauf beruhte auch der Ansatz, die Informatik zu „enttechnisieren“ und durch Sozialthemen zu ersetzen.
Und ebenso war man der Meinung, dass auch Schönheit nur ein soziales Konstrukt sei und dass man die Leute einfach über ihre Sehgewohnheiten umprogrammieren kann, indem man sie mit dicken Frauen und „Bodypositivity“ konfrontiert und ihnen verbietet, das negativ zu bezeichnen. Irgendwann würden die Leute auch das 200kg-Weib schön und sexy finden, wenn ihnen das der Diskurs eben so ansozialisiere. Dachte man.
Diversität
Jetzt wird es anspruchsvoller.
So, wie auch Geschlecht, Beruf, Schönheit nur soziale Konstrukte und Erzeugnisse von Sprechakt seien, hielt man auch die Herkunft, die Abstammung, das allgemeine Aussehen für ein solches soziales Konstrukt.
So, wie man gezwungen wird, fette Weiber für schön und dumme Quotentussis für kompetent zu halten, so soll man auch darauf abgerichtet werden, Leute für gleich zu halten.
Es geht also nicht darum, dass Leute gleich seien im objektiven, sachlichen Sinne, sondern darum, dass sie in der Sicht der Leute für gleich gehalten werden. Wenn man also so etwas sagt wie „Der ist Schwarz“ oder „Der ist ein Krimineller“ oder irgendetwas in der Art, geht es in der Sicht der Marxisten nicht darum, ob der das ist, sondern darum, dass der, der das sagt, noch Begriffe für Unterschiede hat, noch zum Sprechakt fähig ist.
Und diese muss den Leuten ausgetrieben werden.
Das Paradies tritt in der Vorstellung dieser Leute ein, wenn es keinen Gedanken und keinen Begriff mehr gibt, der eine Unterscheidung ermöglichen könnte. Deshalb darf man auch nicht mehr „Deutschland“ sagen und keine Deutschlandfahne mehr am Auto habe, das würde ja Unterschiede machen, und andererseits zwischen denen, die die Eigenschaft teilen, eine Gleichheit. Und Gleichheit macht Nazis.
Wenn also A und B eine Eigenschaft teilen, die C nicht hat, und A und B das merken und auch noch benennen können, dann werden sie sofort zu Nazis. Deshalb muss man nicht nur jede Eigenschaft, die man bezeichnen kann, aus der Sprache tilgen, sondern auch die Gesellschaft und was man für gut findet, in ständiger Bewegung halten, ständig umrühren wie eine Suppe, die sich nicht absetzen darf. Deshalb braucht Sozialismus ständige Änderungen, ständige Neudefinitionen, damit man sich an nichts als Maßstab gewöhnen kann.
Die Idee hinter der Diversität ist nun nicht etwa, dass da „unterschiedliche“ Menschen zusammensind, sondern dass wird nicht mehr in der Lage sind, sie zu unterscheiden. Es geht nicht um die physische Eigenschaft, sondern um die Urteilsfähigkeit.
Und erst dann, wenn alle Menschen dieser Welt auf einem Haufen sind und umgerührt werden, und keiner mehr die Unterschiede benennen kann, erst dann ist „Diversität“ im Marxistensinne erreicht, nämlich nicht, weil alle möglichen Leute da sind, sondern weil die Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, sie zu unterscheiden. „Diversität“ ist nicht die Vielzahl der Eigenschaften, sondern die durch diese Vielzahl nachgewiesene Unfähigkeit, sie zu unterscheiden.
Diversität ist nicht, wenn da ein Mann und eine Frau sitzen, oder ein Weißer und ein Schwarzer, sondern wenn die Leute nicht mehr in der Lage sind, zwischen Mann und Frau oder zwischen Weißem und Schwarzen zu unterscheiden.
Wer also fragt, wie der Leser anfragt, der hat das Prinzip nicht verstanden.
Diversität und Gleichheit sind in deren Ideologie kein Widerspruch, sondern zusammen der Idealzustand, nämlich wenn man keine Menschen der Welt mehr voneinander unterscheiden und ihnen folglich auch keine Eigenschaften wie „Frau“, „Schwarz“, „Afrikaner“ mehr zuschreiben kann.
Diversität ist das große Umrühren, durch das Gleichheit erzeugt werden soll. Diversität soll zusammen mit der Umtrainieren auf die Unfähigkeit zur Unterscheidung zur Gleichheit führen.
Deshalb ist Diversität auch eine Art Maß für die – angestrebte – Unfähigkeit zur Unterscheidung. Indem man die grenzenlose Diversität kommentarlos hinnimmt, stellt man unter Beweis, dass man alle für gleich hält und keine unterschiedlichen Worte mehr für sie findet.
Epilog
Der Schmerz durchflutete Winstons Körper. Der Zeiger mußte auf siebzig, fünfundsiebzig stehen. Diesmal hatte Winston die Augen geschlossen. Er wußte, daß die Finger noch immer erhoben und daß es noch immer vier waren. Es kam nur darauf an, irgendwie am Leben zu bleiben, bis der krampfartige Schmerz vorüber war. Er war sich nicht mehr bewußt, ob er schrie oder nicht. Der Schmerz ließ wieder nach. Er öffnete die Augen. O’Brien hatte die Hebel zurückgedreht.
»Wie viele Finger, Winston?« »Vier. Ich glaube, es sind vier. Ich würde fünf sehen, wenn ich könnte. Ich versuche, fünf zu sehen.«
»Was wollen Sie: mir einreden, Sie sähen fünf, oder sie wirklich sehen.«
»Sie wirklich sehen.«
»Noch einmal«, sagte O’Brien.
Der Zeiger war vielleicht bei achtzig, neunzig. Winston konnte sich nur in Abständen entsinnen, warum der Schmerz da war. Hinter seinen verdrehten Augenlidern schien ein Wald von Fingern sich in einer Art Tanz zu bewegen, sich zu verflechten und wieder aufzulösen, einer hinter dem anderen zu verschwinden und wieder zu erscheinen. Er versuchte, sie zu zählen, ohne sich erinnern zu können, warum er das tat. Er wußte, daß es unmöglich war, sie zu zählen, und daß das irgendwie mit der geheimnisvollen Gleichheit
zwischen fünf und vier zusammenhing. Der Schmerz ließ wieder nach. Als er die Augen öffnete, sah er noch immer das gleiche: zahllose Finger glitten immer noch
wie sich bewegende Bäume wechselweise nach beiden Seiten vorüber. Er schloß wieder die Augen.»Wie viele Finger halte ich hoch, Winston?«
»Ich weiß nicht, weiß es nicht. Sie töten mich, wenn Sie noch einmal einschalten. Vier, fünf, sechs – ganz ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.«
»Schon besser«, sagte O’Brien.
Eine Nadel drang in Winstons Arm. Fast im gleichen Augenblick durchflutete eine wonnige, wohltuende Wärme seinen ganzen Körper. Der Schmerz war bereits halbwegs vergessen. Er öffnete die Augen und blickte dankbar zu O’Brien. empor. Beim Anblick dieses ernsten, tiefgefurchten Gesichts, das so hässlich und so klug war, schien sich ihm das Herz umzudrehen. Hätte er sich bewegen können, er hätte eine Hand ausgestreckt und sie auf O’Briens Arm gelegt. Noch nie hatte er ihn so tief geliebt wie in diesem Augen-
blick, und nicht nur deshalb, weil er den Schmerz abgestellt hatte.Das alte Gefühl, daß es im Grunde nichts ausmachte, ob O’Brien ein Freund war oder ein Feind, hatte sich wieder eingestellt. O’Brien war ein Mensch, mit dem man reden konnte.
George Orwell, 1984, Zimmer 101
Es geht nicht darum, fünf Finger zu sehen, wo vier sind.
Es geht darum, fünf Finger nicht mehr von vier Fingern unterscheiden zu können – und zu wollen.
Unwissenheit ist Stärke.
Krieg ist Frieden.
Freiheit ist Sklaverei.
Diversität ist Gleichheit.
Sozialismus ist Demokratie.